Natürlicher Dienstag #140 – Possa Cinque Terre Triple A

Possa Cinque Terre Triple A

Die Cinque Terre kennen alle unter euch, die sich für Spektakuläres und Exklusives interessieren. Es handelt sich dabei um fünf benachbarte Gemeinden a.k.a. Dörfer, die an der steilen Mittelmeerküste nördlich der Stadt La Spezia kleben. Man kann die Gegend erwandern (ohne Massen nur im Winter), mit dem Zug immer rechtzeitig bis zum nächsten Bahnhof wieder aus dem Tunnel auftauchen oder bei entsprechender stubborness auch herrlich daran scheitern, den gewünschten Ort mit dem Auto aufzusuchen, um dort einen Parkplatz zu finden. In Riomaggiore, dem östlichsten Dorf, und zwar wirklich mittendrin, befindet sich das Weingut Possa von Samuele Heydi Bonanini. Heydi, wie ihn alle zu nennen scheinen, die ihn besser kennen, holt tatsächlich Weintrauben aus den abenteuerlichen Felsterrassen. Und nicht nur das. Er bereitet daraus sogar mutige und hochwertige Naturweine nach Triple A-Definiton.

Possa Cinque Terre Triple A – Weißwein aus Ligurien

Wer eine Vorstellung davon haben möchte, wie es in den Weinbergen von Possa aussieht, findet auf der Website des Weinguts ein paar anschauliche Fotos. Heydi ist nicht nur dort mit Steigeisen und Monorackbahn unterwegs, er baut auch Reben auf der Insel Palmaria an. Jene ist dem Golf von Spezia vorgelagert, und die Trauben besitzen eine gegenüber dem Festland entgegengesetzte Sonneneinstrahlung. Gut, man muss die Früchte der 0,3 ha per Boot aufs Festland transportieren, aber herausfordernde Bedingungen sind ja Heydis Spezialität.

Das kleine Handweingut arbeitet nach biodynamischen Methoden, unzertifiziert, hat sich aber der Triple A-Bewegung angeschlossen. Und was ist Triple A? Nun, Luca Gargano, hauptberuflich Rum-Experte und Spirituosenhändler, formulierte im Jahr 2001 die ersten Gedanken, wie seine Wunschweine am besten hergestellt sein sollten. Die drei A von Triple A heißen auf Italienisch agricoltori, artigiani, artisti, also Landwirte, Handwerker, Künstler. Die Ideale dieser drei Berufskategorien sollte der Winzer (wir sind hier noch in einer Zeit, in der alles männlich formuliert wurde) und entsprechend sein Wein aufnehmen. Zehn Forderungen stellte Triple A auf, zu denen beispielsweise keine synthetischen Pestizide im Weinberg, ausschließlich Spontangärung und keine Filtration zählen. Das war damals ziemlich revolutionär – und wenn man 99% des aktuellen Weinmarktes betrachtet, ist es das auch heute noch.

Wer sich auf der Triple A-Website die Produzenten anschaut, wird dort übrigens allerlei international bekannte Namen finden. Aber zurück zu Heydi und seinem Wein.

Wie schmeckt der Wein?

Der Cinque Terre von Possa besteht hauptsächlich aus der autochthonen weißen Rebsorte Bosco. Ergänzt wird das Ganze von Albarola und ein paar anderen Weinstöcken. Fünf Tage (pi mal Daumen, es ist ja ein handwerklich-künstlerischer Ansatz) liegen die Ganztrauben nach der Ernte auf der Maische und werden dann gepresst. Die Hälfte wird im Edelstahl, die andere Hälfte in Fässern aus Eiche und Akazie ausgebaut. Spontangärung ist hier selbstverständlich, der Verzicht auf Filtration und Schwefelung auch. Unser Wein ist also ein »zéro-zéro«, ein Exemplar der engen Naturwein-Definition.

Hellgolden mit leichten Amber-Reflexen fließt der Cinque Terre ins Glas und zeigt dadurch, dass Sauerstoff bei seinem Werden eine gewisse Rolle gespielt hat. In der Nase recht intensiv, nehme ich Noten von naturweintypischem Apfelmost, aber vor allem von Orangenschale, Thymian, Galgant und Lebkuchengewürz wahr. Holzeinfluss ist also spürbar, der Wein wirkt komplex, aber nicht unfrisch. Letzteres zeigt sich auch im Mund: Vom Trinkgefühl her mit mittlerer Säure ausgestattet, wird diese Säureader gleich von viel pfeffriger Würze ergänzt. Die Aromen gehen in Richtung gebackene Banane und Orange, geröstete Haselnuss, gleichzeitig auch Harz, Rauch und Jod. Frucht ist nur ein Teil dieses Spektrums, existiert aber definitiv. Was der Wein hingegen nicht besitzt, ist flüchtige Säure.

Wer mit individuellen, komplexen und definitiv nicht primärfruchtigen Aromen fremdelt, wird den Wein ein bisschen schwierig finden. Wem beim Naturwein hingegen das latent »Fehlerhafte« im Sinne der Weinkontrolle stört, wird hingegen wenig Probleme haben.

Ich stelle mir Heydis Triple A wunderbar vor zu frittierten kleinen Rotbarben oder Tintenfischkruschteln, also Dingen mit Umami-Einfluss. Dazu gehören definitiv auch Sojasauce, Okonomiyaki, gar Spießbraten vom Schwein, Spanferkel mit Kruste oder vegane/vegetarische Alternativen mit Pilzen, Kidneybohnen, gerösteten Zwiebeln. Mit anderen Worten: faszinierend vielseitig.

Wo kann man ihn kaufen?

Eataly Monticello

Ich selbst habe den Cinque Terre in diesem Laden gekauft, dem Eataly Monticello, nicht weit entfernt von der Slow Food-Zentrale im Piemont.

Tatsächlich hätte ich aber gar nicht so weit fahren müssen. Oder aber überhaupt fahren. Schließlich gibt es genau den 2021er Jahrgang (der aktuelle) in München und online bei Walter & Benjamin oder auch in Österreich bei Vinonudo.

Wenn ein solcher Wein unter solchen Anbaubedingungen jetzt wenig kostet, wisst ihr, dass irgendwo in der Formel ein Fehler sein muss. Entweder ist alles gemogelt, und die Trauben stammen doch aus der Ebene, oder der Winzer hungert. Beide Fälle wären unerfreulich. Zum Glück ist das aber nicht der Fall, und deshalb kostet der Cinque Terre knapp 28 €. Heydi, der Rufname des Winzers, spricht sich übrigens nicht aus wie Heidi von der Alm. Vielmehr klingt es, als ob man statt »hey du!« »hey di!« ruft. Nützliches Wissen, allerdings nur für den Fall, dass ihr ihm einmal direkt gegenübersteht…

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