Historische Rebsorten – was soll das eigentlich sein? Sind nicht auch Rebsorten wie Pinot Noir historisch, denn schließlich hat auch diese Rebsorte möglicherweise 2.000 Jahre auf dem Buckel? Jein. Während Pinot Noir die ganze Zeit weiter angebaut und mit neuen Klonen über den Erdball verteilt wurde, waren die historischen Rebsorten praktisch in der Versenkung verschwunden. Schlichtweg ausgestorben in unseren Weinbergen. Rebarchäologe Andreas Jung und Rebveredler Ulrich Martin haben es sich zur Aufgabe gemacht, die letzten verbliebenen Stöcke zu finden und aus ihnen neue Reben zu ziehen. Es gibt spannende Geschichten darüber, wie Andreas Jung irgendwo in Sachsen-Anhalt in einer wilden Hecke eine Pflanze gefunden hat, die sich dann als eine lange ausgestorben geglaubte Rebsorte entpuppte. Mittlerweile gibt es aber auch die ersten Weine aus diesen wiederentdeckten Sorten. Und die habe ich probiert.
Historische Rebsorten zum (Wieder)erleben
Anfang Februar war ich in Wörrstadt im Weingut Böhm. Dort hatten Ulrich Martin und Andreas Jung zu einer Weinprobe geladen, bei der die neuen Jahrgänge getestet werden konnten. Neue Jahrgänge, das bedeutet 2019 bei den Weißen und 2018 bei den Roten. Die meisten dieser Weine waren noch nicht abgefüllt, aber man konnte schon sehr gut erkennen, in welche Richtung die Reise einmal gehen wird. Insgesamt 31 Weine standen auf dem Zettel, die uns jeweils in Zweier- oder Dreier-Flights gereicht wurden. Und welche Rebsorten warteten auf uns? Gelber Kleinberger, Weißer Traminer, Roter Veltliner, Grünfränkisch, Adelfränkisch bei den weißen Rebsorten, Süßschwarz, Schwarzurban, Bettlertraube, Arbst, Fränkischer Burgunder, Gänsfüßer, Schwarzblauer Riesling und Hartblau bei den roten.
Das Spannende am Projekt Historische Rebsorten ist, dass niemand vorher sagen kann, wie diese Rebsorten eigentlich schmecken werden. Ulrich Martin hat durch den Muttergarten, der in der Rebschule angelegt ist, mittlerweile natürlich mehr Erfahrung, was das Anbauverhalten anbelangt. Aber er ist kein Winzer, und erst die verschiedenen Interpretationen der verschiedenen Winzer können Aufschluss darüber geben, wie sich so eine historische Rebsorte aromatisch verhält. Heunisch und Orleans, vielleicht die vergleichsweise bekanntesten historischen Rebsorten, empfiehlt Ulrich Martin übrigens nicht zum Anbau, weil sie qualitativ einfach den anderen hier genannten Sorten nachstehen.
Was die Winzer anbelangt, die historische Rebsorten anbauen möchten, setzt Ulrich Martin auf ein “demokratisches Marktprinzip”, wenn ich das einmal so sagen darf. Alle Winzer, die wollen, können die Stöcke kaufen, Trauben anbauen, Wein herstellen. Das ist natürlich eine gute Sache. Andererseits bedeutet das aber auch, dass ich unter den 31 probierten Weinen extrem große qualitative Unterschiede festgestellt habe. Logisch. Nicht alle Winzer arbeiten gleich in Weinberg und Keller. Hier folgen also meine Favoriten der Probe:
Meine Weißwein-Favoriten
Zwei weiße Rebsorten haben sich für mich besonders empfohlen, nämlich Grünfränkisch und Adelfränkisch. Alle Weine dieser Rebsorten fand ich nicht großartig, ich schrieb es ja schon, aber das Potenzial ist zweifellos da.
Die Weine aus Grünfränkisch gerieten mir in warmen Jahrgängen wie 2018 und 2019 oft zu mastig. Die Mostgewichte sind hoch, die Alkoholgrade entsprechend. Deshalb war mein Grünfränkisch-Favorit auch die zarteste Version, und zwar von Stefan Sander in Mettenheim. Teilweise in der Amphore vergoren, ist das ein aromatisch dezenter Vertreter, der erst hinten leicht tropisch ausklingt.
Ganz anders waren die Weine aus Adelfränkisch – zumindest die, die man eher hat werden lassen als sie zu trimmen. Reife, Süße, Säure, Aromatik – alles ist fast im Übermaß vorhanden, und das bei eher geringen pH-Werten. Am besten hat mir dabei der Adelfränkisch aus Ulrich Martins Muttergarten gefallen, den Jonas Kiefer aus Wiesoppenheim bei Worms im Stahltank ausgebaut hat. Rotbackige Äpfel, extreme Intensität und mit ein bisschen Restsüße ausgestattet, welche die Säure puffert. Der Wein könnte in kühleren Jahren auch ganz anders ausfallen, aber die Rebsorte ist fraglos überzeugend.
Weiße historische Rebsorten zum Dritten, diesmal im Mischsatz: Das Weingut Max Ferd. Richter von der Mosel baut einen solchen mit Adelfränkisch, Grünfränkisch, Weißem Traminer, Kleinberger, Heunisch sowie etwas Orleans und Riesling an. Das Ergebnis ist verblüffend und schwankt zwischen kühler und apfeliger Pikanz der Mosel und hoher Würze und Pfeffrigkeit eines eher kontinentaleren Stils.
Meine Rotwein-Favoriten
Interessanterweise fand ich die Rotweine im Großen und Ganzen gelungener als die Weißweine. Der heiße Jahrgang 2018 hat sicher dazu beigetragen, die roten Trauben gut ausreifen zu lassen. Aber man konnte es auch übertreiben und hat dann sumpfig-Portiges im Glas.
Eine mutige Interpretation einer Cuvée aus Fränkischem Burgunder und Hartblau kommt dabei von Michael Gutzler aus Gundheim (die Trauben sind noch aus dem Muttergarten). Leichte Flüchtigkeit in der Nase, dann sauerkirschig-herb gehalten mit mächtigem, aber feinkörnigem Tannin. Nie hätte ich hier blind auf Deutschland getippt.
Dasselbe Produzententeam zeigt sich auch für meinen zweiten roten Favoriten verantwortlich, den Gänsfüßer. Ulrich Martin weiß zu berichten, dass der Gänsfüßer zu einem wahrhaft baumartigen Wuchs neigt und man früher die Kletterpflanze dafür benutzt hat, die Hauswände trocken zu halten. Aber wenn man will (und es kann), kommt durchaus ein interessanter Wein dabei heraus. Dieser hier hat neues Holz gesehen, aber das macht ihn keineswegs beliebig. Ich schmecke eine irgendwie wildsüße Art, nicht zu dunkel in den Noten, reif und gleichzeitig pikant, auch er mit konsequenten Gerbstoffen.
Neue rote Dimensionen
Der beeindruckendste Rote war für mich ganz eindeutig die Nummer 31 der Probe, der Hartblau vom Martin-Gutzler-Team. Die technischen Daten sind krass: Geerntet am 18.09. mit 102°Oechsle, 11 g Säure und einem pH-Wert von 2,75. Der Wein wurde trotzdem nicht entsäuert und steht jetzt wie ein Wunderwerk. Es gibt Holznoten, eine hohe Pikanz, schöne Fruchtaromen nach Brombeere und Schwarzkirsche und insgesamt eine blaurote Art mit herzhaftem Tannin. So einen Rotwein kenne ich nicht aus Deutschland, das sind ganz neue Dimensionen. Am ehesten fühle ich mich an die Mondeuses aus Savoyen von Raphaël Saint-Germain erinnert.
Logisch, das zuzulassen ist eine Sache, die erstens Mut erfordert und zweitens einen guten Jahrgang. Aber ehrlich gesagt: Wenn ich schon so eine seltene und wertvolle historische Rebsorte habe und sie dann in eine linde Brühe verwandelt, die nach halbtrockenem Dornfelder schmeckt, dann hätte ich mir den ganzen Aufwand auch sparen können. Finde ich jedenfalls. Selbstverständlich sind Geschmäcker verschieden, und das soll auch so bleiben. Aber was meinen eigenen Geschmack anbelangt, rät der mir dazu, ein paar von den Gutzler’schen Roten in den eigenen Keller zu legen – wenn die Weine in den Verkauf kommen.
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Wer sich für derartige Nischenthemen interessiert, hier noch die Links zu meinen anderen Artikeln über historische Rebsorten, gemischte Sätze und ähnliche Reisen in unsere Weinvergangenheit:
- Wurzelechte gemischte Sätze, die erste große Probe (2013)
- Historische Rebsorten im Glas, die erste Sammlung (2015)
- Prowein 2018, autochthone Rebsorten international
- Alte Sätze bei der Slowfood-Probe in Würzburg (2019)
- Adelfränkisch 2011 aus Veitshöchheim (2019 getrunken)
- Sander, Sauer, Kiefer – dreimal Grünfränkisch 2018
Hallo Matthias,
danke für Deine inhaltlich treffende Zusammenfassung dieser Probe, bei der ich neben Dir sitzen durfte. Ja, die Rotweine an diesem Abend präsentierten sich harmonischer und schöner als die Weißweine. Das bedeutet aber meines Erachtens nicht, dass die roten Rebsorten per se besser sind als die weißen.
Die Jungweinprobe von Historische-Rebsorten.de findet einfach zu früh im Jahr statt. Die präsentierten Weißweine sind unfertige Fassproben, auch die Rotweine des Vorjahres sind noch nicht rund.
Man kann es eigentlich nicht oft genug betonen: Um das Potential der einzelnen historischen Rebsorten grundlegend zu beurteilen, ist es mindestens 10 Jahre zu früh.
Warum?
1. Es müssen noch mehr Topwinzerinnen und -winzer diese Sorten an- und ausbauen und mit den handwerklichen Möglichkeiten in Weinberg und Keller spielen.
Jonas Kiefer, Heiner Sauer, Stefan Sander, Michael Gutzler, die Knipsers (Gelber Orleans), Weingut Braun (Blauer Gänsfüßer), Jürgen Hofmann (Tauberschwarz) und Kay Markus Thiel (Gelber Malinger) machen in meinen Augen schon sehr gut vor, was da schlummert.
2. Mit Spannung dürfen wir erwarten, was u.a. Günter Steinmetz (Blauer Affenthaler, Fränkischer Burgunder, Hartblau, Schwarzurban, Süßschwarz), Max Ferd. Richter (Grünfränkisch, Adelfränkisch, Gelber Orleans, Weißer Heunisch, Gelber Kleinber-ger, Weißer Traminer), Hans-Peter-Ziereisen (ECHTER Blauer Arbst), Bernhard Ellwanger (Schwarzurban) abfüllen werden.
3. Damit nicht genug, Ulrich Martin vermehrt in seinen Muttergärten im Moment 33 der historischen Rebsorten, die Andreas Jung wiedergefunden und ampelographisch und z.T. genetisch identifiziert hat.
Man kann insbesondere jungen, gut ausgebildeten Winzerinnen und Winzern wirklich ans Herz legen, Ulrich Martin zu kontaktieren und sich 1-2 Sorten für ihre Anbauregion, ihre Bodentypen und ihre Klimata (!) empfehlen zu lassen. Das macht er ja sehr engagiert.
Die ersten beiden Wörrstädter Jungweinproben 2019 und 2020 haben mir außerdem gezeigt, dass zunächst einmal der Rebsortencharakter herausgearbeitet werden sollte. Darum: Finger weg bitte von zu hohen Erträgen, Kaltvergärung, frühen Abfüllungen, Abfüllkohlensäure und zuviel neuem Holz! Und bitte bitte keinen überbordenden Restzucker.
Die Winzerinnen und Winzer sollten untereinander offen Erfahrungen austauschen, damit Fehler oder Missgriffe nicht unnötig wiederholt werden, glückliche Entscheidungen aber doch.
Und die Weine gehören ins Preissegment über 10 Euro!
Dann wird bald die Behauptung vergessen werden, die historischen Rebsorten seien zu Recht ausgestorben, weil die Weine daraus nicht schmeckten.
Abschließend möchte ich nochmal Andreas Jung danken für sein enormes Engagement bei der Wiederentdeckung und Erhaltung der Rebsortenvielfalt in Europa. Du hast meine Weinwelt maßgeblich bereichert. Wer Andreas Jungs Arbeit näher kennenlernen und/oder unterstützen möchte, schaut hier: https://www.rebenpatenschaft.de/
Ich bin im nächsten Jahr gerne wieder in Wörrstadt.
Herzliche Grüße
Thomas Riedl
Herzlichen Dank für deinen umfangreichen Kommentar a.k.a Zweitartikel 😉 !
Ja, es ist wirklich eine außerordentlich spannende Sache, bei dieser Wiederbelebung uralter Rebsorten dabei zu sein. Wie gut welche Rebsorten unter welchen Bedingungen wirklich werden, wird sich natürlich erst im Laufe der Zeit herausstellen. Aber dass unter den 33 angebotenen Sorten einige dabei sind, die zu wirklich hervorragenden Ergebnissen fähig sind, kann man glaube ich jetzt schon sagen.
Klar, ich würde mir aus rein analytischem Interesse auch wünschen, dass ein Top-Winzer alle 33 reinsortig anbietet, mit möglichst geringen Interventionen pur in Stahl oder gebrauchtem großem Holz ausgebaut. Das wäre der Weinfreak-Himmel 😉 Aber wir haben ja sozusagen ein zweistufiges Modell vor uns: 1. (gute) Winzer überzeugen, solche Sorten mit in ihr Portfolio zu nehmen, 2. Kunden überzeugen, solche Weine auch nachzufragen. Und das möglichst mit einem real existierenden Wein als Katalysator, über den Wein-Deutschland spricht. Schaun mer mal, welcher das sein könnte…
Hallo Matthias, hallo Thomas,
vielen Dank für Bericht und Kommentar. In diesem Jahr war ich leider krankheitsbedingt verhindert, aber ihr habt mir auf´s Neue Lust gemacht im nächsten Jahr dabei zu sein.
Ich freu´mich schon auf die nächsten Berichte.
Bis dahin
Hartmut
Schade dass du nicht kommen konntest. Die feine Tanninstruktur einiger Rotweine hätte einem Barolo-Freund sicher auch sehr zugesagt 😉 !
Hallo,
man muss bedenken, dass die Anpflanzung solcher Rebsorten eine Investition darstellt. Nicht zu vergleichen mit einem spontanen Konsumkauf deren Weine. Einige spannende Adressen stehen bereits an der Seitenlinie und schauen interessiert zu. Es muss aber die passende Fläche zur Wiederbepflanzung an der Reihe sein.
Etliche der von Ihnen gewünschten Winzer wollen aus einer vorgegebenen „Qualitätsdefinition“ KEINE Vielfalt und fokussieren sich leider auf nur wenige Rebsorten.😉
Ja, absolut, das ist eine Investition. Ich glaube aber nicht, dass es eine schlechte Investition ist, denn wir haben ja (soweit ich das beurteilen kann) mittlerweile beispielsweise im Rieslingbereich eher ein Überangebot, sogar bei hochwertigen. Zum Glück halten sich Rieslinge in der Flasche gut, aber ich denke, viele Winzer werden sich zukünftig damit auseinander setzen müssen, wie sie sich voneinander abheben können. Zumal bei mittlerweile 450 Großen Gewächsen. Und da glaube ich, dass historische Rebsorten keine schlechte Anlage sind.
Wie gesagt, hilfreich wäre natürlich eine “Adelung” über 100 Parker-Punkte, die Empfehlung eines Fernsehkochs oder ähnlich (wein)öffentlichkeitswirksame Ereignisse. Das wäre dann das “Prinzip Leistung”, also “historische Rebsorten können großartige Weine hervorbringen”.
Eine andere Möglichkeit ist das “Prinzip Vielfalt” als Argument, das eher emotional angelegt sein müsste und sich in die aktuelle Biodiversitätsdiskussion einbetten lässt. Sowas ließe sich vermutlich am allerbesten über den Mischsatz transportieren. Und das hilft den jeweiligen Winzern auch beim Image weiter. Soll heißen: Wäre ich Winzer, würde ich lieber eine historische Rebsorte nehmen und nicht auch noch den 19. Hektar mit Riesling bepflanzen 😉
Ihre Ansicht entspricht auch meinen Beobachtungen. Deshalb auch mein Bestreben die Pferde an den Brunnen zu führen. Doch saufen müssen sie selbst.😉
Auch in anderen Bereichen kann man beobachten, dass sich „Fachleute“ mit dem Erkennen ganz neuer Möglichkeiten schwer tun. Der Blick von der Seite, oftmals in Person eines Seiteneinsteigers, macht es dann den Etablierten vor…
Ich habe auch gegen Vorurteile zu kämpfen. Denn in der Schule lernten wir, dass die alten Sorten nicht ohne Grund ausstarben. Sinngemäß taugten sie nichts. Weiterhin haben viele Winzer keine gute Erfahrungen mit Neuzüchtungen gemacht. Ihnen wurde von den Züchtern versprochen wie toll die neue Sorte ist, aber in der Vermarktung wurde sie mit seinen Vermarktungsproblemen der Sorte alleine gelassen. Viele Weingüter stampfen momentan ihre Sortenvielfalt gerade wieder ein, weil sich die Konzentration auf wenige Sorten besser vermarkten läßt. Und genau in diesem Moment komme ich erneut mit Vielfalt um die Ecke…😩
Deshalb auch die etwas andere Herangehensweise bei der Wiederbelebung der historischen Rebsorten.
Als ich vor 8 Jahren mit dem Aufbau der Historischen begann, erkannte ich sofort ihren „inneren“ Wert, doch noch war ungewiss wie die Weine wohl schmecken.
Wie Sie bei der Probe auch wahrnehmen konnten, haben einige Sorten enormes Potenzial. Und das gibt mir heute eine innere Ruhe, verbunden mit einem kleinen Lächeln. Die von Ihnen beschriebene, erforderliche Aufmerksamkeit braucht in erster Linie eine Sorte mit außergewöhnlichem Potenzial. Nur dann schafft es der passende Winzer in den entsprechenden Challenges aufzufallen. Und da bin ich mir mit meinem Lächeln heute schon ganz sicher: Das wird passieren!! 😉
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