…aber jetzt dann doch erfahrt. Liebe Weinnerds, liebe Menschen in Fachhandel, Einkauf und Gastro, liebe Freundinnen und Freunde des Dahinter: So richtig »umfassende« Beiträge habe ich ja schon länger nicht mehr verfasst. Deshalb werde ich das an dieser Stelle einfach wieder tun. Ich war im September in Georgien bei zehn verschiedenen Weingütern und habe darüber hinaus versucht, meine Augen ein bisschen offen zu halten, was Wein in Georgien insgesamt anbelangt. Hier folgen jetzt die Ergebnisse. Viele Weine, Fotos und Eindrücke aus einem Neuwelt-Land mit uralter Geschichte.
Solltet ihr also auf einen Wein aus Georgien treffen, der von einem der beschriebenen Weingüter stammt (oder euch gar einen solchen zulegen wollen), könnt ihr hier ein paar kleine Hintergründe und Anregungen finden, damit das Ganze lebendiger wird…
Ein paar Fakten vorab zu Wein aus Georgien
Georgien hat zwar eine uralte Tradition, ist aber eigentlich New World, was den jetzigen Weinbau anbelangt. Kein Weingut ist älter als von 1993, die allermeisten sind in den 00er oder gar 10er Jahren gegründet worden. Darunter befinden sich auch viele Quereinsteiger, deren Urgroßeltern bäuerlichen Wein gemacht haben, aber Geld hat man in der Zwischenzeit mit ganz anderen Dingen verdient.
Zu Anfang der Transformationszeit war die Korruption legendär, weshalb zum Beispiel als bewusstes Gegen-Statement das neue Polizeigebäude in Tbilisi komplett gläsern gebaut worden ist. Auch heute noch sind Oligarchen nie fern, wenn es ums Geldverdienen geht. Es gibt aber auch echte Family Wineries, von der Anzahl her sogar die deutliche Mehrheit. Was mich hingegen überrascht hat: Qvevri-Wein, für mich vor der Reise praktisch gleichbedeutend mit Wein aus Georgien, betrifft nur 3% der hergestellten Weine.
[Kurzer Einschub: In Georgien selbst spricht man von Amber Wine, wenn man Weine aus weißen Rebsorten meint, die auf der Maische im Qvevri ausgebaut wurden. Das macht man deshalb, weil ja auch Rote im Qvevri ausgebaut werden können. Blends unterschiedlicher Partien aus Qvevri, großem/kleinem Holz und Stahl sind selbstverständlich ebenfalls auf dem Markt.]
Was mich auch überrascht hat angesichts der doch sehr kontinentalen Lage: Das Klima für Weinbau ist schlicht ideal. Es gibt zum Beispiel 600 mm Niederschlag in Tiflis, etwas mehr in Kachetien und etwas weniger in Imeretien, relativ gleichmäßig rund ums Jahr mit Spitzen in Mai und Juni. Durch den Kaukasus, der Georgien von sibirischen Einflüssen schützt, ist der Winter nie zu kalt. Und im Sommer wird es mediterran warm, aber nicht brütend, so dass die Ernte im September ganz kommod ablaufen kann. Zwar hat der Klimawandel in Form von Temperatursteigerungen bereits zugeschlagen, aber bislang bleibt alles im akzeptablen Bereich. Kein Wunder also, dass in dieser Region alles angefangen hat.
Abwärts und aufwärts
Zur Sowjetzeit war die Rebfläche dreimal so groß wie heute, was aber auch mit der Planwirtschaft zusammenhing. Für das große koloniale Konglomerat namens Sowjetunion war beispielsweise Armenien für Brandy zuständig und Georgien neben Moldawien für Wein. Auch die Rebsorten waren vorgegeben. Im eigenen Garten durften die Bauern theoretisch alles anpflanzen, aber für die Produktion gab es die Empfehlung, sich auf Saperavi (rot) und Rkatsiteli (weiß) zu konzentrieren. Nicht unbedingt der Qualität wegen, die Rebsorten waren schlicht robust und versprachen sicheren Ertrag. Der Fasswein wurde dann zu riesigen Fabriken bei Tiflis gebracht, dort abgefüllt und in die Rest-UdSSR verteilt. Vieles war halbtrockener Roter (Kindzmarauli, Kvanchkara, der »Stalin-Wein«), aber auch lieblicher weißer Schaumwein.
1991 brach alles zusammen, die Felder wurden den Bauern zurückgegeben, die dann das anbauten, was sie und ihre Tiere ernährte. Die Weinproduktion ging erheblich zurück. Die großen Staatsfirmen waren pleite und hatten kein Land mehr, konnten also billig aufgekauft werden. Eine Räuberkapitalismus-Zeit mit wie erwähnt ungeheurer Korruption, aber erstmal war nicht viel zu holen. Der Winemaker eines großen Unternehmens berichtete mir, es habe drei Jahre gedauert, um ein Stück Land zu erwerben, das mittlerweile 34 Bauern gehörte. Dann wurde der Durst der Russen wieder groß, die Firmen versuchten ihn so gut es geht zu befriedigen. Auf dem Weltmarkt zählte Georgien gar nichts, aber die Russen kannten und liebten den Wein. Also gingen zunächst 90% dorthin.
2006 kam das Embargo, der totale Zusammenbruch des Massenexports nach Russland. Natürlich war das eine politische Entscheidung, aber es scheint auch handfeste Gründe gegeben zu haben. Ein georgischer Minister kommentierte dazu, dass viele Weinproduzenten gefälschte Weine nach Russland exportiert hätten, weil Russland als Markt bekannt sei, »auf dem du selbst Kot verkaufen kannst«. Sieben georgische Weinunternehmen wurden daraufhin staatlicherseits geschlossen. Wirtschaftlich war das natürlich schlimm, aber für viele auch ein Wakeup-Call, es jetzt selbst und anders zu versuchen.
Wohin geht der Wein aus Georgien heute?
Nachdem der Kaukasuskrieg 2008 für eine weitere Verschärfung sorgte, ging es danach wieder aufwärts. Ende 2013 wurde das Embargo aufgehoben, und seitdem ist der georgische Weinexport grundsätzlich gut aufgestellt. Mit einer Rebfläche von 55.000 ha nimmt das Land Rang 18 weltweit ein. Das ist halb so viel wie Deutschland, aber mehr als Neuseeland.
Was die Zielländer anbelangt, gingen auch 2023 immer noch 70% nach Russland (nach Menge; nach Wert weniger). Polen liegt auf Platz 2, allerdings nur mit einem Zehntel der Menge, Deutschland auf Platz 8. 70% der Exporte betreffen rote und »halbsüße« Weine, aber die Nachfrage nach exklusiveren Weinen steigt.
Die Weinexporte nach Deutschland entwickeln sich dabei äußerst erfreulich. In den letzten zehn Jahren haben sich die Mengen fast versechsfacht, die Umsätze sehen sogar noch positiver aus. Dabei liegen die Preise mit einem Durchschnittserlös von 4,28 € pro Liter weit über dem Schnitt – schließlich ist Deutschland im Export als Billigheimer-Land gefürchtet. Wein aus Georgien bedeutet auch in Deutschland zu 74% Rotwein, nur 4% sind maischevergorene Qvevri-(Amber-)Weine.
Das Jahr 2024 zeigt bislang uneinheitliche, sprich leicht volatile Tendenzen. Einerseits gab es in den ersten Monaten einen wahnsinnigen Exportboom, vor allem nach Russland. Das lag aber nach Einschätzungen des georgischen Statistikamtes vor allem daran, dass die russischen Händler eine drastische Erhöhung der Weinsteuer befürchten und sich sozusagen schon mal prophylaktisch eingedeckt haben. Andererseits bedeutet der Ukraine-Krieg für Georgien ökonomische wie moralische Konflikte. Der ukrainische Markt, früher mit 10% der Umsätze der zweitstärkste, ist praktisch zusammengebrochen. Tbilvino als einer der größten Produzenten des Landes hat sich zudem vom russischen Markt zurückgezogen, während andere wie die Askaneli Brothers weiter gute Kontakte nach Russland pflegen.
Die geopolitische Lage
Seit dem Einmarsch der Russen in die Ukraine habe er stets eine Notfalltasche mit Reisepässen und Bargeld bereit, sagte mir ein georgischer Winzer. Aber er betonte auch, dass sie »die Russen brauchen«. Und zwar als Touristen ebenso wie als Weinkonsumenten. Seit Sowjetzeiten ist Georgien für Russen das, was Italien für die Deutschen ist – Sehnsuchtsland und Gastronomie-Mekka.
Ambivalente politische Einstellungenen sind auch im Land zu spüren. Die allermeisten, mit denen ich gesprochen habe, befürworten (wen wundert’s, sie sprachen ja auch gut Englisch) eine Annäherung Georgiens an die EU. Besonders in Tbilisi sieht man oft Unterstützungsparolen gegenüber der Ukraine und Missfallensäußerungen gegenüber Russland an den Wänden. Dennoch scheint in den jüngsten Wahlen die eher prorussisch orientierte Regierungspartei die Mehrheit gewonnen zu haben. Und mal ehrlich: Wer steht im Ernstfall wirklich auf der Seite Georgiens?
Nicht vergessen sollte man dabei, wo sich Georgien eigentlich befindet. Die Flüge von Tbilisi aus gehen nach Istanbul, nach Dubai, nach Delhi, das sind die nächsten großen Metropolen. Faszinierend. Lasst es mich zum Abschluss dieses Kapitels so ausdrücken: Georgien ist ein großartiges, vielfältiges Land mit reicher Geschichte, nur müsste es wahrscheinlich etwas mehr eigene Macht besitzen, um in dieser herausfordernden geopolitischen Lage sicherer stehen zu können. Aber damit genug der Politik, jetzt probiere ich den Wein aus Georgien!
Der Einstieg zu Wein aus Georgien – Wine Factory N1
Für einen Überblick sollte unser erstes Tasting in den schicken Räumlichkeiten der Wine Factory N1 in Tbilisi sorgen. Irakli Cholobargia von der National Wine Agency, seines Zeichens Berater des (Wein)Präsidenten, ist ein echter Fachmann der Materie. Sieben Weine setzte er uns vor, zwei eher herkömmliche Weiße, zwei maischevergorene Weiße und drei Rote.
Das war zum Teil gerade für den Einstieg ein ziemlich hartes Brot, gleichzeitig aber natürlich sehr interessant, um die mögliche Bandbreite kennenzulernen. Meine Favoriten waren genau zwei Weine, nämlich der erste Weiße und der elegantere Amber. Ersterer stammt von Baia’s Wine, eine Cuvée aus den heimischen Rebsorten Tsitska, Tsolikouri und Krakhuna. Auch das ist überraschenderweise ein Qvevri-Wein, aber er hat »nur« 15 Tage auf der Maische im Tongefäß verbracht. Sehr trocken, resche Säure, leicht apfeliger Grip, aber schön erfrischend. Damit kann man bei Tisch viel anfangen. Ich habe ihn in Deutschland beispielsweise bei Weinland Georgien gefunden für 21 €. Ein gereifteres Exemplar zu günstigerem Preis kann man sich auch aus den Niederlanden kommen lassen. [Gleich mal vorweg, das gilt für alle: Ich habe einfach auf Google nach den Shops gesucht, es gibt keinerlei Verbindungen zu mir, die Links sind sämtlich auf No Follow.]
Mein zweiter Favorit war der Rkatsiteli vom Vazisubani Estate. Das ist ein klassischer Qvevri-Wein, wie man ihn erwartet. Gedörrte Früchte, trockene Kräuter, Pinien, Harz, Honig – aber immer noch zugänglich genug. Beim Georgischen Weinhaus gibt es ihn für 15,50 €.
Château Mukhrani / Kartli
Unser erster Weingutsbesuch führt uns in die Region Kartli, etwa eine Stunde nordwestlich der Hauptstadt. Im Grunde teilt man Georgien weinmäßig in einen westlichen und einen östlichen Bereich, was sich mittlerweile auch wieder in unterschiedlichen Rebsorten und Bereitungsmethoden äußert. Kartli liegt aber ausgerechnet in der Mitte des Landes, also zwischen Kachetien im Osten und Imeretien im Westen. Genau hier steht seit langem das Château Mukhrani, wobei, ihr könnt es euch denken, die Neuzeit erst 2001 begann. Zwei georgische und zwei schwedische Investoren haben ordentlich Geld angelegt, und seit acht Jahren ist als Geschäftsführer und Önologe der Deutsche Patrick Honnef an Bord. Patrick stammt (ebenso witzig wie wahr) tatsächlich aus Bad Honnef, hatte vorher aber im Bordelais gearbeitet. 100 ha, bio-zertifiziert (ja, es gibt Caucascert!) und mit Ambitionen. [Schön auch der alte Lambo-Trecker. Sowas hatte bei uns seinerzeit nur der Landhandel in Kreiensen, soweit ich mich erinnere.]
Beim Abendessen sitze ich neben Patrick, kann ihn also entsprechend löchern. Georgien habe Glück, sagt er, dass es dem Druck internationaler Önologen in den 00er Jahren widerstanden habe, überall internationale Rebsorten anzupflanzen. Letztere gibt es zwar auch ein bisschen bei Mukhrani, aber der Hauptteil sind einheimische Reben. Wohin, möchte ich wissen, soll für Mukhrani die Reise gehen? Gibt es eine Benchmark, an der er sich orientiert? »Ja, ein bisschen schon. Für mich ist das Musar. Ein Weingut aus einem ähnlich ‘abgelegenen’ Land, das es trotzdem auf die Wein-Weltkarte geschafft hat. Da möchten wir auch hin.« Generelles Ziel für das Land sollte es sein, Georgien einen Platz in der Fine-Wine-Szene zu geben. Für Masse seien sie zu klein und zu komplex.
Das ist doch mal interessant zu hören. Bei Mukhrani gibt es im Keller alle möglichen Ausbaugefäße, von kleinen Stahltanks für spezielle Partien über Barriques bis hin zu verschiedenen Tonamphoren oben und Qvevris im Boden. »Weißt du, warum viele Qvevri-Weine immer so hart sind?«, dreht Patrick das Frage-Antwort-Spiel mal um. Weiß ich nicht. »Weil die Trauben nicht wirklich physiologisch reif geerntet werden. Gute Qvevri-Weine können nämlich superelegant sein.«
Die Weine von Mukhrani
Die Weine, die wir von Mukhrani probieren, sind dann alle spürbar hochwertig und in der Regel im »europäischen Stil« gehalten. Meine Favoriten: Das ist zum einen der rote Shavkapito aus der gleichnamigen Rebsorte, 18 Monate im mittelgroßen Holz ausgebaut, rund, feinfruchtig, auf eine Weise elegant und gleichzeitig intensiv wie die neuen Weine vom Ätna. Patrick meint dazu: »Shavkapito und Dzelshavi sind Rebsorten, aus denen man fast Weine wie aus Pinot Noir machen kann. Also eigentlich untypisch für das, was man bislang aus Georgien kennt.« Aber mit echtem Fine Wine-Potenzial, finde ich.
Mein zweiter Favorit ist der Tavkveri, auch eine eher seltene, rein weibliche Rebsorte, die etwas kernigere und alkoholleichte Weine hervorbringt. Dieses Exemplar, das in Georgien 15 € kostet, ist fein, würzig, mit Sauerkirsch- und roten Pflaumennoten, eingebundenen Gerbstoffen, guter Säure, top. Dritter Tip: ein Weißer aus der Rebsorte Goruli Mtsvane. Der Wein pendelt sich zwischen Weißburgunder und Verdicchio ein, Pfirsich, Pikanz, Geschmeidigkeit, auch wirklich schön. Alle drei Weine gibt es für je 19,90 € beim Bremer Weinkolleg.
Was ist los in Kachetien?
Kachetien ist die östliche Weinbauregion Georgiens, etwa drei Stunden von Tiflis in Richtung Nordosten. Hier am Fuß des Großen Kaukasus passiert das, was man gemeinhin außerhalb des Landes weinmäßig wahrnimmt. 80% des georgischen Weins werden in der Region hergestellt, Saperavi und Rkatsiteli als Rebsorten stammen im Prinzip von hier, die Appellationen wie Kindzmarauli, Mukuzani, Tsinandali liegen ebenfalls in Kachetien. Fans westgeorgischer Weine mögen einwenden, dass bei ihnen vielleicht die feineren Rebsorten und die elegantere Qvevribehandlung zu Hause sind. Wahrscheinlich haben sie sogar recht. Aber Kachetien ist nun einmal das Wein-Powerhouse mit den größeren und exportstärkeren Betrieben.
Was ich terroirmäßig faszinierend finde, könnt ihr auf der Karte oben sehen, die ich von der Uni Tbilisi bekommen und lediglich stark eingefärbt habe. Abgebildet ist das Gebiet, an dem die drei wichtigen Flüssen Kachetiens zusammenkommen. Erst einmal sieht man auf dem Luftbild kein Wasser, sondern nur Steinland, weil Gebirgsflüsse typischerweise außerhalb des Schneeschmelze-Hochwassers einen eher geringen Abfluss haben. Schaut euch mal eine Karte vom Veneto an. Bei Flüssen wie Tagliamento oder sogar der Piave im Prosecco-Gebiet müsst ihr auch fast einen Kilometer über kalkigen Alpenschotter fahren, um das Flussbett zu queren. Oben seht ihr nun farbverstärkt, dass der Fluss Lopota aus dem Großen Kaukasus schwarzes Gestein mit sich bringt, Tonschiefer ursprünglich vulkanischer Herkunft. Der Turdo aus dem Süden hat eher gelb gefärbten Sandstein an Bord. Und der Alasani, dessen Wasser letztlich ins Kaspische Meer fließt, bringt Kalkeinfluss mit.
Das schreibe ich deshalb so nerdmäßig auf, weil es einerseits in allen drei Bereichen wichtige Weinbaugebiete gibt, Kindzmarauli im Norden, Tsinandali im Süden zum Beispiel. Andererseits sagten mir alle vor Ort mit einem Bedauern in der Stimme (ohne dass ich sie gefragt hätte), dass der Terroirgedanke in Georgien praktisch non-existent sei. Zwar wisse man natürlich, wie Boden und Klima beschaffen seien. Aber welche Rebsorten sich wofür am besten eignen, wie man Herkunftsunterschiede herausarbeitet, »Grand Cru«-Lagen von Gewöhnlichem unterscheidet, das sei alles noch in den Kinderschuhen. Fand ich spannend zu hören, zumal die super umfassende und interessante Broschüre von der National Wine Agency, »Georgia – The Cradle of Wine«, eigentlich wenige Fragen offenlässt.
Shumi Winery, Tsinandali
Erste Station in Kachetien ist die Shumi Winery in Tsinandali. Sandig-kalkige Ablagerungen, Flusskiesel, you know. Was Shumi aber so bedeutend macht, sind gar nicht mal speziell die Weine. Hier haben wir nämlich das touristisch wichtigste Weingut Georgiens vor uns. Und das hat tatsächlich einiges zu bieten. Zum einen weinbaulich-konservatorisch. Im Rebgarten gleich am Eingang werden nämlich 200 Rebsorten gepflegt, darunter etwa 190, von denen wir (= sowohl ihr als auch ich) noch nie etwas gehört haben. Matchkvaturi, Okhtura, Khiteri, Donghlabi Tetri, Vertkvichalis Shavi, Kvelouri, Tsirkvalis Tetri… Irgendwie kommt es mir so vor wie das rebgenetische Gedächtnis der Menschheit. Natürlich sind nicht alle Sorten 8.000 Jahre alt, bei weitem nicht. Aber alle sind sie innerhalb dieser 8.000 Jahre hier angebaut, selektiert, manche in den Hecken gefunden und wegen positiver Eigenschaften weitervermehrt worden.
Insgesamt 437 einheimische Rebsorten seien in Georgien im Feld vorhanden, meinte Irakli Cholobargia in seinem Eingangsvortrag. De facto werden nur 25 davon kommerziell angebaut, aber das Interesse wächst – ähnlich wie bei uns. Die Shumis machen übrigens, wenn es vom Wetter her passt, aus allen Trauben ihres Muttergartens am Ende der Saison einen Eiswein.
Aber ich sagte ja, dass Shumi vor allem touristisch interessant ist, und das haben wir ebenso getestet. Man kann bei der Bereitung kulinarischer Spezialitäten mithelfen und sich museale Artefakte anschauen. Zum Beispiel einen ausgehöhlten Baumstamm, in dem nach Art der portugiesischen Lagares die Beeren mit den Füßen zertreten wurden, damit der Saft ins Qvevri fließen kann. Oder eine über 3.000 Jahre alte Amphore, die wirklich verblüffend dem ähnelt, was heute noch verwendet wird.
Die Weine von Shumi
Man kann aber auch die Weine probieren, was wir zwar gemacht haben, aber nur während des Essens am gemütlichen Tisch. Deshalb habe ich ausschließlich zum Topwein Notizen gemacht. Jener heißt Salome und wird auf den zwei biodynamisch zertifizierten Hektaren (von 202) angebaut, ja, sowas geht hier. Dunkle Beeren, samtig im Angang, starkes aber smoothes Tannin, viel Würze und Biss, viel zu jung, aber sehr gute Perspektiven. In Deutschland gibt es ihn nicht, vor Ort kostet er gut 50 €, ein edles Stück also.
Chelti Winery, Shilda
Weiter geht es zur Chelti Winery, die zwar nicht weit entfernt liegt, aber auf der Nordseite des Tales, also unter ganz anderen Bedingungen. Die Sonne strahlt länger auf die Chelti-Felder, und der Untergrund ist schieferschwarz. Zwei junge Leute, die Kinder des Besitzers, die entsprechend das Weingut auch mal übernehmen sollen, begrüßen uns und führen uns zunächst natürlich in den Qvevri-Raum. Anders als bei den anderen Weingütern habe ich das Gefühl, dass wir zeitlich ein wenig ungelegen kommen. Die Ernte ist hier noch in vollem Gange, zudem wird in der Halle der Vorgängerjahrgang abgefüllt.
Und noch etwas kommt hinzu. Auch wenn die offizielle Story lautet, dass der Vater alles aus einer Garage aufgebaut hat (mittlerweile sind es 80 ha), gibt es Geld in der Familie. Tochter Anna war auf einem sehr exklusiven Internat in Mailand, der Sohn hat BWL in Polen studiert. Und hier stehen sie nun, die international Neigeschnupperten, wieder zurück in der georgischen Pampa.
Die Weine von Chelti
Die Weine sind aber von hoher Qualität. Neun davon probieren wir, und mein Favorit ist der Mukuzani von 2019. Das ist ein Roter aus 100% Saperavi, salzig auf der Zunge, irgendwie mit einem eisenhaltigen Biss wie manch guter Blaufränkisch aus dem Burgenland. 13,50 € kostet er derzeit bei Rindchen, das ist mehr als anständig.
Was ich noch interessant fand: Wenn man in Georgien selbst fragt, ob die Leute lieber Qvevri-Weine trinken (also Amber), gehen die Meinungen stark auseinander. Anna sagt, »wann immer wir verschiedenes Essen auf dem Tisch haben und nur einen Wein dazu reichen können, nehmen wir einen Amber Wine«. Ihre Freundinnen, die uns am Tisch gegenübersitzen, meinen hingegen, dass sie praktisch nie Amber Wine trinken. Tatsächlich haben irgendwie beide recht: Der Qvevri-Weiße ist eine Nische, aber zum Essen läuft er super.
Château Buera, Lopota
Während wir bei Chelti essen, geht draußen ein Gewitterguss hernieder, und auch später regnet es noch ausdauernd. Wir sind inzwischen an unserem Übernachtungsort angekommen. Es handelt sich um das Lopota Lake Resort & Spa, das auch ein eigenes Weingut besitzt, Château Buera. Das Gelände ist so ausgedehnt, dass man mit E-Bähnchen zum jeweiligen Übernachtungshaus gebracht wird. Es gibt glaube ich fünf verschiedene Swimming Pool-Anlagen, einen kleinen See in der Mitte und natürlich eine zentrale Restaurant-Area. Wer hier übernachtet? Überraschend viele Menschen, in erster Linie Familien der erweiterten finanziellen Oberschicht, und zwar (den Sprachen am Frühstücksbuffet nach zu urteilen) aus Georgien, Russland, Türkei, Iran, den ganzen erweiterten Nachbarländern. Dürfte in den entsprechenden Kreisen ziemlich bekannt sein.
Zum Hotelkomplex gehört wie gesagt auch ein eigenes Weingut, untergebracht in einem neu erbauten Art Brut-Schloss. Einerseits für manche sicherlich krass hässlich gestaltet, aber halt auch eine Reminiszenz an die doch ziemlich großartigen Betonkunstwerke der Sowjetzeit, die es in Tbilisi beispielsweise zahlreich gibt. Ursprünglich war das Weingut ausschließlich dafür gedacht, den Eigenbedarf der Anlage zu decken. Und Buera heißt eine alte Rebsorte, deren Weinfeld genau vor unserem Haus liegt. Sommelier Gabriel gibt erfrischend offen Auskunft darüber, was sie hier alles machen, und warum sie das tun. Da Wein nicht ihr Hauptbusiness ist, können sie es sich beispielsweise leisten, eine längere Flaschenlagerung im Reserve-Stil vorzunehmen.
Weil die Trauben für die Qvevris erst gestern geerntet und eingemaischt wurden, dürfen wir alle ein bisschen mit dem Stöckchen die Maische unterstoßen. In der Hauptzeit machen sie das alle zwei bis vier Stunden, auch nachts. Dann natürlich zunehmend weniger, um keine Schalensuppe zu kreieren. Gabriel meint, Natural Wine sei eigentlich etwas für reiche Leute, weil es so arbeitsintensiv sei in Weinberg und Keller. Die Leute würden immer denken, das müsse doch billig sein, weil man ja nichts tue, aber das Gegenteil sei der Fall.
Die Weine von Buera
Zunächst probieren wir den Sparkling Wine von Buera, der vor Ort beachtliche 38 € kostet. So etwas passt zu der Klientel hier, aber ich finde, dass es tatsächlich ihr vergleichsweise schwächstes Produkt ist. Viel Hefe und nicht gerade topfrisch. Was mir aber ausnehmend gut gefällt, ist tatsächlich ihr lediglich als »Qvevri« bezeichneter Wein, der vor Ort umgerechnet gute 8 € kostet. Das ist ein bernsteinfarbenes Gewächs, recht komplex, viele Kräuter, Rauch, Torf, Tannin, aber abgeschmolzen und dadurch einfach sehr schön in seiner Kategorie. Das ist auch ihr Bestseller außerhalb des Hotels. Beim Georgischen Weinhaus gibt es ihn für 18,90 €
Ich gebe zu, ich habe wahrscheinlich auch meiner Erziehung wegen immer ein wenig Schwierigkeiten mit zur Schau gestelltem Luxus, Reichtum und Protz. Vor allem in einer Umgebung, die im Vergleich dazu sozial marginalisiert wirkt (gilt ja für erschreckend viele Länder unserer schönen Erde). Was man aber nicht vergessen sollte: Bei Lopota arbeiten mindestens 200 Menschen aus der Umgebung, und zwar Vollzeit und in jeglichen Positionen. Das ist schlicht ein wichtiger Arbeitgeber, der qualifiziertes Personal in einer Gegend hält, die ansonsten stark abwanderungsgefährdet wäre. Nicht alle wollen in die Großstadt, und da sind Hotels, Restaurants und natürlich auch größere Weinunternehmen einfach unheimlich wichtig.
Tsinandali Estate, Tsinandali
Ein ähnlich vielseitiger Komplex, in dem gerade ein Musikfestival mit Kongress stattfindet, ist das (Auch-)Weingut Tsinandali Estate. Wir sind eigentlich nur zum Essen hier und weil wir anschließend den Keller und das Alexander Chavchavadze-Museum besichtigen wollen. Das Essen ist wie immer wunderbar in Georgien, und von den Weinen gefällt mir tatsächlich ein »europäisch« vinifiziertes Exemplar am besten. Natella heißt es, ein Weißwein, der erst eine Vermentinofrucht zeigt, dann einen gewissen Säurebiss und eine leichte Phenolik. Das bringt Spannung in den Wein, den es für 22,50 € bei Bebua gibt.
Welche Bedeutung Tsinandali für den georgischen Weinbau hat, wird mir bei der Besichtigung des Kellers bewusst. Es gab nämlich vor der Wiedererweckung der 1990er und 2000er Jahre schon einmal eine »moderne« Periode, und zwar Ende des 19. Jahrhunderts, als europäische Weinbereitungsmethoden ins Land gekommen waren und insgesamt ein großer Wissenstransfer stattfand. Zeugnis dafür legen die hier noch vorhandenen Flaschen ab. Saperavi 1892, Château Latour 1900 (!) oder auch Tsinandali Estate Riesling (!!!) 1902. Für Klavier-Nostalgiker gibt es zudem ein altes Stürzwage-Piano im Museum, dem ehemaligen Wohnhaus von Alexander Chavchavadze.
Chona’s Marani, Telavi
Für viele von uns folgt nun das Highlight der Weinreise. Tatsächlich, ob man das jetzt bewusst wahrnimmt oder nicht, ist es nämlich etwas anderes, ob man den schönen Stahltank-Keller eines Unternehmens besichtigt oder ob man ins sichtlich belebte Wohnzimmer eines älteren Paares eingeladen wird. Das ältere Paar sind Giorgi und Elena Chonishvili, er ehemals Physik-Professor, sie ehemals Lehrerin, und beide nun Mithelfende im kleinen Weingut ihres Sohnes Mikheil. Jener ist im Hauptberuf Mitglied des berühmten polyphonen Männerchors Alilo und lebt entweder in Tbilisi oder ist auf den Weinfelder unterwegs, wie diesmal.
Chona’s Marani besitzt selbst 3 ha Weinberge, kauft aber auch Trauben von Bauern zu, die genau nach ihren Vorgaben arbeiten. Gut 12.000 Flaschen wahrhaftigen Naturweins werden auf diese Weise jährlich abgefüllt. Anders als anderswo kommen wir hier nicht in den Qvevri-»Showroom«, während 97% des Weins eigentlich im Stahl ausgebaut werden. Bei Chona gibt es nur diesen einen Qvevri-Keller, und wir können den gärenden Most in den schon gefüllten Gefäßen betrachten.
Alles an diesem Ort wirkt wahnsinnig persönlich. Das alte Haus, ein wenig versteckt abseits der Straße gelegen, die Einrichtung mit Wählscheiben-Telefon und wieder einem alten Klavier – und natürlich auch die Erläuterungen von Giorgi und Elena, übersetzt von unserer allwissenden Reiseleiterin Maka.
Die Weine von Chona
Wer unter diesen doch eher bescheidenen Bedingungen jetzt das größte Problem georgischer Naturweine erwartet, nämlich flüchtig-mäuselnden Stoff nach Art von funky Brooklyn, wird enttäuscht. Tatsächlich wird hier (und das meinte auch Gabriel von Buena vorher) ganz penibel gearbeitet. Nur absolut gesundes Lesegut kommt in den Keller, immer ist jemand da, der schaut, wie sich alles entwickelt. Das sind alles andere als Zufallsprodukte.
Auch wenn mir alle vier Weine gefallen haben, möchte ich doch zwei besonders hervorheben. Das ist zum einen der Weiße aus Chinuri und Rkatsiteli, wobei die Trauben von einem befreundeten Bauern aus Kartli stammen. Chinebuli, der alte Name für Chinuri, bedeutet übrigens »wunderbar«, wie uns Giorgi erklärt. So ist dann auch der Wein. Es gibt zu Anfang doch ein ein paar flüchtige Anklänge, aber genau so viel, dass Charakter und Spannung ideal zum Ausdruck kommen. Der Wein besitzt eine schön reife Frucht, dadurch auch Gerbstoffe, die überhaupt nicht harsch daherkommen, viel Frische, Kraft, Floralität, rundum gelungen.
Mein zweiter Liebling ist ein Roter aus Saperavi. Er besitzt bereits eine attraktive Nase nach roter Johannisbeere und Minzblatt. Im Mund perlt der Wein frisch geöffnet leicht, ist ganz jung mit unmittelbarer, tatsächlich erdbeeriger Frucht, wodurch die Tannine gut eingefangen werden. Ein Naturwein wie er sein soll, null extrem im Ausdruck, aber mit Persönlichkeit. Die Weine dieser gleichzeitig klugen und bescheidenen Leute gibt es in Deutschland bei Naturwein Georgien. 24 € kostet der Weiße und 26 € der Rote.
Tbilvino, Telavi
Kontrastprogramm. Tbilvino ist ein Name, den man nicht unbedingt im schwarzen Tonschiefer-Land Kachetiens erwartet. Tatsächlich handelte es sich früher auch um eine jener Weinfabriken in der Hauptstadt Tbilisi, zu denen die Trauben stundenlang transportiert werden mussten, damit dort staatliche Gebräue für den Export nach Moskau und Leningrad hergestellt werden konnten. Seit 2012 sitzen sie nun aber mitten im Weinbaugebiet. Die Anlage auf dem platten Land ist ein wunderbarer Mischmasch aus alten Erinnerungen und topmoderner Technik. Alles was hier glänzt und glitzert im Keller, kommt aus Italien. Draußen allerdings liefern alte Sowjet-Lkws die Trauben an und fahren Trester, Stiele und Stängel wieder weg. Drinnen gibt es auch noch große rote Tanks aus der Tschechoslowakei. Sie sind aber unverwüstlich und sehr gepflegt, weshalb sie weiterhin als Lagertanks für Tafelwein verwendet werden.
Die Weine von Tbilvino
Wir probieren hingegen direkt aus den Stahltanks. Allerdings kein gärendes Material, sondern die schon weitgehend fertigen Blends. Weil man auch mit Holzausbau arbeitet, wirkt es zunächst ein wenig seltsam, aus dem Stahltank einen holzbetonten Weißen zu probieren, aber hier kommen halt alle Partien vor der Abfüllung zusammen. Der Kellermeister hat trotz des Lärmpegels in der Halle interessante Dinge zu erzählen. Beispielsweise arbeiten sie mittlerweile nur noch mit Ganztraubenpressung. Da ohnehin praktisch überall handgelesen wird (niedrige Personalkosten; ich habe bei den Fahrten durchs Weingebiet nur einen einzigen Vollernter gesehen), ist das noch nicht mal teurer. Zudem erlaubten es die modernen Gerätschaften, deutlich sanfter zu pressen. Die Phenolik in den Trauben sei ohnehin so stark, dass sie das nicht über Gebühr in den Wein lassen wollten.
Mein Favorit aus dem Blending-Tank war überraschenderweise ein Rosé aus Saperavi. In diesem Zustand, leicht trüb, ganz samtig in der Textur, aber mit Frische und Fruchtbiss im Aroma, wäre das ein wunderbares Exemplar. Leider werden sie ihn noch filtrieren, das Schicksal der allermeisten Weine aus größerer Produktion. Den fertigen Wein könnt ihr bei Suhl oder bei Hawesko für jeweils 9,95 € erwerben.
Nekresi Estate, Kvareli
Bei Nekresi landen wir, als es draußen schon dunkel ist. Wir werden auch hier nur essen und uns nicht das Weingut selbst anschauen. Ohnehin werden alle Trauben zugekauft. Dafür können sie wieder mit einem sehr schicken Ambiente punkten. Das Weingutsgebäude ist vollständig von georgischer Holzornamentik eingekleidet, und das helle und offene Restaurant wirkt wie ein stylisches Diner.
Die Weine von Nekresi
Die Weine von Nekresi bilden ein breites Spektrum ab, sind dabei aber immer irgendwie »jünger« gehalten. Ein Beispiel dafür ist der PetNat aus der Tsitska-Traube, die bekannt ist für ihre präsente Säure. Der Wein ist dann auch entsprechend frisch, hefig, easy, schön leicht und sehr angenehm, allerdings nicht unbedingt der Himmel für Charakterfreaks. Zwei weiße Qvevri-Weine gibt es auch, wobei der Kisi (wie auch bei den anderen Weingütern) immer ein bisschen dichter und präsenter ist als der Mtsvane.
Kisi als Rebsorte ist übrigens ein totaler Aufsteiger in Georgien. Die Anbaufläche wächst, die Verkaufszahlen steigen. Ausgerechnet da kommt eine Studie, die Lisa Granik in ihrem aktuellen 2024er Guide to Georgian Wines erwähnt. Mit Hilfe von DNA-Analysen hat man nämlich herausgefunden, dass die »echte« Kisi gar nicht diejenige ist, die so stark nachgefragt wird. Als der Kisi-Boom vor 15 Jahren begann, nahm man nämlich die Rebsorte Magranaauli, die der Kisi ähnelt, aber zwei Wochen früher reift und dünnere Beerenschalen besitzt. Und nannte sie ebenfalls Kisi. Nachdem die »echte« Kisi aber nicht verschwunden ist, hat man jetzt zwei unterschiedliche Varietäten mit demselben Namen.
An dieser Stelle muss ich darauf hinweisen, dass Toni Askitis die Rechte am Slogan »Give me a Kisi!« besitzt. Wer also künftig damit werben möchte, lässt die Kasse in Düsseldorf klingeln.
Die neuen Nekresi-Weine mit dem Konterfei der Tochter des Besitzers auf dem Etikett gibt es übrigens noch nicht in Deutschland, und ich glaube, dass sich Stil und Qualität da in den letzten Jahren stark gewandelt haben.
Tchotiashvili Estate, Saniore
Wieder einmal Kontrastprogramm am nächsten Morgen. Es geht zum Weingut Tchotiashvili, das ebenfalls im Gebiet der schwarzen Böden liegt, aber überhaupt nichts mit oligarchischen Investitionen zu tun hat. Der leicht komplizierte Name ist schlicht derjenige der Besitzer. Family winery als Bezeichnung stimmt hier total, denn die beiden Brüder mit ihren Familien und ihre Eltern arbeiten nach wie vor alle zusammen. Die 12 ha Rebland liegen im Umkreis von maximal drei Kilometern um das Weingut herum.
Was mich hier vor allem beeindruckt, ist die tiefe Ernsthaftigkeit, die Winzer Kakha Tchotiashvili ausstrahlt. Dieser Mann geht den Dingen auf den Grund, er übertreibt nie und lächelt nur, wenn die Sprache auf seine kleine Tochter Nitsa kommt, sein großer Stolz. Nitsa durfte auch die Flaschenform für den Rosé aussuchen. Leider hat sie sich für das teuerste Modell entschieden, aber was soll man da tun, versprochen ist versprochen.
Ansonsten hat Kakha viele interessante Details zu berichten. Beispielsweise, und das demonstriert er auch, dass die Qvevris traditionell mit einem zweiseitigen Besen aus Johanniskraut desinfiziert werden. Die kleinen Qvevris von 1.000 Litern nutzt er für die Fermentation, weil sie die Frische besser erhalten, die großen von 2.300 Litern für den Ausbau. Ansonsten hat er auch Holzfässer aus kaukasischer Eiche im Keller, in die der Most aus jungen Weinbergen kommt, die noch nicht bereit sind für den Qvevri-Ausbau. Die beste Eiche würde in der Gegend von Maikop in Tscherkessien wachsen, auf der Nordseite des Gebirges.
Die Weine von Tchotiashvili
Die Qvevri-Weine von Tchotiashvili stammen alle aus nicht entrappten Trauben. Spontangärung, ausschließlich Freilaufmost, SO2 immer unter 40 mg, Kakha arbeitet nicht nur gewissenhaft, sondern auch sehr traditionell. »A propos Traditionsbegriff«, meint er dazu, »die europäische Art der Weinbereitung gab es ja im 19. Jahrhundert schon in Georgien.« Und zur Sowjetzeit sei man technisch vorn dran gewesen, Technik, Herbizide, Fungizide, Reinzucht, Filtration, alles da und auch eifrig genutzt. Insofern ist das, was er hier macht, tatsächlich mindestens 100 Jahre zurück, aber mit dem Qualitätsanspruch von heute.
Ähnlich wie bei Chona sind die Weine alle spannend. Der Qvevri-Wein aus der weißen Rebsorte Khikhvi besitzt nicht nur präsente Tannine für Jahrzehnte, sondern auch eine sehr interessante Rotfrucht. Der Collection Wine von 2017 aus Kisi und Mtsvane ist kein Qvevri-Wein, sondern kommt aus dem angesprochenen kaukasischen Eichenfass. In der Nase leicht rauchig-reduktiv, ist das im Mund ein sehr stiller aber tiefer Wein. Erinnert mich ein bisschen an die Alten Sätze bei uns.
Und schließlich gibt es noch Weine aus seltenen Rebsorten wie Simonaseuli und Budeshuri Saperavi. 40 Rebsorten haben die Brüder in ihren Weinbergen, die sie auch als Rebschule nutzen. Und die Frauen beschreiben alle Etiketten von Hand, 50.000 Stück im Jahr… Während der Simonaseuli mehr himbeerige Frucht besitzt, zeigt der Budashuri Saperavi Anklänge zwischen Sauerkirsche und Schlehe. 10 € kostet er vor Ort, wobei die Tchotiashvili-Weine in viele Länder, aber jeweils nur in geringen Mengen exportiert werden. In Deutschland kann man sie bei 8wines bestellen, Kostenpunkt zwischen 22 € und 36 €, alles Charakterköpfe.
Teliani Valley, Telavi
Schließlich folgt noch unser letztes Weingut, etwas außerhalb der kachetischen Hauptstadt Telavi gelegen – und völlig unromantisch. Teliani Valley ist einer der größeren Erzeuger des Landes (nach Forbes die Nummer zwölf des Landes), weshalb Exportchef Shota Natoshvili meint, wenn wir sie nicht unbedingt sehen wollten, würde er uns die Stahltanks ersparen. Sieht halt aus wie woanders.
Dass wir auch auf diesem letzten Weingut unserer Reise immer noch etwas dazulernen, liegt an unseren Gastgebern Shota und Elza. Beide sind jung, sprechen sehr gut Englisch, sind aber vor allem vif und aufgeschlossen, was es für uns alle sehr angenehm macht. Shota berichtet, dass Teliani mittlerweile über 700 ha eigene Weinberge plus Zukauf verfügt, drei Kellereien, 14 Millionen Flaschen jährlich. Natürlich liefern sie auch nach Deutschland, on-trade und off-trade, Lidl, Edeka – mit Mack & Schühle als Partner.
Wie bei Tchotiashvili gibt es auch hier noch ein paar interessante Infos zum Weinbau in Georgien allgemein. Zum Beispiel, dass die Qvevris in Kachetien dickere Wände besitzen als im Westen, die Weine tanninhaltiger und fester sind. Was die »Lagares« betrifft, die Gefäße, in denen die Trauben gestampft wurden (habe ich ja weiter oben bei Shumi fotografiert), hätten die normalerweise aus zusammengebauten Brettern bestanden. Einen ganzen ausgehöhlten Stamm konnten sich nur reiche Familien leisten, und aus Stein seien ausschließlich diejenigen für ganze Dörfer oder ein Kloster gewesen.
Die Weine von Teliani
Heute geht es bei Teliani natürlich extrem modern zu, und die Weine sind von ganz unten angefangen technisch einwandfrei. Etwas interessanter wird es mit der Winery97-Serie. Der Kakhuri No. 8 soll zum Beispiel als Einstieg in die Welt der Amber Wines dienen. Sechs Monate Schalenkontakt sind es zwar auch hier, aber im temperaturkontrollierten Stahltank. Warum das? Weil es einfach deutlich größere Mengen zu günstigeren Herstellungskosten ermöglicht. Besonders beliebt im UK, ist das ein totaler Speisenwein, doch viel weniger fruchttrinkeraffiv als erwartet. Für gehobene 14,49 € gibt es ihn beispielsweise bei W wie Wein.
Was mich aber richtig gepackt hat, vor allem als Projektidee, sind die Produkte der Serie »Wine People«. Dafür fahren die Telianis mit einer kleinen Abfüllanlage über Land und helfen Weingütern, die nicht diese professionellen Möglichkeiten haben, ihre eigenen Weine unfiltriert auf Flasche zu bringen. Und natürlich dann auch zu vertreiben. Bislang sind sage und schreibe 53 solcher Weine in der Serie erschienen, jeweils mit dem Namen des jeweiligen »wine guys« aus dem Etikett und stilistisch entsprechend völlig unterschiedlich. Shota und Elza berichten, dass dieses eigentlich erst ganz bescheiden gestartete Projekt mittlerweile so viel Beachtung gefunden hat, dass es als prestigeträchtig für Winzer gilt, auch einmal dabeigewesen zu sein. Die Auflagen sind natürlich trotzdem winzig.
Nicht nur das sei übrigens ein Grund dafür, weshalb es überraschend schwierig sei, diese Weine im Export zu verkaufen. »Eigentlich kosten die Weine bei uns ja nur 10 €, aber du musst so viel dazu erklären, und es gibt lauter unbekannte Dinge, die dir im Supermarkt nicht wirklich nahegebracht werden können«, sagt Shota. Wirklich schade, denn abgesehen von den garantierten Entdeckungen, die man hier machen kann, ist das natürlich emotional und communitymäßig gedacht einfach eine geniale Sache. Ich sichere mir ein Fläschchen Tavkveri von Nika Chochishvili und hoffe, dass irgendein Händler in Deutschland die Idee künftig auch so gut findet wie ich. Denn eigentlich ist es genau das, was den georgischen Weinbau ausmacht: die Vielfalt, die alten Rebsorten, die tausend Wege, der Enthusiasmus, die Liebe.
Meine Gedanken zu Wein aus Georgien
Damit komme ich zu einer Art Fazit. Dass Georgien ein faszinierendes Weinland ist, nein, ein faszinierendes Land allgemein, brauche ich wahrscheinlich niemandem noch genauer zu erläutern. Die 8.000 Jahre Weinbau sind dabei nur ein Mosaikteilchen, das den Biodiversitäts-Hotspot im südlichen Kaukasus auszeichnet. Und was die Völkerscharen, Sprachen, Eigenheiten anbelangt, ist die Großregion ohnehin ebenso vielfältig, wie es die Anzahl der autochthonen Rebsorten nahelegt.
Dieses Komplexe wirkt einerseits faszinierend, vereinfacht jedoch eine Vermarktung nicht unbedingt. Zum einen, ich sprach es ja an, ist die geopolitische Lage zwischen weitaus größeren Mächten wie Russland, Türkei und Iran nicht gerade unproblematisch. Logistische und zolltechnische Herausforderungen tragen auf einer ganz praktischen Ebene das Ihre dazu bei. Hat man die georgischen Weine erst einmal hier, folgt die nächste Challenge: Wie komme ich bei privaten Kund:innen auf die Einkaufsliste? Schließlich ist Georgien zwar uralt, aber weltweinmarktmäßig ein Newcomer. Können wir also eines der entscheidenden Kästchen ankreuzen, die da lauten »besonders billig«, »kenne ich aus dem Urlaub«, »verspricht Prestige«? Leider nein.
Also muss es anders gehen.
- Patrick Honnef sieht den Fine Wine-Markt als Ziel, perspektivisch, der natürlich ungeheuer umkämpft ist, aber für einzelne Marken doch Platz bietet. Qualitativ sollte das möglich sein, wenn man wirklich will.
- Gabriel von Château Buera möchte hingegen den Anteil der Qvevri-Weine von derzeit 3% erheblich steigern, denn »das ist doch das Besondere, mit dem wir punkten können«.
- Wieder andere wie ein Importeur, mit dem ich gesprochen habe, sehen das Potenzial in leicht restsüßem Roten für die jungen Leute der Welt, sozusagen als Primitivo-Alternative.
- Und schließlich punktet natürlich auch die Tradition mit dem Slogan »The Cradle of Wine« – besonders in Zielländern, die mit Dauerhaftigkeit als Symbol etwas anfangen können.
Welche Zukunft hat Wein aus Georgien bei uns?
Wie der Stellenwert Georgiens bei uns wirklich aussieht, dazu kann ich etwas mit zwei für mich leicht schockierenden Erlebnissen beitragen. Erlebnis #1: der Flug. Nach Tbilisi kommt man von Deutschland aus nur mit Lufthansa und Eurowings. Ersteres aus München, jeweils in proppevollen und extrem beengten Maschinen, die beide den vierstündigen Flug ausschließlich nachts absolvieren. Das macht man nur bei Zielen, die einem gänzlich wurscht sind.
Erlebnis #2: die publizistische Rezeption. Ich hatte bei einem Meeting die Gelegenheit, mit Margaret Rand zu sprechen, der renommierten Herausgeberin des »Kleinen Johnson«, der vielleicht wichtigste Weinpublikation weltweit (nach den Parker-Punkten, versteht sich). Sie erzählte mir, dass sie in der nächsten Ausgabe den skandinavischen Ländern ein eigenes Kapitel widmen wollten. Georgien hingegen bleibt bei sieben Sätzen im Kapitel »Asien, Schwarzes Meer und Kaukasus«. Ähnlich verhält es sich mit Magazinen. Ihr könnt auch deshalb hier einen so ellenlangen Text über Wein aus Georgien lesen, weil keines der von mir angesprochenen (Wein)Magazine Interesse daran hatte, etwas zum Thema zu machen. Und warum nicht? »Keine zahlungskräftigen Anzeigenkunden«, »zu exotisch«, »das sind doch eher schwierige Weine«, »da war doch noch kaum jemand«.
Eine Nische also. Eine wahnsinnig spannende allerdings und eine, von der alle mehr erzählen wollen, die schon einmal in Georgien waren. Also müssen wir es offenbar in die eigene Hand nehmen.
Wer sich definitiv für Wein aus Georgien interessiert, das ist natürlich die National Wine Agency. Insofern, das bin ich euch als Info noch schuldig, hat sie auch diese Reise organisiert und finanziert, in bewährter Kooperation mit der Agentur ff.k in Deutschland. Lob, Dank und Grüße gehen also von hier nach dort – und an meine wunderbaren Mitreisenden. Wer dabei war (nebst Links zu ihren jeweiligen Sites), könnt ihr am Anfang meines erstes Georgien-Artikels sehen.
Gebrauchsanleitung: Wie würde ich mich Wein aus Georgien nähern?
Womit ich ganz zum Schluss dazu komme, wie ich mich, wäre ich an eurer Stelle, dem Thema Wein aus Georgien nähern würde. Zugegeben, wenn ihr bis zu dieser Stelle im Text vorgedrungen seid, habt ihr vermutlich schon mit Wein aus Georgien zu tun gehabt. Aber gesetzt den Fall dass nicht…
Dann wäre vermutlich die allerbeste Möglichkeit, um wirklich eine emotionale Beziehung aufzubauen, einfach nach Georgien zu reisen. Entweder nachts aus München oder tagsüber aus Düsseldorf. Sich in Tbilisi zu bewegen als Tourist:in, ist wirklich weder problematisch noch gefährlich. Ein bisschen hatte ich das ja schon in meinem ersten Georgien-Beitrag angesprochen. Und wenn es in die Weinbaugebiete wie Kachetien oder Imeretien geht, dann kann man das selbstverständlich auch allein mit dem Mietwagen machen, man kann sich aber auch fachlich exzellenten Guides wie unserer Maka anvertrauen. Dann bekommt man nämlich gleichzeitig einen Einblick in Kultur und Kulinarisches, und das gehört ja zwingend zusammen. Hier verlinke ich einfach mal ihren Facebook, Instagram– und LinkedIn-Account, für alle Fälle.
Solltet ihr aber auf absehbare Zeit nicht nach Georgien kommen, legt euch doch stattdessen einfach drei Weine zu, einen Roten, einen Weißen und einen Qvevri = Amber. Anregungen gibt es hier ja genug, und jeder der verlinkten Shops hat zumindest diese Bandbreite zu bieten. Dann esst unbedingt etwas zu den Weinen. Wein aus Georgien ist ein Kontextprodukt, kein akademisches Testobjekt. Denkt daran, dass sich maischevergorene Weiße kombinationsmäßig eher wie leichte Rotweine verhalten, also tatsächlich auch zu röstigen, salzigen und fleischigen Speisen passen.
Dann ist der Anfang getan. Am Ende ladet ihr gar andere Menschen ein, diese Weine auch zu probieren, veranstaltet eine georgische Supra und hebt an, einen Text mit 6.560 Worten darüber zu schreiben. Glaubt ihr nicht? Nun, wir werden sehen…
Vielen Dank für diesen doch sehr ausführlichen wie informativen Artikel!
Bislang habe ich mich den Weinen nur durch diverse Blindkäufe bei deutschen und niederländischen Händlern (die hier auch teilweise genannt sind) erfolgreich genähert, das werde ich sicher noch ausweiten! Denn tatsächlich bekannt ist mir in der langen Aufzählung hier bislang nur “Baia’s Wine”…