»Festliche Weine« – auch wenn das ein hinreichend ungenauer Begriff ist, wissen eigentlich alle, was damit gemeint sein könnte. Weine nämlich, die ein bisschen schickes Glitzern verbreiten, die andererseits aber nicht zu narzisstisch veranlagt sind. Letzteres ist vor allem deshalb wichtig, weil man festliche Weine (ein wenig deutet der Name es ja an) zu einem festlichen Anlass trinkt. Und dieser festliche Anlass bedeutet in aller Regel, Weine und Speisen miteinander zu kombinieren. Ich habe mir deshalb überlegt, vier Weine aus vier Kategorien zu wählen und jeweils auszuprobieren, was kulinarisch dazu passen könnte. Ein virtuelles Menü sozusagen.
Festliche Weine in vier Gängen
Bevor ich euch die vier Weine der Reihe nach vorstelle, möchte ich noch auf eine Gemeinsamkeit hinweisen. Sie stammen nämlich sämtlich aus biologischem Anbau. Ansonsten sind sie aber so unterschiedlich, wie es in einem bunten Weinkeller aussehen kann. Zwei der Weine sind dieses Jahr erst auf den Markt gekommen, zwei andere schlummerten schon seit langem in unterirdischen Gemächern. Aber genug der Vorreden – beginnen wir mit dem ersten Wein und dem ersten virtuellen Gang.
Der Schäumer – Zehntkeller Cuvée Pinot 2020 Brut Nature
[In Kooperation mit dem Weingut Zehntkeller] Oben seht ihr ein waschechtes Rüttelpult. Zwar zeigt man euch das auf der touristischen Kellerführung sogar bei Dom Pérignon, aber anders als dort ist es beim Zehntkeller keine Show. Das Weingut im fränkischen Iphofen rüttelt nämlich noch selbst. Kellermeister Johannes Weickert degorgiert sogar von Hand und verschließt die Flaschen mit einem uralten Handgerät, das aber noch wunderbar funktioniert. Als ich im Sommer das Weingut besucht habe, fand ich die kleine aber feine eigene Sektproduktion besonders spannend. Vor allem wegen der »Cuvée Pinot«, dem meiner bescheidenen Meinung nach besten Produkt, das hier bislang hergestellt worden ist. Aber, wie sagt man so schön, the future looks auch ansonsten bright! Der Zehntkeller ist ja nicht nur Weingut, sondern ebenfalls Romantik-Hotel, und seitdem dort Ex-Weinkönigin Klara Zehnder mit eingestiegen ist, gibt es auf allen Ebenen neuen Schwung.
Chardonnay und Pinot Noir sind die Rebsorten, die in die »Cuvée Pinot« eingehen. Aus dem Jahrgang 2020 stammend, ist der Wein wie das gesamte Weingut bio-zertifiziert. Und knochentrocken. Analytisch hat der Brut Nature 0,8 g Restzucker, das ist praktisch gar nichts. Umso überraschter bin ich, dass die »Cuvée Pinot« gar nicht karg daherkommt. Vielleicht stammt die Geschmeidigkeit vom Hefelager, vielleicht von den nicht zu unreifen Trauben, aber auf jeden Fall ist das ein äußerst ausgewogenes Produkt. Aromatisch eher zart und elegant, geht es ohne die ganz dicken Brioche-Noten eher in die walnussig-mandelige Richtung. Das scheint mir sehr vielversprechend für die Speisenbegleitung zu sein…
Tatsächlich ist es das auch, aber man sollte schauen, dass man diese elegante Erscheinung nicht mit starken Geschmäckern überfrachtet. Oder vielmehr: nicht mit unpassenden starken Geschmäckern. Denn geräucherter Hering mit Pfeffer besitzt zweifellos einen starken Geschmack, harmoniert aber geradezu kongenial mit dem feinen Schäumer. Ohnehin finde ich es sehr spannend zu sehen, wie gerade »nordische« Vorspeisen hier ihren Best Buddy gefunden zu haben scheinen. »Zu Rührei allenfalls Champagner«, ist natürlich ein geflügeltes Wort von Weinlegende Hugh Johnson, aber so ganz unrecht hat er nicht. Selbst Algenbutter oder fein Säuerliches funktionieren hervorragend mit der Zehntkeller-Cuvée. Wo man sie bekommen kann? Hier. Für 28 € im Online-Shop.
Der Weiße – Dr. Wehrheim Weißburgunder Mandelberg GG 2012
So sieht die schöne Südpfalz aus, wenn man sich gerade den falschen Tag zur Besichtigung ausgesucht hat. Weil ich letzten Februar ohnehin in der Gegend zu tun hatte, bin ich an den Rand des Pfälzer Waldes gefahren. Weiter als 50 Meter konnte man allerdings nicht sehen, zäh hielt sich die Nebelwolke in den Weinbergen. Unter solchen Bedingungen scheint die sommerliche Hitze weit entfernt. Und doch ist der Birkweiler Mandelberg nicht nur eine der wärmeren Lagen in deutschen Landen, der Jahrgang 2012 lud auch dazu ein, die Trauben reif werden zu lassen. 14 vol% stehen beim Wehrheim’schen Weißburgunder auf dem Etikett, und ich bin gespannt, ob der Wein über die Jahre zu einer inneren Harmonie gefunden hat. Der damalige Gault-Millau befand diesen nicht im Holz ausgebauten Granden übrigens für würdig, in die Reihe der »Klassiker der deutschen Weinkultur« aufgenommen zu werden.
Farblich zeigt sich der Weißburgunder deutlich gereift im Glas. Auch in der Nase merkt man ihm das Jahrzehnt schon an – allerdings auf eine ziemlich ungewöhnliche Weise. Nach einer ersten schüchternen Anfangsphase zeigen sich nämlich immer stärker Roggenbrot und viel Haselnuss in unterschiedlichen Varianten. Im Mund gibt es die erwartete Kraft, aber nicht die befürchtete Hitze. Tatsächlich wirkt der Wein nämlich über eine Pikanz, die nicht aus der Frucht kommt, sondern Säure und Dichte mit salziger Jodigkeit kombiniert. Ohne Holz und ohne Reduktionsanflug wirkt das irgendwie altmodisch im Vergleich mit aktuellen Exemplaren von beispielsweise Carsten Saalwächter, aber doch auf eine positive Weise eigen. Sein großer Vorteil liegt vor allem in der Speisenaffinität. Spontan denke ich an Backhendl, an Kalbsgeschnetzeltes mit Spätzle. In der Praxis erweist sich aber auch Bratfisch mit Pastinakenpüree als top. Da ist vieles möglich.
Der Rote – Kopp Spätburgunder Sonnenberg 2019
[In Kooperation mit dem Weingut Kopp] Die ausgesprochen reizvolle Landschaft auf dem Foto oben ist die Heimat unseres Weins. Ihr seht den Ort Varnhalt, und eine der drei Lagen des Dorfes ist der Sonnenberg. Die Reben reichen von der Ebene über das vielfältige Hügelland bis direkt an den Rand des Schwarzwalds. Auch geologisch sind wir in einer ausgesprochen spannenden Region. Trotzdem kennt man überregional auch die allerbesten Lagen der nördlichen Ortenau kaum. Das hängt damit zusammen, dass bis vor kurzem primär Genossenschaften hier am Werk waren. Vorteil dieses Schicksals: Gibt einer der Genossenschaftler auf, kann man als unabhängiger Winzer relativ leicht auch an absolute Filetstücke kommen. Genau das hat Johannes Kopp getan. Und deshalb möchte ich hier seinen anspruchsvollen Spätburgunder zeigen.
Die Reben stehen auf recht tiefgründigem Lösslehm, aber dennoch hat Johannes im warmen Jahrgang 2019 der Versuchung widerstanden, die Trauben zu, nun ja, sonnig werden zu lassen. 22 Monate lang wurde der Wein in französischen Barriques ausgebaut und anschließend unfiltriert abgefüllt. In der Nase scheint das Holz noch leicht durch, und sofort merke ich: Das ist ein Wein, mit dem man sich Zeit lassen kann. Ist er dann ausreichend belüftet, fächert sich die anfangs engere Aromatik immer weiter auf. Da gibt es balsamische Anklänge, da gibt es etwas Waldbodengefühl, und schließlich kommt auch die schwarzkirschige Frucht immer mehr zum Tragen. Eher kühl und bodenverbunden als luftig und duftig, können auch die Speisen aus jener Aromenwelt stammen.
Auf keinen Fall sollte ich vergessen, das durchaus herzhafte Tannin zu erwähnen. Für deutsche Rotweine ist das schon etwas ungewohnt, aber mir gefällt es vor allem deshalb, weil es bei der Speisenbegleitung diesen leicht rauen Kontrapunkt liefert. Ich möchte jetzt nicht von Grünkohl mit Bregenwurst sprechen, aber die dunkelkühle Phenolik des Sonnenbergs kann ganz erstaunliche Gerichte einfangen. Entscheidender Punkt ist dabei die Art der Sauce. Natürlich, für jene kann man ruhig auch schon den Wein selbst verwenden, das ist auf jeden Fall am harmonischsten. Ein Fond mit Herbsttrompeten bietet sich an, ein bisschen dunkler und tatsächlich auch waldiger gehalten. Dann funktionieren sowohl Geflügel wie Wachtel als auch feine Wildgerichte. Wie man an den Wein kommt? Ganz einfach: 35 € im Online-Shop – der kräftiger ausgefallene 2018er ist ebenfalls noch erhältlich.
Der Süße – Domaine aux Moines Savennières Cuvée des Nonnes 2002
Roche aux Moines heißt die Unterappellation des ohnehin schon nicht sonderlich ausgedehnten Savennières, eine der berühmtesten Herkünfte an der Loire. Und mitten in der Lage befindet sich das Gebäude oben, die Domaine aux Moines. Tessa Laroche ist hier die Hausherrin und auch rein namentlich der Fels in der Brandung. Wahrscheinlich besitzt der trockene Savennières des Weinguts einen größeren Bekanntheitsgrad (ihr könnt den 2021er bei Karl Kerler kaufen), aber dieses süße Schätzchen passt auch ganz hervorragend in die Rubrik »Festliche Weine«.
20 Jahre in Flasche und Keller haben zunächst einmal dem Kork übel mitgespielt, und so muss ich eine ganze Weile herumprobieren, bis alles sauber draußen ist. Der Wein selbst steht allerdings weiter wie eine Eins. Noch unheimlich präsent in der Frucht, mischen sich solche Aromen wie Bratapfel, Orangenschale, Walnuss und Steinpilz zu einer komplexen, aber glücklicherweise nicht anstrengenden Komposition. Im Mund dominiert auch die Orange, fast wie orange marmelade, aber komplett ohne den Bitterton. Die Ingwerwürze zeigt dann, dass wir hier schon ordentlich Umdrehungen haben, aber trotzdem wird der Wein nie dick. Als Solo-Dessertwein ist er mir nicht nachhaltig genug, aber zu Vanillekipferl oder (noch besser) einem Kokosdessert funktioniert das ganz hervorragend. Jedesmal, wenn ich so einen Wein trinke, denke ich mir, »welch Köstlichkeit, das sollte ich öfter tun!«. Vielleicht lerne ich ja diesmal daraus…
Festliche Weine zum Essen – mein Fazit
Vier festliche Weine habe ich hier ausgewählt, und neben dem biologischen Anbau hatten sie dann doch noch eine andere Sache gemein. Trotz ihrer zum Teil ausgesprochen individuellen Züge haben sie sich nämlich als echte Teamplayer offenbart. Der feine Zehntkeller-Sekt zu Nordic Tapas. Der reife Weißburgunder zu Bratfisch-Happen. Der energische Kopp-Spätburgunder zu Wachtel mit Herbsttrompeten. Und schließlich noch der süße Chenin zu Kokos-Ingwer-Tarte. So könnte es aussehen, das Festmenü…
Guten Morgen und einen ruhigen 2. Advent allerseits.
Mich würde interessieren, wie lang das Hefelager beim Sekt war. Ich freue mich immer, wenn Sekterzeuger Autolyse nutzen und die fängt nach 16 Monaten an. Außerdem spielt es ja eine geschmacklich große Rolle, ob der Grundwein im Holz lag, in was für Holz und ebenfalls wie lange.
Gar nicht nach “frischem Wind” sieht das Etikett aus. Scheußlich!
Der Weißburgunder von Dr. Wehrheim ist wirklich ein barockes Exemplar und macht sehr satt. Da muss ein wirkliches Gegengewicht auf dem Teller liegen.
Hier mein Vorschläge:
Zum Sekt: Buchweizen-Blinis mit Forellenkaviar und/oder Kartoffelrösti mit Tartar von der Räucherforelle
Zum Weißburgunder: Tiroler Kürbisstrudel oder Spinatnocken in Nussbutter
Zum Spätburgunder: Entrecôte / Steinpilz-Jus / Schwarzkohl / Polenta mit Bergkäse oder Rehfilet im Wirsingmantel mit Pilzen
Zum süßen Chenin: Bratapfel gefüllt mit Walnussmarzipan und Orangensauce oder Lebkuchenmousse mit Ingwer-Pflaumen-Orangen-Sauce
Fröhliches Schmurgeln!
Thomas Riedl
Hallo Thomas, ich bin die Woche in Paris und habe leider meine genauen Aufzeichnungen über den Sekt nicht dabei. Aber: Jahrgang 2020, degorgiert soweit ich weiß Frühjahr oder Sommer 2023, da müssten mehr als 16 Monate Hefelager drin sein 😉