Da stehe ich im Stettener Stein, hinter mir Silvaner, unter mir der Main. Diese Kombination gab es relativ häufig im Jahr 2021. Irgendwo in einem Weinberg stehen, Silvaner und Main dabei. Während dieses Jahr in kurzer Frist zu Ende geht, frage ich mich also, was es geprägt hat. Und natürlich auch zum Schluss, wohin ich im nächsten Jahr so gehen möchte. Richtig, das ist eine Art Jahresrückblick – fokussiert auf Silvanerartiges.
Inspiration in 2021?
Ich weiß nicht, wie es euch ging. Aber hätte man mir vor fünf Jahren ein solches Jahr wie 2021 vorgesetzt, ich hätte mich umgehend beschwert. Wer mich kennt, weiß, dass ich in der Vergangenheit immer viele Inspirationen aus dem Kennenlernen anderer Welten gezogen habe. Nicht wenig von dem, was ich da gesehen und erfahren hatte, konnte ich unmittelbar in den beruflichen und privaten Kontext einbringen. 2021 hingegen hätte ich es beinahe noch nicht mal geschafft, eine einzige Nacht außerhalb der Landesgrenzen zu verbringen. Das wäre das erste Mal seit (ich habe im Reisetagebuch nachgeschaut) 1982 gewesen. Soll heißen: Die Inspiration musste von woanders kommen.
Die moderne Welt hat mich in der Hinsicht ein bisschen gerettet. In diesem Fall sowohl wegen als auch dank der Pandemie hat ja unser digitales Leben einen großen Schritt nach vorn getan. Auf Online-Tagungen und -Konferenzen kann man jetzt per Direktschalte mit Leuten in Chile, Japan und Portugal sprechen, was real nie möglich wäre.
Auf dem Foto oben seht ihr von links nach rechts Moderator Howie Kahn (fand ich wirklich sympathisch), Pilzforscher Merlin Sheldrake (dessen Buch ich mir daraufhin gekauft habe) und Weininstanz Isabelle Legeron (MW, schönes Hemd übrigens; stilistische Einflüsse vollkommen zufällig). Alle zusammen waren bei der von Isabelle organisierten RAW Alive!-Online-Konferenz an Bord. Ebenfalls sehr inspirierend die Ecovin-Sessions bei der BIOFACH, das “neue Bordeaux” mit Romana Echensperger und die Beiträge der Geisenheimer Professoren Kauer & Schultz bei der Tagung des Bundes Deutscher Önologen. Ich gebe zu, ich mag einfach Wissenschaft – vor allem, wenn sie diesen inspirierenden, zukunftsgerichteten Touch hat.
Weine probieren am Rechner
Wenn ihr euch jetzt fragen solltet, wo im ersten Textblock der Silvaner war, richtig, nirgends. Aber dafür kam er umso mehr bei den sozusagen interaktiven Versionen der Online-Talks. Bei kühlem Wetter und schnellem Transport kann man auf diese Weise viele Weine tatsächlich relativ verlustfrei probieren. Ich habe also sowohl bei der ProWein-Ersatzveranstaltung der GUETER als auch bei der Online-Probe von Castell & Friends feine Silvaner aus Kleinflaschen trinken können – unter anderem die Große Reserve von Schmitt’s Kindern.
Oben seht ihr nun vier definitiv unterschiedlich gefärbte Silvaner, deren Farbe vom unterschiedlichen Umgang mit den Beerenschalen herrührt. Richtig, es ging bei der Veranstaltung von Culinarium Bavaricum um die Annäherung an den Orange Wine.
Sehr spannend und persönlich bereichernd (vor allem, weil ich dort noch nie war), fand ich auch die große Argentinien-Probe. Was interessante Weine anbelangt, kann man das mit den Kleinflaschen natürlich auch im Freundeskreis machen. Gerade wenn man weit voneinander entfernt wohnt und ein ähnliches Level an Freakiness aufweist, ist das eine feine Sache.
Allerdings, seien wir ehrlich: Wenn man Weintrinken primär als fröhliches, genussvolles Beisammensein begreift, wo man nach Herzenslust durcheinanderquatscht, dann gibt es schlichtweg keine Alternative zum realen Treffen. Und solche waren, wie alle Unternehmungen außerhalb des Hauses, im ersten Halbjahr Mangelware.
Unterwegs im Frankenland
Eigentlich ging es deshalb erst im Mai richtig los mit der Feldbegehung. Was war ich froh darüber! In Vorbereitung auf meine GROSSE SILVANER-SCHAU auf dem Blog habe ich deshalb das Frankenland von Ost nach West, von Nord nach Süd durchmessen. Hier bin ich ganz im Westen, in einer Lage, die gefühlt 99,9% der Weininteressierten nicht kennen: den Großwallstadter Lützeltalerberg. Dort steht der Heilige Urban aus Sandstein und spricht: “Bei des Tages Lasten sollst du auch mal rasten. Trink dabei unseren Lützeltaler Wein – und du wirst zufrieden sein.” Ein Hexameter, nehme ich an.
Beim Best of Gold 2021, der großen Frankenwein-Leistungsschau, hatten wir dann neben dem vielfältigen Probieren und Konnektieren die Möglichkeit, ein paar wirklich interessante Weingüter zu besuchen. Vom Weingut Ottenbreit hatte ich vorher schon den großartigen Orts-Silvaner getrunken. Oben seht ihr nun das Instrumentarium, das das Kitzinger Weingut Wilhelmsberg für seine höchst ambitionierte Schaumweinherstellung (aus Silvaner!) benutzt. So ein Degorgieren kann manchmal offenbar etwas gröbere Methoden erfordern.
Ein kleiner Schritt für die Menschheit…
…aber ein großer Schritt für mich selbst kam dann im Spätsommer. Auch wenn es nur 65 Kilometer sind. Ich spreche von unserem Umzug von Nürnberg nach Bamberg. Oben übrigens die 110 nunmehr geleerten Umzugskartons, die ich hernach wieder zur Spedition gefahren habe. Als ich jung war, bin ich ja sehr oft umgezogen. Da passte mein Zimmer noch in eine einzige Autoladung. Auch wenn man für Projekte mal zwei Monate woanders auf der Welt lebt, geht das mit einem großen Koffer. Aber der Haushalt wird mit dem Alter nun mal nicht kleiner. Das war also schon ein ganz schöner Act, puh.
Stellt sich natürlich die Frage, ob es mir in Bamberg gefällt. Okay, es gibt in Fußnähe am Michelsberg sogar Silvanerreben. Aber das ist nicht das ausschlaggebende Kriterium. Tatsächlich nämlich kann man hier den philosophischen Ratschlag aus dem Buch von Chizu Saeki befolgen: die Schönheit der Welt in sich aufnehmen. Ich glaube zutiefst, dass sich eine schöne Umgebung (worunter man je nach Präferenzen bauliche Ästhetik, Frühlingsklima, Berge, Meer… verstehen kann) erheblich auf das eigene Seelenleben auswirkt. Insofern: Ja, hier ist es schön, hier gefällt es mir.
Der Silvanerpreis und die Folgen
Zurück aber zum Silvaner. Nachdem ich bei den zwei Wochen Falstaff-Tasting in Hamburg gerade einmal eine Handvoll Silvaner getestet hatte (die Rebsorte ist relativ rar im Rheingau und an der Mosel, und das waren primär “meine” Regionen), kehrte Frankens Finest im Herbst noch einmal mit Macht zurück. Und zwar in Form einer Veranstaltung, die als Internationaler Preis des Silvaner.Forums e.V. firmiert. Nach dem ganzen Probieren und Bewerten konnten wir schließlich noch das Fürstlich Castell’sche Archiv besuchen. Dort gibt es das Schriftstück, von dem ihr das Foto oben sehen könnt. Die erste urkundliche Erwähnung des Silvaners in Deutschland. Anno 1659.
Bei den fünf Preisträgern
Im Nachgang zum Silvanerpreis hatte ich dann dank des Frankenwein-Teams um Andreas Göpfert die Chance, alle fünf Preisträger in ihrem Hof und Weinberg aufzusuchen. Das war großartig. Alle hatten etwas Interessantes zu erzählen, und deshalb bekommt auch jeder Preisträger hier ein Foto. Wenn ihr auf die Winzernamen klickt, seid ihr auf dem Link zur jeweiligen Reportage. Zunächst war ich bei den Winzern Sommerach und erfuhr, dass ihr Familiengewächs-Silvaner zu großen Teilen aus der Lage Wiebelsberger Dachs kommt. Ein im Herbstnebel beinahe mystischer Ort, an dem sich Dachs und Rebstock gute Nacht sagen.
Die zweite Reportage führte mich zum Weingut Freihof, ebenfalls in Sommerach. Das Vater-Sohn-Gespann Hubert und Franz Kram hatte vorher noch nie einen großen Preis mit ihren Weinen gewonnen. Diesmal war es soweit mit einem Silvaner aus dem Gewann Augustbaum. Solche Überraschungen sind einfach das Schöne an Blindverkostungen.
Weiter ging es in die hübsche Altstadt von Volkach zum Weingut Max Müller I. Oben seht ihr einen Blick auf den steilen Teil des Volkacher Ratsherrn, aus dem Christian Müller die Trauben für den Eigenart holt. Gewonnen hat er dabei mit einem zehn Jahre alten Exemplar. Nebenbei erfuhr ich, dass es auch einen Max Müller II gab…
Manfred Rothe aus Nordheim am Main ist ein sehr wichtiger Name, wenn es um Nachhaltigkeit, bewussten Anbau und auch um die Lust am Experiment geht. Sein Indigenius ist ein komplett maischevergorenes und im Holz ausgebautes Meisterwerk. Er hat mir auch verraten, was ihn noch reizen würde: ein wie im Jura unter Flor ausgebauter Silvaner.
Zum Schluss war ich noch bei Klaus Höfling in Eußenheim, im Grenzgebiet zwischen Muschelkalk und Buntsandstein. Anders als der Freihof hat Klaus Höfling in der Vergangenheit ständig gewonnen. Drei goldene Rebscheren stehen da von den letzten drei Silvanerpreis-Veranstaltungen. Und trotzdem ist das Weingut Höfling vielen noch kein Begriff. Eine Gelegenheit, das zu ändern…
Was bleibt von 2021?
Zunächst einmal bleibt von 2021 die merkwürdige Erkenntnis, dass sich trotz wiederholten Silvanergebrauchs die Anzahl der Flaschen mit dieser Rebsorte in meinem Keller nicht verringert, sondern erhöht hat. Und es sind, ihr kennt mich ja, alles Einzelflaschen. Doppelte kann man schließlich nur zum Tauschen gebrauchen, gell?
Ein anderes Fazit aus 2021 betrifft das Arbeitsumfeld. Bei aller Liebe zum Homeoffice, so häuslich wie 2021 möchte ich es im nächsten Jahr nicht mehr haben. So es denn möglich ist, werde ich mich also auch wieder aus anderen Ländern melden. Trotzdem dürften solche Orte wie die Weinbars von Tokio auch im nächsten Jahr vermutlich nur virtuell zu besuchen sein.
Und was passiert in 2022?
Für das Jahr 2022 und darüber habe ich mir gleich mehrere Dinge vorgenommen. Erst einmal möchte ich hier vor Ort ankommen und sozusagen in die lokale Mykorrhiza eintauchen. Es gibt beispielsweise gar nicht weit von Bamberg entfernt wirklich interessante Weinplätze. Kerstin Laufer holt ihren Kerner aus dem Unterhaider Röthla, der bedeutendsten oberfränkischen Lage, wenn man das so sagen darf. Auf dem Foto seht ihr die alten Terrassen des Steinbacher Nonnenbergs. Dort produziert der trockene Franke Hartmut Scheuring Weine von uralten wurzelechten Reben, die im Mischsatz gepflanzt wurden. Ganz in der Nähe, im Zeller Schlossberg, hat das Weingut Scholtens ebenfalls solche Kleinodien im Anbau. Bei sowas möchte ich dichter dran sein.
Wenn das Regionale eines meiner Standbeine sein soll, möchte ich mich auf einem anderen meiner vier Beine auf Zukunftsaspekte konzentrieren. Und zwar sowohl auf der theoretisch-analytischen Ebene als auch in der hands on-Praxis. Nennt es bio, nachhaltig, enkeltauglich, umsichtig, landlieb, naturfreakig, ganz wie ihr wollt. Ein paar Forschungsergebnisse präsentieren, Anregungen finden, mehr strategisch mitdenken.
Was den praktischen Aspekt anbelangt, seht ihr oben auf dem Foto schon mal ein Beispiel dafür. Da steht ein Herr, der gerade in eine Weinbeere beißt. Ersteres ist Stefan Sander vom gleichnamigen Weingut im rheinhessischen Mettenheim, letztere stammt von der roten Rebsorte Fränkischer Burgunder und ist bei der Ernte übrig geblieben. Ihr werdet im Jahresverlauf noch mehr von dort erfahren. Einen Silvaner hat Stefan übrigens auch. Ach, und Cider will ich dieses Jahr wieder machen. Erinnert mich bei Gelegenheit daran.
Und schließlich möchte ich mir eine Maxime erhalten, die mich ehrlich gesagt schon viele Jahre meines Lebens begleitet: die Lust am Ausprobieren. Es gibt nämlich nicht nur ein erstes Mal. Es gibt millionenfach Sachen auf dieser Welt neu zu entdecken. In diesem Sinne auf ein gutes Jahr 2022!
[Diese Version eines ersten Mals ist der gemeinsame Wein von Marlis Bohnengel und Nicolas Olinger. Sehr schön übrigens.]
Willkommen in Bamberg! Ich kann mal eine Jura Weinprobe im kleinen Kreis anbieten…. Gruß Alex (Pfahlplätzchen)
Das wäre wirklich großartig! Warten wir also das kleine Omikron-Wellchen noch ein wenig ab 😉
Toller Beitrag!
Gute Zeit in Bamberg, ich liebe die Stadt auch!
Hier der Link zu einem Beitrag, in dem Stefan Sander mit seinem fränkischen Burgunder und Frühburgunder zu Wort kommt. Überhaupt sind die O-Töne der 3 besprochenen Winzer eine Freude.
Ich habe mir gleich danach Vulkan Silvaner von der Schwäbischen Alb (Dolde) bestellt.
https://sm-wdr.wdr.de/radio/wdr5/sendungen/alles-in-butter/aib-sechzehnter-oktober-100.html
Uli
Danke dir! Ja, ich hatte mir die Sendung von Helmut Gote auch sofort angehört, als sie rausgekommen ist. Ich bin jetzt zwar nicht der allerstärkste Podcast-Hörer, aber da ich alle Protagonisten kannte, wollte ich doch mal hören, was sie zu sagen haben 😉
Hallo Uli,
ich fand diese Folge von “Alles in Butter” bezogen auf den “Grünfränkisch” und “Kleinen Fränkischen Burgunder” sehr oberflächlich. Als regelmäßiger Hörer der Sendung habe ich den Eindruck gewonnen, dass Helmut Gote bei Wein nachlässiger recherchiert als bei Nahrungsmitteln, Rezepturen, Kochtechniken und Büchern. So kam z.B. nicht zur Sprache, dass die Herkunft des Grünfränkisch wohl doch im Elsass liegt. Das kann ich hier nicht im Detail referieren, aber Dipl.-Ing. Hubert Konrad, der ehemalige technische Betriebsleiter des Instituts für Rebenzüchtung in Geisenheim, hat sich mit dem Thema tiefer befasst und mir davon erzählt. Ferner gab es einen Artikel im Deutschen Weinbaujahrbuch 2020 (?), der den Grünfränkisch letztlich als (sehr gute !) Neuzüchtung identifiziert.
Das ist aber nicht so sexy wie “die eigentliche Rebsorte der Liebfrauenmilch”.
Wie auch immer, der Grünfränkisch von Stefan Sander ist ein hervorragender, salzig-mineralischer und elegant balancierter Wein, der in meiner Runde blind verkostet 89-91 Punkte bekam und deutlich teurer eingeschätzt wurde als die 15.00 €, die er kostet.
Die Lagen von Helmut Dolde und seiner Frau Hedwig (!) unterhalb der Burg Hohenneuffen sind mit etwas über 520 m ü. NN die zweithöchsten in der Bundesrepublik. Höher raus geht es m. W. derzeit nur am Olgaberg in Singen am Hohentwiel. Die Silvanerreben wurden 1954-1963 gepflanzt und sind damit nur wenig älter als die noch wurzelechten Silvanerreben von Stefan Sander im Mettenheimer Schlossberg.
Und die Silvaner des Ehepaars sind alle echte Kaufempfehlungen. Jedem Käufer kann ich aber nur empfehlen, sie 3-4 Jahre auf der Flasche liegen zu lassen. Das sind Mittelstreckenläufer, insbesondere der “Vulkan”. Ich gehe gerade an den 2017er…
Dir viel Freude damit.
Ich misch mich mal ungefragt ein 😉 . Ich glaube, wenn man weit genug zurückgeht, dürfte die Herkunft der Rebsorte doch eher im osteuropäischen Bereich liegen. Aber gut, irgendwann landet man rebtechnisch immer bei Adam und Eva 😉 . Was die Silvaner von Helmut Dolde anbelangt, habe ich jetzt schon von einigen Seiten so viel Lob darüber gehört, dass ich sie in diesem Jahr unbedingt probieren muss! Die verfügbaren Mengen dürften zwar nicht allzu groß sein, aber mir genügt ja erstmal eine Flasche…
Helmut Dolde ist beim Silvaner ratzeputz ausverkauft. Siehe: http://www.doldewein.de/index.php?id=63
Aber ich komme im März definitiv nach Franken, um mir u.a. die wurzelechten Sätze anzusehen. Bei der Gelegenheit könnte ich Dich in Bamberg besuchen und Dir ein Fläschle vorbeibringen. 2017er Vulkan wäre recht?
Das wäre recht 🙂
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