Der harte Alltag bei der indonesischen Polizei

Es könnte möglich sein, dass Ihr noch nie etwas von dem indonesischen Polizisten Norman Kamaru gehört habt. Das ist betrüblich, würden die meisten Indonesier jetzt sagen, und zum Glück wird sich das ja auch mit dem Lesen der folgenden Zeilen ändern. Es handelt sich bei jenem Norman nämlich um einen der neuesten Shooting-Stars der indonesischen Musikszene. Das ist aber nicht der Grund, weshalb ich hier über ihn schreibe. Das eigentlich Verrückte an der Sache ist nämlich, wie er das Ganze mit einem Invest von vielleicht 200 Euro geschafft hat.

Norman ist der jüngste Spross einer kinderreichen Familie, und ich kann mir vorstellen, dass seine Eltern erpicht darauf waren, dass aus ihrem Kleinsten etwas Anständiges wird. Also haben vermutlich eher sie als er beschlossen, dass Norman sich nach der Schule für zehn Jahre bei der indonesischen Polizei verpflichtet. Nun scheint der harte Alltag in seiner Einheit – eine Art Bereitschaftspolizei – offenbar darin zu bestehen, die Arbeitszeit in der Kaserne irgendwie zu überstehen ohne einzuschlafen. Sein Kollege, wie man auf dem Video sehen kann, versucht sich an einem Gameboy. Norman hingegen war schon immer das geborene Showtalent.

Also machte er Folgendes: Er übte Playback, Bewegungen und Augenaufschläge eines berühmten indischen Filmsongs, “Chaiyya Chaiyya“, und filmte sich anschließend bei der Performance selbst. Im Dienst, in Uniform. Und dann stellte er den Clip bei Youtube ein. Die Reaktionen waren überwältigend. Seine Vorgesetzten schäumten natürlich, aber sie konnten öffentlich nicht viel dagegen tun, weil die Medien völlig aus dem Häuschen waren. Ich weiß, dass Ihr bei mir nur ganz selten auf irgendwelche verlinkten Videos klickt, aber diesmal müsst Ihr das wirklich tun, denn es lohnt sich sehr. Hier ist der Clip. (Edit: Jetzt habe ich eine Version eingestellt, die man auch in Europa anschauen kann.)

Eine Woche nach der Youtube-Veröffentlichung nahm Norman schon seine erste Single auf – denn selbst singen kann er natürlich auch. Er wurde in zwei Fernsehshows eingeladen, bekam wegen seines schauspielerischen Talents ein Film- und ein Werbeangebot, dazu noch ein Stipendium einer privaten Universität, ein neues Auto und ein Haus. Auf Twitter verwies er in Indonesien so prominente Köpfe wie Justin Bieber und Osama Bin Laden auf die weiteren Plätze. Auch einen Titel als “most entertaining newsmaker of the year” bekam er verliehen, und eine Rechtsanwältin meinte, seine Auftritte würden positiv sein für das Image der Polizei.

Das sahen seine Vorgesetzten anders. Vom Filmset wurde er mit Hilfe von 20 Kollegen “abgeholt” und erst einmal in der Kaserne festgesetzt. Norman wollte dann kündigen, wegen seiner Zehn-Jahres-Verpflichtung stellte sich die Polizei aber quer, also erschien er einfach gar nicht mehr zum Dienst. Seit zwei Monaten hat er seine Uniform vermutlich für immer abgelegt. Ob damit auch sein Kultstatus vorbei ist, oder ob er genug Substanz besitzt, jetzt richtig durchzustarten, muss man abwarten. Einen Gegner hat Norman jedenfalls auch schon, einen bekannten Kulturjournalisten. Jener schrieb nämlich, dass es doch ganz schön bedenklich sei für eine Gesellschaft, wenn sie einen Playback-dilettierenden Polizisten als “first class entertainment” einstufe.

Natürlich habe ich Normans Single auch gekauft – als mp3-Version, so wie das mittlerweile hier gar nicht selten ist bei den Graumarkt-Ständen der “einheimischen” Einkaufszentren. Ansonsten habe ich mir einen wüsten Mix an allen möglichen musikalischen Veröffentlichungen aus Indonesien zugelegt, denn es gibt wirklich alles, was man sich so vorstellen kann. Ich habe Euch hier jeweils ein paar Ausschnitte verlinkt, damit Ihr die ganze Vielfalt einmal anhören könnt.

Bei uns sind am ehesten die Gamelan-Orchester bekannt, und auch in Indonesien wird das kulturelle Erbe natürlich in Ehren gehalten. Allerdings spielt dies genauso wie balinesische Tempeltänze in der Alltagskultur keine große Rolle. In einem touristischen Restaurant bekommt man Gamelan-Klänge sicher zu hören, ein Taxifahrer wird aber einen anderen Sender eingestellt haben.

Von “Keroncong” hatte ich Euch ja schon einmal kurz geschrieben, auch diese Musik hat eine große Vergangenheit und stammt eigentlich noch aus der portugiesischen Zeit im 17. Jahrhundert. Mittlerweile wird zwar noch die (auch als Keroncong bezeichnete) Cavaquinho als Instrument benutzt, die Melodien gleiten aber gern etwas ins Schlagerhafte ab. “Koes Plus“, leicht übertrieben auch als die “indonesischen Beatles” bezeichnet, waren eine Keroncong-Beat-Schlagertruppe mit wallenden Haaren, deren CDs man in Jakarta immer noch überall bekommt.

“Dangdut” heißt der zweite bekannte Stil, der aus den 70er Jahren stammt und ursprünglich stark an indische Musik erinnerte. Elvy Sukaesih gilt dabei als die Königin des Dangdut, ihre CDs bekommt man gelegentlich sogar in Deutschland, auf jeden Fall aber in Amsterdam. Natürlich gibt es mittlerweile auch einen “Dangdut Modern”, der besonders bei den ländlicheren jungen Leuten gut ankommt. Ein bisschen ist das wie mit dem ex-jugoslawischen Phänomen des Turbofolk, der ja auch vornehmlich auf dem Land gehört wurde, während man in der Stadt eher auf Rock aus war.

Und so ist das auch in Jakarta. Rock, Pop, R’n’B, alles gelegentlich mit indonesischen Anhäuchen, das ist die Musik, die man hier stets und ständig zu hören bekommt. Dass bei einem derartig großen Markt nicht alles Schund sein kann, sollte eigentlich einleuchten. Als die “Kings of Convenience” vor einiger Zeit in Jakarta ein Konzert gegeben haben, hat Erlend Øye beispielsweise einen Song der indonesischen Band “White Shoes & The Couples Company” (kurz: WSATCC) zum Besten gegeben. WSATCC klingen an sich stark nach den “Cardigans”, könnt Ihr im Beispiel hören. Eher an Jamiroquai fühlt man sich hingegen erinnert bei “Maliq & D’Essentials“, mit dem wirklich sehr auffälligen indonesischen Model Kimmy Jayanti im Video übrigens. Der absolute Superstar derzeit heißt Marcell (okay, neben Agnes Monica, Glenn Fredly und einem Haufen Boygroups). Als ich in einem Laden den Verkäufer nach der CD gefragt habe, die derzeit alle haben wollen, hat er ohne zu zögern nach Marcell gegriffen. Solltet Ihr eher auf Metal statt auf Schmusesound stehen, bitteschön, es gibt auch Bands wie “Living Dead” – der Name ist Programm.

Interessant finde ich auch das Trio “Homogenic“, das sich nach einigem Erfolg aber mittlerweile wegen interner Streitigkeiten aufgelöst hat. Der Name der Gruppe erinnert dabei nicht umsonst an Björks gleichnamiges Album. Ich würde den Stil von “Homogenic” als wavigen Elektro-Pop bezeichnen, wobei die Wave-Elemente bei ihrer Hitsingle “Seringan Awan” nicht so stark rauskommen. Wirklich nett ist auch die Band “Armada“, jedenfalls schwirrt mir der Refrain ihres Hits “Mau Dibawa Kamana” ständig im Kopf herum. Allerdings wird ihnen vorgeworfen, sie würden sich sehr stark an die japanische Erfolgsband “L’Arc˜en˜Ciel” anlehnen, denen wiederum vorgeworfen wird, sie seien ein Plagiat von “Blur”. So ist das nun mal.

Wirklich eigenständig geblieben sind hingegen die arabisch inspirierten Klänge. Da gibt es einen Stil namens “Gambus”, benannt nach der jemenitischen Laute und in der Tat ursprünglich aus dem Jemen stammend. Die Sängerin Nada Sahara könnt Ihr auch für Eure Feier buchen, sollte jene in Indonesien stattfinden. Ihre Telefonnummer ist jedenfalls auf dem Video mit angegeben. “Qasidah Modern” heißt ein weiterer arabisch beeinflusster Stil, der vor allem moderne und auch kritische Texte beisteuert. Wovon diese Frauengruppe singt, dürfte beim Titel “Krisis Ekonomi” und dem Video ziemlich klar sein. Mit Untertiteln übrigens für Karaoke, das ist in Indonesien nicht anders als in Thailand – nur kann ich den Text diesmal wenigstens lesen, wenn schon nicht verstehen.

Solltet Ihr Euch jetzt fragen, was meine ganzen Ausführungen a) mit der Überschrift und vor allem b) mit einem Foodblog zu tun haben, dann fragt Ihr Euch das mit voller Berechtigung. Ich bin auch schon ganz still, wollte aber nur mal kurz darauf hingewiesen haben, dass ein Mann auch mehrere Leidenschaften besitzen kann. In diesem Sinne genehmige ich mir jetzt einen Fruchttee mit Namen “Frestea Markisa”. “Markisa” heißt auf Indonesisch nicht etwa “Markise”, sondern – ganz recht – “Leidenschaft”. Es handelt sich nämlich um ein Getränk auf Passionsfruchtbasis.

Und damit verabschiede ich mich aus Jakarta mit der Erkenntnis, dass Indonesien ein wahnsinnig vielfältiges, riesiges und wenn möglich dringend wieder zu besuchendes Land ist. Wenn ich allein auf den Bus schaue, der nach Surabaya (Johnny) fährt und an die 16.999 Inseln, die ich noch nicht gesehen habe…

Ab morgen – oder wohl doch erst nach dem Wochenende – werde ich mich aus Colombo melden, der Hauptstadt Sri Lankas. Wenn Euch dazu großartige Tipps einfallen, nur her damit! Ich nehme an, dass vielleicht schon ein paar von Euch in Sri Lanka gewesen sind, im Gegensatz zu mir übrigens. Bleibt mir gewogen, es wird hier auf dem Blog auch mal wieder Riesling getrunken und Muscheln gesucht. Alles zu seiner Zeit.

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6 Antworten zu Der harte Alltag bei der indonesischen Polizei

  1. utecht sagt:

    Ich frage jetzt nicht, woher Du die Zeit für die Recherchen zu solchen Stories nimmst – wahrscheinlich schläfst Du schlicht nicht. Auf jeden Fall: Gewohnt großartig, danke. (Wenn schon die GEMA den singing Cop nicht mag, muss er tatsächlich erfolgreich sein, übrigens.)

  2. ich mag dich nicht nur als Muschelsucher und Rieslingtester sondern genau so gerne als Obst- und Limonadenverkoster, bin schon neugierig, was du von Sri Lanka erzählen wirst …

  3. Oh Dae-su sagt:

    Super toller Bericht! Je mehr Leidenschaften desto besser. Kann aber auch anstrengend werden. Kenn ich ;).
    Viel Spass in Colombo! Bist du nur in der Stadt oder darfst du auch auf Ausflug in die Berge :-)?

    • chezmatze sagt:

      War heute gleich mal in Kandy, weil Sonntag ist ;). Ist aber wirklich anstrengend gewesen, alles an einem Tag bei den wieder mal tropischen Temperaturen. Und im Gegensatz zu Jakarta scheint die Sonne hier auch richtig.

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