Interview mit einem Winzer – Wer ist Stefan Sander?

Stefan Sander Winzer Mettenheim

[In Kooperation mit dem Weingut Sander] In meinem Jahresrückblick, der ein bisschen auch Ausblick war, hatte ich schon angedeutet, dass ich in diesem hoffentlich schönen Jahr 2022 öfter vom Weingut Sander berichten werde. Stefan Sander ist ein Winzer im rheinhessischen Mettenheim. Ihr kennt vielleicht die Etiketten mit dem Marienkäfer. Bereits sein Großvater hatte eine ökologische Wirtschaftsweise eingeführt, als es den Namen dafür noch gar nicht gab. Mittlerweile hat Stefan aber auch etliche andere Experimente gestartet, denn er ist niemand, dessen Motto lautet “weiter wie bisher”. Bevor ich aber schaue, was es hier alles Interessantes zu entdecken gibt und wie das Weingut so durch die Jahreszeiten geht, sollt ihr erst einmal den Winzer selbst kennenlernen. In seinen eigenen Worten.

Gute Butter dank ungedüngter Wiesen

M: Stefan, du bist in einem Bio-Weingut geboren, als es das Wort dafür noch nicht gab. Wie hat sich der Hof eigentlich bis dahin entwickelt?

S: Das war zu Anfang ein ganz klassisch rheinhessischer Hof im Ortskern von Mettenheim. Zwei Häuser, hinten ein paar Schweineställe, eine Scheune mit ein paar Kühen, landwirtschaftliche Flächen, Gemüseflächen und ein bisschen Wein. Mein Großvater hat dann relativ früh erkannt, dass es da drinnen zu eng wurde. Von einem Zimmer ins andere drei Stufen hoch, vier Stufen runter, um die Ecke. Zuerst haben wir uns vom Vieh getrennt, und 1964, als wir aus dem Ort ausgesiedelt sind, haben wir auch die landwirtschaftliche Fläche verpachtet. Mein Großvater ist dann praktisch ein reiner Winzer geworden. Gut, wir haben immer noch ein Äckerchen behalten, um unser eigenes Brot machen zu können, viele Jahre lang.

Mettenheim

M: Hat das mit dem Bioanbau auch auf dem neuen Hof angefangen?

S: Nein, die Anfänge waren schon auf dem alten Hof. Und das ist tatsächlich ganz spannend, wie das losgegangen ist. Meine Oma hat sich nämlich gefragt, wieso man aus der Milch von bestimmten Kühen nicht so gut Butter machen konnte wie von anderen. Mein Opa ist der Sache dann nachgegangen und hat festgestellt, dass das mit dem Futter zusammenhängt. Also ob die Wiese künstlich gedüngt wird oder nur mit dem eigenen Mist oder sogar nur mit Trester. Und je weniger von außen gedüngt wurde, desto besser war die Milch. Auch das Einsäen von Begrünung in den Rebzeilen, das war noch im alten Hof.

Der Anfang der Bio-Winzer

M: Wie ist dann eigentlich so eine Art Bewegung daraus geworden?

S: In der Landwirtschaft war das schon früher, aber die Winzer waren zuerst nur ein paar Einzelkämpfer. Und unter denen gab es in den 60er, 70ern schon ein bisschen Austausch. Pierre Frick im Elsass, Wendelin Brugger in Baden, in den 80ern dann Lotte Pfeffer hier von Brüder Dr. Becker, Paulin Köpfer, Hans-Peter Trautwein am Kaiserstuhl, Arndt Werner in Ingelheim, da kamen immer mehr dazu. Und dann hat man sich beim Luigi in Zellertal getroffen, und es wurden Richtlinien erarbeitet, entwickelt. Es waren vielleicht drei Handvoll Betriebe, die erwirkt haben, dass daraus eine Bewegung wurde. Und dass diese Bewegung auch von Anfang an organisiert war. Es gab damals ja noch keine deutschlandweiten oder gar EU-Regelungen für Bio, sondern Bioanbau war eine private Geschichte.

M: Ihr habt dann Verbände gegründet?

S: Naja, erstmal haben wir uns einem angeschlossen. Wie gesagt, in der Landwirtschaft gab es das schon früher. Wir waren und sind zum Beispiel seit Ewigkeiten bei Naturland, andere bei Bioland oder Demeter. Um uns aber rein als Winzer auszutauschen und auch politisch ein bisschen sichtbarer zu werden, wurde 1985 Ecovin als Dachvereinigung gegründet. Ein Großteil der Naturland-Winzer sitzt übrigens bei dir in Franken.

Wir sprechen dann noch über die Weinbaupolitik und über den relativ geringen Einfluss, den Deutschland im Weinbereich in der EU hat. Aber das möchte ich euch doch lieber zu einem anderen Zeitpunkt servieren. Ich wollte nämlich nochmal einen Schritt zurückgehen.

Geboren als Winzer?

Weingut Sander Mettenheim

M: Du bist ja in einem Weingut groß geworden. Wolltest du eigentlich von Anfang an Winzer werden?

S: Nein, tatsächlich nicht. Aber… Also ich war auf dem Gymnasium, und mein Hobby war Informatik. Ich wollte also etwas in diese Richtung machen. Aber meine Lust auf Schule war äußerst beschränkt. Die Lehrer haben dann gemeint, ich sollte das mit der elften Klasse bewenden lassen. Also habe ich abrupt Ende der zehnten Klasse mit der Mittleren Reife das Spiel beendet. Ich hatte aber nicht gleich die Idee, wie ich so in mein EDV-Leben reinkommen soll. Studieren konnte ich ja nicht, und Bürokaufmann lernen war auch blöd. Alle in der Familie waren zwar einverstanden damit, dass ich was in Richtung EDV mache, sagten aber, “du lungerst jetzt nicht hier ein Jahr lang rum. Wir sind Ausbildungsbetrieb, wir melden dich für das erste Lehrjahr hier an. Und wenn du nach diesem Jahr weißt, was du machen willst, kannst du ja sagen, jetzt geh ich woanders hin.”

M: Hast du das getan?

S: Nein. Das Witzige ist nämlich, dass ich in diesem Jahr richtig Spaß an der Sache gefunden habe. Ich bin dann für’s zweite Lehrjahr nach Baden, für’s dritte ins Rheingau gegangen, und für mich stand fest, das machst du weiter. Ich war in der Schweiz, in Südafrika, in Australien, in verschiedenen Weinbaugebieten, habe da mitgearbeitet, Ernte eingebracht und so weiter. Das war auch die Zeit, als wir auf dem Hof den ersten Sauvignon Blanc angebaut haben, die ersten Merlotpflanzen gesetzt.

Neue Rebsorten in Deutschland

M: Die Rache der Neuen Welt also.

S: Nicht die Rache, die Bereicherung. Ich bin nämlich wirklich überzeugt von den Weinen, die wir daraus produzieren. Bei Sauvignon Blanc waren wir mit die ersten in Rheinland-Pfalz, die den Versuchsanbau beantragt haben. Die Reben stehen übrigens heute noch, daneben eine Zeile Weißburgunder. Du musst nämlich immer eine Vergleichsrebsorte anpflanzen und genau Buch führen, wie sich die neue Rebsorte im Vergleich dazu verhält. Beim Merlot ging das ganz anders los: Ich war mit meinem Vater bei einem anderen Winzer, der sozusagen als Papst des Frühburgunders galt. Der hat uns alles gezeigt und probieren lassen. Im Auto zurück hat mich mein Vater gefragt, was ich jetzt davon halte. Da hab ich gesagt, “ich pflanze Merlot.”

M: [Beide lachen] Wieso denn das?

Mettenheim Rheinhessen

S: Weil der Frühburgunder zu heiß wird. Je wärmer die Lage, desto marmeladiger. Und ich brauchte etwas für eine sehr warme Parzelle, das damit umgehen kann. So ähnlich war das auch beim Fränkischen Burgunder jetzt.

M: Das ist eine Rebsorte, die die meisten noch nicht kennen dürften.

S: Ja, das ist eine alte einheimische Rebsorte, die fast schon ausgestorben war. Andreas Jung hat die Sorte in einer alten Weinbergshecke in Sachsen-Anhalt wiedergefunden. Und Uli Martin hat das Material in seiner Rebschule vermehrt. Von ihm habe ich auch meine Stöcke hier. Die Überlegung dahinter war: Ich wollte mal wieder was Neues machen [beide lachen]. Ja, wirklich. Aber ich fand es nicht mehr zeitgemäß, dafür im Süden nach Rebsorten zu suchen, die Wärme und Trockenheit besser aushalten können. Also habe ich mich erkundigt, was es früher denn hier gegeben haben könnte. Und wenn du dich mit historischen Rebsorten beschäftigst, kommst du natürlich an Uli Martin nicht vorbei. Wir haben uns dann getroffen. Ich habe ihm gezeigt, wo ich das anbauen möchte, und er hat überlegt, was da passen könnte.

Historische Rebsorten aus Amphore und Ei

M: Und wie läuft es mit dem Fränkischen Burgunder?

S: Gut. Das passt mit der Trockenheit, der ist robust, der ist spät reif. Und geschmacklich auch, die Weinqualität steht für mich natürlich an erster Stelle. Nur hatten wir es die letzten beiden Jahre landbaulich nicht gerade leicht. 2020 war es während der Blüte sehr kalt, 2021 hatten wir Probleme mit Peronospera. Ich habe deshalb nur 600-700 Liter geerntet, was kaum 30 hl/ha entspricht. Die Beeren sind auch unheimlich klein, knubbelig und dickschalig. Also habe ich gedacht…

M: …wie erhöhe ich den Ertrag?

S: Nee, nix da, genau andersrum: Ich habe gedacht, dann muss ich noch mehr davon anpflanzen, damit ich das Fass immer voll bekomme.

M: Ich habe gesehen, dass du nicht nur Holzfässer und Stahltanks im Keller hast, sondern auch Amphoren und ein Ei. Hast du da die historischen Rebsorten drin?

S: Jein, den Fränkischen Burgunder nicht. Der kommt ins Holzfass, weil für mich bei Rotweinen ein gewisser Holzeinfluss, ein gewisser oxidativer Einfluss dazugehört. Aber in der Amphore habe ich einen unserer Chardonnays und im Ei den Grünfränkisch. Ich zeige dir das mal. [Davon werde ich beim nächsten Mal berichten.]

Woran das Winzer-Herz hängt…

M: Was ist eigentlich dein Steckenpferd hier auf dem Hof, an dem dein Herz besonders hängt?

S: Ich würde schon sagen, das ist die Reserve-Linie. Das bin wirklich ich. Das sind alles Weine, die ihre Zeit bekommen, um zu reifen. Und wir bauen die auch so aus, dass das Ausbaugefäß den Weincharakter unterstützen soll.

M: Welche Weine hast du momentan in der Reserve-Linie?

Sander Pinot Noir Reserve

S: Chardonnay, Riesling, Pinot Noir und Merlot, alles reinsortig. Ich meine, wir haben hier auf dem Hof schon unheimlich viel erreicht. Wir bewirtschaften 35 ha bio-zertifiziert, haben Lössboden, kargeren Kalkboden und ein komplettes Sortiment von Weiß, Rot, Rosé bis zum Schaumwein. Worum es mir jetzt bei den Weinen geht, das ist eine noch stärkere Individualisierung. Ich will also nicht noch ein Fass mehr Gutsriesling machen, sondern schauen, wie zum Beispiel so ein Chardonnay Reserve zu einer echten Persönlichkeit wird. Also an den Details feilen, probieren, nachdenken. Wir überlegen uns auch, noch ein zweites Steinzeug-Ei anzuschaffen, weil das tatsächlich den Wein noch harmonischer werden lässt.

Die Zukunft: individuell und weiterbringend

M: Siehst du darin auch deine wichtigste Zukunftsaufgabe für das Weingut?

S: Ja, zum einen wie gesagt in der Präzisierung unserer Top-Linie. Zum anderen aber auch in dem, was den Weinbau insgesamt weiterbringen könnte.

M: Sprichst du von Piwis?

S: Unter anderem. Draußen möchte ich einen lebendigen Boden haben. Dann geht es um die Biodiversität in der Landschaft. Und darunter verstehe ich nicht ein riesiges Rebfeld, dann einen Wald, dann wieder ein riesiges Rebfeld. Sondern diese Diversität muss innerhalb einer arrondierten Fläche stattfinden, also Rebfläche, Hecken, Büsche, Kleinteiliges, Abwechslung. Und dann, du sagtest es schon, machen wir auch Experimente mit Piwis. Die ersten Schritte waren mit Rondo und Regent, vor 22 Jahren. Das ist aber längst Geschichte. Also wir haben auch das ausprobiert, was man nicht braucht [beide lachen].

M: Und jetzt?

S: Jetzt haben wir seit ein paar Jahren Muscaris. Macht sich ganz gut. Das ist ein aromatischer, säurearmer, sehr opulenter Geschmacksgeber, in erster Linie für Cuvées geeignet. Und nächstes Jahr pflanzen wir Sauvitage, der geht geschmacklich eher in Richtung Riesling oder Scheurebe. Weißt du, es ist ja so, dass diese Rebsorten nicht nur deshalb gut für den Anbau sind, weil sie weniger oder gar keine Spritzmittel erfordern. Es ist auch so, dass die Rebveredler – und das ist mit Uli Martin und seinen historischen Sorten genauso – Leute brauchen, die sowas im Freiland ausprobieren. Neue Weinflächen anzulegen ist ja immer eine Sache von Invest, das kostet Geld. Und die Schritte gehen alle relativ langsam. Deshalb ist es so wichtig, dass Winzer bei so etwas mitmachen. Nur so kommen wir vorwärts, sehen, was besser für die Umwelt ist, was gut schmeckt, was gut geeignet ist.

Bio als Basis

Stefan Sander Bio-Winzer

M: Zum Abschluss, als Abrundung deines Daseins sozusagen: Was bedeutet es dir persönlich, Bio-Winzer zu sein?

S: Bio ist für mich die Basis von dem Ganzen. Ohne Bio geht das nicht, was wir machen. Und es ist auch realistisch gut hinzukriegen. Zu meines Vaters und Großvaters Zeiten war das richtig herausfordernd. Mittlerweile ist die Herausforderung, das noch weiter zu entwickeln. Noch besser zu werden. Aber die Grundlagen sind da, Bio ist für mich das Fundament. Und die Kür, das sind dann Spielereien mit Rebsorten, mit Lagergefäßen, mit unseren Toplagen, mit alten Rebstöcken. Mein Vater war schon immer weit vorn, was die Vinifizierung angeht, Spontangärung zum Beispiel, hat er alles schon gemacht – oder vielmehr zugelassen. Er hatte aber jahrelang mit dem Vorurteil zu kämpfen, dass Bio nicht schmeckt. Das ist uns regelmäßig um die Ohren gehauen worden. Und daraus resultiert vielleicht für mich, dass ich Bio gerne am Resultat messe.

M: Bio-Massenware für den Supermarkt ist also nicht gut?

S: Limitiert. Das ist Wein limitiert auf die Anbaumethode. Der Biowein, für den LEH zusammengerührt aus verschiedenen EU-Ländern, schmeckt genauso schlecht und austauschbar wie der konventionelle Müller-Thurgau-Massenwein. Wie gesagt, Bio ist die Basis für mich. Worum es dann geht, das ist der individuelle Touch. Also die Kombination aus der Traube, dem Terroir und der Persönlichkeit des Winzers. Das ist mein Ziel.

Das ist doch ein schönes Schlusswort. Und es macht mir ehrlich gesagt Lust darauf, doch mal die Traube und das Terroir in echt und grün und blühend zu erleben. Und natürlich auch in den Keller hinabzusteigen, Holz, Stahl, Amphore und Ei zu sehen, alle Weine zu probieren. Alle? Ja, ein Jahr ist lang, das sollte doch irgendwie möglich sein…

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