Irgendwann musste es ja soweit sein. Die 100. Ausgabe des Natürlichen Dienstags auf meinem Blog ist erreicht. In diesen 100 Ausgaben habe ich Weine legendärer Pioniere eines bewussten An- und Ausbaus gefeatured. Wie Richard Leroy, wie Stéphane Tissot, wie Radikon, aber auch fränkische Silvaner-Avantgarde wie Stefan Vetter, Stephan Krämer oder die 2Naturkinder. Wie die Weingüter Östreicher, Zang und Rothe. Es gab Wildes, und es gab Zahmes, es gab Arriviertes und solches, das gerade erst entsteht. Die Latte lag also hoch für die Nummer 100. Und was seht ihr, wahlweise entsetzt, begeistert oder indifferent? Meine 100. Ausgabe bestreite ich mit dem Sylvaner A von Andreas Durst. Wieso das?
Andreas Durst Sylvaner A 2014
Andreas Durst ist kein hineingeborener Winzer, sondern stammt aus dem idyllischen Vohwinkel. Eine kurze Recherche auf Google Maps ergibt, dass sich dort die Justizvollzugsanstalt, der größte Flohmarkt der Welt (einmal im Jahr) sowie der Wurstomat der Metzgerei Kaißner befinden. Und die Schwebebahn, denn Vohwinkel ist der westlichste Stadtteil von Wuppertal. Andreas ist Fotograf, und das insbesondere im Weinbereich. Ich habe ebenso wie ihr schon hunderte von Durst-Fotos in allen denkbaren Medien gesehen. Und seit dem Jahrgang 2010 ist Andreas Durst auch Winzer im pfälzischen Bockenheim, wo er lebt.
Als wir uns neulich kurz elektronisch ausgetauscht haben, schrieb ich ihm, dass ich noch den Sylvaner A aus dem Jahr 2014 hier habe. Und dass ich mir überlege, ihn in der Silvaner-Schau vorzustellen. “Ehrlich?”, schrieb er daraufhin zurück, “nimm doch lieber einen anderen Wein. Ab 2015 habe ich nämlich Maischegärung gemacht, ein ganz anderer Stil. Außerdem war 2014 echt regnerisch, und ich weiß nicht, ob der Wein überhaupt noch trinkbar ist.” Letzteres kann ich hiermit bestätigen. Und ja, es kann sein, dass sein großartiger Portugieser von uralten Reben (den ich auch noch im Keller habe) der hochwertigere Wein ist. Oder er in den letzten Jahren immer mehr dazugelernt hat, seine Weine immer präziser werden.
Aber das, was ich besonders schätze im Wein, das ist Charakter. Das ist Persönlichkeit. Das ist eine Geschichte, die der Wein von sich und seinem Werden erzählen kann. Kürzestensfalls ein Haiku, längstenfalls ein Entwicklungsroman. Und das tut dieser Wein, der ein Teil des Weges ist, den Andreas genommen hat. Als Quereinsteiger, als Handmacher, als einer derjenigen, die im Keller von Anfang an dem Most wenig und über die Jahre immer weniger genommen und hinzugefügt haben. Free expression of the soul sozusagen. Und genau deshalb passt das so gut zum Natürlichen Dienstag.
Wie schmeckt der Wein?
Mit einem mittleren Gelb fließt der Wein ins Glas. Tapio Wirkkala übrigens auf dem Titelfoto, aber für die Verkostung nehme ich dann doch ein klassisches Glas. In der Nase ist eine deutlich laktische Note zu vernehmen, pflanzliche Töne, Baumrinde vielleicht, Heu, dahinter eine reife Frucht, Spuren von sehr reifer echter Ananas. Am Gaumen zeigt sich der Sylvaner A weiter als das, was er ist: erdgeboren, himmelbegossen. Es gibt eine deutlich pflanzlich-steinige Note wie Buchsbaum und Feuerstein, wirklich überhaupt keine Fruchtsüße, dafür aber eine stark präsente Art gelbfruchtiger Salzigkeit. Dies ist definitiv ein charaktervoller Wein, der mich fast ein bisschen an Schweizer Bergweine erinnert, an Petite Arvine. Wir sind hier nicht bei edlem Holz, würzigen Noten, tropisch-gelben Nuancen, sondern irgendwie ganz tief am Boden. Interessanterweise passt der Durst-Sylvaner hervorragend zu dieser Speise: Takoyaki.
Wo habe ich ihn gekauft?
Auf seiner Website führt Andreas die Läden auf, in denen seine Weine zu kaufen sind. Einschlägige Namen sind darunter, bei denen ich auch schon öfter eingekauft habe. Einer scheint jedoch nicht ganz ins Bild zu passen, denn es handelt sich um einen Supermarkt. Den Edeka Ueltzhöfer in Heilbronn. Aber genau dort habe ich diesen Wein gekauft. Oder vielmehr im Univinum in der Filiale im Vorort Sontheim.
Auf dem Foto seht ihr den Ausverkauf-Grabbeltisch bei Ueltzhöfer. Und schon da stehen Materne & Schmitt, Lubentiushof, Florian Lauer, nur solche Schätzchen, man wird verrückt als Kunde. Ob ich gern in Heilbronn wohnen möchte, lasse ich mal dahingestellt. Aber einen solchen “Supermarkt” hätte ich schon gern vor der Nase.
Was bleibt, ist die Erinnerung an einen Wein als Zeitdokument, von dem es möglicherweise keine einzige Flasche mehr gibt. Von Andreas selbst sind zum Glück ein paar andere, wirklich wunderbare Weine erhältlich. Ich denke an die späteren AAA-Versionen des Sylvaners, ich denke an den Pinot Noir, an den Portugieser Alte Reben – und ich denke auch sehr gern an den Spätburgunder Dorf, einen meiner Lieblinge in dieser Kategorie.
Jetzt, da ich die 100. Ausgabe des Natürlichen Dienstags eher bodenständig begangen habe, weiß ich auch, dass es genau dieses leicht Unberechenbare ist, was mir jeden Dienstag wieder Spaß macht. Auf die nächsten 100 Ausgaben – ich hoffe, ihr seid dabei.
Klasse geschrieben!! Ich bin bei den nächsten 100 dabei👍
Das freut mich sehr! Es wird auch wieder Rotwein aus Frankreich geben 😉