Barbaresco – unterwegs zum zweitbesten Wein Italiens

Barbaresco

Es gibt ein altes Sprichwort im Piemont, das lautet “wer B sagt, muss auch B sagen”. Die beiden Bs stehen für Barolo und Barbaresco, die zweieiigen Zwillinge, die Crème de la Crème des italienischen Rotweins. Beide werden aus einer einzigen Rebsorte hergestellt, dem Nebbiolo. Beide sind gleichzeitig herb, kraftvoll, fordernd, enorm langlebig. Etwas für Fortgeschrittene. Barolo gilt dabei weltweit als die Nummer Eins, weil das Gebiet mehr als doppelt so groß ist, weil die Regularien noch ein Jahr längeren Ausbau vorschreiben und weil es mehr kauzige Kultwinzer gibt. Barbaresco hängt sich imagemäßig eher die Silbermedaille um, trotz »Angelo Nazionale« Gaja, und obwohl Weinautor Ian d’Agata nicht müde wird darauf hinzuweisen, dass ein generischer Barbaresco in der Mehrzahl der Fälle besser ist als ein generischer Barolo. Wie auch immer, ich war dort – in Barbaresco, dem Ort, in Barbaresco, dem Weinbaugebiet. Hier folgen meine Erlebnisse.

Welcome to Barbaresco!

Nebel Treiso Barbaresco Nebbiolo

Wer sich jemals gefragt haben sollte, ob die Rebsorte Nebbiolo irgendwas mit dem italienischen Wort für Nebel (nebbia) zu tun hat, sollte einfach mal ins Piemont kommen. Genauer gesagt in die Langhe, ein Hügelgebiet rund ein Stündchen südöstlich von Turin. Mein erster Morgen in Treiso, einem auf einer 400 Meter hohen Hügelkuppe gelegenen Dorf im Barbaresco-Gebiet, hält genau das bereit: Nebel. Es wird die ganze Woche Ende September immer wieder Nebel geben. Manchmal hält er sich zäh, manchmal zieht er überraschend fort. Manchmal regnet es auch aus Eimern, und wenn die Sonne kommt, dann sticht sie. Mein Gastgeber behauptet, das wäre eigentlich immer so. »Im Herbst kannst du dich nie auf das Wetter verlassen«. Vielleicht ist dieses Unstete, dieses Risiko ja auch ein Grund dafür, weshalb die Weine hier so großartig werden. Man muss sich halt viel Mühe geben.

Was mir sofort auffällt, und dafür genügt ein Blick aus dem Fenster: Es gibt praktisch keinen geraden Meter in Barbaresco. Die steilen Hügel stehen in alle Richtungen, und fast immer sind sie auch mit Reben bewachsen. Die Einzellagen zeigen dabei immer zumindest grundsätzlich nach Süden, gern auch nach Südwesten. Auf den weniger günstig exponierten Hängen wachsen oft andere Rebsorten, Barbera, Dolcetto. Praktisch ausschließlich Rotwein wird hier erzeugt. Richtige Orte gibt es im Barbaresco übrigens kaum. Das gleichnamige Dorf besitzt offiziell 609 Einwohner, die Einzelgehöfte drum herum eingeschlossen. Nur Neive dient als eine Art Zentrum für die Einheimischen. Allerdings nicht der romantische und viel besuchte Altort auf dem Hügel, sondern die Plansiedlung im Tal. Dort gibt es den einzigen Supermarkt im Barbaresco-Gebiet, einen Bahnhof und drei Pizzerie.

Die teuersten Weine aus Barbaresco – die Gaja-Parzellen

Gaja Sorì Tildin & Costa Russi

Über Angelo Gaja gibt es einen deutschprachigen Wikipedia-Artikel, und da er ihn anders als manche Semi-Promis nicht in Auftrag gegeben hat, ahnt man schon: Der Mann besitzt eine gewisse Bedeutung. Die derzeitige Website des Weinguts ist allerdings eher schlicht gehalten: Name, Anschrift, Telefonnummer, Email-Adresse, das war’s. Wenn man möchte, kann man aber relativ gut herausfinden, wo die berühmten Gaja-Einzellagen sind. Auf dem Foto oben stehe ich beispielsweise genau hier und blicke virtuell auf drei Gaja-Barbareschi. Bei mir oben befindet sich die Lage Sorì Tildin. Die Straße schließt zwei Parzellen ein, aus denen ein Teil des generischen Barbaresco geholt wird. Unter der Straße wiederum liegt in Querreihen Costa Russi. Und genau das schaue ich mir jetzt an.

Gaja Costa Russi Barbaresco Erosion

Auf den ersten Blick wird deutlich, dass dieser Weinberg offenbar unter dem Starkregen der vergangenen Zeit sehr gelitten hat. Alles ist wahnsinnig schlammig, der Lehm klebt an den Schuhen, und man sieht die Rinnen, in denen das Wasser zum kleinen Bachlauf heruntergeschossen ist. Ich weiß auch nicht, aber irgendwie fühle ich hier nicht diese Magie eines großen Monuments wie beim Romanée-Conti. Nirgends ein Schild oder ein Hinweis, verrostete Stickel, fast sieht es so aus, als wäre hier schon lange niemand zu Fuß im Weinberg gewesen. Zudem ist es wahnsinnig heiß und stichig, was natürlich auch seinen Teil beiträgt.

Barbaresco Tour Hitze

Also geht es wieder zurück zum Auto, ein bisschen von Hitze und Schwüle gebeutelt. Was man den Barbareschi zugutehalten muss: Auch wenn private Weingüter wenig Interesse daran zu haben scheinen, ihre Gehöfte oder gar ihre Parzellen kenntlich zu machen, zumindest an den Lagen stehen Schilder. Die Gaja-Parzellen befinden sich jedenfalls in Roncagliette. Selbstverständlich könnt ihr euch auch bei Weinlagen-Info orientieren.

Sottimano Barbaresco

Etwas abseits der Straße steht dieses schmucke Sommerhaus. Das ist sozusagen die Schauseite des Weinguts Sottimano. Unterhalb der Kante befinden sich die Kelteranlagen.

Zweite Legende: Roagna Crichët Pajè

Barbaresco Pajè

Es gibt im Barbaresco-Gebiet nicht ganz so viele legendäre Weine wie in Barolo, aber der Crichët Pajè des Weinguts Roagna zählt ganz zweifellos dazu. Der Weinberg befindet sich genau hier (Link führt zu Google Maps) und ist relativ leicht zu finden. Man kann das Auto oben an der Straße parken und geht dann ein paar Schritte zum Weingut hinunter. Bevor man den neuen Teil des Weinguts erreicht, kann man auf einem Weg linkerhand sozusagen ebenerdig das ganze Tälchen umrunden.

Auch die Lage Pajè wurde selbstverständlich vom Regen heimgesucht. Aber vielleicht ist der Bewuchs an der Oberfläche dichter, jedenfalls gibt es nicht diese enormen Rinnen wie beim Costa Russi. Zugegeben, der werte Besucher erfährt wiederum nicht, worum es sich handelt. Aber der Blick ist weiter, der Weg gut begehbar, die Atmosphäre insgesamt heiterer, Vögel singen, Schmetterlinge flattern. Möglicherweise hat es auch damit zu tun, dass der gesamte Weinberg biologisch bewirtschaftet wird und das Weingut direkt angrenzt. Für Winzer ist es ja immer eine zweischneidige Sache, jeden Tag ständig auf die Reben zu blicken, hat man dabei doch nie das Gefühl, mal abschalten zu können. Dem Weinberg selbst tut eine solche Betreuung natürlich gut.

Alter Weinstock Roagna Pajè Barbaresco

Die Familie Roagna holt aus ihrem Hausberg in der Regel drei Weine: den »normalen« Barbaresco Pajè, den Vecchie Viti und den Crichët Pajè. Dass so etwas möglich ist, liegt nicht nur an reduzierten Erträgen oder unterschiedlichen Lesedurchgängen. Vielmehr sind die Rebstöcke unterschiedlich alt, die ältesten erreichen mittlerweile 100 Jahre. Wenn man von weitem auf den Hang schaut, sieht alles ziemlich ungleichmäßig aus. Manche Stöcke tragen viel Laub, andere mickern vor sich hin, haben gerade mal eine Traube, und nachgepflanzt wird anscheinend wenig. Ja, das strahlt irgendwie den Charakter einer Legende aus. Der Roagna-Besitz reicht übrigens nur bis zur Talmitte, die ersten paar Zeilen am Weg gehören nicht dazu.

In Barbaresco

Lkw-Verkehr Piemont

Genau wie beim DOC-Gebiet Barolo ist Barbaresco nach dem gleichnamigen, nun ja, Hauptort benannt. Ich hatte ja schon geschrieben, dass die Orte winzig sind, die Straßen schmal, kein gerader Meter, alles unglaublich kleinteilig. Trotzdem sitzen wir hier natürlich Unternehmen von Weltruf, und alles will logistisch versorgt werden. Bei meiner Ankunft quält sich gerade ein Lkw über den Platz an der Enoteca.

Barbaresco Gaja Weingut

Eigentlich besteht der historische Ort Barbaresco mehr oder weniger aus einer einzigen Straße, eben von der Enoteca bis zum Torre. Jenen Turm kann man auch besteigen und hat dann einen schönen Blick in das Tal zwischen Alba und Asti. Das Weinbaugebiet liegt allerdings direkt im Süden, Gegenlicht also vorprogrammiert.

Die Hälfte der Straße nimmt (nur leicht übertrieben) das Gaja-Imperium ein, obwohl es wirklich schön eingebunden ist. Auf der rechten Seite des Fotos seht ihr das Castello di Barbaresco als Wohn- und Repräsentationsort. Die Häuserzeile auf der linken Seite umfassen Büros und hinter einem Tor auch die eigentliche Kellerei.

Produttori del Barbaresco

Am Kirchplatz befindet sich mit den Produttori del Barbaresco die örtliche Kooperative. Auch hier werden die Ausmaße erst deutlich, wenn man ein Seitensträßchen hinuntergeht. Architektonisch (wenn sie noch etwas mutiger gewesen wären) erinnern die Genossen mich irgendwie an ihre Kollegen in Südtirol. Qualitativ sieht es ähnlich aus, denn der Barbaresco der Kooperative kostet konsequente 27 €, ist komplett typisch, leicht erhältlich und einfach eine gute Sache für all diejenigen, die auf Nummer Sicher gehen wollen.

Kunst und (Wein)Kultur

Gebietsvinothek Barbaresco

Die Gebietsvinothek (»Enoteca Regionale«) vorn an der Straße, wo vorhin der Lkw durchgefahren war, bietet eine große Auswahl an regionalen Weinen. Sie ist in einer ehemaligen Kirche eingerichtet worden, eine wirklich sehr schmucke Atmosphäre. Auf der Website der Enoteca könnt ihr euch über Barbaresco informieren oder auch eine Karte mit allen Lagen herunterladen. Vor Ort gibt es ein mitteldickes Buch mit allen verfügbaren Weinen. Die Preise für die Barbareschi beginnen bei etwa 25 €, gehen aber dann auch nicht wahnsinnig hoch. Es ist also mehr die Breite denn die Tiefe, die hier verkauft wird. Als ich mich getraut habe, die nette Verkäuferin zu fragen, wo es denn die, tja, wirklich begehrten Weine des Gebiets gibt, hat sie mir schnell die Adresse einer Weinhandlung in Alba aufgeschrieben.

Orthodoxe Kirche Neive

Da wir schon bei Kirchen, mithin Kunst und Kultur sind, darf ich euch verraten, dass das Barbaresco-Gebiet über keinerlei kunsthistorische Highlights verfügt. Ein bisschen seltsam hört sich das schon an, schließlich gibt es Barockkirchle und alte Steinhäuser in Hülle und Fülle. Aber wir sind ja in Italien, wo sich Weltsensationen ansonsten die Klinke in die Hand geben. Reclams Kunstführer Piemont kennt da aber keine Gnade und nennt südlich von Asti allenfalls die Geschlechtertürme von Alba bemerkenswert. Bummelt also einfach etwas herum, lasst die Atmosphäre auf euch wirken und habt keine Angst, etwas zu verpassen. Nett ist es nämlich vielerorts. Auf dem Foto oben seht ihr beispielsweise die orthodoxe Kirche in Neive.

Kulinarisch dürfte mein »Wohnort« Treiso am interessantesten sein. Treiso ist wie Bra einer der Gründungsorte von Slow Food, was zur Folge hat, dass auf 761 Einwohner vier vollwertige Restaurants kommen. Drei davon, die Osteria dell’Unione, die Trattoria Risorgimento und die Osteria Le Rocche, bieten typisch regionale Gänge an. Preislich nehmen sie sich nicht viel, die Qualität soll überall gut sein (ich habe nicht die ganze Karte runtergegessen, insofern Zweithand-Info). Das vierte Restaurant, La Ciau del Tornavento, hebt sich definitiv ab. Der Michelin-Stern existiert hier nicht zufällig, aber ihr solltet am besten schon reservieren, bevor ihr ins Piemont fahrt.

Fazit Barbaresco

Barbaresco Lagen

Auf meinem Weg zurück von Barbaresco nach Treiso parke ich noch einmal am Aussichtsplatz und schaue in die Runde. Weinberge, die in alle Richtungen zeigen, Gehöfte, Hügel, Büsche, Straßen zum Gondeln. Wie gesagt, Steilheit und Hitze machen es nicht unbedingt zum echten Spazierwander-Eldorado, aber wer gut vorbereitet ist, kann in Barbaresco die wichtigsten Dinge in kurzer Frist auf kleinem Raum besuchen. Dieses Kompakte macht die Region zu einem idealen Ziel für einen ausgedehnten Tagesausflug. Für den zweitbesten Wein Italiens ist das wunderbar unkompliziert.

Weinhandlung Fracchia & Berchialla Alba

Und wenn ihr zum Abschluss noch ein paar Fläschchen mitnehmen wollt (also nicht nur Barbaresco, sondern auch Barolo oder die günstigeren Appellationen), dies ist die Weinhandlung, die mir empfohlen wurde: Fracchia & Berchialla in Alba. Es gibt dort den ebenerdigen Laden mit einer schönen Auswahl, den Keller mit Großflaschen und etwas spezielleren Dingen – und man kann fragen. Sollte man sogar. Spekulationspreise mögen sie hier nämlich nicht, und deshalb muss nicht alles, was sie haben, gleich im Schaufenster stehen.

Damit arrivederci Barbaresco – und vielleicht werde ich ja auch noch nach Barolo kommen, wer weiß…

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3 Antworten zu Barbaresco – unterwegs zum zweitbesten Wein Italiens

  1. Hans Suter sagt:

    Danke für den Bericht. Bin gespannt auf den Barolo.
    Gaja produziert einen gut geschriebenen und interessanten Newsletter, muss man per E-Mail bestellen, Adresse auf der Site.
    Nebel heisst übrigens nebbia.

    • Matze sagt:

      Danke insbesondere für den Nebel-Hinweis, hätte ich bei meinen starken Italienisch-Kenntnissen besser vorher nachschauen sollen… 😉

  2. Pingback: 2023 - Meine Weine des Jahres - Chez MatzeChez Matze

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