Weinsalon Natürel – Es passiert doch was in Deutschland

Weinsalon Natürel 2024 Surk-ki & me

Im Sommer des Jahres 2010 habe ich in Köln-Ehrenfeld gewohnt. Um die nächste Straßenecke gab es einen Laden, »La Vincaillerie«, der angeblich vin naturel im Angebot hatte. Ich ging also hin, aber sie hatten noch gar nicht eröffnet. Stattdessen schleppte Inhaberin Surk-ki Schrade (die jetzige Chefin des Weinsalon Natürel) gerade Flaschen in einen Kühlcontainer, den sie gemietet hatte. Also half ich ihr dabei. Surk-ki lebte zur Hälfte in Frankreich und meinte, da sei die Naturwein-Bewegung schon richtig groß. In Deutschland würde noch absolut niemand sowas machen. Sie hätte schon so viel rumgefragt, aber: Nada. Heute, wir springen flugs ins Jahr 2024, stellen Winzer:innen aus Deutschland die größte Gruppe beim Weinsalon Natürel. Einige davon habe ich mir angeschaut.

Der Weinsalon Natürel 2024

Seit einigen Jahren hat sich der Termin der Naturwein-Messe etabliert – immer samstags vor und sonntags bereits parallel zur ProWein. Obwohl diese beiden Welten grundsätzlich immer noch relativ weit voneinander entfernt sind, kann man mittlerweile bei der Prowein durchaus wilde, ungeschwefelte Weine finden. Bei Surk-ki auf dem Weinsalon Natürel hingegen sind, nein, nicht etwa stattdessen nun die konventionellen sprich »önologisch betreuten« Weine am Start, aber der Hardcore-Aktivismus der Anfangszeit ist vielleicht nicht mehr ganz so präsent. Sprich: Es werden auch Weine mit geringer Schwefelgabe akzeptiert, kenntlich gemacht auf einem Schild über dem entsprechenden Weingut. Für mich wäre darüber hinaus natürlich auch eine Bio- oder Biodyn-Zertifizierung interessant.

Weinsalon Natürel 2024

Tatsächlich aber merke ich, dass ich bei meinem Rundgang gar nicht so stark auf solche Kategorien achte. Vielmehr ist es so, dass man ziemlich schnell das Gefühl bekommt, es wüssten ohnehin alle Winzer:innen hier, was sie tun. Zum Beispiel sich jede Menge Gedanken nicht nur um den Ausbau, sondern vor allem auch um den Anbau machen. Lebendiger Boden, Überwindung der Monokultur, Biodiversität, das sind keine Worthülsen, sondern es stehen überall konkrete Maßnahmen dahinter.

Stephan Krämer, Taubertal

Stephan Krämer

Ein solcher Bodenfreak ist Stephan Krämer (schreibt sich nicht ae, sondern ä; liebe Weinhaendler, aendert das doch bitte mal in euren Prospekten…). Wahrscheinlich könnte man sich bei ihm stundenlang darüber informieren, was er tut und wieder Neues festgestellt hat. Was ich Neues festgestellt habe bei ihm, das ist nicht nur der Hut (kann man machen als Winzer, wenn man möchte), sondern die neuen Etiketten mit Pflanzen oder Tieren aus den Weinbergen. Auf dem »Silvaner Alte Reben«, den Stephan in der Hand hält, erkenne ich beispielsweise den Libellen-Schmetterlingshaft. Nie wüsste ich von dessen Existenz, hätte ich die schnellen Flieger nicht selbst im Taubertal schon gesehen.

Zwei Weine möchte ich darüber hinaus empfehlen (ich bin geschmacklich schon ein bisschen auf Frühling eingestellt). Einmal den »Keuper & Kalk« 2022, eine Cuvée aus Bacchus, Müller-Thurgau und Johanniter, wenn ich das richtig behalten habe. Frisch und hefig, braucht anders als manch anderer Krämer-Wein überhaupt keine Anlaufzeit und ist mit 10 € die Flasche ein Sommerspaß mit Anspruch. Beim zweiten Wein handelt es sich um einen Rosé aus Pinot Meunier, sprich Schwarzriesling. Ausgebaut in gebrauchten Barriques aus dem Burgund, dazu 15% Trauben aus intrazellulärer Gärung, ein geschmeidiger, edler, lässiger Vertreter.

Konni & Evi, Saale-Unstrut

Weinsalon Natürel 2024 Konni & Evi

»Das ist aber noch gar nicht nicht das richtige Etikett.« Stimmt Konni, aber was wir beide nicht ahnen: Ich schaffe es tatsächlich, weder das stiftbemalte Etikett noch den Winzer selbst scharf zu stellen. Im übertragenen Sinne richtig scharf ist allerdings das, was sich in der Flasche selbst befindet. Ziegental 2021, aus dem östlichen Teil der Karsdorfer Hohen Gräte, 90 Jahre alte Reben, Ertrag von 15 hl/ha, ein Kandidat fürs Weltkulturerbe also. Der Wein wirkt genau, wie man sich das von so einem besonderen Gewächs erhoffen kann, nämlich alles andere als vordergründig. Kaum Frucht, distanziert, glatt, still, tief und irgendwie erhaben. Erinnert mich ein wenig an uralte wurzelechte Mischsätze, und so weit sind wir davon auch nicht entfernt.

Da ihr mich ja als Silvanerfreak kennt, möchte ich bereits an dieser Stelle auf etwas hinweisen: Am 3. August veranstalten Konni & Evi ein großes Silvanerfestival mit (derzeit) 16 Silvaner-Weingütern in Vitzenburg. Wer vorher schon einmal schauen möchte, wie die Weinberge in der aus südwestdeutscher Sicht definitiv unterbelichteten Region Saale-Unstrut aussehen, hier noch einmal der Link zu meinem Rundfahrt-Artikel.

Carl Koch, Rheinhessen

Weinsalon Natürel 2024 Carl Koch

Carl Koch war Ende des 19. Jahrhunderts Bürgermeister von Oppenheim südlich des Roten Hangs. Obwohl das Weingut weiter in Familienbesitz ist, werdet ihr dort also bei einem Besuch keinen Carl Koch mehr antreffen können. Dafür aber Agustin Novoa, den argentinischen Kellermeister und Betriebsleiter, der nach mehreren Weltumrundungen seit einigen Jahren in Rheinhessen gelandet ist. Und jetzt beim Weinsalon Natürel.

Rheinhessens Parade-Rebsorte ist immer noch der Riesling, und den gibt es hier in mehreren Erscheinungsformen. Einmal als PetNat der spannenderen Form zusammen mit Scheurebe. Aromatisch extrem interessant, Mandarine, Honigmelone, leichter Grip, echt lecker. Dann gibt es aber auch noch den ganz leicht geschwefelten Stillwein namens »Na.ck.isch« aus dem 1968er (= 56 Jahre alten) Holzfass. Jenes bringt erst die richtige Raffinesse mit hinein. Man schmeckt ganz eindeutig den Riesling, aber der Wein ist trotzdem strukturiert, unterfüttert. Ein ausgesprochen schönes Exemplar.

&Handwein, Pfalz

&Handwein Eric Carstensen

Wo wir grad bei edler ausgerichteten Produkten sind… Die Weine von Eric Carstensen (&Handwein, logischerweise ohne Website) sind exakt das. Eric ist eine Art umfassender Künstler und Veranstalter, ansässig in Mannheim. Dort steht auch seine kleine urban winery, deren Trauben von alten Pfälzer Weinbergen stammen. Weshalb Eric so präzise arbeitet, weiß ich auch nicht, aber er tut es definitiv. Drei seiner vier Weine, die er mitgebracht hatte, besaßen überhaupt keinen zugesetzten Schwefel, auch sonst keinerlei Behandlungsmittel, und waren trotzdem völlig »sauber«, wie es so schön heißt. Ich hatte Erics Weine schon öfter probiert und auch darüber geschrieben, ihn selbst jedoch noch nie getroffen.

Das hätten wir hiermit also endlich abgehakt. Diesmal tatsächlich am besten gefallen hat mir der Wein mit dem großen & auf dem Etikett. Er heißt »Equinox II« und besteht aus 65% Riesling, 30% Grauburgunder und 5% Gelbem Muskateller. Eric macht die Kombination aus drei Rebsorten eigentlich jedes Jahr, ändert aber manchmal den aromatischen Part. Die drei Sorten wurden erst getrennt ausgebaut und kamen dann noch einmal für vier Monate ins Barrique. Das Ergebnis ist ein komplexer Wein, würzig, dicht, geschmeidig, mit Aromen nach Banane und Orange – und trotzdem einer wunderschönen Lebendigkeit. 24 € kostet der Equinox II, und das ist er absolut wert. Eigentlich müssten Erics Weine ihrer Qualität und Individualität wegen viel bekannter sein, aber die Mengen sind halt sehr gering…

Enderle & Moll & [trub:stoff], Baden

Weinsalon Natürel 2024 Trubstoff Enderle & Moll

Stand eine Frau unter dem Schild von Enderle & Moll und fragte mich, was ich denn probieren möchte, die Stillweine oder auch die PetNats. »Eigentlich nur die Stillweine«, antwortete ich, bevor ich hörte, dass ausgerechnet sie diejenige ist, die die PetNats herstellt. In dem Fall… »äh, natürlich auch die PetNats«. Géraldine Bollmann heißt die Frau, [trub:stoff] ihr Projekt, und nachdem sie die Partnerin von Florian Moll ist, handelt es sich selbstredend um eine family affair. Drei Sprudler gibt es im Programm, die von denselben Trauben kommen wie die Stillweine.

»Troubadour« heißt die Version aus Müller-Thurgau, die mir wirklich gut gefällt, weil sie so individuell ist. Der Wein hat durchaus Struktur und besitzt eine rauchige Note, als ob jemand mit dem Zigarillo im imaginären Fass gesessen hätte. Sicher sehr spannend mit Speisen zu kombinieren. Der »Propeller« besteht hauptsächlich aus Kerner mit etwas Weißburgunder, ist weißer, straighter, blütiger. Géraldine meint, der Wein hätte zu Anfang eine attraktive Aprikosenfrucht gehabt, die jetzt zugunsten der Komplexität mehr in den Hintergrund tritt. Lebendige Weine halt. Die »Diva« ist theoretisch ein Rosé aus Pinot Noir, hat aber trotz kurzer Maischestandzeit unheimlich viel Farbe aus den Schalen gezogen. Rosenanklänge, sehr geschmeidig. Wer die Enderle & Moll-Stillweine haben möchte, mein persönlicher Tipp: Geht gleich hoch ran und besorgt euch Muschelkalk oder Buntsandstein. Das sind richtig große Lagenweine.

Winzerhof Linder, Baden

Winzerhof Linder

Dem Winzerhof Linder und natürlich auch Ronald Linder selbst eilt ein Ruf voraus, der weit über das Produzieren von Weinen hinausgeht. Hier werden Dinge ausprobiert, die »eigentlich« nicht funktionieren und daraus wieder Erkenntnisse gewonnen, die viele junge Winzer:innen sehr zu interessieren scheinen. Jedenfalls haben mir schon mehrfach Leute gesagt, schau doch mal zum Winzerhof Linder, was die so machen. Was sie so machen, erzählt mir Ronald kurz am Stand (natürlich wäre ein »echter« Besuch da noch deutlich erhellender).

Beispielsweise versuchen sie seit fünf Jahren, komplett pestizidfrei zu arbeiten, und das mit traditionellen Rebsorten. Im schwierigen Jahr 2021 hätte das zu 95% Ernteverlust geführt. Ronald meinte aber, im Nachhinein sei ihm aufgefallen, dass derartige Jahre wie 2006, 2011, 2016 und eben 2021 möglicherweise in gewissen Rhythmen auftreten, also vielleicht alle vier bis fünf Jahre. Ob man dann so einen Totalausfall von vornherein mit einkalkuliert und akzeptiert, ist natürlich eine persönliche Entscheidung. Aber jedenfalls äußerst interessant.

Ich probiere auch die Weine, drei deutlich gerbstoffhaltige Weiße, die (und das kann ich wirklich einmal ausprobieren) hervorragend zu guten Tacos funktionieren sollen. Zum Schluss noch so ein crazy stuff: »Gesammelte Permakultur«, also verschiedene Obstsorten, pflaumendominiert, säurekrass, und dann aufgefüllt mit Sake, der ja bekanntlich wenig Säure in sich trägt. Das Ergebnis ist ein hochkomplexer Trunk mit Frucht, Säure, Hefe- und Reis-Elementen. Sowas gibt es also ebenfalls beim Weinsalon Natürel.

2Naturkinder, Franken

2Naturkinder

Die 2Naturkinder, namentlich Melanie Drese und Michael Völker, sind auch so ein Weingut, bei dem ein Besuch mit anschließender Diskussion unheimlich erhellend wirkt. Im letzten Sommer hatte es endlich geklappt. Zunächst kam Michael, um seine Weine bei der Masters of Wine-Frankentour vorzustellen, und dann kamen wir im Rahmen des »Best of Gold« noch zu ihnen. Wenn ihr euch nur ein bisschen dafür interessiert, was im Weinberg passiert, wie man auf sich verändernde Bedingungen reagieren oder diese gar antizipieren kann, hier gibt es immer wieder Neues zu erfahren.

Jetzt wäre es aber müßig, bei einem Weingut lediglich auf dessen tolle Weinbergsarbeit hinzuweisen, denn Wein trinkt man eher aus hedonistischen Gründen. Muss also schmecken. Und das tun die Weine der 2Naturkinder auch. Oben auf dem Foto seht ihr die neuen Etiketten, hinter denen sich alte Bekannte verbergen. Die »drei Freunde« linkerhand zum Beispiel aus Bacchus, Müller-Thurgau und Silvaner oder »Vater und Sohn« daneben, bei dem der Bacchus fehlt. Oder auch die roten »Black Betty« und »Fledermaus«. Das sind leichte (alle unter 12 vol%), ungemein trinkfreudige, zugängliche Weine, dennoch vollkommene Naturals und mit Anspruch bereitet. Dieses Weingut sollte (ich sagte es bereits bei Eric Carstensen) hierzulande eigentlich viel bekannter sein. Probiert also einfach mal etwas von ihnen!

Kurzbesuche auf dem Weinsalon Natürel 2024

Weinsalon Natürel 2024 Köln

Zum Schluss noch ein Schnelldurchlauf beim Weinsalon Natürel mit ausgewählten Weinen. Oben links seht ihr Sebastian Lehner, wobei diesmal gerechterweise der Winzer scharf geworden ist und nur das Etikett nicht. Letzteres gehört dem Gelben Muskateller. Obwohl die Trauben acht Tage lang auf der Maische lagen, ist das ein überraschend, nun ja, leckerer Wein geworden. Vielleicht deshalb, weil die Trauben nur sanft mit den Füßen angestampft wurden, so dass die Gerbstoffe lediglich ganz fein übergegangen sind. Demeter, ungeschwefelt, ungefiltert, 12 € ab Hof. Wow.

Rechts daneben der Riesling von Max Dexheimer. Max unterhielt sich gerade mit anderen Gästen, weshalb ich nichts zu den Weinen sagen kann, außer dass sie gut gelungen sind. Der 2021er Riesling ist frisch, trüb, nicht zu karg, aber konsequent trocken. Der 2020er bringt jahrgangsgemäß ganz andere Qualitäten mit, reif, dicht, rauchig, mehr Substanz. Wer es puristischer liebt, sollte den 21er versuchen.

Links unten gibt es ein buntes Etikett und einen Rotwein namens »Loquilla«. Das hilft selbstverständlich überhaupt nicht weiter. Dahinter stecken Les Rêves Oubliés, Nadia und Maxime aus der Auvergne, die auf ultra-vulkanischem Boden den lokalen Gamay St-Romain anbauen. Der Loquilla stammt vom Basalt, eher die Ausnahme dort, und kann mit rescher Säure und einer typisch vulkanischen Fruchtpikanz punkten.

Schließlich noch rechts unten der Weißwein »Santimenti« vom bulgarischen Weingut Zagreus. Ich hatte Dimitar und Elisabeth in der Nähe von Plovdiv besucht auf einem meiner abenteuerlicheren und letztlich großartigen Reisetrips. Shopping in Sofia und Wandern im Nationalpark inklusive. Dimitar steckt voller ungewöhnlicher Ideen, macht sich ganz eigene Gedanken, und es ist immer unglaublich spannend, sich mit ihm zu unterhalten. Wein kann er aber auch. Einer der Beweise ist dieser Weiße aus Rkatsiteli und der selten gewordenen lokalen Rebsorte Dimyat. Dimitar hat die Trauben ganz früh eingebracht, und bei einem pH-Wert von 3,0 ist das ohne Schwefel absolut stabil. Es gibt auch eine leicht geschwefelte Version, beide erfrischend, geschmeidig, mit Rückgrat, tolle Weine – und sie werden in Kürze in Deutschland zu haben sein.

Au revoir Weinsalon Natürel

everlasting rusting love

Bleibt mir zum Schluss nur, mich zu freuen, was ich hier alles probieren konnte und zu bedauern, was ich alles nicht geschafft habe. Dank ProWein-Engagement und Abneigung vor allzu großer Völle hatte ich ja nur rund drei Stunden in Köln zur Verfügung. Wer noch nie dort war (ja, Köln auch, aber ich meinte den Weinsalon Natürel im Speziellen), sollte sich den Termin nächstes Jahr ganz dick ankreuzen. Es passiert nämlich doch was in Deutschland, und hier kann man die Fortschritte jedes Jahr sehen.

Wer hingegen noch ein richtig gutes Symbol für das Gegenteil, nämlich »Love in Chains – verrostet und vergessen« sucht, darf sich direkt beim Hauptbahnhof gern mal die Hohenzollernbrücke anschauen. Finde ich irgendwie auch beeindruckend.

Dieser Beitrag wurde unter Natürlicher Dienstag, Wein abgelegt und mit , , , , verschlagwortet. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert.