Eric Aracil: Das Roussillon ist ein wunderbarer Mikrokosmos

Eric Aracil Roussillon Wein

Ich sitze zusammen mit Eric Aracil in einem nur ein ganz bisschen in die Jahre gekommenen Bürogebäude am Rand von Perpignan. Hier residiert der CIVR, ausgeschrieben der »Conseil Interprofessionnel des Vins du Roussillon«, der regionale Weinbauverband. Eric ist ausgebildeter Agronom und Oenologe, seit 20 Jahren Export Manager und Vizedirektor des CIVR. Soll heißen: Er weiß alles, was man über den Weinbau, die Weine und die strategische Situation in seiner Region wissen muss. Wo geht es also hin mit dem Roussillon angesichts von Klimakrise, sparenden Kunden und weltweitem Trubel. Und: Können wir uns etwas abschauen in Deutschland? Oder lieber nicht?

Das Roussillon – Was ist das überhaupt?

M: Wie könnte man das Roussillon als Naturraum beschreiben?

E: Wir besitzen eine geographisch ziemlich einmalige Situation. Das Roussillon ist ganz im Süden Frankreichs gelegen, sozusagen auf dem Weg nach Barcelona. An der Ostseite haben wir das Mittelmeer mit Sandstränden und Felsküste, auf den anderen drei Seiten Berge. Im Norden sind das die Corbières, im Süden die Pyrenäen. Und Richtung Westen ziehen sich drei parallele Flusstäler immer höher hinauf. Dadurch bildet das Roussillon eine Art großes Amphitheater zum Meer hin mit einer Ebene als Bühne.

M: Und was zeichnet die Region weinbaulich aus?

E: Erst einmal ist der Weinbau hier schon sehr alt, bereits die Griechen haben Reben angepflanzt. Und dann würde ich sagen, der key factor ist die Vielfalt.

M: Vielfalt? Klingt nicht nach etwas, das keine andere Region von sich behauptet…

Roussillon Naturraum

Links: Blick von der Parzelle Croix d’En Rodrigues auf 433 m Höhe über die Ebene bis zu den Albères als Verlängerung der Pyrenäen. Rechts: Weinberg in Gobelet-Erziehung bei Banyuls am Meer

E: Aber es stimmt. Wir haben unglaublich unterschiedliche Böden, von Kieselsteinen wie in Châteauneuf über roten Lehm, Schiefer, Granit, alles, was bei Gebirgsfaltungen zutage tritt. Dann können wir auf unterschiedlichen Höhenstufen Wein anbauen, direkt am Meer oder auch oben in den Bergen. Und schließlich arbeiten wir mit ungefähr 25 verschiedenen Rebsorten, reinsortig und als Cuvées, was die Bandbreite noch einmal erhöht.

Die Weinstilistik im Roussillon

M: Wie sieht es mit den Weinstilen aus?

E: Das Roussillon ist traditionell ein Rotweinland. Oder vielmehr, noch traditioneller ist es das Land des Vin Doux Naturel, des verstärkten Süßweins. Die Technik, die Gärung des Süßmosts durch die Zugabe hochprozentigen Alkohols zu stoppen, ist hier in der Region geboren worden, Ende des 13. Jahrhunderts. 500 Jahre, bevor man das bei Portwein begann, aber das nur nebenbei. Diese VDN wie Rivesaltes, Banyuls oder Maury waren unsere große Stärke. Das Interesse des Marktes an diesem traditionellen Stil ging aber immer weiter zurück, also mussten wir uns etwas anderes überlegen. Das waren dann zunächst die möglichst dichten, dunklen, holzgeprägten Roten, es war ja die Zeit von Parker. Aber davon sind wir zum Glück abgekommen, die jetzigen Roten haben viel mehr Lebendigkeit. Momentan sind ohnehin eher frischere Weine angesagt. Die Nachfrage nimmt besonders bei Weißweinen zu, und man kann überraschend feine Weiße im Roussillon produzieren.

Danjou-Banessy Weißwein

Links: Sébastien Danjou (Domaine Danjou-Banessy) in der Parzelle Estaca – Einzelstockerziehung auf Schwarzschiefer. Rechts La Truffière, 100% Carignan gris von 90 Jahre alten Reben – einer der großen Weißen aus dem Roussillon.

M: Was ist mit Rosé? Der Provence-Rosé hat es ja zum Markenzeichen in der ganzen Welt gebracht, und die Landschaft ist hier ähnlich schön…

E: Im Roussillon haben wir eigentlich gar keine Rosé-Tradition. Aber es gibt mittlerweile wirklich erfolgreiche Exemplare, auch attraktiv und modern gestaltet. Die werden allerdings kaum exportiert, weil sie sich in den Strandbars so gut verkaufen.

Thema Klimawandel

M: Spüren die Winzer hier auch den Klimawandel?

E: Ja, absolut. Lange Trockenperioden und Hitze vor allem. Allerdings kommt uns zugute, dass unsere Erträge ohnehin so gering sind. Im Durchschnitt ernten wir hier 30 hl/ha, das ist ungefähr ein Glas pro Rebstock.

M: …und ein Drittel des Durchschnittsertrags von Deutschland.

E: Hier in der Mittelmeerregion mussten wir uns letztlich schon immer mit Hitze und Trockenheit beschäftigen, wenn es auch bei weitem nicht so extrem war wie in letzter Zeit. Schon mein Vater hat zum Beispiel Bäume als Beschattung in den Weinbergen gepflanzt, also sozusagen frühe Agroforst betrieben. Und man muss auch zugeben, dass sich die klimatischen Bedingungen gut eignen für möglichst wenig Eingriffe im Weinberg. 35% der Rebfläche sind bereits jetzt biologisch zertifiziert, und nimmt man noch die HVE-Fläche dazu, sind es 75%. Und dann gibt es noch eine gewisse Zahl an Weingütern, die sich gar nicht zertifizieren lassen, weil sie das, was sie tun, als »normal« betrachten.

Roussillon Vin Naturel

Das Roussillon hat eine große Naturwein-Szene. Viel wird mittlerweile von der IGP Côtes Catalanes aufgefangen. Links die Domaine des Mathouans in Latour-de-France (auch öfter auf der RAW), rechts Rémi Sisqueille (Château de Rey) mit seinem ersten (vielversprechenden) Naturel-Versuch.

M: Naturwein-Winzer?

E: Ja, unter anderem. Da gibt es ja in einigen Dörfern eine nicht unbedeutende Szene. Ach, noch eine Zahl vielleicht zur Einordnung: Von der Menge her machen unsere Weine lediglich 1,5-2% der französischen Produktion aus. Das ist also rein quantitativ doch eher nischenartig.

Thema Export

M: Wohin werden die Weine exportiert?

E: Ich glaube, da muss man von der Zeit vor Covid und von der Zeit danach sprechen, es hat sich nämlich einiges getan. Erst einmal setzen viele Weingüter auf den Export, manche zu 70-80%, das ist also definitiv ein Faktor. Vor Covid war die Rangliste der wichtigsten Zielländer ziemlich übersichtlich. Ganz vorn war China.

M: China?

E: Ja, tatsächlich, und zwar ebenso mengen- wie wertmäßig. Normalerweise ist es ja nicht leicht, nach China zu verkaufen, und man muss auch mit niedrigen Preisen rechnen. Bei uns war es aber so, dass starke Rotweine, egal ob süß oder trocken, in China gut angekommen sind, wir da einen guten Ruf hatten und auch entsprechende Preise erzielen konnten. Heute ist das wesentlich diversifizierter. Erst einmal ist es ziemlich schwierig geworden, die Vins Doux Naturels zu verkaufen. Okay, es gibt einen Markt dafür, auf dem die Leute das kennen und schätzen, generell dort, wo auch Sherry und Port getrunken werden. Bei trockenen Weinen ist China auf Platz 3 abgerutscht, vorn sind immer abwechselnd Deutschland und Belgien, allerdings eher niedrigpreisig. Dann kommen Kanada und die USA. Wir haben aber auch unsere Strategie ein bisschen geändert.

Roussillon Vin Doux Naturel Mas Amiel

Mas Amiel ist vielleicht das bedeutendste Weingut Im Roussillon (und darüber hinaus) für Vin Doux Naturel. Der Besitzer, Industriemagnat Olivier Decelle, hat allerdings auch die »Normalwein«-Reihe erheblich erweitert. Ein Fall glücklicher Zusammenarbeit zwischen Kapital, Tradition und Innovation. Kann also funktionieren. Links das Feld mit Glasballons, in denen die VDN ein Jahr im Freien zubringen. Rechts der Jahrgangs-Maury 1999, ein wunderbarer Meditations- und Würzwein.

M: Inwiefern?

E: Insofern, als wir vorhaben, mehr in den näher gelegenen Bereich zu exportieren. Wir waren ja gestern Abend essen im Restaurant des Maison Cazes. Das war super besucht, alles voll von Ausländern, die hier Urlaub machen. Wir sind nun einmal ein attraktives Ferienziel, und genau das ist auch unser Ansatz beim Weinexport. Wer das Roussillon nicht kennt, den müssen wir versuchen, mit großen Kampagnen oder vielen Worten oder niedrigen Preisen zu ködern. Wer aber schon hier war oder für den es eine Urlaubsoption im nächsten Jahr darstellt, hat bereits gewisse Kenntnisse, an die man anknüpfen kann. Da ist die Beziehung viel leichter hergestellt. Wir haben eine vergleichsweise kleine Menge, die wir verkaufen müssen, und wir haben eine lange Sommerperiode, die auch im Mai oder im Oktober noch einen sehr angenehmen Aufenthalt ermöglicht…

M: Klingt nicht gerade wie ein super ausgefeiltes Konzept, aber wie ein logisches.

E: Exakt, so ist es.

Wie geht es weiter im Roussillon?

M: Wagen wir doch mal einen Blick in die Glaskugel: Derzeit zeigt die Tendenz des Weinkonsums nach unten in den meisten etablierten Weintrinkländern. Gleichzeitig wird weltweit immer noch mehr Wein produziert, die Diskrepanz wächst also. Wie sieht das im Roussillon aus, welche Perspektiven gibt es hier beispielsweise für Jungwinzer?

Roussillon alt & neu

Im spektakulären Talkessel von Vingrau gibt es interessante Weingüter. Links Alain Razungles (Domaine des Chênes), ehemaliger Professor aus Montpellier, der sein theoretisches Wissen nach der Pensionierung ganz praktisch anwendet, um höchst traditionelle und angenehm preiswerte Weine zu bereiten (10-15 €). Rechts Newcomer Thomas Mangin, der ursprünglich aus der Champagne stammt und mit einem Freund aus Weinuni-Tagen die Domaine Torredemer-Mangin betreibt. Wunderbar frische, duftige Weine, fast ein wenig in Richtung Matassa.

E: Ja, die weltweite Überproduktion ist natürlich ungünstig. Es sind aber auch viele schlechte Weine darunter, die nur produziert werden, um die drohende Arbeitslosigkeit in einer Region zu bekämpfen. Da wird also künstlich eine Produktionsmenge hochgehalten, für die es keine Abnehmer gibt. Ich gehe also davon aus, dass der Wettbewerb sich eher im Qualitätsbereich abspielen wird. Und da bin ich guter Hoffnung. Wir haben hier viel traditionelles Know-how in den Familien, und die jungen Leute sind gut ausgebildet und weiter herumgekommen als die Generationen davor. Die machen nur dann weiter, wenn es sich lohnt. Wir werden also zwangsläufig quantitativ Einbußen zu verzeichnen haben, Weingüter und Flächen, die aufgegeben werden.

M: Also eher eine Art Marktbereinigung?

E: Ja, gewissermaßen. Es gibt ja verschiedenste Möglichkeiten, erfolgreich zu wirtschaften. Ich kann ganz klein bleiben und mich auf eine spezielle Nische konzentrieren. Oder ich kann es auch so machen wie das, was wir hier bei der Domaine Lafage oder dem Maison Cazes gesehen haben. Da sind verschiedene ehemals unabhängige Weingüter unter einem Dach versammelt, dazu bei Cazes noch das Restaurant »La Table d’Aimé« oder der Clos des Paulilles als Touristenmagnet. Eine größere Struktur, die auf vielen kleinen Beinen steht. Es gibt also kein Patentrezept, aber viele individuelle Möglichkeiten.

Maison Cazes

Das Maison Cazes ist mittlerweile kein einzelnes Weingut mehr, sondern eine Struktur unter der Leitung von Lionel Lavail (links). Dazu gehört die ehemalige Domaine Cazes, ein großes Biodyn-Weingut in der Ebene, Lionels eigenes Weingut, die Domaine Latour Lavail in Maury, das Weingut Clos des Paulilles, ein touristischer Anziehungspunkt in einer Bucht der Felsenküste zwischen Port-Vendres und Banyuls, und schließlich noch das gefragte Gourmet-Restaurant »La Table d’Aimé« auf dem Gelände der Domaine Cazes.

Wird Wein zum Luxus?

M: Eine Abschlussfrage noch: Wird Wein wieder mehr zum Luxusprodukt?

E: Ja, vermutlich. Unglücklicherweise, möchte ich sagen, denn ich komme ja aus der Landwirtschaft, und Wein im Allgemeinen galt zwar als eine Art hedonistisches Lebensmittel, aber eben doch als landwirtschaftliches Produkt. Tatsächlich sind wir im Roussillon mit den Weinpreisen angesichts der Qualität auch noch sehr moderat. Aber grundsätzlich denke ich schon, dass Wein teurer werden muss, wenn wir den Weinbau auf eine nachhaltige Art erhalten wollen. Nachhaltig für den Boden und nachhaltig auch für die Produzenten.

M: Das ist doch ein passendes Schlusswort. Vielen Dank!

Roussillon Rosé Strandbar

Noch kein Luxus ist der Rosé aus dem Roussillon. Die großen Genossenschaften VICA (Vignerons Catalans) und Dom Brial haben mit Beachlife-Etiketten genau den Geschmack der vielen Strandtouristen getroffen. Die Rosés sind tatsächlich zu Bestsellern im Programm geworden und werden zum großen Teil in der Region verkauft.

Epilog – meine Erkenntnisse

Was habe ich mitgenommen aus dem Gespräch mit Eric Aracil, was man strategisch auf die Situation in Deutschland übersetzen könnte? Eine kleine weintouristische Tour durch die Region habe ich ja schon unternommen.

  • Befindet man sich mit seinem Weingut in einer Ferienregion oder im Ausflugsumkreis von Ballungsräumen, wäre es fahrlässig, da nicht verschiedene Angebote miteinander zu kombinieren. Gerade als Selbstvermarkter sollte man den Spillover-Effekt nie unterschätzen.
  • Für den Export sind die Roussillon-Erfahrungen hingegen nur partiell umsetzbar. Wir haben in Deutschland kaum eine Weinbauregion mit Millionen ausländischer Sommertouristen. Dennoch helfen vermutlich die Statistiken der Tourismusverbände weiter, um herauszufinden, aus welchen Ländern wie viele Menschen in der eigenen Region übernachten. Wie man das dann ganz praktisch in eine Exportstrategie umsetzt, werde ich in der nächsten Zeit noch versuchen herauszuarbeiten.
  • Möchte man seine Weine über den eigenen Umkreis hinweg verkaufen, ist das (bis auf geringere Formalitäten) ja auch eine Art Export. Deshalb gilt für den Inlandstourismus genau dasselbe wie für den internationalen. Um einen Überblick zu bekommen, helfen manchmal auch einfache Dinge wie ein regelmäßiger Kennzeichencheck (Kreise) am lokalen Wohnmobilplatz oder dem gebührenpflichtigen Parkplatz vor dem Stadttor. Kann man selbst machen und kostet nichts außer ein bisschen Zeit.
  • Befinde ich mich nicht in einer Ferien- oder Ausflugsregion, wird die Sache definitiv komplizierter. Ich denke da an weite Teile Rheinhessens. Auch hier helfen die Roussillon-Erfahrungen weniger, der Ansatz muss also erst einmal ein anderer sein.

Thema Strukturwandel

  • Schließlich geht es noch um den Strukturwandel, und da ähneln sich die Bedingungen wieder. Billig zu produzieren, wird in den nächsten Jahrzehnten kaum mehr möglich sein. Die gesetzlich-bürokratischen Anforderungen werden definitiv nicht abnehmen. Die Produktionskosten auch nicht. Zusammenschlüsse à la »Teil-Genossenschaften« oder Konsortien könnten helfen, setzen aber Kompromissbereitschaft voraus. Und: Zwei Kranke werden keinen Gesunden ergeben. Insofern wird es auch bei uns eine unvermeidliche Schrumpfung bei der Zahl der Betriebe geben, zumal (anders als in Frankreich) der Staat keinerlei Interesse daran hat, kleine selbständige Strukturen zu unterstützen.
  • Was die Innovationskraft der verbliebenen Betriebe anbelangt, teile ich aber Erics Optimismus. Die jungen Winzer:innen sind auch bei uns gut ausgebildet, haben oft über den Tellerrand geschaut und besitzen Ideen, wie man den Betrieb zukunftsfest aufstellen kann.
  • Und ich gebe zu: Dasselbe sollte ich mir auch noch stärker zu eigen machen. Schließlich bin ich mit einer ziemlich großen Zahl an Weingütern und Weininstitutionen in persönlichem Kontakt und kann Besuche wie diesen im Roussillon nutzen, um mich auch ganz woanders umzuhören. Sammeln, sortieren, analysieren, Umsetzungsidee. Und so hat das Gespräch mit Eric auch für mich ein motivierendes Ende gefunden. In diesem Sinne…
Dieser Beitrag wurde unter Meinung, Wein abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.