Weinrallye #50: Zwei von drei Naturweinen schmecken gut

Um den Rahmen ein wenig abzustecken, möchte ich Euch erst einmal eine kleine Geschichte erzählen, die selbstverständlich komplett erlogen ist, dafür aber eine Menge pauschaler Vorurteile bereithält: Willy und Elli sind nach dem Studium in der großen Stadt hängen geblieben und leben jetzt, 15 Jahre später, immer noch dort. Der Lärm, die Enge und das ganze Gehetze um Geld und Anerkennung gehen ihnen aber mittlerweile so auf die Nerven, dass sie beschließen auszusteigen. Sie wollen nah an der Natur leben, die Jahreszeiten mitbekommen, die einfachen Freuden des Landlebens genießen – und Winzer werden.

Im Süden des Landes pachten sie sich eine kleine Parzelle mit Reben, die schon seit längerem vernachlässigt sind. Mehr können sie sich auch nicht leisten, denn das große Geld haben sie nicht im Rücken. Schnell werden ein paar Kurse besucht, ein paar Geräte angeschafft und ein paar Freunde zum Mithelfen engagiert, aber alles läuft spontan und ohne langfristige Planung ab. Nachdem Willy und Elli den Sommer über im Weinberg gearbeitet haben (selbstverständlich unter Verzicht agrarindustrieller Methoden und Techniken), bringen sie nun die erste Ernte ein. Ein Schuppen dient als Kelter- und Gärort.

Weil sie quasi von der Hand in den Mund leben, können sie es sich nicht leisten, ihren Rotwein erst nach langem Ausbau auf den Markt zu bringen. Kohlensäuremaischung wird gemacht, der Wein mit der ihnen eigenen Nonchalance (sprich: ein bisschen Nachlässigkeit ist auch dabei) abgefüllt und kaum später als ein Beaujolais Nouveau in die Weinbars der Städte gebracht. Denn dort sitzt ihr eigentliches Publikum, das ein bisschen so ist wie Willy und Elli früher. Bobos nennt man solche Leute gelegentlich, bourgeois-bohémiens, nonkonformistische Gentrifizierer. Von Wein verstehen sie nicht viel, aber der Esprit des naturnahen, wilden Winzerlebens und der naturnahen, schwefelfreien, wilden Glou-Glou-Weine, das ist gleichzeitig romantisch und echt, das regt sie selbst zum Träumen an.

Der Wein von Willy und Elli ist also mein Beispiel Nr. 1. Ich hatte ihn in einem Laden in Südfrankreich für 6,50 € gekauft und schon gedacht, “ziemlich warm haben sie es hier drin für einen so fragilen Wein.” Und tatsächlich: Ich schnuppere und schmecke, und mir tönt Unangenehmes entgegen. Oxidative Noten, ein eindeutiger Essigstich, dazu eine Frucht, die sich aus einer Kombination von Hagebutte und Traubenzucker zusammenzusetzen scheint, eine gaumenkratzende flüchtige Säure, und das alles in eine leicht brausige Gärkohlensäure-Atmosphäre gehüllt. Die Frage, die ich mir hier schon einmal gestellt hatte (und die bei der interessanten Diskussion weitergetragen wurde), taucht erneut auf: Hat der Wein von Willy und Elli a) in einem ganz anderen Zustand ihren Hof verlassen, und sind das dann alles Lagerungsprobleme, oder b) sind Weine ohne entsprechende Zusatzstoffe einfach nicht zuverlässig auf die gute Seite zu bringen?

Doch, sagt Fabien Louis, Bar- und Bistrotbesitzer aus Tain-l’Hermitage und schenkt mir Wein Nr. 2 ein. Es handelt sich um den “Ambre“, einen Vin de France aus 100% Syrah, 12,5 vol%, 12 €. Dieser Rotwein ist das Ergebnis eines Partnerprojekts zwischen Fabien und dem Winzer Franck Balthazar. Als Franck das 3,5 ha kleine Gut an der nördlichen Rhône übernahm, hat er alles genauso weitergeführt wie sein Großvater vor 60 Jahren. Außer der Umstellung auf biologischen Anbau (ab nächstem Jahr dann zertifiziert). Die beiden Freunde wollten beweisen, dass man einen vin naturel ohne jegliche Zusatzstoffe bereiten kann, der auch noch schmeckt. Das Geheimnis? “Gar kein Geheimnis”, meint Fabien, “sondern Sorgfalt und Umsicht. Bei der Ernte, bei der Vinifizierung, aber auch später bei der Lagerung.”

Ich kaufe den Wein direkt aus Fabiens klimatisiertem Keller und trinke ihn einen Tag später. Traditionell vinifiziert, also eine Weile auf der Maische gelegen, und das merkt man. Eine kühle Materie, ordentlich Tannin, aber nicht ruppig, sondern ein passendes Gerüst für einen echt strukturierten, sauberen, mineralischen Wein, ganz typisch Nordrhône. Aber irgendwie nicht typisch vin naturel. “Wie man’s nimmt”, meint Fabien, “die Guten sind mittlerweile auf diesem Niveau. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass zéro-zéro-Weine auch total sauber nach konventionellem Verständnis schmecken können. Die Essig-vins naturels sind zwar genauso gut für die Umwelt. Aber die kann ich als Sommelier keinem Kunden vorsetzen.”

Wein Nr. 3 musste mit ganz anderen Rahmenbedingungen zurecht kommen. Gut, zum einen war mir nicht bewusst, dass es sich überhaupt um ungeschwefelten vin naturel handelt, zum anderen hätte ich mich aber auch bei einem stabilisierten Wein nicht über negative Reaktionen beschweren dürfen. Ich hatte den Wein nämlich das ganze letzte Jahr über in der Küche liegen – und im Sommer hat es da gut und gern durchgängig 25°C. Der Wein, dem ich so viel Unbill zugemutet habe, ist der Jeunes Vignes des Gélinettes, ein Tafelwein aus dem Anjou, 100% Cabernet Franc, Jahrgang 2006, 13,5 vol%, 16 € ab Hof. Er stammt von Mark Angeli, dem radikalen Biodynamiker der Ferme de la Sansonnière, einem der besten Winzer ganz Frankreichs (meine persönliche Meinung). Bei einem Besuch des Weinguts hatte ich zwar die jungen Reben gesehen, top gepflegt und in einer exzellenten Lage, aber mir war nicht mehr richtig bewusst, dass Mark Angeli im Jahrgang 2006 auch noch zéro-zéro gearbeitet hat. Also nicht nur ohne die üblichen önologischen Eingriffe und Zusätze, sondern auch komplett ohne SO₂-Zufuhr. Mittlerweile stabilisiert er seine Weine in einem Bereich zwischen 40 und 50 mg je Liter, damals aber noch nicht.

Als ich also die Flasche öffnete nach ihrem Jahr in der Küche, hatte ich nicht nur ein wenig ein schlechtes Gewissen, sondern ich war mir ziemlich sicher: das ist Essig. Im Glas sehe ich dann einen pechschwarzen Saft mit einem jung-bläulichen Rand. So viel Farbe habe ich bei einem Cabernet Franc überhaupt noch nicht gesehen, auch bei einem St-Emilion nicht. In der Nase erst sehr verschlossen, dann Unterholz, Holunder und Blaubeere, ein leichter Sponti-Ton, aber gar kein Essig. Puh, doch noch mal Glück gehabt? Am Gaumen merke ich dann, weshalb dieser Wein trotz Schwefelarmut so stabil wie ein Amboss ist. Die Lösung heißt “Tannin”. Ich weiß nicht, wie lange der zukünftige Wein auf den Traubenschalen gelegen hat, aber es muss sehr lange gewesen sein.

Der Winedoctor schreibt dazu die passenden Worte: “At present the structure dominates and it is certainly a wine that should be destined for the cellar, and it may well be ten years before this is ready – if ever!” Dann gibt er dem Wein aber 16,5-17+ Punkte, also schon nicht wenig, und ich kann es verstehen. Irgendwie habe ich die Empfindung, es hier mit einem der Prä-Reblaus-Weine des 19. Jahrhunderts zu tun zu haben: Ewig weit von seiner Genussreife entfernt, trotz der derzeit völlig abweisenden Art auf eine interessante Weise transparent – und definitiv auf dem Weg zu etwas Großem, das wir vielleicht alle nicht mehr wirklich erleben werden. Ausreichend Kraft, Struktur und Säure hat der Wein neben dem Tannin nämlich auch, um nicht bis dahin in das Stadium der Ausgezehrtheit zu verfallen. Faszinierend, was sich der Winzer hier getraut hat.

Und damit komme ich dann auch endlich zu dem in der Überschrift etwas arg plakativ ausgedrückten Fazit: Ja, es gibt die Möglichkeit, nach der Rutz-Rudel’schen Definition Naturweine zu kreieren, die erstens selbst unseren konservativeren Gaumen munden und zweitens durchaus stabil sind. Und die Preise – jedenfalls bei den von mir hier probierten Weinen – sind nicht wirklich astronomisch.

Allerdings fürchte ich, dass die Bandbreite zwischen “großartig” und “scheußlich” weiterhin ganz großzügig ausgenutzt wird. Bei vins naturels neige ich also dazu, erst einmal verlässliche andere Stimmen zu bestimmten Weinen einzufangen, bevor ich mich massenhaft damit eindecke. Aber ich mache gar keinen Hehl daraus, dass mir die Philosophie des “menschlichen”, nicht von dem Wunsch nach einer Allheiltechnologie geprägten Weinbaus enorm zusagt. Die Zukunft in diesem Bereich wird auf jeden Fall sehr spannend sein – von genialen Weinen neuer Winzer bis hin zu Rattenfängerindustrieweinen mit Schwefelfrei-Etikett.

P.S. “Naturwein” im engeren Sinne wird in Deutschland meiner beschränkten Kenntnis nach noch nicht hergestellt. Aber: In spätestens zwei bis drei Jahren wird es soweit sein (können wir gern wetten…).

Edit: Wer Näheres zur 50. Jubiläumsausgabe und zur diesmaligen Gastgeberin Iris Rutz-Rudel erfahren möchte, klicke bitte hier. Es ist gut möglich, dass Ihr sie alle schon kennt, aber falls nicht, sie ist Winzerin und Bloggerin (das auch noch vielsprachig) aus dem Languedoc und stellt selbst naturnahe Weine her. Seid aber gewarnt: Ihr werdet nicht nur einen, sondern viele Artikel auf ihrem Blog lesen wollen, wenn Ihr erst einmal dort seid.

Die Tatsache, dass ich schusseliger Mensch von dieser Weinrallye überhaupt etwas erfahren habe, ist meinen Freunden und Mitbloggern Christoph und Torsten geschuldet. Der “Préambulles”, den wir dort getrunken haben, hat mir übrigens auch sehr gefallen, das nur am Rande.

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9 Antworten zu Weinrallye #50: Zwei von drei Naturweinen schmecken gut

  1. Alas sagt:

    Zwei von drei…
    Und wieviel von diesen…, von diesen …, aäh…, wie heißen die den jetzt nochmal…, also… Unatürlichweinen…, kicher…, willkürlich nach gleichen Preisen herausgegriffen, schmecken wirklich gut?

    • chezmatze sagt:

      Ah, die Unnatürlichweine! Alex hatte mir auf Facebook als Gegenpart zu “vin naturel” einfach “vin artificiel” vorgeschlagen, was glaube ich sprachlich sogar korrekt ist. Hört sich aber irgendwie übel an ;).

      Mit dem Geschmack ist das ja so eine Sache. Die meisten “anderen”, “konventionellen” Weine sind technisch stabiler gemacht worden. Also die Gefahr, da einen echten Essigwein zu bekommen, ist in der Regel sehr gering. Aber ob sie dann schmecken? Vor allem MIR schmecken…? Gehe ich mit Augenbinde zum Rewe (um mal ein Beispiel zu nennen) und greife willkürlich ins Regal, ernte ich keine gute Quote. Gehe ich zum Weinhändler meines Vertrauens (und von denen gibt es einige), liege ich dafür selten richtig daneben. Aber das ist dann schon Vorauswahl und nicht mehr willkürlich, gell?

  2. Alex sagt:

    Da hast Du noch mal Glück gehabt mt deinem Naturwein, bei 25 °C in der Küche, die fangen dann schon gerne mal an nachzugären! Ich bin aber komplett bei Dir, was dein Geschmack für diese Weine angeht. Einerseits finde ich, gibt es auch hier viel Einheitsbrei: Was bringt es wenn ein Schweizer Syrah genauso schmeckt wie ein Gamay-Wein aus dem Beaujolais oder eine Loire-Wein? Dann ist der Begriff Terroir vollkommen hinfällig. Guten Naturwein zu machen ist um einiges aufwändiger als guten “Vin artificiel” herzustellen! 😉 Ein Beispiel: Domaine Lapierre im Beaujolais, die im Grunde ein eigenes Labor bemühen um zu prüfen, dass der Wein nicht oxydiert bevor er vergärt. Deren Morgon ist ein Paradebeispiel für gelungene Naturwein.
    Auch glaube ich wie Du, dass Naturweine bald auch in Deutschland gemacht werden. Kenne schon einen Winzer, der sich experimentell mit “Orange Wine” beschäftigt (Schätzel in Nierstein). Und Köhler in rheinhessen geht ja auch in die Richtung. Ich bin gespannt! Gruss!

    • chezmatze sagt:

      Da bin ich auch sehr gespannt! Übrigens, meinst Du Marcel Lapierre (mittlerweile ja leider ohne Marcel selbst)? Die machen, wenn ich mich nicht täusche, doch zwei Versionen ihres Morgon, eine leicht geschwefelte und eine ungeschwefelte. Hast Du beide mal zusammen probiert? Ich noch nicht, aber das würde mich auch interessieren.

      • Alex sagt:

        Ja, ich meine Marcel Lapierre, bzw Marie und Mathieu jetzt. Oje, das ist eine gute Frage mit dem Schwefel. Ich denke ich habe beide probiert, aber zu verschiedenen Zeitpunkten und durcheinander, ohne Notizen. Aber dieser Morgon, egal welcher nun, hat mir immer geschmeckt, vor allem hat er nicht diesen “chaussette mouillée” Ton!

  3. Du hast ja nur vins rouges probiert, probiere mal die blancs, es gibt auch cépages, die sich geradezu dafür eignen, wie chénin. Wenn Dir Torstens Mauzac schon geschmeckt hat…

    • chezmatze sagt:

      Naja, ein paar Weiße habe ich auch schon probiert ;). Spontan fällt mir da der Sancerre Akméniné (so heißt er doch glaube ich) von Sébastien Riffault ein. Okay, kein Chenin in diesem Fall, aber für mich erstaunlich gut gelungen. Nur die Schlieren im Wein schrecken manche vielleicht ab. Didier Chaffardon habe ich noch im Keller, also seinen Wein, das ist ein toller Chenin!

  4. Marco sagt:

    Hallo Matze,
    der Titel passt! Willy und Elli kenne ich übrigens 🙂 die waren nur vor ca. 2-3 Jahren in Italien unterwegs. Von denen habe ich mal über den Weinstammtisch bei WeinPlus eine Flasche erhalten die bei mir in den Ausguss gewandert ist. Zwei Tage später kam die Mail von Hofschuster: Nicht wegschütten, der Wein müsse so sein, das sei die Art wie Weine vor den Edelstahltanks geschmeckt haben.

    • chezmatze sagt:

      Stimmt, in Italien gibt es die beiden auch, wurde mir von “vini veri”-Freunden (so heißt ja das “vins naturels”-ähnliche Konzept in Italien) bestätigt ;). Gut, ist von mir sehr plakativ ausgedrückt gewesen, es gibt natürlich auch Winzer, die gleich zu Anfang Großartiges hinbekommen. Aber daneben existiert halt doch eine ganze Reihe von Enthusiasten, deren Weine aus den verschiedensten Gründen (meist eben Unerfahrenheit) einfach nicht gelungen sind.

      Aber um es mal klar zu sagen: Ohne Pioniere dieser und ähnlicher Art (wie die Demeterleute), die beim Ausprobieren auch mal Fehler machen, würden wir dauerhaft vermutlich die Weinberge zur Industriezone umwidmen können.

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