[In Kooperation mit den Hessischen Staatsweingütern Kloster Eberbach] Vor vielen Jahren, ich wusste gerade so, dass Silvaner eine Rebsorte und Silvana ein Vorname ist, hatte ich zum ersten Mal einen Riesling aus dem Baiken probiert. Das Weingut hieß Langwerth von Simmern, es war ein Kabinett, und ich total von den Socken. Sowas Feines, Leichtes, Klirrendes! Als ich vor einiger Zeit den Wein aus derselben Lage von Kloster Eberbach probiert habe, konnte ich mich wieder daran erinnern. Der 2021er Baiken Erste Lage besaß nämlich dieselbe Strenge und Transparenz, eine Kathedrale der Klarheit. Da wusste ich: Ich möchte unbedingt mal etwas über den Rauenthaler Baiken schreiben. Also bin ich hingefahren und habe mir alles angeschaut.
Der Baiken – An der Biegung des kleinen Flusses
Vor der Praxis wollte ich allerdings erst einmal die Theorie bemühen. Was hat es mit dem Baiken eigentlich auf sich? Der »Weinatlas Deutschland« von Ulrich Sautter und Kollegen, den ich mir zu meiner großen Überraschung trotz Weinunkenntnis bereits im Jahr 2007 zugelegt hatte (wahrscheinlich weil »Atlas« draufstand), zählt den Rauenthaler Baiken zu den besonders privilegierten Lagen, mithin den besten Deutschlands. »Steile Lage am Südhang des Taunusgebirges«, heißt es da. In den Sommermonaten würde sich die Wärme hier in der Beuge (»Baiken« ist der etymologische Ursprung des Wortes Beuge) stauen, zusammen mit hoher Luftfeuchtigkeit dank des Sulzbaches. Wegen mehrerer Wasseradern im Berg wäre auch das Wasserhaltevermögen überdurchschnittlich hoch.
Wenn man jetzt noch bedenkt, dass sich die Lage auf lediglich 150-210 Metern Höhe befindet, entsteht vor meinem geistigen Auge folgendes Bild: Ein Weinberg an Waldrand und Bachtal, immer heiß, immer feucht, eine subtropische Ursumpfsuppe wie zu Zeiten der Dinosaurier. Wie können hier bitteschön solche Weine entstehen, von denen auch die Weinatlas-Autoren schwärmen, sie seien »hochelegant, delikat, finessenreich«?
Viel Arbeit…
Nachfrage bei Kathrin Puff, der Önologin und stellvertretenden Geschäftsführerin der Hessischen Staatsweingüter. »Tja«, antwortet sie lakonisch, »die Lösung heißt: viel Arbeit.« Der Außenbetriebsleiter in Rauenthal würde ihr immer anbieten, den Baiken gegen den höher gelegenen Gehrn zu tauschen, da besser belüftet und wesentlich leichter zu bewirtschaften. Auch Winzerin Franziska Schmitt, die ich später direkt im Baiken treffe, schlägt in diese Kerbe: »So vier bis fünf Lesedurchgänge brauchen wir auf jeden Fall. Da werden nur die Guten mitgenommen, und der Essig kommt an den Boden…« Es scheint also, dass der Baiken auf dem Weg zum geschmacklichen Olymp es den Menschen im Weinberg nicht gerade leicht macht.
Franziska, die seit ihrer Ausbildung zusammen mit ihrer Zwillingsschwester (»nein, GAR keine Verwechslungsgefahr!«) bei den Hessischen Staatsweingütern arbeitet, kennt die Parzellen und ihre Arbeiten hier ganz genau. »Die Entscheidungen fangen eigentlich schon beim Rebschnitt an. Zwei Bogenreben oder eine Bogenrebe, beim Entblättern später moderat oder stärker oder nur die inneren Blätter, damit die äußeren als Sonnenschutz bleiben? Halbieren wir die Gescheine, damit sich die Traube ein bisschen nach unten fächert, lockerbeeriger wird? Da gibt es schon im Frühjahr jede Menge Qualitätsarbeiten.« Seitdem Kloster Eberbach FairChoice-zertifiziert ist, sind auch noch einmal neue Nachhaltigkeits-Anforderungen dazugekommen. Für Steillagen wie den Baiken bedeutet das, bereits bei der Winterbegrünung darauf zu achten, dass später möglichst wenig Erosion stattfindet.
Unterwegs im Baiken
Das beste Gewann im Baiken heißt Baikenkopf und ist deshalb auch als Große Lage eingetragen. Ein bisschen wie im Burgund befindet es sich auf mittlerer Höhe. Nur gut einen Hektar groß und 40% steil, zeigt der Baikenkopf nach Südsüdwest. Im Untergrund befindet sich Phyllit, ein kristalliner Schiefer vornehmlich aus Quarz, aber weil der Boden so tiefgründig und gut durchwässert ist, hat man hier viel weniger Trockenheitsprobleme auch in heißen Jahren als beispielsweise in Rüdesheim. Oben auf dem Berg gibt es sogar ein Wasserhäuschen.
Während wir durch den Baikenkopf gehen, hören wir unten vom Bachlauf wunderbar die Vögel singen. »Im Herbst«, erzählt Franziska Schmitt, »sind die unteren Bereiche oft in Nebelschwaden. Erst am späteren Tag kommt auch dort die Sonne durch und trocknet alles ab.« Moment, Nebelschwaden, Abtrocknen, das klingt doch stark nach Botrytis, nach Edelfäule. »Genau. Der Baiken war und ist für seine edelsüßen Weine bekannt. Wir können hier tatsächlich große Trockenbeerenauslesen machen.« Die Trauben für die TBA stammen allerdings nicht aus einer bestimmten Parzelle. Wegen der vielen Lesedurchgänge wird einfach nach und nach entschieden, was sich für ein längeres Hängen eignen könnte. Eine Spätlese gibt es in jedem Jahr, weiter oben spielt auch immer ein bisschen Glück mit hinein.
Historische Süßweine
Die Fähigkeit, in guten Jahren die ganze Palette an Prädikaten zu erzeugen, war mit ein Grund dafür, weshalb die Königlich-Preußische Dominialverwaltung Ende des 19. Jahrhunderts mit dem Erlös aus dem Verkauf des Wiesbadener Neroberges das Wilhelmy’sche Weingut in Rauenthal erwarb. Und damit den Baiken.
Bis heute gehören übrigens 90% des Baikens den Hessischen Staatsweingütern. Die anderen Besitzer können sich allerdings auch sehen lassen. Die ehemals Langwerth’sche Lage hat das Weingut Corvers-Kauter übernommen, und das Weingut Peter Jakob Kühn bringt demnächst einen Wein aus einer früher staatlich hessischen Parzelle heraus. Alles Rieslinge übrigens, der gesamte Weinberg ist damit bestockt.
Eine große Historie, eine sehr spezielle, gleichzeitig exponierte und waldfeuchte Lage – Zeit wird es, die Weine aus dem Baiken auch einmal zu probieren. Wegen des breiten Portfolios und der großen Jahrgangstiefe hatte ich zunächst überlegt, mich auf vielleicht vier Weine zu beschränken. Nach der Probe musste ich allerdings gestehen, dass die Weine viel zu viel zu erzählen hatten, als dass ich vier Fünftel davon hätte weglassen wollen. Hier folgen jetzt also alle Weine, die ich probiert habe – dafür in kürzeren Notizen als üblich. Ein bisschen zum Nachblättern…
Rauenthaler Baiken Erste Lage Riesling trocken
Vielleicht erst einmal etwas zur »Ausgabepolitik«: Bis vor zwei Jahren war es so, dass im Rheingau die GGs (wie anderswo im VDP auch) im September des Folgejahres, also ein Jahr nach der Ernte, in den Verkauf gingen. Dann entschied der VDP.Rheingau, dass er die GGs noch ein Jahr länger reifen lassen möchte. Am 1. September 2025 kommen also die 2023er GGs auf den Markt. Probieren und bewerten darf man sie auch schon vorher, nur eben nicht kaufen.
Nachdem diese Entscheidung durch war, haben sich die Eberbacher überlegt, auch ihre Ersten Lagen ein bisschen anzupassen. Jene kommen jetzt ein Jahr nach der Ernte auf den Markt, also genau wie früher die GGs. Soll heißen: Am 1. September 2025 steht dann der 2024er in den Regalen. Da sich aber (wie wir alle wissen) solche Weine durchaus positiv weiterentwickeln können, schaue ich auch ein bisschen weiter zurück in der Zeit…
- 2023: Alle drei Baiken-Rieslinge haben 12 vol%, und diesen Ansatz spürt man auch. Hell, aromatisch zart, floral, eine sehr feine Klinge und schon antrinkbereit. 16,90 € übrigens im Online-Shop.
- 2021: Pikant und intensiv, zwar mit derselben Leichtigkeit im Körper, aber dichter und gelber in der Frucht. Ein wunderbarer Wein, für mich der Idealtyp eines Rheingauer Rieslings.
- 2020: Am meisten Speisenbegleiter der drei Baiken-Weine, weil mit viel Frische und zurückgenommener Aromatik. Brilliert zum Räucherfisch.
Baikenkopf GG
- 2023: Frisch geöffnet aromatisch noch extrem hell, aber mit einer straighten Säure ausgestattet, kommt der Wein mit ein bisschen Luft richtig in Fahrt. Herrlich schlank und präzise, nur 12 vol%, gefällt mir ausgesprochen gut, wird sich schön entwickeln.
- 2020: Reifespuren sind da, aber nicht gealtert, sondern verändert. Mehr Bienenwachs, der stillere, gedämpftere Typ, setzt mehr auf Struktur und Eleganz. Top-Speisenwein natürlich.
- 2019: 13 vol% wie schon der 2020er. Im Vergleich zu jenem aber mit deutlich mehr Intensität und Tiefe. Extrakt, Zitronenzeste, Kräuternoten, große Säure und großes Potenzial.
Der große aromatische Unterschied zu den Erste Lage-Weinen liegt für mich im stärkeren Nutzen des Holzfasses. Das bringt mehr Dichte und Cremigkeit mit hinein, schleift dafür die pikanten Spitzen ein wenig ab. Eindeutig mehr Lagerpotenzial natürlich, aber das GG sollte (wenn man’s wirklich auf dem harmonischen Höhepunkt erleben möchte) nicht zu früh aufgemacht werden.
Die Spätlesen
- 2024: Im momentanen Zustand aromatisch noch auf der feinapfeligen Seite, löst aber bereits jetzt einen Schluckreflex aus. Leichter und milder wirkend als sein Vorgänger.
- 2023: Den gibt’s für 19,50 € im Shop. Gleichzeitig kräftiger und säurepikanter, hat einen interessanten Ton nach frischen Champignons, lohnt sich sehr, wirklich köstlich.
- 2022: Viel runder als 2023, weniger pikante Säure, mehr Körper. Das ist zweifellos ein edler Wein, aber blind hätte ich eher an Auslese gedacht.
- 2021: Wie der trockene Bruder auch hier mit Dichte und gleichzeitig grünen Kanten, da ist gesamtstrukturell noch viel in Bewegung, hohes Potenzial. Ein bisschen wie man sich »früher« vorstellt, Rheingau-Klassiker, mag ich ausgesprochen gern.
- 2020: Faszinierend, wie die Jahrgänge sich bei allen Prädikaten zeigen! 2020 ist immer dezenter, lässiger, hell in der Frucht, weniger fordernd, mehr Platz lassend.
- 2019: Null tertiäre Aromen spürbar, kann noch ewig laufen. Hohe Pikanz bei dichtem Körper, ein Grand Cru unter den Spätlesen.
- 2018: Während alle anderen bei 8-8,5 vol% lagen, bringt der 2018er 9,5 vol% auf die Waage. Ein ganz eigener Typ, eher erdig und feinherb vom Gefühl her.
- 1959: Ein legendäres Jahr, ein legendärer Wein auch im Baiken. In der Nase gibt es schon enorm viel, Keller, Kräuterauszüge, Quitte, Haselnusspaste, Hafercookie, zunehmend rauchig. Im Mund hat der 66jährige Wein zwar viel von der Süße abgegeben, wirkt aber dennoch erstaunlich frisch, quittensaftig, leichtfüßig. Mit zunehmender Luft kommen die kräuterigen Noten stärker durch, ein fragiles Wunderwerk.
Auslesen aus dem Rauenthaler Baiken
- 2023: In der kleinen Flasche mit ganz blasser Farbe. Auch in der Nase ist die Baiken-Auslese derzeit noch wahnsinnig gleißend zwischen weißem Pfirsich und Zitronengras. Selbst wenn wir alle wissen, dass diese Weine lange laufen können, vielleicht sogar sollen, finde ich die 23er Auslese schon äußerst attraktiv im Mund. Die Säure ist ausgeprägt, und der Wein bewegt sich nah an einer frischen, intensiven, hellen Frucht entlang. Konkret: an den Trauben, aus denen er besteht, und die er auf diese Weise konserviert. Jetzt schon ungemein lecker, wunderbar reintönig, davon kann man jedes Jahr ein Fläschchen öffnen.
- 1976: Amberfarben im Glas, das ist gleich eine ganz andere Welt. In der Nase bereits sehr intensiv, Trockenfrüchte, aber überraschenderweise auch viel Schwarztee. Michael Broadbent, der die 76er Auslese vor 20 Jahren im Glas hatte, schrieb damals: »rich, lovely flavour, perfection« und vergab alle fünf Sterne. Seitdem hat die Frucht noch ein bisschen mehr abgenommen, ich spüre weiterhin deutlich Darjeeling, dazu helle Rosine und einen Touch burnt sugar im Abgang. Nicht nur dichter, sondern auch deutlich dunkler in seiner Anmutung als die 59er Spätlese.
Edelsüße Schätze
- Trockenbeerenauslese 2023: Vorsicht, das ist der Furor in der Kleinflasche! Extrem ölig schon beim Eingießen, kommen im weiteren Verlauf wahnsinnig intensive, scharfe, fast beißende Aromen in Nase und Mund zum Vorschein. Aprikosenkonfitüre natürlich, kandierte Engelwurz, Lack, geflämmter Zucker, säureberstend, süßevoll, ein Parforceritt ohne Sattel. Bitte jetzt noch nicht aufmachen, das wird garantiert zur Harmonie reifen.
- Trockenbeerenauslese 1989: Da ist diese TBA bereits. Oder fast, möchte ich sagen, denn die 36 Jahre sind kaum zu spüren. Auch die 23er hatte übrigens diese dunkelgoldene Farbe, ein riesiger Sprung also in jeglicher Hinsicht von der Auslese bis hierhin. Unerreicht in Dichte und Intensität, ist dieses Brutale, Kantige mittlerweile deutlich zurückgegangen. 11,5 vol% steht auf dem Etikett, ich kann es kaum glauben, das sind eher Werte für einen Bonnezeaux. Aber zugegeben, in genau diese Richtung geht es auch. Monumental.
- Eiswein 1985: Farblich geht es beim letzten Schätzchen fast in Richtung Kastanie mit rötlichen Reflexen. Riecht man ins Glas, hat man das Gefühl, dass sich eine ätherische Duftwolke über der Flüssigkeit befindet, die erst einmal Noten nach gebranntem Mandellack ausdünstet. Im Mund wird es dann wesentlich angenehmer, die Mundwinkel gehen innerlich nach oben, welch großartige Frucht! Für mich ist das zunächst ganz konzentrierte gelbe Kirsche, dann Dosenpfirsich und Orangengelee. Später setzt sich Karamell durch, aber wie nicht anders zu erwarten, ist der Eiswein deutlich reintöniger und fruchtdichter als die edelfaulen Geschwister.
Wie groß die Intensität bei Eiswein und TBA ist, merke ich, als ich spaßeshalber noch einmal rückwärts bis zur Spätlese probiere. Nach diesen Bomben wirkt das alles wie eine Infusion aus verblühte Margeritenblättern. Und wie großartig schmeckte das auf dem Hinweg! Also don’t do it.
Mein Fazit
Nach dem Don’t jetzt das Do: Probiert die Rieslinge aus dem Baiken, ihr werdet es alles andere als bereuen. Ich persönlich habe ja ein Faible für den etwas schlankeren, feinsinnigen Stil, und deshalb liebe ich bereits den, nun ja, »kleinen« Lagenwein. Aber im Grunde beginnt man den Baiken im Wandel der Jahreszeiten erst richtig zu verstehen, wenn man die ganze Horizontale durchprobiert hat.
Und auch wenn ich in den letzten 25 Jahren die kühleren, für die Winzer schwierigeren Jahrgänge mit der langen Vegetationszeit bevorzuge, weil sie in der Lage sind, den als klassisch bezeichneten Rheingau-Stil hervorzubringen, lässt sich natürlich nicht leugnen, dass die großen herbstwarmen Jahrgänge des 20. Jahrhunderts einmalige Schätze hervorgebracht haben.
Was ich aber keinesfalls vergessen möchte zu erwähnen, ist die neue Bewirtschaftung im Baiken. Die Domäne Rauenthal beherbergt nämlich nicht nur Traktoren und Stickel, sondern auch ein Restaurant. Ganz frisch seit Ostern 2025 residieren Dirk Schröer und Amila Begic mit ihrem Team im Baiken by Schröer. Dienstag und Mittwoch ist Ruhetag, ansonsten gibt es aber eine sehr ambitionierte Menüküche mit passender Weinbegleitung. Wer sich auf unkomplizierte Weise dem Wahnwitzigen nähern möchte, die TBA wird offen ausgeschenkt, 24 € für das 0,1er Glas…
P.S. Bevor ich aus dem Baiken Goodbye sage: Wer sich für andere Schätzchen der Hessischen Staatsweingüter interessiert, ich hatte vor zweieinhalb Jahren an einer historischen Probe mit 100 Spätburgundern aus dem Assmannshäuser Höllenberg teilgenommen – bis hinunter zum Jahrgang 1882. Später war ich dann im Steinberg und habe die ersten Jahrgänge vom »Wild Ferment« probiert, für mich einer der spannendsten deutschen Rieslinge überhaupt. Und dann war ich letztes Jahr auch in der Monopollage Steinberg unterwegs. Echte Zeugnisse deutscher Weingeschichte, ebenso wie der Baiken. Schön, dass es so etwas gibt.