Ich habe es mir ja zur guten Gewohnheit gemacht, nach Ablauf eines Kalenderjahres dasselbe ein bisschen Revue passieren zu lassen. Die beiden letzten in dieser mittlerweile schon ganz schön langen Reihe waren die Rückblicke auf 2019 und 2018. Dass diese Rückblicke ziemlich voll mit Inhalt waren, lag einfach daran, dass ich in den vergangenen Jahren immer viel unterwegs war. Gern erinnere ich mich persönlich an das Jahr 2012 mit den ganzen Ländern in Asien, dem Hai im Backofen, dem Fischmarkt in Colombo. Da ich aber ein Normalsterblicher bin wie vermutlich ihr alle, kann von großen Abenteuern in fernen Ländern im Jahr 2020 keine Rede sein. Das Highlight war ganz sicher die Super-Food-Stadt Bologna im Januar, als wir von Corona noch nichts wussten. However, wenn man viel in der Heimat hockt, kann man immerhin viel Wein probieren. Und deshalb möchte ich euch jetzt meine fünf Favoriten-Weine des letzten Jahres vorstellen.
Wie war das Weinjahr 2020 denn so?
Ich spreche hier nicht vom Weinjahrgang 2020, obwohl der natürlich auch ganz interessant war. Vor allem wieder einmal ein bisschen normaler, was Vegetationsperiode und Ernte anbelangt. Auf die Weine aus dem Jahrgang 2020 bin ich deshalb durchaus gespannt. Schließlich tut ein bisschen Frische uns allen ganz gut.
Das Weintrinkjahr 2020 hatte auch ein paar Tücken. Die größte war zweifellos (jedenfalls für jemanden wie mich, der sich professionell mit diesem Thema beschäftigt), dass nach der Millésime Bio in Montpellier keine große Weinmesse mehr stattfand. Natürlich hatte ich die ProWein fest eingeplant, auch an Singapur oder Hong Kong gedacht, aber nichts da. gar nichts. Wenigstens hatte ich die Gelegenheit, in der Sommerlücke beim Best of Gold feine Frankenweine zu verkosten, beim EcoWinner die interessanteste Kategorie testen und dann natürlich ganz Württemberg für den Falstaff-Guide. Meine Weine des Jahres 2020 habe ich allerdings alle zu Hause, ja, nicht geschlürft, gespuckt und bewertet, sondern mit Genuss getrunken. Vorhang auf für fünf beeindruckende Gärgetränke. Das müssen übrigens keineswegs die edelsten und teuersten gewesen sein, und als Beweis dafür taugt gleich einmal Platz 5.
Platz 5: Pascal Chalon – La Grande Ourse 2014
La Grande Ourse 2014, ein roter Côtes du Rhône aus Tulette, der südlichsten Ecke des Départements Drôme. Ich bin vor ein paar Jahren durch Christoph Raffelt darauf aufmerksam gemacht worden, und seitdem habe ich mir immer mal ein Fläschchen zugelegt. Pascal Chalon heißt der Winzer, der es definitiv versteht, im Verborgenen zu arbeiten. Wenn ich das richtig verstanden habe, liefert er immer noch einen Teil seiner Ernte ans Château Beaucastel, aber aus seinen besten Parzellen bereitet er sehr sehr schöne Weine.
La Grande Ourse besteht zur Hälfte aus Grenache, und in der anderen Hälfte gibt es Mourvèdre, Syrah, Carignan sowie etwas Counoise und Muscardin. Mir gefallen hier die relativ gesehen kühleren Jahre definitiv am besten, denn sie transportieren den Chalon-Stil ideal.
In der Nase eine total verblüffende Pinot-artige Duftigkeit. Am Gaumen dann diese rose-fanée-Grenache, die ich beim Château des Tours so großartig finde. Dazu kommt aber eine fast bläulich anmutende Frische, ein gut eingebundenes Tannin und summa summarum einfach unheimlich viel Eleganz. 2014 hat Pascal mit 14 vol% eingebracht, 2015 waren es dann 15,5 vol%, was definitiv etwas an Eleganz kostet.
Vor Ort habe ich genau 14,50 € dafür bezahlt, hier in Deutschland (gibt es bei ein paar Online-Shops) sind es immer noch weniger als 20 €. Das Etikett ist im Keller ein bisschen zerfetzt worden, aber wir sind hier ja bei den inneren Werten.
Platz 4: Martin / Gutzler – Hartblau 2018
Der zweite meiner Top 5-Weine des Jahres 2020, und huch, schon wieder eine Überraschung. Und schon wieder kein Wein, der vom allgemeinen Verständnis her riesengroße, unvergleichliche Weltklasse wäre. Obwohl: unvergleichlich schon, denn das ist ja das Besondere an der Sache.
Über das Projekt Historische Rebsorten hatte ich ja schon öfter berichtet, und das hier ist meiner bescheidenen Meinung nach das bisherige Highlight: der Hartblau des Jahrgangs 2018.
Hartblau ist eine vermutlich uralte “kontinentalfränkische” Rebsorte, die sowohl bei der Rebschule Ulrich Martin als auch (in Mini-Rahmen) bei der LWG in Veitshöchheim wieder kultiviert wird. Die Trauben für diesen Wein stammen aus Uli Martins Muttergarten, ausgebaut und abgefüllt wurde der Wein beim Weingut Gutzler. Wenn die Witterung passt, werden die Trauben des Hartblau richtig zuckerreich, behalten aber dennoch ordentlich Säure und Tannin. In kühleren Jahren taugte so etwas nur als Gerüstgeber im Mischsatz, aber 2018 war halt 2018. Hier ist deshalb von allem viel drin: 14 vol% Alkohol, 8 g Säure, italienisch anmutende Gerbstoffe, kein Restzucker natürlich.
Saure rote Johannisbeere, Schlehe gar, ein eisern-blaues Gefühl, Nadelbaum, viel Tiefe und Potenzial. Das sind Charakterzüge, die meilenweit entfernt scheinen von weich-süßlichem Beerensaft für den Massenmarkt. Sowohl Tanninstruktur als auch Holzeinsatz schlagen bei diesem Hartblau dringend noch ein paar Jährchen der Lagerung im Keller vor. Sowas muss wahrhaftig nicht allen gefallen, und selbst ich würde das nicht jeden Tag zu allen Gelegenheiten trinken wollen. Aber es ist total konsequent und findet meinen unbeschränkten Zuspruch.
Platz 3: Zind Humbrecht – Riesling Clos Häuserer 2008
Dies hier ist der beste trockene Riesling, den ich im Verlauf des gesamten Jahres 2020 getrunken habe. Und da ich im Allgemeinen weitaus mehr trockene Rieslinge zu probieren pflege als, ja, vermutlich als alles andere außer Silvanern, ist “bester trockener Riesling” schon mal eine Ansage.
Es handelt sich hier um den 2008er Clos Häuserer aus Olivier Humbrechts Domaine Zind-Humbrecht im Elsass. Ich hatte den Wein vor ewigen Zeiten in der wunderbaren Weinkostbar von Manuela Sporbert und Jürgen Hammer erstanden, über deren Auslaufen zum Ende des letzten Jahres wir alle ja schon ausgiebig geweint haben. Zum Glück gibt es Manu & Jürgen weiterhin, und alle sieben Jahre oder so lohnt es sich eh, das Leben mal wieder umzukrempeln.
However, hier also ein Prachtexemplar eines trockenen Rieslings aus einem Jahrgang, der für das Elsass ganz besonders passend war. Lange Reifeperiode, nicht zu heiß, so mag das der Riesling.
Farblich schon fast in Goldene abdriftend, spüre ich viel Aprikose in der Nase, aber auch eine ein bisschen pflanzlich anmutende Reifenote. Am Gaumen hat der Häuserer dann ordentlich Zug, eine konsequente Säure, aber die Materie ist schließlich auch nicht von Pappe. Es gibt sogar eine gewisse Phenolik, gelb-steinfruchtige Noten und einen Touch Süßkirsche.
Das ist wirklich ein Riesling on top, super balanciert zwischen Kraft und Lebendigkeit, zwischen Frucht und Tiefe. Und ein Grund, sich mal wieder mit den Weinen aus dem Elsass zu beschäftigen…
Platz 2: Richard Leroy – Les Noëls de Montbenault 2009
So, jetzt sind wir ganz oben angekommen. Gestern schon der beste Riesling des Jahres, jetzt der beste trockene Weißwein überhaupt: Richard Leroy Les Noëls de Montbenault 2009. Loire my love. Oder genauer: Anjou.
Ja, ich weiß, Äpfel und Birnen. Aber wieder ein Weißer, der ein gutes Jahrzehnt alt ist. Auf diesem Niveau mag ich solche Weine am liebsten, so zwischen 10 und 15 Jahren. Egal ob Burgund, Riesling-GG, Jura oder Loire. Da ist weiter eine schöne Frucht drin, der Grad höchster Lässigkeit erreicht, und es driftet noch nicht so stark ins Tertiäre ab, wo sich die Weine dann für meine Zunge immer ein bisschen ähnlicher werden.
However, Richard Leroy, ich hatte ja schon darüber geschrieben auf dem Blog, deshalb hier nur in aller Kürze: Vollmundig mit rasanter Säure, Bratapfel, Aprikose, Senfmehl.
Gleichzeitig erhaben und knisternd vor Spannung. Sowas können nicht viele von sich behaupten, Weine auch nicht. Die Weißen von der Loire reifen so großartig, wenn die Winzerphilosophie stimmt…
Platz 1: Madeira d’Oliveiras – Sercial 1969
Einer muss immer der Gewinner sein, was in Wirklichkeit überhaupt nicht stimmt, aber in unserer durchquantifizierten Welt handhaben wir es halt oftmals so.
Ihr seht ja schon auf dem Foto, dass sich hier eigentlich jeder Versuch der Vergleichbarkeit mit trockenen Rieslingen oder roten Burgundern erübrigt. Platz 1 ist nämlich ein überaus singuläres Geschöpf aus der Familie der fermentierten Traubensäfte. Es ist der Sercial des Jahrgangs 1969, ein Madeira von d’Oliveiras. Auch über diesen Wein hatte ich bereits geschrieben, nämlich hier.
Was momentan leider schwer vorstellbar erscheint, vor zwei Jahren aber noch gar kein Thema war, ist ein Besuch der Insel Madeira. Vor genau zwei Jahren habe ich diesen Sercial nämlich in Funchal direkt bei der Kellerei erstanden. Abgefüllt wurde er übrigens erst kurz vorher, denn Madeira ist ein Fassgewächs. Gerade die Rebsorte Sercial, die für die trockensten Madeiras zuständig ist, kommt als Grundwein mit wenig Alkohol und irre hohen Säurewerten in der Kellerei an. Vergoren, aufgespritet, durchoxidiert, karamelisiert auf dem Dachboden, fast 50 Jahre Fasslager, super altmodisch, ewig haltbar und einfach umwerfend. Das Titelfoto dieses Artikels zeigt übrigens die Nordküste von Madeira bei Porto Moniz, wo der meiste Sercial wächst.
Mir ging es mit Madeiras so wie offenbar vielen anderen Menschen auch: Erst nach einer Probe habe ich verstanden, was so großartig daran ist und weshalb jede/r Weinliebhaber/in (so noch nicht getan), DRINGEND demnächst einen hochwertigen Jahrgangs-Madeira probieren sollte. Ich mag Sercial vielleicht am liebsten, weil ich auch säurereiche Weine mag, ausgewogener sind meist aber die Verdelhos.
Aromatisch sieht das hier so aus: Chinesische Pflaume, Verjus, Kaffeebohnen, gebrannte Mandeln, Abgang länger als einmal um den Block. Was für ein großartiges Getränk! Zeitgeschichte, Kulturgeschichte, Landschaften, alles ist hier multidimensional mit drin. 152 € habe ich dafür gezahlt und keinen einzigen Cent bereut.
Der Ehrenpreis: Casteller Hohnart Silvaner trocken 1959
Einen habe ich noch. Fast passt dieser Wein auch in die Reihe mit dem Madeira. Außer dass er ganz sicher nicht für eine so lange Lagerung gedacht war, Durchlaucht höchstpersönlich ihn aber in einer Ecke des Kellers gefunden hat.
Ich spreche vom Casteller Hohnart Silvaner 1959 vom Fürstlich Castell’sches Domänenamt. Unter der Ägide eines Vorvorvorvorvorgängers von Betriebsleiter Peter Geil bereitet. Und zwar mit folgenden ursprünglichen Werten: 11,8 vol%, was sehr generös ist aber es war ja auch generös heiß in 1959), 1 g RZ (fränkisch trocken von Anfang an), 3,9 g S (die tonische Variante).
Der Wein ist verblüffend hell in der Farbe. In der Nase gibt dann ein bisschen mehr Morbidität mit Kellerton, aber auch Kerbel und anderen Küchenkräutern. Am Gaumen ist der Wein einerseits, ja, erst richtig alt mit leichten Bittertönen. Dann scheint aber der gelblich-schwefelige Keuperton durch, aber eben nicht auf eine überlappende Art, sondern ganz faszinierend straight, leicht, karg, nordisch.
Ein wahrhaft seltenes Erlebnis, das ist viel eher Bauhaus als Barock. Sehr beeindruckend und berührend. Und damit hat es dann doch ein Silvaner in meine Top-Liste geschafft…
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