Im letzten Jahr war ich zum ersten Mal bei der Online-Weinprobe der GUETER dabei. Bei jenen handelt es sich um neun Spitzen-Familiengüter aus neun deutschen Anbaugebieten. Das ist ganz praktisch, weil man sich so kaum Konkurrenz macht. Und so erfolgreich, dass in diesem Jahr bereits der 30. Geburtstag dieses Zusammenschlusses gefeiert werden kann. Die Probe im letzten Jahr mit ihren verschickten Kleinflaschen fand vor allem deshalb statt, weil die ProWein ja zum zweiten Mal hintereinander ausfiel. In diesem Jahr findet die ProWein zwar wieder statt – aber irgendwie scheint sich dieser Sneak Preview bewährt zu haben. Schaut also, welche neuen Weine des Jahrgangs 2021 ich vorab probieren konnte. Die alphabetisch ersten vier Weingüter heißen übrigens Breuer, Bürklin-Wolf, Castell und Kühling-Gillot. Nur zur qualitativen Einordnung…
Meine ersten Weine aus 2021
Nach drei warmen bis heißen und vielfach auch sehr trockenen Jahren war 2021 wieder eine Rückkehr zu gewohnten klimatischen Verhältnissen. Das hört sich zunächst einmal sehr positiv an, und im Hinblick auf den Klimawandel (hier die erschreckende Tendenz in Würzburg) ist es das auch. Allerdings gibt es auch ein kleines bémol, wie die Franzosen es gern ausdrücken. Zurück zum Normalen bedeutet halt ebenso zurück zur kühlen und regenreichen Nordgrenze des Weinbaus. Gerade die Peronospora hatte im Frühsommer erheblich gewütet und die Erträge besonders im Westen teils deutlich sinken lassen. Was ein solches Jahr für den Weincharakter bedeutet, darauf war ich wirklich sehr gespannt.
Die neun GUETER boten zur Präsentation jeweils Dreier-Sessions an, und ich möchte euch die Weine hier einfach in der Reihenfolge meiner Sessions beschreiben.
Fürstlich Castell’sches Domänenamt, Franken
Das Weingut Castell ist wahrhaftig kein Unbekannter für mich, und es vollzieht sich seit einigen Jahren ein deutlicher aber harmonischer Aufwärtstrend. Die Weine sind einerseits (fast) immer richtig trocken. Andererseits wird ihnen mehr Zeit bei der Entwicklung gelassen, sie kommen also erst später auf den Markt. Das gilt jedenfalls für den Bereich der Lagenweine (zum Hohnart komme ich noch weiter unten).
Bei den Gutsweinen habe ich Silvaner und Scheurebe aus 2021 testen können, die beide angenehme 12 vol% besitzen. Der Silvaner zeigt sich dabei rebsortentypisch als ausgezeichneter Speisenbegleiter. Nussig, nicht zu primärfruchtig, schöne Balance aus Cremigkeit und Spannung. Auch die Scheurebe kann man sofort aufmachen. Die Nase ist dabei erst ausgesprochen expressiv, Stachelbeere und Brennnessel, aber im Mund wirkt der Wein sehr ausgewogen mit einer feinen Säureader. Das ist nicht anstrengend, aber wertig. Hoffentlich gibt es eine gute Gastro-Saison, da passen die Weine nämlich ausgezeichnet. Aber auch privat rate ich aus eigener Erfahrung dazu, stets ein paar Silvaner vorrätig zu haben… Wie gut diese lagern können, hatte mir letztes Jahr der Apriles von 2001 (!) gezeigt. Die 2020er Version steht deshalb erst ganz am Anfang ihrer Entwicklung.
Kühling-Gillot, Rheinhessen
Kühling-Gillot aus offenbar beautiful Rheinhessen hatte auch eine Scheurebe am Start. Ebenfalls mit 12 vol%, was nicht nur einen interessanten Vergleich ermöglicht, sondern schon einmal darauf hindeutet, dass der neue Jahrgang wenig alkohollastig ausgefallen ist.
In der Nase gibt es bei der Qvinterra-Scheurebe erst einen wahrnehmbaren Reduktionston mit feinen Zündplättchen. Je nach Weintyp gefällt mir so etwas sogar gut, aber da ist jeder Jeck anders. Im Mund nehme ich mehr Cassisnoten wahr als bei Castell, der Wein ist weniger cremig, sondern strenger, etwas gerbiger, geht mehr in die Riesling-Richtung. Lustig, denke ich, da kann man die unterschiedlichen Philosophien von Silvaner-Winzer und Riesling-Winzer feststellen. Die beiden Rieslinge sind dann ebenso konsequent. Der Qvinterra schlank, frisch und mit schöner Phenolik, der Oppenheimer (eine Fassprobe) hat als zusätzliche Dimension noch eine aprikosige Frucht zu bieten. Alles sehr pur und sehr vielversprechend.
Weingut Nelles, Ahr – auch 2021
2021 an der Ahr. Wir wissen es alle, haben die Bilder im Kopf, haben vielleicht sogar selbst geholfen, etwas gespendet oder uns anderweitig solidarisch gezeigt. Auch beim Weingut Nelles konnte man lediglich die Hälfte der Fässer aus dem Keller retten. Aber lasst uns von den Katastrophenmeldungen lieber zu den Weinen kommen.
Der Blanc de Noir aus Spätburgunder stammt aus dem Jahrgang 2021. Es handelt sich um eine Saignée-Version, also aus dem reinen Saftablauf. Ein bisschen perlt er noch und zeigt sich auch ansonsten wie ein 1a-Terrassenwein. Dank einer Kombination aus leichten Gerbstoffen und feiner Fruchtsüße wäre es auch etwas für die pikante Maghreb- oder Levante-Küche. Die Roten besitzen dagegen viel Lagerpotenzial, sind straff und alles andere als zu heiß. Der 1AHR aus Landskrone und Sonnenberg hat bereits fast zwei Jahre Ausbau im Holz hinter sich, dieser Ansatz ist gute Tradition im Weingut Nelles.
Weingut Prinz Salm, Nahe
An der Nahe gibt es selbst für Eingeweihte immer wieder etwas zu entdecken, wie ich bei meiner Suche nach versteckten Weinbergen dort gemerkt habe. Tatsächlich ist die Dalberger Ritterhölle die einzige der drei Lagen des Ortes, in der noch Reben stehen. Dieses Element des Versteckten, des noch nicht (wieder) ganz Wachgeküssten wohnt auch ein wenig dem Prinz Salm’schen Weingut inne. Da gibt es so viel zu erzählen, die 800jährige ungebrochene Tradition zum Beispiel, die Themen Wald und Nachhaltigkeit, auch – wenn man möchte – in Verbindung mit geistlichen Aspekten. Vielleicht noch ein bisschen mehr Profilierungsmut bei der Weinbereitung, dann wäre ich total glücklich, denn wie gesagt, Weingut und Lagen sind unglaubliche Perlen.
Der Weißburgunder aus 2021 ist ein typisch nördliches Nahekind mit Schlankheit, Frische und einem speisentechnisch sehr vorteilhaften leichten Grip. Das wirkt federleicht. Der Binger Riesling aus den rheinhessischen Lagen befindet sich hingegen noch ein wenig in der Findungsphase. Derzeit dominiert von hefig-zitrischen Noten, spürt man bereits das Cremige, das sich mit zunehmender Reife stärker einstellen wird. Eigentlich ist aber der Grünschiefer mein Liebling, noch etwas verschlossen, aber mit einer tiefen Kräuternote. Lasst ihn einen Tag offen, dann nimmt er Fahrt auf.
Weingut Georg Breuer, Rheingau
Mangelnde Konsequenz bei ihren Weinen ist sicherlich nichts, das einem als erstes bei Theresa Breuer einfallen würde. Auch hier kommen die höherwertigen Weine spät auf den Markt, der Berg Roseneck sogar erst, wenn es wirklich passt. Und mehr als 12 vol% gibt es hier ohnehin höchst selten. Dennoch haben vermutlich einige gestaunt, bei diesem erz-rheingauerischen Weingut einen Rosé zu sehen.
“Ja”, verkündet Theresa Breuer fröhlich, “Rosé fand ich auch immer furchtbar, sowas trinkt man als Weinkenner eigentlich nicht.” Aber erstens will der Markt sehr sehr gern Rosé haben, und zweitens ist dies ein ausschließlich weiß gekelterter Spätburgunder. Oder sagen wir, 99,3% Spätburgunder. 0,7% (oder so) stammen vom Dunkelfelder im field blend, ein Tipp des legendären Bernd Philippi. Der Rosé passt von seiner Art her komplett ins geschmackliche Portfolio des Weinguts, schöne Spannung, kernig, das muss niemandem peinlich sein. Der Sauvage des Jahrgangs 2021 hat für mich deutlich Holunderblüte und Cassis in der Nase, zeigt sich am Gaumen aber noch sehr zurückhaltend. Dafür ist der Terra Montosa aus 2020 im Moment überraschend harmonisch, dicht und tief. Das wird ohnehin ein schöner Wein, wissen ja alle, aber so jung schon so souverän und speisenbereit, das ist wirklich fein.
Weingut Dr. Bürklin-Wolf, Pfalz
Ebenfalls ein Faible für Reife und late releases besitzen die Pfälzer Biodynamiker von Bürklin-Wolf. Das zeigt sich besonders im Wachenheimer Riesling R aus dem (nicht nur) meiner Meinung nach für Weißweine enorm schwierigen Jahrgang 2018. Zweieinhalb Jahre auf der Vollhefe haben für einen Weincharakter gesorgt, den man nur als eigenständig bezeichnen kann. Laktische Noten, recht dezent in der Säureanmutung, schöne Textur, leicht karamellige Noten gar. Mich erinnert das am ehesten an die Langlagerer vom Wachauer Nikolaihof, völlig unverwüstlich, kann offen stehen und baut nicht ab. Letzteres ist für die Gastro mit Sicherheit höchst interessant.
Die ganz jungen Bürklin Wolf-Weine tragen für mich oft noch nicht diesen unverwechselbaren Charakter der großen Lagenweine in sich. Aber sie besitzen halt einen großen Weingutsnamen, weshalb Vertriebsleiter Thomas Dörr vermutlich völlig zurecht behauptet, der Gutsriesling sei ihr schwierigster Wein. “Weil es unser Botschafter ist, unser Erstkontakt, und wie so oft hat man nicht viele Chancen beim ersten Eindruck.” Ich finde die 2021er Version sehr gelungen, sie gefällt mir trotz des unheimlich arbeitsintensiven Jahrgangs in der Pfalz besser als sein Vorgänger vor einem Jahr. Viel Frische, sehr straight. Dasselbe gilt auch für den Blanc, der zwar zu 80% aus Riesling besteht, aber jener liefert hier nur das Rückgrat. Scheurebe und Sauvignon Blanc sorgen für grünlich-grasige Noten, eine frischfruchtige Angelegenheit.
Maximin Grünhaus – von Schubert, Mosel
Fast schaudert es mich, bei Maximin Grünhaus das Anbaugebiet Mosel hinschreiben zu müssen, denn wir sind ja hier an der überklassischen Ruwer. Alles an einem Stück, alles Monopol, da lässt sich schon ein eigener Charakter entwickeln. Ich bin ein großer Fan der fruchtsüßen Kabinette von hier, die 2020er Exemplare waren echte Archetypen. Lagenweine sind diesmal leider nicht dabei, aber dafür stammten alle vier vorgestellten Weine aus dem Jahrgang 2021.
Weißburgunder gibt es ja mittlerweile in Deutschland wie Sand am Meer, aber die Ruwer-Version schmeckt einfach ganz anders als ihre Rebsortenbrüder aus Baden oder der Pfalz. Melone in der Nase, Helltraubigkeit, Würze und hohe Pikanz im Mund, das ist schon gut. Der Riesling Schloss (früher “Monopol”) ist knackig ausgefallen in 2021, Limette, Grip, Hopfen. Der Grünhäuser Ortsriesling besitzt analytisch 8,3 g Säure und einen wunderbaren Ruwerstil alter Schule. Wieder Limette und Kräuter, das zieht sich durch, ein echter Tipp für mich. Der feinherbe Riesling lugt nur leicht in die halbtrockene Liga hinein, ist mega-holunderig, Guave auch, kann ich mir super als Apéro vorstellen statt Kir.
Weingut Freiherr von Gleichenstein, Baden
Das Weingut des Freiherrn von Gleichenstein war meine große Entdeckung der letztjährigen Verkostung. Da fand ich sogar den Grauburgunder wunderbar und extrem hochwertig für eine Gutsversion. Jetzt gibt es wieder dreimal Gutswein 2021, und alle drei Weine haben 12,5 vol%. Verkaufsleiter Sebastian Wilkens hatte gleich zu Anfang zu verkünden, dass Müller-Thurgau, Muskateller und Riesling bei ihnen nicht mehr hergestellt werden. “Wir sind ein Burgunderweingut”, sagt er, und das lässt wahrhaftig immer noch genügend Spielraum.
Den Weißburgunder habe ich danach gleich noch einmal in einen Quertest mit Grünhaus, Salm und Neipperg 2020 genommen. Die Gleichenstein’sche Version besitzt eine hohe Zugänglichkeit, Frische, Grip und einen feinen Säurezug, dazu aber auch einen gewissen Bodenton, der das Ganze für mich sehr attraktiv macht. Der Grauburgunder läuft eh von allein. Der Weiße Burgunder/Chardonnay besteht aus 58% Weißburgunder und, nunja, 42% Chardonnay, und ist wie die beiden anderen Gutsweißen auf der nicht zu hitzigen Seite. Die Frische kommt hier weniger über die Säure als vielmehr über die leichte Gerbigkeit. Ohne es genau zu wissen, kam es mir so vor, als würde mittlerweile bei vielen Weißen mit Maischestandzeit gespielt, nicht nur bei Silvaner als bekannt pektinreicher Rebsorte.
Weingut Graf Neipperg, Württemberg
Das Neipperg’sche Universum [hier der Link zu meinem Bulgarien-Besuch bei Bessa Valley – auch Neipperg und eine ganz eigene Welt!] kennt tatsächlich in der Anbaufläche auch Riesling, 20% sogar, wie oft in Württemberg. Im Konzert mit Weingütern aus Rheingau, Pfalz und Mosel bietet es sich allerdings an, stärker auf die Ländles-Spezialitäten zu verweisen. Fast jeder Neipperg-Wein hat im Verlauf des Ausbaus Holz gesehen, entweder großes Holz aus eigener Eiche oder Barrique. Letzteres schmeckt aber nie wirklich vor und verleiht eher Struktur.
Eine der traditionellen Spezialitäten des Weinguts ist der Muskateller. Schon die 2020er Version fand ich sehr attraktiv, und der 2021er steht dem überhaupt nicht nach. Ungeheuer parfümiert-ätherische Nase, Muskattrauben halt, dann aber wesentlich weniger expressiv im Mund mit sogar pfirsichhaften Aromen, einem schönen Säurezug und dem so wichtigen leicht phenolischen Trinkwiderstand hinten. Hört sich komisch an, weil alle Welt immer den Trinkfluss lobt, aber ich finde Weine wesentlich attraktiver, wenn sie hinten nicht einfach wegflutschen. Um es mal fachlich korrekt auszudrücken. Auch der neue P. + P.-Rosé besitzt diesen gastronomischen Charakter, bleibt dabei aber immer leicht, während der 2020er Weißburgunder sich würziger und gewichtiger zeigt. Der Schwaigerner Lemberger ist für einen Ortswein und einen 2018er schlichtweg ein echter Overperformer.
Trendweine 2021
Zum Abschluss noch ein paar nicht ganz neue, aber offenbar ungebrochene Trends, die Winzerinnen und Winzer uns im Verlauf der Verkostung mitteilten. Ein Trend konnte leider nicht ganz abgebildet werden, weil sich das Produkt ein bisschen schwer dabei tut, in kleine Schraubfläschchen gefüllt und verschickt zu werden. Ich spreche vom Schaumwein. Der gilt in seiner Form als Champagner überall als hip und schick. Die deutschen Champagner-Lookalike-Pioniere (allen voran natürlich Volker Raumland) haben in den letzten Jahren allerdings dafür gesorgt, dass es mittlerweile so guten und so preiswürdigen Sekt in Deutschland gibt wie noch nie. Weiterhin im Aufschwung, demnächst auch in eurem Nachbardorf.
Die zweite Sache ist natürlich Rosé. Über die “Rosé Road to Success” hatte ich schon einmal geschrieben, und auch das scheint weiterhin Bestand zu haben. Ähnlich wie beim Sekt hat die einstmals miese Qualität in Kombination mit der Geeignetheit als Lifestyle- und Wohlfühl-Produkt dazu beigetragen, dass es auch hier immer spannender wird.
Vom dritten Trend hatte ich zwar auch schon gehört, aber ähnlich wie bei aromatischen Rebsorten gibt es da zwei Kurven, die sich überschneiden. Die eine sagt, “das wollen wir gar nicht mehr”, die andere, “das wollen wir endlich wieder”. Die Rede ist von restsüßen Weinen, den leichten allerdings, nicht den öligen.
Und schließlich noch Trend Nr. 4. Ich würde ihn ABR nennen, Anything But Riesling – zum Essen. Riesling ist eine großartige Rebsorte, aber er spaltet die Welt in Bewunderer und Ablehner. Der riesige Erfolg des Grauburgunders beruht unter anderem darauf, dass er einen Kontrapunkt zum Riesling darstellt. Eine ebensolche Entwicklung würde ich dem Silvaner vorhersagen. Jedenfalls dann, wenn er nicht nur in Franken als echter Qualitätsgarant gesehen wird. Beweise dafür gäbe es genug – auch außerhalb von Franken.
Trendthema 2021
Zum Abschluss noch Top-Trendthema Nr. 1 bei den GUETERN. Viele der neun Betriebe besitzen neben den Weinbergen auch noch große Waldflächen. Die hat man vorher zwar auch bewirtschaftet und genutzt wie die anderen landwirtschaftlichen Flächen, aber mittlerweile wird der Bezug zum Wein immer stärker. Das betrifft einerseits den Ausbau. Auf dem Foto oben seht ihr beispielsweise Fürst Castell und Betriebsleiter Peter Geil bei der Büttnerei Aßmann am Rand des Spessarts. Hier werden aus den Castell’schen Eichen die Fässer hergestellt, in denen dann die höherwertigen Weine ausgebaut werden.
Es kommt aber noch etwas hinzu. Mit den immer stärker ins öffentliche Bewusstsein kommenden Themen Klimawandel und Nachhaltigkeit hat auch der Wald eine neue Rolle als Sympathieträger gefunden. Ein Hektar heimischer Wald speichert im Jahr duchschnittlich 13 Tonnen CO2. Das ist beeindruckend, aber nicht alles. Der Wald als Ort der Romantik, als Hort des Lebendigen, voller wurlender symbiotischer Beziehungen nimmt die Menschen auch emotional mit. Dass ein Förster wie Peter Wohlleben stets neue Bestseller schreibt, kommt nicht von ungefähr. Aber schnell noch einmal der Schlenker zum Wein.
Was den Charakter des Jahrgangs 2021 anbelangt, kann ich aus dem bislang Probierten ehrlich gesagt sehr positive Eindrücke mitnehmen. Die Weine an der Basis sind frisch, manchmal vielleicht bis an die Grenze des leicht grünlichen Touches, wirken aber leicht und besitzen wenig Alkohol. Das liegt auch im Trend. Sehr gespannt bin ich auf die höherwertigen Produkte, die logischerweise noch nicht gefüllt sind. Ich könnte mir vorstellen, dass die Kombination aus Frische und der bei diesen Weinen dann hinzukommenden Substanz wirklich interessante Ergebnisse hervorbringt. Aber warten wir’s ab. Dieser GUETER-Sneak Preview des Jahrgangs 2021 war jedenfalls ein idealer Auftakt.
Hallo Matthias,
(nachträglich vorgeschoben : beim Texten fällt mir auf, dass ich mich herzlich wenig um die postapokalyptische Genderisierung kümmere – Entschuldigung an alle, die sich echauffieren – es ist absichtslos geschehen – mir geht es ums Thema – und das ist hier der Wein und die Statistik und die sind da zum Glück komplett neutral)
Also – jetzt muss ich dann doch in die Tasten kloppen nachdem ich mich offiziell nach dem Bericht über die fränkische Statistik zurück gehalten habe.
Aber warum jetzt?
In deinem Beitrag fallen drei angrenzende Themen auf.
a. Frau Breuer lässt sich da zu einer bedenklichen Äußerung hinreißen. Also als “Weinkenner” trinkt man keinen Rosé? Der “Markt” will aber.
Da müssen einem aber doch die Ohren klingeln. Das hier der Weinkenner quasi seine Auszeichnung verdient durch die Abneigung Rosé zu trinken, oder etwa, dass er sich abgrenzt vom “unwissenden” Gros der “Normalen”, die Rosé wollen.
Also ich mag Rosé. Aber wie schon oft zur Sprache gekommen, hängt das nicht mit dem bezeichnenden Wort Rosé zusammen, sondern mit der Qualität, die in der Flasche ist. Jetzt würde die transponierte Breuer’sche Aussage, Rosé ist per se qualitativ minderwertig und deswegen vom “Fachmann” wenig beachtet, schon eher Widerspruch erregen. Dem ist aber vielleicht nur statistisch so. Es gibt halt auch richtige Qualitätsmonster in der Sparte, die Dinge bieten, die keine andere Weinart bieten kann oder auch nur annähernd daran kommt. Und wenn dann der Satz mit dem Nase verziehenden “Weinkenner” stimmen sollte, dann weiß ich nicht was seine Expertise sein soll, da sich ja eher eine komplette Unkenntnis oder Ignoranz heraus stellt. (Du weißt ich habe die Sorte sowieso auf dem Kieker)
b. Der Weißburgunder von Grünhaus. Die Aussage “schmeckt einfach ganz anders als ihre Rebsortenbrüder” verweist auf ein anderes im Grunde wieder statistische Problem.
Es war auch schon des Öfteren angeschnittenes Thema, das nie ernsthaft mit allen Konsequenzen besprochen wurde , weil es grundlegende traditionelle Weinkenntnis umkrempeln müsste. Noch nie gab es und – besonders heutzutage mit globalem Weinanbau und Zugänglichkeit – gibt es keine eindeutigen Aromenzuordnungen bei Rebsorten. Das sind aus kleinsichtiger Unwissenheit leider immer noch wirkende Thesen, die so heute nicht mehr weiter bringen.
Die Gefahr dabei ist einfach, dass bei simpel gestrickten Geistern (Entschuldigung) eine Rebsorte, die sich durch verschiedenste Einflüsse in eine andere Richtung entwickelt als die postulierte, in der Verarbeitung vergewaltigt wird, um an den genormten Geschmack zu kommen.
Ist es mir als Weingenießer denn wichtig, ob der Wein genau die Aromen bietet, die irgendwo definiert werden, oder ist es mir wichtig, ob der Wein schmeckt und in sich stimmig ist?
Wenn ich einen bestimmten Geschmack haben will, fällt es mir als Wein-interessiertem Entdecker doch leicht, den Wein zu finden, der das in Perfektion bietet. Und dann ist mir doch die Rebsorte Schnuppe.
Da wären natürlich gute Weinhändler wichtig, die sich etwas mehr Mühe machen die Weinbeschreibungen aus der eigenen Erfahrung zu geben, statt copy-paste irgendeinen Standardtext zu verbreiten.
c. Trendweine-Thema. Da schwingt ja Statistik schon im Trend mit. Natürlich auch in der Realität, wenn der Statistiker sich Mühe gibt. Aber wieder mal geht es um die Kollateral-Folgen.
Wenn es uns um Wein geht, sollte dann Quantität nicht völlig belanglos sein?
Alle vier aufgezählten Trends werden anscheinend immer an statistischen Quantitäten gemessen. Was solls?
Schaumwein, Rosé und Süße (wobei direkt mal die öligen ausgeschlossen werden) sind seit je her existent und es gibt immer auch fantastische konkrete Weine. Wieder mal : mich als offenen Weingenießer interessieren doch da keine Zahlen, ich möchte einen gut komponierten Wein im Glas haben, der perfekt zu meiner derzeitigen Stimmung, dem Essen, der Musik, der Diskussion passt.
Wie beim Rosé schon gesagt, alle Sorten können Sensationen bieten, in denen die anderen Sorten wenig, bis nichts bieten.
Und in wie vielen Kommentaren zum “Riesling als Königin” der weißen Rebsorten konnte ich nicht an mich halten. Aha, Chenin, Chardonnay und all die Unbenannten sollen sich hinten anstellen?
Ich habe also einen miesen oder mittelguten Riesling im Glas und der ist per se (mal wieder) besser als alles andere? Oder wie werden die Spitzenweine da in eine Ordnung gebracht?
Jede Rebsorte kann von guten Winzern zu etwas Sensationellem gemacht werden. Etwas, was anders ist und die Möglichkeit gibt, seine Erfahrung zu erweitern und zu zeigen, was Wein und die Winzer alles kann und können. Ein Hoch auf die Vielfalt, die Überraschungen und die Vergnügungen.
So – worum ging es?
Meine Abneigung mich von Statistiken, oder Tradition einengen zu lassen und den offenen Blick zu verlieren, für das was die Diversität zu bieten hat. Klar geben solche “Anhaltspunkte” wie schon im Wort gegeben einen Halt, aber da sollte doch jeder mal eine wenig mehr Rückgrat oder Selbstsicherheit entwickeln.
Tradiertes oder Alt-Bekanntes werden sich
a. auf Dauer nicht der Veränderung entziehen können und
b. sind auf Dauer tot und langweilig.
Damit sind jetzt zuvorderst nicht die Weine gemeint, sondern die Sichtweisen. Bei den Weinen sind es eher die vergewaltigten auf Norm getrimmten und stabilisierten, deren Geschmack vom Aufmachen bis zum vierten Tag mit der gleichen Brillianz brillieren. Gähn!
Probiert und sucht nach Unbekanntem. Dort ist die Spannung. Oder lest aufmerksam diesen Blog.
Viel Spaß dabei
Karl
Lieber Karl, danke für deinen umfangreichen Kommentar! Gleich mal vorweg, damit du es richtig einordnen kannst. Ich bin Weinprofi, verdiene mein Geld also in der Branche, was bedeutet, dass ich ein gewisses Faible dafür habe, dass es dieser Branche ökonomisch gut geht. (Wäre sonst auch seltsam, das musst du zugeben 😉 ). Das also als Hintergrundfolie zu den drei von dir angesprochenen Punkten.
Erster Punkt: Der Kommentar von Theresa Breuer war locker ausgesprochen, was ich sehr schätze an ihr, und du brauchst auch nicht so zu tun, als kämst du aus dem Mustopf, wie man so schön sagt 😉 . Verfolge die Diskussion um den Rosé aus der Provence, frage die Winzer dort. Die meisten Rosés sind relativ einfach bereitet für den schnellen Konsum, was ihren relativ günstigen Preis ermöglicht, der ihren Markterfolg beeinflusst, der wiederum zusammenhängt mit dem Sommertraum, den sie verkörpern. Saignée entsteht aus dem Vorlaufmost, ist also oft eine bewusst eingebaute Vorstufe der Rotweinbereitung. Ich mag auch gern Rosé, weil es bei mir nicht immer der Top-Top-Wein im Glas sein muss, der Freude bereitet. Und so geht es vielen. Ein gut gemachter Rosé (= nicht zu stark önologisch nachgeholfen) ist ein erfreulicher Wein, aber nur in ganz seltenen Fällen ein komplexer.
Zweiter Punkt: Sprichst du von önologischen Verfahren der Weinbehandlung? Von Aromahefen und anderen Dingen? Ja, die können in der Tat den Geschmack in eine gewünschte Richtung bringen. Was ich hier jedoch meinte (falls ich mich missverständlich ausgedrückt habe), sind der Einfluss von Klima und Bodenbeschaffenheit.
Dritter Punkt: Quantitäten und Statistiken spielen in einem Metier, das für viele Menschen einen Broterwerb darstellt, durchaus eine Rolle. Das gilt für jede Branche. Vielleicht habe ich hier etwas zu stark die B2B-Sicht durchscheinen lassen. Du als Weingenießer trinkst selbstverständlich die vielfältigsten Weine, die deinen persönlichen Vorlieben entsprechen. Allerdings: Die Summe aller persönlichen Vorlieben schlägt sich in der Statistik nieder, und die Tendenz dieser Vorlieben ist ein Trend 😉 . Das hindert uns beide doch nicht daran, weiter von der Diversität begeistert zu sein. Denn die gibt es – Trend hin, Trend her – zum Glück in einer so ausgeprägten Form, dass wir niemals mit dem Probieren hinterherkommen werden…
ola Matthias,
das ist wirklich eine tolle Antwort. Es werden genau die entscheidenden Punkte angesprochen.
Tatsächlich handle ich zwar seit 30+ Jahren mit Weinen, aber wegen ewiger Unabhängigkeit nicht “kontrollierbar” (in jeglicher Hinsicht ;).
So stehe ich eher immer auf der Seite des “reinen” Weins, dessen Qualität, der Winzer und Kunden.
Die “Zwischenschicht” hat es bei mir eher schwer und muss manchmal wenn es mit mir durchgeht heftige Reaktionen weg stecken (Du kennst ja manche Aussagen in Kommentaren).
Daher “ignoriere” ich auch manchmal Realität, weil sie mich in manchen Punkten nicht tangiert. Allerdings ist sie mir auch bewusst.
Klar sind Rosé’s zum größten Teil nicht gerade das Tollste. Aber aus meiner Sichtweise, brauche ich mich um die auch nicht kümmern und (jetzt mal wieder den Hammer raus) kann ihnen da auch provokant klar jegliche Existenzberechtigung absprechen.
Ich spreche eindeutig von solchen Rosé’s, die mit deinen eigenen Worten auch existieren “in ganz seltenen Fällen ein komplexer” – ergo existent. Und als detektivisch suchender Genießer bin ich eben auf solche Weine aus.
Für alle, die mit dem Rest (also weder komplex noch gut)) ums Überleben kämpfen, sind sie natürlich relevant. Da muss jeder mit sich selbst ins Reine kommen.
Zu 2 : ich nahm das neben der Kritik ans technisch gesteuerte “Machen” nur oder eher zum Anlass, auf eine immer noch existierende Ansicht aufmerksam zu machen, die meiner Ansicht nach viel Schaden anrichtet : dass Rebsorten eindeutige Aromen zugeordnet werden können.
Je nachdem wo und wann sie wachsen und wie sie ausgebaut werden, kann jede Rebe alle möglichen Aromen entwickeln. Oder zumindest nicht mehr in die Schublade passen und damit ist die Gefahr groß, diese Weine dann zu degradieren. Was die Regularien für AGP et.al. ja auch eindeutig machen.
Punkt drei bin ich ganz bei Dir.
Deine Verkettung von “Vorliebe – Tendenz – Trend” durch Statistik wäre allerdings wieder eine feucht fröhliche Diskussion am Lagerfeuer wert. (Du merkst – ich sehe das etwas anders=;))
herzliche Grüße
Karl
Nachgeschoben – zu Frau Breuer :
natürlich sollte das in keinster Weise ein Angriff auf sie sein. Ich bin sicher ich hätte viel Spaß mit ihr gehabt bei einem direkten Aufeinandertreffen.
Es ging mir nur um Implikationen der Aussage, die ja sehr verbreitet ist.