Mittagsmenü in der Slow Food-Zentrale im Piemont

Osteria del Boccondivino Slow Food Bra

Slow Food wurde im Jahr 1986 gegründet, und zwar informell erst einmal am Rande einer Demonstration gegen McDonalds an der Spanischen Treppe in Rom. Ein paar Jahre später war auch ich in Rom, im McDonalds an der Spanischen Treppe. Zum Essen kann ich nichts sagen, aber die Klos waren sauber – das war für Interrailer am wichtigsten. Slow Food hingegen entwickelte sich über die Jahre zu einer mächtigen Organisation, die nach eigenen Worten »die dichten Verflechtungen zwischen Teller, Planet, Mensch, Politik und Kultur berücksichtigt«. Es gibt Millionen Mitglieder in 160 Ländern und 87 so genannte regionale Convivien. Seine Zentrale hat Slow Food allerdings nach wie vor in der piemontesischen Kleinstadt Bra. Genau da war ich, um im originalen Slow Food-Restaurant, der Osteria del Boccondivino, ein Mittagsmenü einzunehmen.

Die Osteria del Boccondivino in Bra

Bra befindet sich gut 50 Kilometer südlich von Turin direkt am Rand der Po-Ebene, in der unter anderem Reis angebaut wird (der Riso di Bra) und dem Hügelland, in dem der Barolo wächst. In Bra wurde auch der gleichnamige Büstenhalter erfunden, weshalb man bei der Eingabe des Namens unweigerlich eher auf den »Wäscheseiten vom Otto-Versand« landet, wie Dendemann seinerzeit dichtete. Und weniger dort, wo man eigentlich hinwill, nämlich ins Piemont.

Die Osteria des Boccondivino befindet sich in einer Gasse mitten im Stadtzentrum. Fünf Minuten zu Fuß braucht man vom Parkplatz im Osten der Stadt, zehn Minuten vom Bahnhof. Geöffnet ist jeden Tag, also Montag bis Samstags, mittags theoretisch immer ab 12:15 Uhr, aber wer nicht reserviert hat, sollte vielleicht ein bisschen früher da sein. Dadurch dass sich im Gebäudekomplex die Slow Food-Zentrale befindet, gibt es praktisch immer ein internationales Publikum. Das können Food-Touristen sein, normale Urlauber, aber auch Geschäftsleute, die mit Essen und Trinken zu tun haben. Zwar kann man auch alles einzeln von der Karte wählen (eine sehr beachtliche Flaschenweinkarte gibt es auch), aber um alles kennenzulernen, dürften die vorgeschlagenen Menüs genau das Richtige sein.

Slow Food-Menü in fünf Gängen

Barbera d'Alba Conterno Fantino

Mittags gibt es das »Piccolo Menu Degustazione« mit vier Gängen für 32 € und das »Menu Degustazione« mit fünf Gängen für 40 €. Alle Produzent*innen, von denen die Produkte stammen, werden hinten auf der Karte gelistet, egal ob es um Bergkäse oder rote Bohnen geht. Ein Tor wäre ich, sage ich mir, würde ich unter solchen Umständen nicht das fünfgängige Menü wählen.

Bei der Weinbegleitung entschließe ich mich für eine Kleinflasche Barbera d’Alba Vignota von Conterno Fantino (bio-zertifiziert), das passt ja zu vielem und ist mit 13 € nicht allzu kostspielig. Der Wein entpuppte sich dann als frisch und sehr fruchtorientiert. Vielleicht hätte ein etwas abgehangenerer Tropfen besser harmoniert, aber ich wollte ja keine ganze Flasche ordern. Mit Interesse kann ich jedenfalls beobachten, dass viele andere Gäste zumindest als Einstieg erst einmal ein Glas Riesling wählen. Außer dem lokalen Langhe-Riesling steht auch solcher aus Deutschland auf der Karte, Wittmann unter anderem.

Antipasti – Lardo, salsiccia di Bra e carne cruda (Slow Food)

Lardo Salsiccia di Bra Slow Food

Rein aromatisch gesehen, war dies eigentlich schon das Highlight des gesamten Menüs. Dabei muss ich vielleicht etwas vorwegschicken: Meine Mutter ist auf einem Nebenerwebs-Bauernhof aufgewachsen und musste als Kind immer viel Knackwurst und Schwärchen essen, weil nur ein fettes Schwein auch ein gutes Schwein war. Wir befanden uns schließlich noch im Nachkriegsmodus. Das fand sie schrecklich. Weil sie ihre Kinder davor bewahren wollte, gab es bei uns früher in der Regel eher mageres Fleisch. Aus dem Grund bin ich von Kindesbeinen an nicht gewohnt gewesen, so etwas wie reinen Speck zu essen, und wahrscheinlich ist das bei schlechteren Exemplaren auch alles andere als ein Vergnügen. Hier jedoch, gut gewürzt mit einer Wacholderkruste, war es wirklich großartig.

Dasselbe gilt für die Salsiccia di Bra, eine eingetragene und regional geschützte Rohwurst. Ein bisschen erinnert sie an frische Mettwurst, ist aber völlig anders gewürzt. Ich schmecke insbesondere Nelken und Zimt, dazu ein bisschen Kümmel. Aber offenbar ist die Würzung immer ein Stück des Geheimnisses jeder einzelnen Metzgerei.

Primo I – Peperone »corno di bue« (Slow Food) con patè di tonno

Paprika

Bei der »Corni di Bue« handelt es sich um eine milde Spitzpaprika, hier sehr zart gegrillt und mit Thunfischpaste gefüllt. Weniger aromatisch als der erste Gang, eher samtig gehalten und damit quasi ein Kontrapunkt.

Primo II – Tajarin »40 tuorli« al burro e salvia

Tajarin Piemont

Solltet ihr jemals im Piemont essen gehen, gibt es genau zwei Pastasorten, die ihr praktisch immer auf der Karte der Primi finden werdet: Agnolotti del plin und Tajarin. Ersteres sind eine kleinere Art Ravioli, die mit Kräutern oder Fleisch gefüllt sein können. Bei Letzteres handelt es sich um schmalere, aber stärkere Eier-Tagliolini. Beide werden (das war für mich am Beginn meiner Piemont-Tour überraschend) grundsätzlich mit Eiern zubereitet – je mehr, desto besser. Die Krönung sind entsprechend die Tajarin »40 tuorli«, traditionell mit 40 Eidottern für ein Kilo Mehl zubereitet. Das spürt man an der Konsistenz, und man schmeckt es auch. Um diesen einmaligen Dottertouch nicht untergehen zu lassen, genügen Butter und Salbei vollkommen als Begleitung.

Secondo – Guancia di vitello (Slow Food) brasata

Slow Food Kalbsbacke

Gewöhnlicheres dann als Secondo, in der deutschen Speisenfolge also das Hauptgericht, aber eine solche Wertung gibt es ja in Italien weniger. Hier also geschmorte Kalbsbacke, sehr nett, aber weitaus weniger zart und raffiniert als vor einiger Zeit im La Chaumière in Dole.

Posto – Panna cotta

Panna Cotta Slow Food

Dafür kann die Nachspeise wieder beeindrucken. Niemals hätte ich aus freien Stücken Panna Cotta von der Dessertkarte genommen. Tatsächlich aber ist die Textur ganz wunderbar seidig, der Geschmack vollmundig-süß auf eine sehr angenehme Art.

Wie ihr sehen könnt, ist das Slow Food-Menü in der Osteria del Boccondivino nicht etwa elaboriert oder gar mit luxuriösen Zutaten angereichert. Vielmehr geht es um das im Prinzip Einfache, Regionale, Traditionelle. Und das zu transportieren, ist ihnen wirklich sehr gut gelungen.

Was gibt es außer Slow Food in Bra?

Salsiccia di Bra

Bummelt man noch ein wenig durch die Altstadtgassen von Bra, kommt man natürlich an diesem oder jenem Laden vorbei, der an das Menü erinnert. Das Konsortium der Salsiccia di Bra besteht beispielsweise aus acht Metzgereien, welche die Spezialität anbieten – alle in den Stadtgrenzen von Bra gelegen.

Bottega Local Bra

Wer eine Art Slow Food-Kaufladen sucht, findet ihn in der Bottega Local. Das einzige Problem in diesem Geschäft besteht darin, dass man nach wie vor nur zwei Hände besitzt, um die erworbenen Schätze mitzunehmen. Alle Produkteure, von denen hier Waren angeboten werden (und das umfasst auch die beiden Frischetheken mit Käse und Schinken), sind irgendwie mit Slow Food verbunden, oft bio-zertifiziert, ausschließlich regional piemontesisch. Ist die Thekenschlange lang, kann man sich auch alles anschauen als kleinen Crashkurs in piemontesischen Spezialitäten. Die Bedienungen tragen übrigens T-Shirts mit dem Aufdruck der Università di Scienze Gastronomiche in Pollenza. Absolvent*innen der »Genuss-Universität« also, wie sie auch gern genannt wird.

Cheese 2023 Bra

Und schließlich noch das: Wer es irgendwie einrichten kann und keine Angst hat vor Überbordendheiten, sollte zur Cheese nach Bra kommen. Alle zwei Jahre findet hier nämlich die Käsemesse der Käsemessen statt – im gesamten Stadtgebiet. Dieses Jahr war das vom 15.-18. September der Fall, und natürlich war ich ein ganz bisschen zu spät dran. Käse allerdings (wenngleich nicht von Herstellern aus der ganzen Welt) habe ich auch so auf den Märkten und in den verschiedenen Geschäften in ausreichender Menge erstanden. Ohnehin, wer sich für Essen und Trinken interessiert, wird im Piemont keinen Mangel leiden. Erst recht nicht in der Stadt der Slow Food-Zentrale…

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4 Antworten zu Mittagsmenü in der Slow Food-Zentrale im Piemont

  1. Ralf sagt:

    Na, dass war jetzt sehr schön, dass Du mich auf deinen Ausflug nach Bra mitgenommen hast… der Lardo ist mir am Gaumen geschmolzen 🙂
    Das Menu steht klar im Zeichen der Grundidee von Slow Food – in diesem Sinn darf man auch gerne den Slow Food Gastroführer “Osterie d’Italia” empfehlen, der für viele Orte in Italien auf entsprechende Lokale hinweist. (Gibt’s auch für Deutschland, betitelt mit “Genussführer”).
    Zum Wein, wenn Du schreibst, “frisch und sehr fruchtorientiert”, dann darf man beipflichten, so sollte eine Barbera Annata sein, (… wenn auch der Stil des Hauses Conterno Fantino etwas streng/hart und konzentriert gehalten ist), und ob ein abgehangener Tropfen, Barbera?, besser gewesen wäre? So war’s in jedem Fall authentisch. Andere typische Speisbegleiter der Region, Dolcetto, Nebbiolo oder Grignolino, sind allesamt auch Weine, die beim Erstkontakt durchaus Erklärung bedürfen können.

    • Matze sagt:

      Worauf man vielleicht im Zusammenhang mit Slow Food, Wein und Italien auch hinweisen sollte 😉 : Der Slow Wine Guide 2024 kommt am 11. Oktober raus. Leider nur auf Italienisch, aber wahrscheinlich nicht nur für mich der beste Guide zu italienischen Weinen und Weingütern. Und zwar deshalb, weil nicht nur Weingeschmäcker beschrieben werden, sondern auch tabellarische Angaben drin sind über weinbauliche und önologische Praktiken des jeweiligen Weinguts. Werde ich mir auf jeden Fall besorgen.

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