Alle Jahre wieder bin ich in Hamburg, um mich für den Falstaff-Weinguide durch die gesammelten Werke des Weinjahres zu testen. Das mache ich deshalb gern, weil es einen großartigen Überblick über den Jahrgang bietet. Da wir eher nach Posteingang als strikt nach Gebieten probieren, bin ich auch nicht auf ein bestimmtes Anbaugebiet fixiert. Trotzdem kommt es natürlich vor, dass man persönliche Schwerpunkte setzt. In diesem Jahr habe ich relativ viel aus Württemberg getestet. Früher verband man die Region primär mit Viertelesschlotzern, Trollinger aus Überertrag und wenig Export in den Rest der Republik. Heute hat sich eine ziemlich bunte Szene entwickelt. Schaut euch also meine Entdeckungen an – aus dem Schwabenländle und darüber hinaus…
Falstaff-Weinguide 2024 – Sneak Preview ohne Punkte
Kleiner Disclaimer zu Anfang: Was ich an dieser Stelle nicht machen werde, ist ein Hineinkopieren der künftigen Buchtexte – oder gar ein Nennen der Punktzahlen. Was Punktzahlen allgemein anbelangt, wisst ihr ja vermutlich, wie ich dazu stehe: nett zum Orientieren, aber hochgradig unterkomplex. Wenn im Kontext gefordert, vermag ich natürlich nachvollziehbare Noten zu verteilen, aber hier muss ich das ja nicht.
Was ich selbstverständlich auch nicht machen werde, ist das Erwähnen von Großen VDP-Gewächsen des Jahrgangs, der erst ab September offiziell in Verkauf kommt. Wenn ein Weingut sich jedoch entschließt, im September erstmals seine 2019er Huxelrebe auf den Markt zu bringen (um mal ein naheliegendes Beispiel zu nennen), unterliegt das natürlich nicht dem Publikationsbann. Aber weg von der Theorie, hin zur Praxis. Hier folgen zehn Entdeckungen. Die Reihenfolge entspricht dabei schlicht meiner Probenreihenfolge über die Tage.
Drei Zeilen Silvaner/Franken
Zwei Dinge muss ich euch zu den Drei Zeilen sagen: Erstens gibt es keine kleinen Weine bei den Ehrlichs. Da wird von unten an spontan vergoren, die Ortsweine für 12,90 € im Tonneau ausgebaut, und langes Hefelager ist Standard. Zweitens habe ich wirklich eine Zeit gebraucht, um diesen voll ausgereiften, voll abgelagerten und nicht unbedingt pikanten Stil zu verstehen und zu schätzen. Der Ansatz, den Weinen Zeit beim Werden zu geben, bedeutet halt auch, ihnen Zeit beim Servieren zu lassen. Dann sind sie großartig. Hier zum Beispiel der 2020er Silvaner aus der Rödelseer Schwanleite. 22,90 € ab Hof und auch in zehn Jahren noch fit.
Kopp Baden-Badener Balzenberg/Baden
Letztens war ich bei den Kopps vor Ort, um mir diese eher weniger prominente Ecke Badens einmal anzuschauen. Dementsprechend habe ich ihre Weine für den Guide auch nicht getestet, aber diesen hier mitprobiert, von dem die Kollegen ziemlich begeistert waren. Der Balzenberg ist eine historische Lage direkt über Baden-Baden und als Gemeinschaftsprojekt wieder zum Leben erweckt worden. Junge Reben von 2017, und dies ist der Erstlingsjahrgang, für den 23 € fällig werden. Für mich ist das der typische Kopp-Pinot-Stil, den man lieben kann oder auch nicht. Nur 12 vol%, sauerkirschkernig, kühl, pikant und engmaschig. Finde ich super.
Dolde Silvaner/Württemberg
Helmut Dolde ist Kult, und alle wissen warum. An der gefühlten Höhengrenze des Weinbaus am Rand der Schwäbischen Alb erschafft der pensionierte Lehrer Weine, die ziemlich singulär sind. Simple Ausstattung, niedrige Preise, ganz viel Liebe und Aufmerksamkeit bei der Herstellung. Und nun ja, Silvaner natürlich, ich hatte einen seiner Weine auch schon mal in der Silvaner-Schau. Die Weine auf dem Foto kosten zwischen 8,50 € und 9,70 €, sind alle »fränkisch trocken«, aber in ihrem Charakter sehr unterschiedlich. Für mich ist der »Vulkan« der straffste, mineralischste, irgendwie skandinavischste, während die »Alten Reben« mehr Saft und Druck haben. Denkt jetzt bitte nicht an einen heimlichen Montrachet, das ist nicht höllenkomplex, aber einfach sehr gut.
Stadt Stuttgart/Württemberg
Ich muss mich entschuldigen, aber ich kenne Stuttgart primär als heißen, verstopften Kessel mit ewig währenden Baustellen. Tatsächlich scheint es aber Gründe zu geben, die Stadt zu lieben, und ein nicht ungewichtiger davon ist dieses städtische Weingut. Mir bislang in der Praxis völlig unbekannt, ist da jedenfalls eine Menge in Schwung gekommen. Den kleinen Roten rechts aus 90% Sankt Laurent schlotzt man für 6,90 € weg, der Manga-gekleidete Riesling in der Mitte ist bio, trocken und individuell, und links steht eine Syrah aus der Mitte der Stadt, wenig Frucht, viel Würze, perfekt für die letzten Steaks der Sommersaison. Ja, auch das sind weder Hermitage noch Scharzhofberg, dafür aber 100% lokale Handarbeit.
Parfum der Erde Müller-Thurgau/Württemberg
Nochmal Württemberg und ein eher ungewöhnliches Projekt. Der Hamburger Dr. Rainer Scholz kommt aus der Automobilbranche, Andi Knauß ist ein hochgeschätzter Bio-Winzer aus Strümpfelbach im Remstal. Auf dem Foto seht ihr natürlich nicht das originale Etikett, schlicht weil der Wein noch nicht abgefüllt wurde. 35 Monate insgesamt wird der Müller in Barrique und Stahl ausgebaut, und das Ergebnis ist einfach krass für diese Rebsorte. Schneidende Säurestruktur, noch gewisse Neuholzspuren, aber wahnsinnig Druck, Cremigkeit, gar nichts Maues oder Frühreifes. Schnaiter Sonnenberg, 12 vol%, 500 Flaschen, 30 € das Stück. Auch das eine Ansage. Nochmal deutlich besser als der Vorgängerjahrgang, braucht aber wie gesagt Zeit. For freaks like you & me.
Siegloch Sauvignon Blanc R/Württemberg
Bleiben wir auf demselben Freaklevel und besuchen die Brüder Siegloch ein paar Kilometer weiter im Norden. Die Weinberge stehen 400 m hoch am Wald im weltberühmten Zipfelbachtal, und der Sauvignon Blanc stammt aus der Lage Winnender Haselstein. Auch Jahrgang 2020, spontan vergoren, zwölf Monate Tonneau, unfiltriert, minimal geschwefelt, 22 € – soweit das Technische. Ich sage immer gern, wer Sauvignon Blanc hasst, wird diesen Wein lieben. Denn das sonstige grasig-parfümierte Zeug ist ja nur dafür da, damit Erna und Willi in Kennermiene ausrufen können, »ah, Sauvignon Blanc!«. Reine Selbstbepuschelung. Die Sieglochs zeigen dafür, was einen richtig guten Sauvignon auszeichnet, nämlich die Frische auch bei dichterer Struktur. Dazu gibt es einen Touch Wildheit.
Bernhart Pinot Noir/Pfalz
Im Februar war ich bei grausigem Wetter in den Schweigener Weinbergen oder vielmehr in einer Dauernieselwolke unterwegs und habe meinen wenig geländegängigen Boliden über schlammige Wege gejagt. Im Sommer stellt sich die Sache völlig anders dar. Am Sonnenberg scheint die Sonne, und vielleicht gelingt es ja auch mal, die offenbar stark unterschiedlichen Gewanne offiziell und ohne Abkürzungswust zu benennen. Beim »RG« dürfte es sich um den Rädling handeln, beim »KT« um den Kostert. In jedem Fall sind das sehr gute Rote, wie man sie vor nicht allzu langer Zeit in Deutschland noch mit der Pinzette aus dem Heuhaufen zwicken musste. Der 2020er RG kostet 43 € und ist etwas pikanter und präziser, der KT für 35 € wirkt etwas sphärischer und flächiger. Wunderschöne Frucht und feine Tannine haben beide.
Die Müller-Trophy
Die Strumpfmasken zeigen es an: Hier ist alles blind abgelaufen, und verraten darf ich euch leider auch noch nichts. Uli, Rainer und ich hatten nämlich das Vergnügen, sozusagen als Abwechslung von der Arbeit am Falstaff-Weinguide die Müller-Thurgau-Trophy durchführen zu dürfen. Zwölf davon schickten wir ins Finale und drei letztlich aufs Podest. Da zählte dann nur das arithmetische Mittel, und mit dem Ergebnis waren wir drei außerordentlich zufrieden. Unter den Podiumsweinen befand sich nämlich einer, der stärker in die Natural-Richtung ging, einer, der spürbar mit Holzkontakt verfeinert wurde und einer, der sozusagen den »klassischen« Sortentyp auf gelungene Weise repräsentierte. Sehr spannend, sehr schön, freut euch auf das Aufdecken!
Jülg/Pfalz
Nochmal Schweigen, also Pfalz und (in der Praxis) Elsass gleichermaßen, aber anders als beim Weingut Bernhart brachten die Jülgs auch schon ihre roten 2021er GGs an den Start. Ich bleibe deshalb eine Stufe weiter unten und habe euch hier den 2022er Chardonnay aus dem Rechtenbacher Pfarrwingert und den 2021er Spätburgunder aus dem, äh, Wormberg mitgebracht. Der Chardonnay (28 €) aus dem heißen Jahr zeigt sich sehr zivilisiert, dicht in der Textur, aber sehr präzise in der Säurelinie. Natürlich kann oder vielmehr sollte er ebenso noch ein wenig weiterreifen wie der Spätburgunder (32 €) aus dem eher kühlen Jahr. Jener ist hellfarbig aber nicht harmlos, gleichzeitig gewürzig und griffig.
Willems-Willems Altenberg/Saar
Die legendäre nahtlose Saftigkeit der Saar, wer kennt sie nicht? Ich zum Beispiel, denn tatsächlich wäre das nicht gerade die Assoziation, die mir in Zusammenhang mit Deutschlands sonnenärmster Weinbauregion als erstes einfallen würde. Aber 2022, das haben wir bei sehr vielen Weinen gemerkt, besitzt genau diesen Saft. Und zwar überraschenderweise weitgehend ohne die gerbige Phenolik vom Trockenstress, wie man sie ziemlich oft in anderen Regionen findet. Die kleineren Rieslinge des Weinguts Willems-Willems sind schon sehr schön, aber der Altenberg (25 €) hatte mir am besten gefallen. Mit 7,6 g Restzucker bei 11 vol% ist das ein noch knapp trockenes Exemplar, floral, fruchtreich, geschmeidig. Ob dieses »Leckere« jetzt besser oder schlechter ist als das stärker Verschlossene des 2021er Jahrgangs, mag jede*r für sich selbst entscheiden.
Haidle Riesling/Württemberg
Zum Schluss gehen wir ein letztes Mal ins Remstal. Riesling ist die am meisten angebaute Rebsorte in Württemberg, sie wächst sogar konstant an Fläche. Aber was sind die Charakteristika, was ist ein typisch schwäbischer Riesling? Etwas heller, floraler in den Aromen? Vielleicht. Aber liegt das am kalkig-keuperigen Terroir oder eher daran, dass die Weinberge 200 m höher liegen als in der Pfalz? Ohnehin führen Läden außerhalb des Ländles nicht so arg viele Riesling-Winzer aus Württemberg, als dass man da valide Vergleiche anstellen könnte. Bei Aldinger und Schnaitmann gibt es »auch« Riesling, und ansonsten fallen mir primär Jochen Beurer und Moritz Haidle ein, die ein wirklich durchdekliniertes Riesling-Portfolio besitzen.
An letzterem kommt man in diesem Jahr definitiv nicht vorbei. Muss man aber auch nicht. Der 2022er Einstiegs-»Ritzling« ist erstaunlich kräftig und aromenreich, der Ortswein aus Stetten feiner und eleganter. So richtig spannend wird es aber bei den 2021er Lagenweinen. Da stehen Häder, Lindhälder und erst zum zweiten Mal Stäudlen auf dem Programm. Alle drei wurden lange im Stückfass auf der Vollhefe ausgebaut, sind kernig in der Säure, aber sonst im Charakter sehr unterschiedlich. Kühl-geschmeidig der Häder, floral-würziger der Lindhälder und krass frisch-spröde der Stäudlen. Alle kosten 25,90 €, besitzen ordentlich Druck und sind ehrlich gesagt überhaupt nicht für die breite Masse gedacht. Ich fand sie großartig.
Tagesgestaltung und Fazit
Wer schon länger dabei ist und andere Ausgaben meiner Hamburger Sommerberichte gelesen hat, wird sich vielleicht an die Imbiss-Tour über den Steindamm erinnern. Auch ansonsten waren immer interessante kulinarische Erlebnisse dabei wie die Hobenköök, Yin Seafood oder eine ganz bunte Mischung. Diesmal kann ich nur mit einem Highlight aufwarten, denn wie letztes Jahr kam Ulis Freund Heinz vorbei und zauberte ein köstliches kleines Menü »Rund um den Pulpo« auf unserer einen Herdplatte (gut, das meiste hatte er vorbereitet…). Dafür habe ich aber abends nette Menschen getroffen wie Christoph, Birgit, Junko, meinen Neffen und natürlich (mit tausend Dänken) Olli und Sebastian.
Ein Geheimnis kann ich euch zum Abschluss verraten. Wer den letzten ICE nimmt, hat viel Platz und wenig Geschrei. Pünktlich kommt man trotzdem nicht an. Aber das ist ja nur eine Fußnote in der Weltgeschichte.