Not your ordinary Kantinenschnitzel: Wagyu in Tokio

1 TitelWas macht der gewöhnliche Tokioter, wenn er mal Appetit auf ein exzellentes Stück Fleisch hat? Nun, er macht sich erst einmal keine großen Sorgen, denn Tokio ist eine Stadt, in der man aus einer langen Liste einschlägiger Lokale wählen kann. Wenn man aber wie gesagt ein gewöhnlicher Tokioter ist und nicht etwa ein Hipster, dann geht man an einen unhippen Ort, an dem nichts anderes zählt als die Qualität des Produkts: in das Metzgerei-Restaurant seines Vertrauens.

2 KichijojiSchwer vorstellbar erscheint mir auf den ersten Blick, dass in dieser Gegend Steaks feilgeboten werden sollen für umgerechnet 500 € das Kilo. Ich bin in Kichijoji, einem westlichen Vorstadtbezirk von Tokio und dort wiederum im Bahnhofsviertel. Das bedeutet eine überdachte Einkaufsstraße (Shotengai) mit allerlei Geschäften für den täglichen Bedarf, eine dunkle Gasse mit Trinklokalen und ein dreistöckiger Karaoketempel neben einer Snackbude. Aber trotzdem bin ich hier goldrichtig, denn exakt an diesem Ort befindet sich das “Steak House Sato” (englisch oft auch als “Satou” transkribiert), das aber in erster Linie eine Metzgerei ist.

3 Steak House SatouSolltet Ihr Euch unwahrscheinlicherweise einmal in diese Gegend verirren (die übrigens wesentlich attraktiver ist, als das meine bisherige Schilderung weismachen will, aber dazu später…), lasst Euch nicht von der 20 Meter langen Schlange vor dem Laden abschrecken. Sie gilt den Metzgereiwaren im Erdgeschoss, und zwar nicht nur dem fein gemaserten Fleisch, sondern auch den vorzüglichen Hackbällchen. Auf jene könnt Ihr wieder zurückkommen, solltet Ihr feststellen, dass die zweite Schlange um die Ecke, die sich vor einer steilen Treppe in den ersten Stock befindet, ebenso lang ist. Ein bisschen Geduld sollte man immer mitbringen, wenn man bei Sato essen möchte, denn Qualität und Preis sind weitberühmt und die Zahl der Sitzplätze durchaus begrenzt. 16 Menschen können dort maximal gleichzeitig speisen, sechs am Tresen und zehn an eng gepackten Zweiertischen.

4 SalatWas den Preis anbelangt, beginnt die Sache hier äußerst demokratisch, und das erklärt auch den Andrang. Angeboten wird ausschließlich Rindfleisch, und zwar präzise ausgedrückt Wagyu-Rind aus Matsusaka von 30-40 Monate alten Kühen. Was ebenfalls bei allen Varianten gleich ist: Es gibt immer einen kleinen Salat als Beilage (nur die Gurke ist bei den teuren Gerichten raffiniert geschnitten), zwei Schälchen mit unterschiedlich dunklen Knoblauch-Zwiebel-Pfeffer-Sojasaucen zum Tunken, eine Miso-Suppe, ein Schälchen Reis, Tee oder Wasser. Für umgerechnet 10 € bekommt Ihr dazu dünn geschnittene und auf der heißen Platte gebratene Scheiben Rindfleisch – allerdings gibt es davon nur je zehn Portionen pro Tag.

5 FleischgerichtDie Variante preislich darüber, die – wie ich so beobachten kann – mittags an einem Wochentag von fast allen geordert wird, ist das “Satou Steak” für 13 €. Es handelt sich um ein “round steak dice cut”, also ein Stück vom Hinterbein, in Würfel geschnitten. Schließlich isst man hier mit Stäbchen und schneidet das Steak nicht etwa selbst mit dem Messer entzwei. Meine Begleitung nimmt genau dieses Steak, und ich finde, dass es eine sehr gute Wahl ist. Ich selbst möchte mir, an diesen fernen Ort gekommen, allerdings etwas noch Exquisiteres servieren lassen und bestelle das “Yuki-zen”, ein vom Chef selbst ausgesuchtes, 150 Gramm schweres Stück Filet für gut 40 €. Das sei, so erfahre ich aus bewanderteren Kreisen, ausgesprochen günstig für diese Qualität. Bestellt wird übrigens bereits im Stehen am Ende der Treppe, die ganze Organisation ist – wie eigentlich immer in Tokioter Restaurants – fantastisch.

6 ZubereitungWährend wir also noch auf den nächsten freien Tisch warten, kann ich den drei Köchen bei der Zubereitung meines Steaks zusehen. Der Lange in der Mitte drappiert die Teller, der Bratmeister rechts schneidet, würzt und brät, und der Lehrling links schnippelt den Salat. Alles hier oben ist so eng, dass man sich kaum umdrehen kann. Nachdem das Steak nur sehr kurz scharf auf beiden Seiten sozusagen an frischer Luft angebraten wurde, kommt anschließend eine Dämpfhaube aus Kupfer darüber. “Leider” wird in diesem Moment ein Tisch frei, so dass ich nicht wie die Tresengäste die Prozedur noch genauer beobachten kann.

7 Yuki-zenSo, und jetzt zur Hauptsache, dem Geschmack. Perfekt medium gebraten sind natürlich beide Portionen, das “Satou Steak” wie das “Yuki-zen”. Ansonsten sind die Unterschiede aber beträchtlich, wenn auch vielleicht nicht so, wie man das erwarten könnte. Das “Satou Steak” ist nicht nur wesentlich kräftiger rot gefärbt, es schmeckt auch viel fleischiger oder vielmehr “beefiger”. Der Anbiss ist mittelzart, das Fleisch eignet sich aber ohnehin am besten zum Aussaugen wegen seiner geschmacklichen Intensität.

Das “Yuki-zen” hingegen besitzt bereits optisch einen wesentlich höheren Fettanteil, der auch durch das Braten nicht einfach verdampft ist. Allerdings gibt es keine äußere Fettschicht, sondern einfach nur eine relativ gleichmäßige Maserung des gesamten Stücks. Dadurch ist der Anbiss wirklich unvergleichlich zart. Wer schon mal mit zähen Fleischlappen in der Küche gekämpft hat, wird diesen Hauch hier definitiv nicht als Rindfleisch wiedererkennen. Aber auch im Geschmack setzt sich die Zartheit fort: Das Fleisch wirkt süßlich-saftig, aber wesentlich weniger mit Umami angereichert als die weniger gemaserte “Satou”-Version.

Wer also einen echten “Grillfleisch-Appetit” hat und einfach ein ausgezeichnetes Stück Rindfleisch genießen möchte, wird mit den günstigeren Varianten auf jeden Fall glücklich. Wer aber wie ich neugierig darauf ist, was ein Wagyu-Filet ausmacht, der sollte schon das “Yuki-zen” nehmen. Allerdings bedeutet ein Essen bei Sato weder eine Völlerei im Kreis testosteronbeseelter Männer noch ein romantisches Date für frisch verliebte Paare: Kaum ist der letzte Bissen verspeist, wird aufgestanden und am Counter gezahlt – schließlich warten bereits die nächsten Gäste auf einen frei werdenden Tisch.

Solltet Ihr zu der testosteronbeseelten Männerclique gehören, müsstet Ihr abends kommen und könntet dann in einer der unzähligen kleinen Pinten richtig loslegen. Jetzt am Mittag ist dort natürlich noch tote Hose.

8 InokashiraSolltet Ihr zu den frisch verliebten Paaren gehören (hoffentlich habt Ihr dann bereits geklärt, dass beide Fleisch essen; in einem solchen Metzgereirestaurant sind vegetarische Alternativen weitgehend ungebräuchlich), müsst Ihr danach unbedingt noch die kleine Boutiquenstraße hinunter zum Inokashira-Park bummeln. Auf dem dortigen Weiher kann man nämlich in schwanenförmigen Tretbooten ganz nah an die herabhängenden Blütenzweige der Kirschbäume heranfahren. Dass Ihr dabei von allen Spaziergängern beobachtet und fotografiert werdet – Schicksal. Nach einem Wagyu-Filet haut Euch jedenfalls so schnell nichts mehr um.

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2 Antworten zu Not your ordinary Kantinenschnitzel: Wagyu in Tokio

  1. lieberlecker sagt:

    Mein Tokyo ist bereits 10 Jahre her … es wäre also höchste Zeit … 😉
    Liebe Grüsse aus Zürich,
    Andy

  2. Pingback: Doch gar nicht so schlecht: mein Jahr 2016 | Chez Matze

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