500 Meter Karibik

Nachdem ich jetzt schon zwei Levi-Roots-Saucen auf dem Tisch stehen habe und die doch gelegentlich etwas fade Kost damit würze, wurde es Zeit, auch mal das karibische England direkt aufzusuchen. Gar nicht so leicht, der englische Südwesten ist nämlich ausgesprochen weiß, um nicht zu sagen blass mit roter Nase. Zum Glück gibt es in Bristol die Stapleton Road, in der sich mindestens fünf kleine Supermärkte mit karibischen Produkten, mehrere Imbisse, zwei Restaurants und ein Reggae-Laden befinden. Selbiger war unsere erste Anlaufstation.

Aus meiner Erfahrung sind kleine Musikläden (wollen wir hoffen, dass sie nicht aussterben – kauft weiter CDs dort! Das ist ein persönlicher Aufruf) eine hervorragende Möglichkeit, sich in einer Nachbarschaft zurechtzufinden. Einerseits kann man sich ohne große Umstände an die Theke lehnen, der Musik zuhören, nach “dem unvermeidlichen” oder “dem neuesten” Tonträger fragen und einfach ein wenig plauschen. Andererseits kennt sich der Inhaber meist gut im Viertel aus. Selbiges traf auch hier auf den sehr netten Besitzer von Genesis Muzik zu. Gut, unvermeidlich war diesmal die “Reggae Love Collection” mit allen Schmusehits aus seiner Jugend, aber wir wurden darin bestätigt, mit der Stapleton Road die richtige Location ausgesucht zu haben, denn hier gibt es neben karibischen auch indische, pakistanische, somalische, nigerianische, afghanische und türkische Läden – und einen der besten, alteingesessenen Fischhändler Bristols.

Die einzelnen Läden aufzuzählen, macht wenig Sinn. Wer zum Shopping in die Stapleton Road kommt, macht sowieso alle durch, von Malik ganz am Anfang der Straße mit seiner unglaublichen Auswahl afrikanischer Wurzeln über den Masala Bazaar mit 10.000 indischen Gewürzen und Knabbereien bis zum SweetMart in der St. Mark’s Road, dem multikulturellen Supermarkt schlechthin, vorn an der Theke auch indische Kuchen, Snacks und sogar vorgekochte Gerichte zum Mitnehmen.

Natürlich hat einiges den Gang in die Einkauftüte gefunden, unter anderem “Chippie’s”, gesalzene jamaikanische Kochbananen-Chips, die etwas abenteuerlich aussehende “Ram-Goat-Soup” in der Packung, indische Pappadums mit schwarzen Pefferkörnern, ein sehr gut schmeckender Hibiskus-Ingwer-Trank (bereits auf der Straße ausgetrunken) und das “Dragon Stout”.

So viel Essen kaufen macht natürlich hungrig, und so kehrten wir ein im “Wa-zo-bia”, einem Schnellrestaurant mit ehemals nigerianischer und jetzt karibischer Küche. Wahrscheinlich hat die Nachfrage aus der Nachbarschaft das Angebot beeinflusst. Der Oxtail mit Rice’n’Peas jedenfalls hat mir wirklich sehr gut geschmeckt, saftig und lange geschmort, und zum Würzen gab es eine ganze Batterie von scharfen, milden, säuerlichen und süßlichen Saucen. Callaloo & Salt Fish waren ebenfalls hervorragend, günstig zudem. Wer wie wir die Erkenntnis gewonnen hat, dass in Läden mit Neonlicht die authentischsten Sachen zu haben sind, wird sich hier sicher zu Hause fühlen.

Jetzt aber zum Dragon Stout, mit 7,5 vol% ungefähr auf dem Niveau des Export-Guinness für den tropischen Markt. Dass die jamaikanische Brauerei Desnoes und Geddes (D&G), die das Bier immer noch in Kingston braut, über Anteile der schwedischen Udiam Holding mittlerweile mehrheitlich zum britischen Getränkemulti Diageo gehört, ist eine der leider üblichen Stories unserer Zeit. Die überraschend gute Bewertung mit einem Score von 68 auf ratebeer (der Internet-Site, die jeder Bierfreak kennen sollte) hatte meine Sorgen gegenüber süßlichen Starkbieren ein wenig verringert. Der etwas seltsam wirkende Flascheninhalt von 284 ml zeigt übrigens, dass man hier dem ehemaligen Mutterland noch sehr nahe ist, es handelt sich nämlich um ein halbes Pint.

Der Test: Dunkel und schaumarm gluckert das Bier ins Glas. Der Geruch erinnert ein wenig an Marmite, den Fleischersatz-Brotaufstrich. Geschmacklich dominieren zuerst eher süßliche Noten, das Röstige ist vergleichsweise wenig zu spüren, Hopfen muss man sich ein bisschen dazu denken. Der Abgang ist für ein solch starkes Bier ein bisschen mager, nur die Bitterkeit kommt langsam durch. Einen Vorteil (wenn man so will) hat das Bier allerdings: Es wirkt harmonisch und auf keinen Fall alkoholisch überladen. Deshalb würde ich es als passenden Begleiter zu scharfen Snacks empfehlen, also Kräckern oder frittierten Erbsen mit Chilli. 12 Punkte als Gesamtnote von mir, keine Katastrophe, aber auch kein Grund, das Dragon Stout gegen beispielsweise den Schroll Bock aus Nankendorf einzutauschen, um unvermittelt mal ein Spitzenbier ins Spiel zu bringen.

Fazit des kleinen Ausflugs in die tropische Welt an diesem doch sehr trist grauen Tag: Bristol ist nicht London, aber 500 Meter Karibik sind doch schon mal ein Anfang.

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