Gutedel aus der Spitzenlage: Dézaley vom Genfer See

Seien wir ehrlich, liebe Freunde: Schweizer Wein hat keinen guten Ruf. Wenn wir ehrlich bleiben, müssen wir allerdings zugeben, dass er auch keinen besonders schlechten Ruf hat. Ehrlich gesagt hat er gar keinen Ruf. Man spricht nicht über ihn. Weshalb das so ist, dafür gibt es mehrere Gründe, die bei protektionistischen Preisen und Zöllen anfangen, über den Durst der Schweizer auf ihre eigenen Getränke weitergehen, nicht zu vergessen das praktisch nicht vorhandene Marketing, und schließlich bei der miserablen Distribution aufhören. Uhren und Schokolade aus der Schweiz kann man auf jedem Flughafen weltweit bekommen. Einen der wirklich besonderen Schweizer Weine hat dagegen noch nicht einmal ein ansonsten hervorragend sortierter Weinhändler im Programm. Also muss ich wohl extra in die Schweiz fahren, um einen solchen Wein zu probieren.

Gesagt, getan. Natürlich war das mit dem Wein nur ein angenehmer Nebeneffekt. In Wirklichkeit musste ich aus ganz anderen Gründen nach Genf. Da ich diesmal von der Stadt wirklich überhaupt nichts sehen konnte und es zudem noch schüttete wie aus Kübeln, hatte ich noch nicht einmal einen Fotoapparat mitgenommen. Die Rache folgte auf dem Fuß: In den 20 regenfreien Minuten, in denen ich am See entlang zum Hotel spazierte, tat sich plötzlich der Himmel auf. Ein riesiger Regenbogen erstreckte sich von einem Ende des Horizonts bis zum anderen, und wie auf Knopfdruck lüftete sich auch die Wolkenwand vor dem Montblanc-Massiv. Die Fotos, die ich Euch hier zeige, sind dagegen ausschließlich Archivbilder von meinem letzten Besuch im Frühwinter.

Das Etikett von dem Wein, den ich diesmal hier gekauft und auch gleich probiert habe, kann ich Euch deshalb auch nicht zeigen. Es handelt sich um den Dézaley Grand Cru Château L’Arbalète 2011 von Jean und Pierre Testuz. Ein junger Weißwein, der in der Stadt so ungefähr 20 Euro kostet. Drei Weinhändler gibt es hier, die mir das letzte Mal aufgefallen waren, nämlich Lavinia (ja, eine Dépendance), Globus (die Food-Abteilung im Untergeschoss des Kaufhauses) und – sympathisch – Le Boulevard du Vin.

Was diesen Wein besonders interessant und besonders schweizerisch macht, ist erst einmal die Rebsorte. Es handelt sich nämlich um Chasselas, was für die Badener nichts anderes ist als ein lupenreiner Gutedel. Und wiederum die Badener (bis auf Hanspeter Ziereisen vielleicht) würden vermutlich sagen: „20 Euro für einen Gutedel? So raffgierig können auch nur die Schweizer sein!“ Tatsächlich wären sie das, würde es sich um einen leicht wegzuschluckenden Spaßwein handeln. In Wirklichkeit ist dies hier ein komplexes Produkt, harter Tobak, obwohl er zunächst gar nicht so erscheint.

Dézaley ist eine der Grand Cru-Lagen am Nordostufer des Genfer Sees. Die Terrassen ziehen sich hier steil den Hang hoch, und der Untergrund besteht aus der so genannten „Poudingue“, was tatsächlich so eine Art Pudding im englischen Sinne ist. Die Kiesel sind dabei in einen Teig aus Sandsteinsedimenten eingebacken, was auch als „Nagelfluh“ bezeichnet wird. Boden, Gestein und Exposition sorgen dabei für einen Charakter, den man dem guten alten Gutedel gar nicht zugetraut hätte: Diese Weine sind dicht, mineralisch, besitzen Honig- und Feuersteinnoten und sind vor allem ziemlich lagerfähig. So lagerfähig, dass es eigentlich eine Schande ist, einen so jungen Wein wie diesen hier aufzumachen, und sei es nur aus Testgründen.

Interessant ist bereits der Geruch. Intensiv aromatisch und mineralisch springen mir Heu und Blüten in die Nase, dazu eine seltsame Gewürzkombination von zerstoßenen Korianderkörnern und holzigem Weißdorn. Nur damit keine Missverständnisse aufkommen, der Wein ist im Stahltank ausgebaut worden. Am Gaumen moussiert der Wein noch leicht, zeigt aber gleichzeitig eine starke Viskosität, ölig und südlich. Ich merke nach der ersten Sekunde, dass der Dézaley – zumal gerade geöffnet – so ungefähr zehn Prozent seines Aromenspektrums preiszugeben bereit ist. Viel zu jung, gar keine Frage. Was man dennoch ganz zu Anfang schmecken kann, sind apfelige Noten. Eine gelbschalige, säurearme Apfelart. Dazu noch Marzipan. Hinten am Gaumen spüre ich das kommende Feuer, aber bis jenes wirklich präsent ist, wird es noch eine Weile dauern. Basisch ist der Wein, blassfruchtig, unfrisch – und das sollte es für den ersten Tag gewesen sein.

Am zweiten Tag sieht die Sache schon ein wenig anders aus. Eine sanfte Lüftung hat stattgefunden durch den geöffneten Flaschenschlund, und der Wein zeigt sich harmonischer. Gleich zu Anfang fällt mir die größere Pikanz auf. Das heißt, natürlich hat die Säure nicht über Nacht zugenommen, aber die Aromen haben sich verändert. Der Apfel ist verschwunden, das Feuer in vielfacher Form nach vorn gekrochen. Akazienhonig, dazu rauchige Noten, später reife Banane, Ananas, ständig kommt etwas dazu.

Liebe Freunde, dies ist ein ganz merkwürdiger Lagerwein (denn das ist er in der Tat). Wer in der Rieslingwelt sozialisiert wurde, wird zunächst einmal gar nicht begeistert sein. Kaum Säure, keine frische Frucht, überhaupt nicht knackig, lasch gar. Wer öfter große Weißweine von der Nordrhône probiert hat, fühlt sich schon eher zu Hause, aber auch hier gibt es in Wirklichkeit keinerlei Verwechslungsmöglichkeiten. Zwar hat der Dézaley eine ähnlich starke Mineralität, ist aber viel blütiger, gleitender. Der einzige wirklich realistische Vergleich, der mir einfällt, betrifft ein paar wenige kroatische Weiße aus Debit oder Marastina. Aber die haben wahrscheinlich noch weniger Leute getrunken.

Worauf ich wirklich gespannt bin, das ist die Entwicklung dieses Weins. Ein Fläschchen vom Dézaley habe ich nämlich im Keller, und ich bin durchaus gewillt, ihm die (für viele Menschen übertrieben lange) Lagerzeit von 10-15 Jahren zu gewähren. Ob dann noch jemand blind einen Gutedel erkennen würde? Ich gebe dem Château d’Arbalète jedenfalls 6 Punkte für Eleganz und 7 für Charakter, was nach Adam Riese nichts anderes als 16 Gesamtpunkte bedeuten kann.

Wie sieht es mit Euch aus? Habt Ihr schon öfter Weine aus der Schweiz getrunken? Gar einen Dézaley? Und für Experten: Welches ist für Euch der spannendste, herausforderndste Schweizer Weißwein, den ich unbedingt probieren muss?

Dieser Beitrag wurde unter Unterwegs, Wein abgelegt und mit , , , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

7 Antworten zu Gutedel aus der Spitzenlage: Dézaley vom Genfer See

  1. nata sagt:

    Expertin bin ich ganz und gar nicht, aber Dézaley habe ich schon oft getrunken. Ich finde diese Abwesenheit von Frucht und Säure generell sehr typisch für Schweizer Weine und ich habe mich im Lauf der Jahre daran gewöhnt. Da ich meine Ferien gerne in Graubünden verbringe, wurde mir gesagt, der Completer aus der Bündner Herrschaft (wo Du ja auch kürzlich erst warst) sei etwas Besonderes unter den Schweizer Weinen. Hier habe ich ihn mal am Rande erwähnt: http://pastasciuttablog.blogspot.de/2010/01/echt-ein-weinland.html

    • chezmatze sagt:

      Jaa! Den würde ich gern einmal trinken. Meinetwegen von Boner, aber am liebsten von von Tscharner. Diese Adeligen immer. Der Wein muss nämlich wirklich eine richtig feine, peinigende Säure haben. Leider habe ich ihn noch nirgends gesehen, geschweige denn getrunken. Aber es muss ja auch mit über 40 noch Ziele im Leben geben 😉

  2. jens sagt:

    Hallo Matze!

    Das mit dem Ruf der schweizer Weine ist so eine Sache. Ich war jedenfalls total von den Tessiner Merlots begeistert. Ja klar: Die sind auch teuer, aber was sind das auch für (man verzeihe mir den Ausdruck) geile, hedonistische Weine die genau die richtige Menge Mineralität (eigentlich ziemlich viel sogar) und Lokalkolorit besitzten, dass sie niemlas in den Allerweltskitsch vieler anderer Merlots aus der ganzen Welt abgleiten. Tessiner Merlots sind absolut eigenständige, authentische Weine mit sehr hohem Genussfaktor, die auch keine “Sau” kennt – wahrscheinlich so wie Deinen verkosteten Gutedel aus der Schweiz. Aber was solls! Allerweltstrinker lesen Deinen Blog doch sowieso nicht Matze!

    Also bitte weiter so – mit individuellen Weinen die in der Lage sind, die oftmals festgefahreren Ansichten und Meinungen der Trinkerschaft in ihren Grundmauern zu erschüttern……. 😉

    Herzliche Grüße Jens…..und wenn Du wieder in der Ecke bist…..Du hast ja meine Nummer….

    • chezmatze sagt:

      Merlots aus dem Tessin gab es in dem Laden natürlich auch, aber ich dachte mir, “ach, Merlot…”. Hätte ich vielleicht nicht tun sollen. Aber dafür habe ich jetzt im Keller je ein Fläschchen sortenreiner Weine aus dem Wallis (an die Herstellernamen kann ich mich gerade nicht erinnern). Als da wären an Rebsorten: Humagne Rouge, Humagne Blanche, Petite Arvine, Amigne, Cornalin und Heida. Ich glaube, die sollte ich alle besser noch liegen lassen, das sind Weine, die Harmonisierungszeit mögen. Wahrscheinlich wie die Schweizer selbst.

  3. Wie schön, dass Du hier eine Bresche für das Weinland Schweiz schlägst. Viele Regionen kenne ich nicht, doch dafür kann ich Dir, wie Jens, die Tessiner Weine ans Herz legen – und nicht nur die Merlots. Es gibt mittlerweile aufstrebende Winzer, die ausgezeichnete Weine hervorbringen – auch die alteingesessenen Winzer nicht zu vergessen, wie z.B. die Familie Klausener, über die ich hier erzählte:
    http://www.tisalutoticino.blogspot.ch/2012/09/grotto-sassalto-caslano.html

    Viele Grüße aus dem Tessin
    Sabine

  4. Roland Graf sagt:

    Lieber Matze,

    da kann ich guten Gewissens den Blaise Duboux empfehlen (Kostnotiz und andere Schweizer Weine unter: http://www.wiener-online.at/2011/09/schweizer-wein-gruezi-im-glas/), vor allem, wenn er selbst die Weine vorstellt. Verständig und uneitel bringt er aus allen Gebieten feine Weine. Und die gibt es praktisch überall, wie ich aus meiner schönsten Schweiz-Wein-Erfahrung berichten kann: Zwei Wochen im Schulungszentrum der Winterthur-Versicherung am Rhein brachten zu jeder Mahlzeit im Seminarzentrum je zwei Weine aus dem Eidgenössischen auf den Tisch. Nur wenige waren nicht von einer Qualität, die ein zweites Glas nicht gerechtfertigt hätte. Was momentan ein wenig gehypet wird, aber auch gekostet werden sollte, weil man eine entfernte Verwandtschaft mit den alpineren Traminern Südtirols erschmecken kann (allerdings Rosenseifen-frei :-)) ist der Heida von Chandra Kurt aus der gleichnamigen alten Traube und einem der höchsten europäischen Weingärten. Sehr ungewöhnlich und mittlerweile aber auch in Deutschland fallweise erhältlich, wie ich glaube. Auch wenn’s um Schweizer Weine geht, kein Grüezi, sondern ein “Servus” aus Österreich als Abschluss, Roland

  5. Pingback: Natürlicher Dienstag #11 - Domaine de Beudon 2002 - Chez MatzeChez Matze

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.