Zählen wir doch einfach mal durch: Im Guide Vert der RVF werden die besten französischen Weingüter beschrieben. In der gerade erschienenen 2020er Ausgabe gibt es 56 Weingüter aus dem Elsass. 36 von ihnen sind biologisch zertifiziert (das entspricht einer Quote von 64%), darunter 22 sogar biodynamisch. Das sind beeindruckende Werte. Und im Guide Bettane-Desseauve, dem anderen bekannten Weinguide, ist es kaum anders: Auch hier sind über die Hälfte der 87 Top-Weingüter mindestens Bio. Bio-Hochburg Elsass, anders kann man es wohl nicht sagen. Patrick Meyer, dessen Wein ich heute vorstellen möchte, arbeitet auf seinem Weingut seit über 20 Jahren biodynamisch (zertifiziert Demeter). Seine Weine sind für konventionell geschulte Gaumen meist nicht wirklich “einfach”. Unter Vin Naturel-Freaks hat er jedoch eine große Fangemeinde.
Natur-Elsässer: Patrick Meyer et ses vins
Diese große Fangemeinde kommt nicht von ungefähr. Fast könnte man nämlich behaupten, Patrick habe sich vom Saulus zum Paulus gewandelt. Als er fertig war mit der Weinbauschule, hat er bei Übernahme des elterlichen Weinguts zunächst einmal den Bio-Anbau seiner Mutter wieder rückgängig gemacht. Allerdings nicht für lange Zeit. Ende der 1980er Jahre verzichtete er bereits auf sämtliche Syntheseprodukte im Weinberg. Auch kamen keinerlei Enzyme, Reinzuchthefen oder sonstige Helferlein mehr in seine Weine. Seit 1998 biodynamisch wirtschaftend, gibt es seit 2009 bei Patrick Meyer keine “herkömmlichen” Schwefelzusätze.
Den Schwefel als solchen verteufelt Patrick nämlich nicht. Aber er geht damit anders um als andere Winzer. Zunächst einmal nimmt er natürlichen vulkanischen Schwefel, den er so stark in Wasser verdünnt, bis nur noch homöopathische Mengen davon vorhanden sind. “Informiertes Wasser” nennt er das, denn das Wasser gibt sozusagen die Informationen der Abwehrmechanismen des Schwefels weiter. Dadurch aber, dass nur ein Tropfen davon ins Fass kommt, befindet sich der Schwefel weit unterhalb aller Grenzen. Patrick Meyer arbeitet nicht nur bei der Abfüllung mit diesem informierten Wasser, sondern auch im Weinberg. Und zwar als einzigem Pflanzenschutzmittel überhaupt.
Für konventionelle oder sogar für Bio-Winzer wirkt sowas komplett verrückt. Kann das wirklich funktionieren? Teilweise offenbar schon. Patrick muss natürlich gewisse Ertragseinbußen hinnehmen, aber Oidium und Peronospora, die beiden gefährlichsten Krankheiten im Weinberg, scheint er relativ gut im Griff zu haben. Dennoch forscht er kontinuierlich mit befreundeten Önologen weiter an homöopathischen Ansätzen für Weinberg und Keller. Dabei ginge es ihm überhaupt nicht um Moden oder Ideologien, wie er in Evelyne Malnics sehr interessantem Buch “Grandeur Nature” sagt. Das seien ausschließlich Überlegungen zur Arbeit mit dem Boden, zur Weinqualität und zum Platz für den Schwefel in all dem. Egal also, wie man zur Wirksamkeit des Ansatzes steht, naturschonender als bei Patrick Meyer geht es definitiv nicht.
Wie schmeckt der Wein?
Oder erst einmal: Wie sieht er eigentlich aus? Immerhin haben wir hier ja 100% Pinot Gris, also Grauburgunder vor uns. So einen dunklen Grauburgunder habe ich aber noch nie gesehen. Selbst wenn der Wein – wie in diesem Fall – mit den Schalen vergoren wurde. Letztlich ist dies also rein farblich kein “Orange Wine” mehr, sondern ein leichter Rotwein. “Blasses Granat” heißt das fachsprachlich. Frisch geöffnet folgt in der Nase dann zunächst ein kleiner Schock. Ja, hier scheiden sich die Geister. Ich spüre durchaus reichlich flüchtige Säure (= leichte Essigansätze), einen gewissen Touch Lösungsmittel und weit dahinter dann dichten Süßkirschsaft. Das ist krass. Kein Wunder, dass dieser Wein als “Vin de France” durch die Lande reist und nicht bei der Qualitätswein- (oder in diesem Fall: Appellations-) Prüfung angestellt wurde.
Am Gaumen wird es dann aber wirklich interessant. Spontan fallen mir als Assoziation Elemente aus der Speise auf diesem Bild ein. Es handelt sich dabei um ein chomeiji sakura mochi, die Tokioter Version einer klassisch japanischen Süßspeise. Die süße Bohnenpaste im Inneren meine ich bei der Assoziation aber nicht, sondern den leicht süßkirschigen Reismehlteig, vor allem aber das salzig eingelegte Kirschblatt außen. Auch jenes wirkt erst ein bisschen gewöhnungsbedürftig, aber das Interessante ist, dass man sich wie beim Vin Naturel tatsächlich daran gewöhnt. Und dann will man gar nicht mehr damit aufhören.
Der Wein hat einen mindestens mittleren Körper bei guter Frische (ja, ein wenig Flüchtigkeit hilft dabei sogar). An Fruchtnoten gibt es nicht nur Süßkirsche, sondern auch Cranberries und ein bisschen reife Hagebutte. Trinkt man den Wein kühlschrankkalt, was durchaus okay ist, war es das dann mit den Aromen. Gibt man ihm jedoch Luft und lässt ihn bis auf Raumtemperatur kommen, vollzieht sich eine Wandlung. Nicht nur die Flüchtigkeit nimmt deutlich ab, sondern auch die pikante Frucht im selben Maße zu. Jetzt ist das ein wunderbarer feiner Rotwein. Allen Ernstes. Frucht, Säure und Tannin ergänzen sich harmonisch. Das bedeutet, ich habe nicht nur ein gutes Gefühl, weil ich diesen Wein gekauft habe, sondern er schmeckt mir auch noch. So soll es sein!
Wo habe ich ihn gekauft?
Diesen Laden kennen eigentlich alle ernsthaften Weinliebhaber/innen. Holger Schwarz’ Viniculture in Berlin. Vorreiter von so vielem, immer mit ebenso nettem wie kompetentem Verkaufspersonal gesegnet und weiterhin mit der vermutlich interessantesten Weinauswahl jenseits des Mainstreams. Das heißt nicht, dass ich hier nicht auch schon Weine erworben hätte, die man im besten Fall als “schwierig” bezeichnen kann. Aber wer neugierig und aufgeschlossen ist, findet bei Viniculture garantiert immer viel mehr Weine, als er oder sie tragen kann.
16,50 € habe ich für Patrick Meyers Pinot Gris Macération ausgegeben, und das ist für derartig besondere Weine nicht so wahnsinnig viel. Wer sich für die wilde Welt des Patrick Meyer in all seinen Facetten interessiert, es gibt Weine von ihm auch bei Cool Climate in Frankfurt, bei Vins Vivants oder bei Weinskandal in Österreich. Patrick Meyers Welt ist eine, auf die man sich einlassen muss – aber es lohnt sich.
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