Müller-Vielfalt

Titel Müller-Vielfalt

Zum Abschluss der kleinen Schau preiswerter und preiswürdiger Weine steigen wir ganz tief hinab auf der Leiter des Renommees. Auf der untersten Stufe, knapp oberhalb von Glühwein und »Wein europäischer Anbaugebiete« finden wir ihn, den Thurgau-Müller. Züchtungskind von Hermann Müller, Erntebringer, Brot-und-Butter-Sicherer – jedenfalls zu Zeiten kühlerer Witterung und anspruchsloserer Kundschaft. Ein echtes Müller-Revival wird es vermutlich nicht mehr geben auf Erden. Aber wer sucht, findet doch tatsächlich ein paar wunderbar vielfältige Exemplare aus dieser Rebsorte. Vom Montagswein bis zum Freakgeschöpf.

Warum ausgerechnet Müller?

Rettet den MüllerVor drei Jahren hatte ich schon einmal symbolisch zur Rettung des Müllers aufgerufen und bei der Gelegenheit ein paar höherwertige Weine probiert. Manchmal gar zart im Holz ausgebaut, insgesamt aber einfach wertig, mit geringem Ertrag und größerer Dichte. Weil mir das ehrlich gesagt viel Spaß gemacht hatte, wollte ich es in diesem Jahr noch einmal machen. Also habe ich nach interessanten Exemplaren für meinen Blindtest gesucht, die eine große Bandbreite abbilden können. Zwei Dinge sind mir dabei sofort aufgefallen.

Erstens: Erwartet nicht, dass irgendein Winzer den Müller in den Mittelpunkt seines Schaffens stellt. »Ach ja«, heißt es da meistens, »wir haben auch noch einen Müller. Aber willst du (= mit deiner anspruchsvollen Klientel) den wirklich probieren?« Mit anderen Worten: Habt ihr euch mal als Weinfreak geoutet, wird selbstverständlich der Pinot Noir auf den Tisch gestellt.

Zweitens: Müller-Weine sind echte Leichtgewichte. Kein einziger der von mir getesteten Weine hatte eine 13 vor dem Komma stehen. Knappe 12 waren es im Durchschnitt. Das liegt eigentlich total im Trend der Zeit und macht natürlich auch Sinn. Ein Müller kann nie die Struktur einer »dichteren« Rebsorte erreichen, und erntet man die Trauben zu reif, wird der Wein einfach breit und nichts weiter. Das aber will kein Mensch. Ergo kommen schöne Sommerweine dabei heraus.

Ich wollte eigentlich wie bei den anderen Artikeln (zum Beispiel hier zu preisWERTen Silvanern) vier Siegerweine und vier Runner-ups vorstellen. Aber wie das manchmal so ist, zu sehr nach Plan muss auch nicht immer sein. Deshalb gibt es diesmal einfach sechs empfehlenswerte Weine.

Meusert/Franken – Liter-Müller 2023

Meusert Müller-Thurgau Literwein

Michael Meusert hat beim Weincampus Neustadt studiert. Allerdings stammt er nicht aus einem 50 ha-VDP-Betrieb mit entsprechender Kundschaft, sondern aus einem kleinen Weingut in Fahr am Main mit angeschlossener Pension. Hier verkauft man direkt an die Übernachtungsgäste, entsprechend gestalten sich Kundenwünsche und Preisstruktur. Dass man auch daraus etwas machen kann, zeigt dieser knochentrockene (!) Literwein (!) für 5,80 € (!). Überdeutlich Holunderblüte in der Nase, fast zu viel für mich, dann aber mit einem ganz feinen und super-authentischen Trinkfluss, der glücklich macht. Leicht, ehrlich, passt wunderbar zur kalten Vesperplatte. Genau so stelle ich mir das idealtypisch vor.

Schäffer/Franken – Escherndorf Alte Reben 2022

Schäffer Escherndorf Alte Reben

Als ich diese Flasche nach dem Test aufgedeckt hatte, dachte ich, »Mist, schon wieder Schäffer.« Bereits vor drei Jahren war die 2019er Ausgabe im Artikel dabei, der Orts-Silvaner neulich im PreisWERT-Test, das Große Gewächs als Runner-up bei den Silvaner-Spitzen. Aber was hilft’s, der Wein ist einfach gut. Feine Säure, dann etwas mehr Süße, als ich mir persönlich wünschen würde, aber einfach perfekt in einen eleganten Früchtekorb eingebunden. Da gibt es weißen Pfirsich, Marille, da eckt nichts unangenehm an. Und vor allem: Ihr müsst die Flasche nicht auf einen Sitz austrinken. Dieser Wein hält sich aufgeschraubt (ausprobiert!) eine Woche ohne Qualitätsverlust im Kühlschrank. Der Spontangärung sei Dank. Und den Schäffers natürlich auch. 9,50 € kostet das gute Stück.

Huber/Baden – Müller-Thurgau 2020

Berhard Huber Müller-Thurgau

Bis vor kurzem wusste ich nicht, dass es von, tja, vielleicht Deutschlands Weinadel Nr. 3 hinter Egon Müller und Klaus Peter Keller einen echten Müller-Thurgau gibt. Aber das war auch etwas zu früh gewundert. Denn mittlerweile wird im vielgeliebten Weingut Huber kein reinsortiger Müller mehr angeboten. Dass Julian Huber so etwas aber kann, habe ich beim Weintest gemerkt. Anders als bei der aktuellen Einstiegscuvée »Breisgau« ist hier weder Holz noch Reduktion zu spüren. Wer bei Huber-Weinen vornehmlich das konsequent-Krasse liebt, kommt beim Müller also nicht auf seine Kosten. Dafür ist der Wein ungeheuer elegant, unglaublich floral, von einer präsenten Säurelinie durchzogen. Schlicht die ganz ganz feine Klinge.

Christ/Franken – Wilder Müller 2023

Helmut Christ Wilder Müller

Ein Babberle, wie Julia es ausdrückt, »babbt« schräg auf dem Etikett der Flasche. »50 Jahre Bio«, heißt es dort, »Leidenschaft und Mut seit 1974«. Dazu kommen von mir die allerherzlichsten Glückwünsche. Denn wo wären wir heute beim Weinbau, hätte es nicht die »Verrückten« damals gegeben wie Großvater Sander, Gerhard Roth, Helmut Christ, wie Lotte Pfeffer, wie Paulin Köpfer? Vieles von deren Philosophie ist heute als überhaupt nicht spinnerter Nachhaltigkeitsgedanke lebendig. Und wie mussten sie damals ganz dicke Bretter bohren und sich mit unbeweglichen Betonschädeln auseinandersetzen… Passend dazu gibt es ganz aktuell den »Wilden Müller«. Offene Maischegärung, mit der Hefe im Holzfass gereift, unfiltriert und ungeschwefelt auf die Flasche gezogen. Das ist ein Orange Wine der eher zarten Art, zwar mit stützendem Tanningerüst, aber keinesfalls wuchtig. Ein großartiger Speisenwein, für den ich im Edeka Volkach keine 10 € bezahlt habe.

Krämer/Franken – Tauberzeller Hasennestle Liter 1994

Hermann Krämer Literwein 1994

Eine wahrhaftige Zeitreise. Mir war ehrlich gesagt gar nicht bewusst, dass im Hause Krämer bereits vor 30 Jahren Weinbau betrieben wurde, und das ebenfalls schon biologisch zertifiziert. Überraschenderweise gibt es diesen Wein, den 1994er Kabinett trocken aus dem Tauberzeller Hasennestle aktuell nicht mehr zu kaufen. Und nachdem ich den kurzen Kork aus der Literflasche geholt und ins Glas gerochen hatte, war ich auch mehr als skeptisch. Alter Firn, gar keine Frucht, man muss das schon trinken wollen. Tatsächlich aber verbirgt sich im Mund eine ganz zarte Marillenfrucht dahinter, ein leichter, ohne Übertreibung elegant zu nennender Fluss, komplett trocken, sauber, völlig ohne Angestrengtheit. Dass man einen so alten »einfachen« Müller noch mit Vergnügen trinken kann, finde ich total verblüffend. Vielleicht hängt es aber auch hier mit der Bereitungsweise zusammen.

Killer/Franken – Müller V 2022

Killer Müller-Thurgau V

Wer Killer heißt, braucht keinen Spitznamen. Fabian Killer aus Bamberg betreut mittlerweile die Weinberge von Hartmut Scheuring (dem Trockenen Franken) in der historischen Terrassenlage Steinbacher Nonnenberg. Mit viel Liebe, Engagement, Aufwand und reiner Handarbeit – wie Hartmut das vorgemacht hat. Selbst wenn er sauren Most keltern würde, wäre das deshalb schon wahnsinnig wertvoll. Tut er aber nicht, sondern er macht spontanvergorenen, 23 Monate auf der Hefe gereiften, kaum geschwefelten Naturwein. Sein Müller besitzt erst einmal ordentlich Gärkohlensäure, dann eine sehr bekömmliche niedrige Säure, Noten von Holunderblüte, Lakritze, eine dichte Materie – und er darf meiner Meinung nach noch ein bisschen reifen, bevor man ihn aufmacht. Das ist sozusagen der Müller-Star 2030. Leider wird er bis dahin ausgetrunken sein, aber sichert euch mindestens eine Flasche und nehmt mich beim Wort! Kostet 22 € und ist damit der hochpreisigste Müller im Test, aber das dürfte gerade so kostendeckend sein…

Mein (völlig subjektives) Fazit

Müller-Thurgau ist keine Rebsorte, die Prestige verspricht. Weder dem Winzer noch dem Wein. Er würde auch nirgends mehr als 86 Punkte bekommen, wenn man ihn irgendwo einreichen würde. Der Müller hat einfach keine Ahnung vom Leistungsprinzip. Hätte man nicht so einen ungeheuren Durst gehabt nach dem Weltkrieg, hätte es den Müller vielleicht nie gegeben. Ich weiß, gerade Freaks besitzen die Neigung, besonders stark bei Außenseitern zu applaudieren, sie super sympathisch zu finden. Kaufen tun sie dann aber doch keinen Müller. Schließlich kann man noch so viele andere, aromatisch dichtere, spannendere, seltenere Weine auf der Welt entdecken.

Fraglos gibt es auch Rebsorten, die nicht nur qualitativ hochwertiger sind, sondern auch die Klimaveränderungen besser vertragen können. Oder die alternativ weniger Pflanzenschutz benötigen. Nein, objektiv fällt es wirklich schwer, allzu viele positive Argumente für den Müller anzuführen. Und nur aus Tradition oder aus Trotz irgendetwas zu machen, ist zumindest mein Ansatz nicht.

Um mir aber selbst gleich mal zu widersprechen mit den wenigen positiven Eigenschaften, schaue ich mir nochmal meine Auswahl hier an. Und tatsächlich, ein gut gemachter Müller kann herrlich leicht sein, holunderblütig, erfrischend, feinfruchtig. Er kann auch mit Maischegärung eine zarte Tanninstruktur annehmen und eine ganz andere Verwendungsbreite zulassen, wird aber auch dann nie grob. Und er besitzt in aller Regel verbraucherfreundliche Preise. In diesem Sinne: Lasst uns den Müller wertschätzen und zum Sommerabend ein Glas davon erheben!

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13 Antworten zu Müller-Vielfalt

  1. Hartmut Scheuring sagt:

    Lieber Matze, wie immer vortrefflich be- und geschrieben. Dein Fazit trifft es auf den Punkt.
    Sicher kennst du den Kollegen Hameln aus aus der Pfalz. Der hat vor ein paar Jahren ein Liedchen mit Video eingespielt (findet man bei YouTube). Das Lied heißt: I’m in the mood for Müller. Das bringt den Spaß von Wein und Musik zusammen.
    Liebe Grüße
    Hartmut

  2. René sagt:

    Hallo zusammen!
    Ich vermisse den Müller Thurgau vom Ilmbacher Hof in deinem Bericht.
    Kennst du den Alte Reben Müller Thurgau von diesem Weingut?

    Sonnige Grüße
    René

    • Thomas Riedl sagt:

      Hallo René,

      ein vollauf berechtigter Einwand. Danke. Das ist richtig toller Stoff. Habe ich letzten Sommer sofort gekauft, als ich ihn vor Ort probiert habe.
      Hinzufügen möchte ich noch den Müller-Thurgau “Gegenstrom” von Maximilian und Rainer Zang aus Nordheim.

    • Matze sagt:

      Du hast vollkommen recht. Aber schau mal hier: https://chezmatze.de/2022/06/16/rettet-den-mueller/

      Außer beim Schäffer, der mir “versehentlich” reingerutscht ist 😉 , wollte ich eigentlich kein Weingut vom letzten Mal doppeln. Die Alten Reben kenne ich, das ist in der Tat ein toller Wein!

  3. Thomas Riedl sagt:

    Hallo Matthias Adams,

    sind Sie noch in Berlin?

    Weinfreundliche Grüße

    Thomas Riedl aus Bonn

  4. EC sagt:

    …wenn’s um M-T geht, fehlen in der Hitliste meines Erachtens nach ein paar Weine bzw. Erzeuger:
    – Feldmarschall von Tiefenbrunner (DER M-T schlechthin)
    – Martin Schwarz, Meißen
    – d.b Schmitt, Flörsheim-Dalsheim
    Allesamt Erzeuger, die dem Müller schier Unglaubliches an Qualität abringen können…

    • Thomas Riedl sagt:

      Hallo EC,

      richtig, der “Feldmarschall” darf auf der ewigen Müller-Thurgau-Hitliste nicht fehlen und steht ganz weit oben. Wobei ich festgestellt habe, dass viele den Wein gar nicht kennen und die, die ihn kennen, sich nicht selten gar keine Gedanken gemacht haben, aus welcher Rebsorte der erzeugt wird 😉
      Qualitativ leider weit hinter dem “Feldmarschall” steht der Gutswein “Rivaner trocken” vom ziemlich unbekannten Weingut Schneiders-Moritz aus Pommern an der Mosel: https://www.schneiders-moritz-wein.de/weinshop/wei%C3%9Fwein/gutsweine/
      Bei der dahinter stehenden Rebanlage handelt es sich nach meinen – umfangreichen und langen! – Recherchen um die älteste noch produzierende MT-Reben Deutschlands. Pflanzung 1932! Leider traut sich der Winzer (noch?) nicht, da einen auch preislich ambitionierteren Wein draus zu machen. Dass das möglich wäre, zeigen ja die Schwarz und d.b. Schmitt der Republik.

    • Matze sagt:

      Hier der Feldmarschall 😉 : https://chezmatze.de/2022/05/10/mueller-on-top-tiefenbrunner-feldmarschall-von-fenner/

      Ich war vor drei Jahren bei der Summa von Lageder in Südtirol (fantastische Messe!), und bei der Gelegenheit habe ich auch Tiefenbrunner besucht. “Leider” war es ja im Frühjahr, als die Reben noch keine Blätter hatten. Aber das ist schon sehr spektakulär da oben auf der Höhe.

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