Georgien, das Land am Kaukasus. Der Fußballgott zählt es zu Europa, während man sich als Geograph da nicht so sicher ist. Schließlich grenzt es im Westen (!) an den asiatischen (!) Teil der Türkei. Wie auch immer. Denn alle, die davon erfahren haben, dass ich dort war, sind sofort ins Schwärmen geraten, schließlich sei Georgien eines ihrer noch unerfüllten Reiseziele. Ich hatte mir also vorgenommen, ganz frisch nach meiner Rückkehr sofort davon zu berichten. Zudem ist es ja so, dass man gerade die kleinen Details, die einem bei einer solchen Reise aufgefallen sind, schnell vergisst. Deshalb an dieser Stelle: Georgien in elf persönlichen Details. Wer sich auf konkrete Weingüter und Weine freut, das kommt später.
Was habe ich in Georgien gemacht?
Ich war in Georgien im Rahmen einer Pressereise. Organisiert und finanziert wurde diese Reise von der National Wine Agency Georgiens. Partner in Deutschland und deshalb Zusammentrommler aller Mitreisenden war die Agentur ff.k in Hamburg. Maka Tarashvili hieß unsere Reiseführerin und Übersetzerin vor Ort. Einen Kleinbusfahrer hatten wir auch, dessen Name mir entfallen ist, der seine Sache aber sehr gut gemacht hat. Mit mir unterwegs waren noch Katharina Timm von ff.k, Maike von Galen, Natascha Brand, Jelena Lozo, Stefan Pegatzky, Toni Askitis, Christiane Meister-Mathieu, Niko Rechenberg und Julieta Topuria von der National Wine Agency. Dank und Props an alle – und schaut bitte unbedingt, was die anderen aus dieser Reise gemacht haben und noch machen werden. Ich bin selbst auch schon gespannt.
Ein kleines bémol vorweg, wie die Franzosen sagen. Die Fahrt war kurz und der Radius beschränkt. Wir haben Tiflis besucht, einen kurzen Abstecher in die Region Kartli gemacht und waren dann in Kachetien, bei insgesamt zehn Weingütern. Das ist also bei weitem nicht das komplette Georgien. Ich habe aber während dieser Zeit versucht, so viel wie möglich an Eindrücken aufzunehmen. Konkret bedeutet das: 1.024 Fotos und 6.566 Wörter Notizen. Aber jetzt Schluss mit der langen Vorrede und direkt hinein in meine elf Details.
1. Georgien als uralte Kultur
Die Region zwischen Kaukasus und Zweistromland gehört zur Ursuppe der Menschheit. Heute noch ist die Vielfalt der Völker und Sprachen legendär, leider manchmal auch als Auslöser für Konflikte. Architektonische Zeugnisse gibt es mit vielen Klöstern aus der Hochzeit des unabhängigen Georgiens unter Dawit dem Erbauer und Königin Tamar, teils aber noch deutlich davor. Oben seht ihr das Tympanon eines Nebeneingangs der Klosterkirche Jvari aus dem 6. Jahrhundert, gleichzeitig Weltkulturerbe der Unesco. Normalerweise bin ich ja nicht der Typ »touristische Sehenswürdigkeiten«, aber hey, wäre ich nicht der Arbeit wegen hier, ich hätte gern noch ein paar Klosterkirchen in Bergeinsamkeit gesehen.
2. Georgien als biologischer Hotspot
Ursuppig ist die Kaukasusregion auch in punkto Biodiversität. Logisch, wenn seit 8.000 Jahren Weinbau betrieben wird, haben die Menschen natürlich auch andere Pflanzen angebaut. Auf der Fahrt im Kleinbus nach Kachetien kam mir plötzlich die Erkenntnis, weshalb ich die Natur gar nicht so »exotisch« finde wie vermutet: Granatapfel, Traube, Walnuss, Mandel, Aprikose, Kirsche, Feige, Zwiebel, Knoblauch, Gerste, Weizen, sogar das Schneeglöckchen – alles stammt ursprünglich aus der Gegend zwischen Kaukasus und Nordiran. Weil das mittlerweile in unseren Ess- und Anpflanzkanon übergegangen ist, wirkt die Natur einfach weniger »fremd«, als wenn alles mit Palmen und Papaya bestanden wäre.
3. Georgien als Wiege des Weins
Kommt ihr nach Georgien, werdet ihr bezüglich der Weinkultur sofort mit einer ganzen Klapperschlange an Claims konfrontiert. Die Wiege des Weins. 8.000 Jahrgänge. 525 Rebsorten. Ausbau im Qvevri. Alles davon stimmt, zumindest ungefähr. Unser Guide Maka sieht das weniger extrem. Schließlich seien nicht in Georgien als heutigem Land zum ersten Mal Trauben vergoren worden, sondern in der Großregion allgemein. Aber dennoch: Wenn ihr durch den Rebgarten der Shumi Winery mit seinen 200 Rebsorten streift, werdet ihr ständig wunderbar Unbekanntes entdecken.
4. Georgien als gastronomisches Erlebnis
Zur Sowjetzeit galt Georgien als Traumland schlechthin. Ideales Klima, Gastfreundschaft, großartiges Essen. Supra heißt die typisch georgische Mahlzeit, vielfältig, üppig, gern lang andauernd. Und wir haben das als Gruppe komplett genießen können. Denn je größer die Gesellschaft ist, desto größer auch die Anzahl unterschiedlicher Tellerchen von kalt über warm bis süß. Oben rechts seht ihr Tashmijabi aus Käse und Kartoffelbrei, ein Gericht aus den Bergen Swanetiens. Und links gibt es Kupati, eine Art würzige Innereienwurst aus Adjara, dem subtropischen Westen am Schwarzen Meer. Aber allein der Geschmack von so einfachen Dingen wie Gurken und Tomaten kann einen zum Bleiben verleiten.
5. Die große Zeit von Tiflis
Tiflis ist eine Stadt ohne Parallele im Land, aber auch darüber hinaus. Kurz ausgedrückt: Schaut euch das unbedingt an! Es gibt unglaublich viele wunderbar verzierte Häuser im Stil einer Art orientalischer Gründerzeit (dafür gibt es sicher einen Fachbegriff), Details an jeder Straßenecke, Aufgehübschtes, Abgerocktes, Bäume und Ausblicke. Die Stationen der Metro liegen zwar weit auseinander, das Busnetz funktioniert aber ungeheuer effizient mit Guthabenkarte und LiveApp, zudem kann man problemlos über die Bolt-App mit dem Taxi fahren. Ich fand besonders faszinierend, dass hier alles gleichzeitig zu existieren scheint. Einmal fühlt man sich in eine virtuelle Nachkriegszeit versetzt, dann wieder ist plötzlich alles viel neuer und moderner als bei uns.
6. Sowjetische Überbleibsel
Es müssen nicht immer orthodoxe Klöster sein. Auch die Sowjetzeit hat ein paar echte architektonische Schmankerl hinterlassen. Fans des »soviet brutalism« (also des Rohbeton-Ansatzes) pilgern schon lange nach Tiflis. Oben seht ihr das einzige Gebäude in Tiflis, das ich bewusst vorher kannte. Es handelt sich um den Hauptsitz der Bank of Georgia, früher war es das Transportministerium. Manche dieser Gebäude und Denkmäler befinden sich in keinem guten Zustand, aber wie gesagt, Staunen ist garantiert. Wer Vollständigkeit liebt oder Fotoshootings, die polnische Reisebloggerin Kami hat 55 Orte sowjetischer Architektur in Tiflis dokumentiert.
7. Das andere Leben
Während sich oben am Berg Restaurants und Bars im griechisch-türkischen Clubstil aneinanderreihen, gibt es in Tiflis auch etwas alternativere Orte. Bu & Khari oder Kancellaria oder Snobs sind immer ein bisschen arty, es gibt immer schmackhafte Häppchen und georgischen Natural Wine. Schaut euch aber ruhig auf Instagram um oder strolcht einfach durch die Straßen. Plakate und Hauseingänge weisen den Weg.
8. Luxus und Geld
Georgien hat ja diesen Transformationsprozess durchgemacht. Einstmals als Grusinische SSR der südliche Außenposten des sowjetischen Kolonialreiches, standen viele Betriebe danach vor dem Nichts. Wer sich dann für Appel und Ei solch marode Kolosse gesichert hat, verfügte meist über Kontakte im Fairen wie im Schmu, gern auch zu einstigen Profiteuren des früheren Regimes. War übrigens in der Bundesrepublik der 1950er Jahre auch nicht so viel anders. Jedenfalls strahlen viele größere Unternehmen in Georgien diese Atmosphäre des alt-neuen Geldes aus. Daneben gibt es mittlerweile allerdings auch jede Menge mittelschichtigen Unternehmergeist. Wir haben Weingüter solchen und solchen Stils besucht, die Vielfalt macht’s und schärft den Blick.
9. Russland als Gegner und Ernährer
Auf dem Foto oben seht ihr die Straße, die Tiflis mit Wladikawkas verbindet, der Hauptstadt der russischen Teilrepublik Nordossetien-Alanien. Wer sich auf Streetview die Grenzanlagen mit den riesigen Schlangen an Lkws und den russischen Touristen angeschaut hat, ahnt, dass Georgien und Russland immer noch einiges verbindet. Klar, einmal als Gegner beim Georgienkrieg 2008. Formell besitzen beide Staaten weiterhin keine diplomatischen Beziehungen zueinander. Plakate und Wandmalereien in Tiflis, die die georgisch-ukrainische Freundschaft und die Ablehnung Russlands zum Thema haben, werdet ihr in großer Zahl sehen.
Dann gibt es aber auch die ökonomisch-private Seite. Die Russen lieben Georgien und kommen gern zu Besuch. Sie lieben auch georgischen Wein, rot und halbtrocken zumeist, aber immerhin. 70% der georgischen Weinproduktion gehen auch im Jahr 2023 noch nach Russland. Das russische Weinembargo von 2006 zeigte aber, wie volatil diese Abhängigkeit von einem einzigen Kunden sein kann. Deshalb wollen die Georgier auch hinaus in die Welt mit ihren wirklich spannenden Produkten. Aber das ist nicht so ganz leicht. Ein Winzer sagte mir dazu: »Die Russen kennen unsere Weine, denen muss ich nichts erklären, sie kaufen sie einfach. Woanders muss ich immer erst bei Adam und Eva anfangen.« Eine komplexe Sache in jeglicher Hinsicht.
10. Alles Qvevri?
Qvevris, die in den Boden eingelassenen Tonamphoren, sind das große USP des traditionellen georgischen Weinbaus. Normalerweise verbringt der vorher mit den Füßen zerstoßene Most hier sechs Monate, bevor die Feststoffe zu Boden gesunken sind und der Wein in ein anderes Gefäß abgezogen werden kann. Wer denkt, dass man auf diese Weise keine »sauberen« Weine erzeugen kann, sollte sich einmal in Georgien umschauen. Ich habe wahrscheinlich mehrere Dutzend richtig gute Qvevri-Weine dort probiert. Ja, natürlich existieren gelegentlich Hygieneprobleme und Flaschenvariationen. Aber interessanterweise war unter den Weinen, die Lisa Granik für ihren jährlichen Guide to Georgian Wines getestet hat, die Fehlerquote bei den Stahltankweinen größer als jene bei den Qvevri-Weinen… Letztere machen übrigens nur 3% der georgischen Weinproduktion aus. Zu aufwändig, zu handwerklich, zu kleine Mengen für Massenerzeugnisse.
11. Klein und groß im Weinbau
Oben seht ihr unsere Maka links und Giorgi Chonishvili von Chona’s Marani rechts. Das war vermutlich der für alle berührendste Besuch der ganzen Reise, denn Giorgi und seine Frau Elena brachten uns durch den wahrhaft wilden Garten schlicht in ihr Wohnzimmer zum Verkosten. Weil sie keine Spucknäpfe hatten, gab es Emailschüsselchen, in denen sonst das Gemüse geputzt wird. Und die Weine waren richtig gut.
Sohn Mikheil, im weiteren Leben Sänger des Alilo-Chors (Mikheil ist der größte der Sänger), war mit der Ernte beschäftigt, seine Frau designt die Etiketten, alles eine Familienangelegenheit. Mehr als 3 ha gibt es nicht, die Weine kommen sämtlich ins Qvevri und werden unfiltriert und ohne önologische Hilfsmittel abgefüllt. So großartig und persönlich, wie der Besuch war, bin ich trotzdem froh, auch moderne (italienische) Pressen und Tanks gesehen zu haben – nur halt mit georgischen Rebsorten. Was die Weingüter nämlich trotz ihrer Verschiedenheit geeint hat, das ist der Anspruch, alles im Rahmen des eigenen Kanons so gut wie möglich zu machen. Georgien will in die Fine Wine-Liga, und wir haben eine Ahnung davon bekommen, wie so etwas funktionieren kann.
Warum ich nochmal wiederkommen muss
Da sitzt er auf seinem Pferd und schaut in die Ferne, König Erekle der Zweite. Würde er seinen Blick ein wenig nach links wenden, hätte er die Möglichkeit, in die Bergwelt des Kaukasus hineinzuschauen. 5.000 Meter hohe Berge, schneebedeckt. Das wollte ich auch tun, und ehrlich gesagt hatte ich vor der Reise gedacht, dass dieser Wunsch relativ leicht zu erfüllen ist. Aber nichts da. In Diesigkeit und Dunst verbargen sich die Gipfel, aufgelockert nur durch einen Gewitterguss, der statt freier Sicht tiefe Wolken zurückließ.
Als ich hier so sinnierend von der Burg in Telawi hinunterschaue, kommt mir deshalb spontan der Gedanke, dass mein Georgienkapitel erst fertig sein KANN, wenn ich den Kaukasus gesehen habe. Also muss ich wiederkommen. Nicht nur der Berge wegen natürlich. Tiflis ist so eine eigenständige Stadt, die anderen Weinregionen wie Imeretien oder gar Racha-Lechkhumi besitzen noch einmal ganz andere Rebsorten, Stile und Philosophien. Und schließlich gibt es auch das Schwarze Meer, das ich tatsächlich das letzte Mal von Istanbul aus gesehen habe – samt der Fische, die ich in dem irrwitzigen Artikel gezeigt habe, der ein bisschen meinen Ruf geprägt hat…
Wie lautet also das Fazit? Kommt nach Georgien, zum ersten, zweiten, dritten Mal. Ich werde es auch tun, es lohnt sich.
Hallo Matthias,
danke für Deine Eindrücke aus Georgien. Den Link habe ich direkt an eine Bekannte geschickt, die gerade in Georgien ist. Mal sehen, ob ich da selber mal hinkomme.
Unseren Weinzirkel zu einer Georgien-Probe zu bewegen, wird ein dickes Brett…
Die Herren sperren sich nämlich gegen maischevergorene Weißweine. Reines Kopfkino, wenn Du mich fragst. Denn wenn ich solche Weine ohne Vorankündigung mit passendem Essen auf den Tisch stelle, finden sie die wieder interessant.
Ich bin jedenfalls sehr gespannt auf Deine zu erwartenden Rebsorten-, Wein- und Weingüter-Tipps.
Beste Grüße aus dem Georgien Italiens: Der Garfagnana. Hier gibt’s auch Sorten, die gibt es offiziell gar nicht: Barsaglina, Durella, Pugnitello, Foglia Tonda, Luadga, Pollera della Lunigiana, Vermentino Nero, Malvasia Nera u.a.
Davon werden nur Fingerhüte voll erzeugt. Also kommt man nur schwer dran. Und die Versandkosten aus Italien sind leider abschreckend.