Vorgestern habe ich am ProWein Media Summit teilgenommen, was nichts anderes ist als eine Art virtuelle Pressekonferenz der ProWein. Jene soll ja dieses Jahr vom 15.-17. Mai stattfinden, nach zwei Jahren unfreiwilliger Pause. Wie sehr diese Pause an den Nerven gezerrt hat und wie sehr sich die Branche auf ein reales Zusammenkommen freut, konnte man allen Beteiligten der Veranstaltung sichtlich anmerken. Es gab aber nicht nur Erleichterung zu vermelden, sondern der Media Summit hatte auch zwei inhaltsstarke Programmpunkte. Zum einen wurde Biowein-Tausendsassa Gérard Bertrand zugeschaltet, um 6 Uhr morgens aus seinem Zimmer in Miami. Zum anderen stellte Geisenheim-Professorin Simone Loose den ProWein Business Report 2021 vor. Genau daraus möchte ich euch hier die interessantesten Punkte zeigen.
ProWein Business Report 2021 – der Hintergrund
Bevor ich auf die Ergebnisse eingehe, möchte ich noch kurz etwas zur Methodik des Business Reports sagen. Fragebögen wurden verschickt an Teilnehmerinnen und Teilnehmer der ProWein 2019 (oder vielmehr Login-Codes für den Online Survey). Da es sich um eine reine Fachmesse handelt, sollte mit dieser Befragung geklärt werden, wie die Branche ihre Lage einschätzt, ihre größten Herausforderungen, aber auch, welche Meinungen sie vertritt. Der ProWein Business Report 2021 war der fünfte seiner Art, die Befragung erfolgte im November 2021. 2.880 Unternehmen haben mitgemacht, davon 1.219 Produzenten (zu 78% kleinere Weingüter), 800 Ex- und Importeure und 861 Unternehmen aus Handel und Gastronomie.
Trotz der beachtlichen Zahlen sind die Ergebnisse nicht repräsentativ. Etwas über die Hälfte der Befragten kam nämlich aus Deutschland. Und da bei den Fragen, die alle Länder betreffen, nicht gewichtet wurde (es gab jedenfalls keinen Hinweis darauf), ist die deutsche Weinweltsicht entsprechend überrepräsentiert. Interessant sind die Antworten aber allemal.
Die folgenden Grafiken entstammen übrigens entweder dem Report im Original, oder ich habe sie zusammengeschnitten (aber jeweils darauf verwiesen). Wer den ProWein Business Report 2021 selbst zur Gänze betrachten möchte, hier ist der Link.
Was die Weinbranche am meisten fürchtet
Die Frage nach den größten Herausforderungen (und zwar nicht allgemein, sondern für das eigene Unternehmen) wird beim Business Report jedes Jahr gestellt. Ich habe deshalb geschaut, was die Branche in den letzten drei Jahren als besonders problematisch angesehen hat. Dass wir uns in dynamischen Zeiten befinden, wird bereits daran deutlich, dass es in jedem Jahr einen neuen Spitzenreiter gegeben hat. 2019 war es die Gesundheitspolitik, 2020 (ziemlich logisch) Covid-19, und jetzt werden die Folgen am meisten gefürchtet, nämlich die Kostensteigerung und die Lieferketten. Klimawandel und Nachhaltigkeit sind als Themen deshalb wieder in den Hintergrund gerückt. Ich nehme aber auch an, dass die meisten Befragten die Frage so aufgefasst haben, dass sie die Einschätzungen zur unmittelbaren, kurzfristigen Zukunft abgeben sollten. Oder aber (andere Möglichkeit) der Weinmensch denkt wie die meisten anderen primär kurzfristig.
Zwischen Produzenten und Handel gab es übrigens gewisse Abweichungen. Beide Gruppen hatten zwar die Kostensteigerung ganz oben gesehen, bei den Produzenten folgt dann aber schon der Klimawandel (Rang 5 beim Handel). Während Handel und Gastro Covid-19 weiter als großes Problem ansehen (Rang 3), spielt das bei den Produzenten eine geringere Rolle (Rang 7). Und noch etwas fürchtet der Winzer: zunehmende umweltpolitische Regulierungen (Rang 4 dort).
Schwerpunkt Nachhaltigkeit beim ProWein Business Report 2021
Nachhaltigkeit war ja das Schwerpunktthema beim ProWein Business Report 2021. Nachhaltigkeit bezieht sich jedoch nicht nur auf ökologische, sondern auch auf ökonomische und soziale Fragen. Wenn ein Betrieb ökonomisch so schlecht aufgestellt ist, dass er im nächten Jahr pleite geht, ist das schließlich auch nicht nachhaltig. Logisch. Entsprechend der Befürchtungen der vorherigen Frage, die stärker Kosten und Lieferketten als beispielsweise klimatische Einflüsse vorn sahen, verhält es sich auch bei der Frage, welcher Nachhaltigkeitsbereich von der Branche als prioritär angesehen wird.
Wichtig findet man alle drei. Auch bei einer anderen Frage wurde von 84% der Befragten gesagt, die Weinindustrie sollte sich stärker auf eine nachhaltige Produktion fokussieren. Aber im Endeffekt ist das Hemd doch näher als die Hose, von den wichtigen Punkten gibt es einen überwichtigen, und das ist das eigene Auskommen.
Bio oder anders – die Frage der Zertifizierung
Sehr interessant, weil sie sich auf eine überraschend heterogene Zusammensetzung bezogen, fand ich die Fragen zur Zertifizierung – sei es Bio oder (irgendwie) nachhaltig. Die deutschen Betriebe, insgesamt ja deutlich in der Überzahl, sind dabei nur zu 21% bio-zertifiziert und zu 9% anderweitig. Nur ist natürlich relativ zu sehen, denn das liegt immer noch über dem nationalen Durchschnitt. Ganz anders die Südeuropäer aus Spanien und Italien mit extrem hohen Bio-Anteilen. Interessant auch Frankreich und besonders die Neue Welt, wo Bio als Idee nicht so verbreitet ist, dafür aber andere Nachhaltigkeitssiegel.
Tatsächlich scheinen wir es hier auch mit sehr unterschiedlichen Betriebsstrukturen bei der Befragung zu tun zu haben. Größer, moderner, internationaler ausgerichtet in anderen, besonders südeuropäischen Ländern als in Deutschland. Das könnte eine Frage des Standorts der Messe sein. Wer eine weite Reise auf sich nimmt, hat schlichtweg das Geld dafür, die organisatorischen Möglichkeiten und erwartet sich auch andere Dinge. Es könnte aber auch sein, dass uns klimatisch günstigere Weinregionen in punkto Bio und Nachhaltigkeit einfach den Rang ablaufen. Alle Gruppen waren übrigens der Meinung, dass die Bio-Produktion in Zukunft stark zunehmen wird. Die selbst Zertifizierten allerdings stärker, sonst hätten sie es auch nicht getan.
Warum man sich nicht zertifizieren lässt
Da die Mehrzahl der befragten Betriebe ja a) aus Deutschland stammt und b) nicht bio- oder anderweitig zertifiziert ist, stellt sich natürlich die Frage, welche Hindernisse da gesehen werden. Wie angedeutet, 56% der deutschen Betriebe waren der Meinung, Bio werde zukünftig deutlich wachsen. Tatsächlich stehen da ökonomische Befürchtungen im Vordergrund. Zum einen sei die Biowein-Produktion riskant, und die Erntemenge 2021 war den deutschen Winzern da sicher gegenwärtig. Zum anderen seien die Verbraucher zu wenig bereit, mehr zu zahlen, was für Bio wie für Nachhaltig gilt. Die Nachhaltigkeitssiegel haben hingegen ein ganz anderes Problem, und das heißt Glaubwürdigkeit. Die Gefahr des Greenwashings ist da hoch, und wenn das schon die Produzenten so sehen…
Die Konsequenzen daraus zeigen sich in den Antworten zu zwei Folgefragen. Die überragende Mehrheit der Befragten war der Meinung, die Regeln für Biowein sollten geändert werden. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die selbst zu über 60% zertifizierten Spanier (84% Zustimmung) da etwas anderes meinen als die nur zu 20% zertifizierten Deutschen (79% Zustimmung). Da wäre sicher eine entsprechende Folgefrage höchst interessant gewesen.
Was alle ebenfalls eint, ist die Zustimmung zu folgenden Punkten: Für Konsumenten ist es schwierig, die Komplexität der verschiedenen Bio- und Nachhaltigkeitssiegel zu verstehen (89% Zustimmung bei den Produzenten, 83% bei Handel und Gastro). Deshalb sei es besser, ein einheitliches, starkes Nachhaltigkeitssystem statt mehrerer verschiedener zu haben (79% bzw. 75% Zustimmung). Eine Forderung, die sich vermutlich an staatliche Stellen richtet. Ob so etwas realisierbar ist, weiß ich allerdings nicht.
ProWein Business Report 2021 – die Glasfrage
Ganz zum Schluss noch ein Thema, das in der Live-Präsentation vermutlich aus Zeitgründen ausgeklammert wurde. Es geht um Verpackung, womit nicht etwa der Karton, sondern die Flasche gemeint war. Nochmal zum Hintergrund: deutsche Betriebe eher klein, nicht zertifiziert, fürchten Kostensteigerung; internationale Betriebe eher groß, zertifiziert, exportorientiert. Ohne Glas geht bei den deutschen Winzern nichts. Sie haben nichts anderes versucht und wollen das auch nicht. Leichtglas im Premiumbereich – nein danke. Woanders ist das Thema wesentlich virulenter. Knapp die Hälfte der befragten Überseebetriebe hat damit schon experimentiert, und auch die südeuropäischen Länder sehen hier Möglichkeiten.
Krass finde ich hier auch die Situation beim Handel (rechte Grafik). In Skandinavien, und man darf das durchaus verlässlich als Pionierhaltung ansehen, geht da schon sehr viel, in Deutschland und (überraschend) Benelux eher wenig. Ist das ein Zukunftsthema, das hierzulande unterschätzt wird? PET-Flaschen, Pfandsysteme etc., das hat einen enorm hohen Einfluss auf Messzahlen zur Nachhaltigkeit. Andererseits greifen die Kunden sich selbst überlassen praktisch immer zur “wertiger” ausgestatteten Flasche. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass es in diesem Segment künftig zu Regelungen kommen wird. Die Vorbereitungen darauf sollte die Branche hierzulande tunlichst nicht verschlafen.
Was Gérard Bertrand zu sagen hat
Auf dem Foto seht ihr Gérard Bertrand, Winzer und Unternehmer aus Südfrankreich, hier jedoch um 6 Uhr früh zugeschaltet aus Miami, wo er eine Masterclass gab für – Nachhaltigkeit. Wer sich mit der Weinindustrie beschäftigt, kennt Gérard natürlich. Er fing auf dem elterlichen Hof mit 2 ha Bio-Weinbau an und herrscht nun über ein Imperium von fast 1.000 ha, das Weine in (wenn ich das richtig verstanden habe) 179 Länder verkauft. Das ist natürlich beeindruckend, und deshalb wollte Simone Loose im Interview auch wissen, was da seiner Meinung nach der Schlüssel sei.
Die langfristige Vision, sagt Gérard, 20 Jahre oder länger. Dann müsste man noch viel kommunizieren, den Leuten das Terroir nahebringen, die lokalen Rebsorten. Als er angefangen hat, galt der Süden Frankreichs nicht viel, da brauchte man Überzeugung und einen langen Atem. Was die Nachhaltigkeit anbelangt, seien Weinberge erst einmal sehr gut geeignet, weil sie 50 oder manchmal gar 100 Jahre alt seien. Allerdings käme es auf die Bodenbearbeitung an, um die Verbindungen zwischen den Mikroorganismen im Boden zu ermöglichen. Und da zeigten Studien ganz eindeutig, dass bio besser als konventionell sei, und biodyn wiederum noch besser als bio. Wenn der Kohlenstoff dadurch im Boden gehalten wird, hätte man ganz automatisch bessere Messwerte.
Anregungen aus dem ProWein Business Report 2021
Das war doch wieder eine interessante und anregende Veranstaltung. Dabei geht es mir nie darum, so etwas wie die Wahrheit aus solchen Befragungen zu ziehen. Vielmehr zeigt die Branche mit ihrer Selbsteinschätzung, wie sie glaubt, zukünftigen Herausforderungen begegnen zu können. Und da war ich schon bisschen geschockt darüber, dass die deutschen Kleinwinzer offenbar in vielen Fragen doch ein wenig hinter der internationalen Entwicklung zurück sind.
Was die EU-weiten landbaulichen Regelungen betrifft, brauchen wir jedenfalls nicht auf die Solidarität der Südeuropäer zu hoffen. Die haben mehr Anbaufläche, also mehr Gewicht und zusätzlich bessere natürliche Bedingungen für einen nachhaltigen Weinbau. Also werden sie einen Teufel tun und uns Phosphonate oder Fördermaßnahmen zugestehen, damit wir so weitermachen können wie bisher. Insofern halte ich die Befürchtung deutscher Winzer vor “zunehmenden umweltpolitischen Regelungen” (wie es in der Befragung hieß) für durchaus berechtigt.
Wir könnten allerdings auf andere Faktoren quasi als Kompensation setzen. Alternative Verpackungen, Einheitsflaschen, Pfandsysteme, Piwis. Alles möglichst so, dass nicht nur die Großbetriebe es umsetzen können. Oder der Aufbau einer wunderbaren und innovativ bürokratiearmen Verwaltungsstelle für ein einheitliches Nachhaltigkeitssystem. Möglichkeiten gäbe es jedenfalls genug. Überflüssig zu erwähnen, dass ich mich deshalb genauso auf die ProWein freue wie all die Aussteller. Nicht nur um Weine zu probieren und Leute zu treffen. Sondern um zu erfahren, was man woanders schon an neuen Dingen ausprobiert.
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