Essen in Hamburg – Yin Seafood

Yin Seafood Restaurant Altona

Ich muss peinlicherweise gestehen, dass ich auf so etwas nicht vorbereitet war. Als Landratte aus dem (für Hamburger Verhältnisse) tiefen Süden dachte ich, Häfen, an denen man frischen Fisch kaufen kann und Restaurants, die direkt an den Fischhandel angeschlossen sind, gäbe es nur in kulinarisch privilegierten Orten wie Frankreich, Spanien oder Italien. Oder auch in Hong Kong, wie ich bereits bei meinem ersten Besuch dort feststellen konnte. Der Fischmarkt Altona hingegen räumt mit meinem Vorurteil auf, in Deutschland wäre sowas allerhöchstens touristische Deko. 120 Unternehmen gibt es hier, davon Fischgroßhändler, von denen beispielsweise der Räucherer Neue Nottorf von Mitternacht bis acht Uhr morgens geöffnet hat. Auch bei Yin Seafood geht es früh um sechs los. Erst wenn der Fischhandel schließt, macht das Restaurant auf.

Schon wieder eine Hamburg-Woche…

Vielleicht erinnert ihr euch an letztes Jahr, als ich im Spätsommer zwei Wochen lang in Hamburg war und von den interessantesten Imbiss-Restaurants am Steindamm berichtet hatte. Und von der Hobenköök, denn ich war tatsächlich auch mal schicker essen. In diesem Jahr bin ich wieder zwei Wochen in der Hansestadt, allerdings nicht am Stück. Der Grund für meine Anwesenheit ist wie letztes Jahr der Falstaff Weinguide Deutschland, für den ich eine gewisse Anzahl an Weinen teste. Jene geht zwar deutlich über die gustative Komfortzone hinaus, aber natürlich ist es auch super interessant, auch diesmal wieder einen Überblick über den Jahrgang und die Weine in Deutschland zu bekommen. Wein soll in diesem Artikel jedoch keine Rolle spielen, und ehrlich gesagt wollte ich bei Yin Seafood auch nichts vom vergorenen Traubensaft wissen. Vielmehr stand mir und meinen Begleiterinnen Biggy Pop und Beautyjagd der Sinn nach vielen kantonesischen Tellern.

Yin Seafood am Fischmarkt Altona

Yin Seafood Karte

Direkt am Eingang zum Yin Seafood Restaurant (Achtung, knapp 100 Meter westlich vom Fischhandel in derselben Gebäudereihe) befindet sich die Speisekarte, die sich mit derjenigen auf der Website deckt. Ein schneller Check führt zu der wenig überraschenden Erkenntnis, dass es sich lohnt, an diesen Ort mit mehreren Personen zu kommen. Wie weitgehend üblich in der »chinesischen« Gastronomie – wiewohl man sich angesichts der kulinarisch-kulturellen Vielfalt vor Verallgemeinerungen hüten sollte – nimmt man nicht etwa ein Tellergericht und eigentlich auch kein Menü, sondern eine Vielzahl an Gerichten zum Teilen.

Stint

That having said, gibt es natürlich auch Speisen, die definitiv als Starter dienen. Zum Beispiel »Frittierter Stint mit Szechuanpfeffer« (8,80 €). Ich muss zugeben, zwiespältige Dinge mit diesem in Frankreich als »Eperlan« bezeichneten Kleinfisch zu verbinden. Zum einen den köstlichen Geschmack und die krosse Textur. Zum anderen aber auch, dass ich mein damaliges Zimmer in Liège durch das häufige Frittieren von Stinten in der Pfanne in einen geruchlich sehr prägnanten Zustand versetzt habe. Wahrscheinlich hängt der Stintdampf bis heute in den Wänden. Hier im Yin Seafood hingegen: köstlich, nur leicht mala-scharf, essen wir auf wie nix.

Congee und Blue Crab – Chinas Südosten

Congee Seafood

Congee in seiner originalen Form hatte ich auch in Hong Kong kennengelernt, und ich zitiere hier einfach mal aus meinem damaligen Blogpost: »Congee ist im Süden Chinas extrem populär, am liebsten als Frühstück, aber es geht auch zu allen anderen Tages- und Nachtzeiten. Für Congee wird Reis in viel Wasser extrem lange gekocht und gegart, bis sich eine Porridge-ähnliche Konsistenz herausgebildet hat.« In Hong Kong war ich beim Spezialisten Trusty Congee King, der mittlerweile sogar den Bib Gourmand vom Guide Michelin besitzt. Bei Yin Seafood, wie kann es anders sein, gibt es »Reis-Congee mit Meeresfrüchten und Gemüse« (18,90 €). Dazu sollte man unbedingt Pickles verlangen, falls die nicht gebracht werden, denn der Geschmack ist ansonsten ein bisschen zu mild. Und Achtung, Scheren und Schalen schwimmen mit drin – sehr original.

Yin Seafood Blue Swimming Crab

Eines der Highlights der Guangdong- oder Cantonese Cuisine sind sicherlich Krabbengerichte, wobei das begrifflich immer ein bisschen schwierig ist. Wer zu Garnelen »Krabben« sagt (wie in Krabbenbrötchen), wird hier in die falsche Richtung gelenkt. Die Große Pazifische Schwimmkrabbe (Portunus pelagicus), in der Speisekarte als »Gebratene Blaue Schwimmkrebse« (23,90 €) bezeichnet, ist nämlich von durchaus beachtlichen Ausmaßen. Serviert wird sie in einem Wok a.k.a. Gulaschkanonen-Schüssel inklusive brennendem Feuer darunter. Um letzteres braucht man sich aber nicht zu kümmern, denn es brennt nur ein Weilchen, um das Gericht oben warm zu halten und erlischt dann von selbst. Solche Krabben zu essen verlangt Kompromisse. Geschmacklich ist das Ganze hervorragend (wieder in leicht würzigem Szechuan-Sud), aber es geht nicht, ohne sich die Fingerchen dabei zu besudeln. Zum Glück ist alles ziemlich soft-shell-ig, das Knacken mit der Zange erfordert also nur einen minimalen Druck.

Von Land und Meer

Eierflan Muscheln

Auf der Karte findet ihr dieses Gericht als »Gedämpfte Eier mit Vongole« (14,90 €). Tatsächlich handelt es sich aber um einen Flan, also einen nicht-süßen Eierpudding mit Herzmuscheln. Woraus der Bratensud besteht, mit dem das Gericht beträufelt wurde, weiß ich nicht genau. Jedenfalls bringt er einen umami-würzigen Kontrapunkt zur samtigen Eierspeise und kündet schon ein bisschen vom Übergang zwischen Meer und Land. Reis passt natürlich hervorragend dazu, aber den bekommt ihr ohnehin ungefragt.

Schweinebach Senfkohl

Die klassische chinesische Food-Lehre ist ja sehr komplex. Welche Gerichte aus welchen Gründen zu anderen passen (und welche wiederum nicht), ist mir bis heute unbekannt. Verschiedene Geschmäcker, Texturen und Präsentationsformen spielen jedoch immer eine Rolle. Insofern bin ich mir nicht sicher, ob wir hier »richtig« gewählt hatten. Aber wir wollten einfach wissen, wie der »Gedünstete Schweinebauch mit fermentiertem Senfkohl« (18,90 €) schmeckt. Er schmeckt gut und mild, für mich aber irgendwie nach herbstlich-winterlichen Genüssen. Oder aber nach einer »nördlicheren« chinesischen Küche als die würzigen Schwimmkrabben. Alles in allem hat der Besuch im Yin Seafood etwa 40 € pro Person gekostet. Und wir sind satt und aromatisch zufrieden bis weit über den nächsten Morgen hinaus.

Warum ihr zu Yin Seafood gehen solltet

Fischmarkt Altona

Auf der Straßenseite gegenüber (wir sind hier in der Großen Elbstraße) stehen schon die Fisch-Lieferwagen bereit für ihre frühmorgendliche Arbeit. Weshalb ihr einen Besuch bei Yin Seafood definitiv in Betracht ziehen solltet, ist auf diese Weise leicht ersichtlich. Frische. Direkt beim Fischhandel und unmittelbar am Hafen, frischer kann man seine Ware nicht bekommen. Gegenüber vom Yin gibt es übrigens das FrischeParadies Hamburg, falls ihr in gutbürgerlichem Ambiente einkaufen wollt. Bei Yin Seafood bekommt ihr allerdings Spezialitäten aus Chinas Südosten, die es anderswo nicht so leicht zu haben gibt. Ein Indiz für diesen Exklusivitätsstatus ist die überaus zahlreich vorhandene Community, die hier sowohl im Restaurant als auch auf der Terrasse speist.

Für mich ist so ein Restaurant auch aus anderen Gründen attraktiv: Ich bin an sich ein großer Fischliebhaber. Indiz dafür wiederum sind meine »kleinen« Beobachtungen auf verschiedenen Fischmärkten wie Split, an der Côte Bleue bei Marseille, Lissabon, Istanbul oder auch exotischeren Orten wie Colombo. Die Fotos sind dabei für heutige Ansprüche nicht doll, aber ich war wild auf die Vielfalt aus dem Meer. Bis auf gelegentliche Abenteuer wie Caldeirada und Kalkan habe ich jedoch nie etwas davon selbst gekocht. Die Erlebnisse mit den wohnungsbeduftenden Eperlans aus Liège steckten mir halt noch in den Knochen. Insofern gibt es für mich persönlich kaum etwas Attraktiveres, als Fisch und anderes Meeresgetier im Restaurant zu verspeisen. Vielleicht geht es euch ja ähnlich.

Passion Vin Hamburg

A propos nicht über Wein schreiben, das hatte ich ja am Anfang des Artikels behauptet. Was ich nämlich nicht wusste: Die Hamburger Niederlassung von Passion Vin, dem wunderbaren französischen Weinhandel von Sébastien Visentin, befindet sich in derselben Gebäudezeile wie das Yin Seafood. Da bietet sich doch ein kombinierter Besuch an, oder?

Die Koordinaten

Yin Seafood Restaurant

  • Große Elbstraße 133
  • 22767 Hamburg
  • Website: yinseafood-hamburg.de
  • Insta: @yinseafood
  • Telefon: +49-40-38109993
  • Öffnungszeiten: MO-FR 12-15 & 17-23; SA/SO 12-23
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3 Antworten zu Essen in Hamburg – Yin Seafood

  1. csokoládé sagt:

    Wir waren vor einigen Monaten dort, wirklich köstliche und frische Meeresfrüchte. Ich erwäge, wieder dorthin zu gehen, für das Restaurant und andere Aktivitäten

    • Matze sagt:

      Ich fand (à propos andere Aktivitäten außer dem Restaurant) auch super, dass der Fähranleger praktisch gleich auf der Rückseite des Restaurants ist. Wir haben nach dem Essen nämlich gleich noch eine kleine Elbtour gemacht. Ist vielleicht weniger spektakulär für Leute, die sowieso in Hamburg wohnen, aber ich bin ja nur zwei- bis dreimal im Jahr da… 😉

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