Das Beste von Turin – der Markt an der Porta Palazzo

Markt Turin

Turin ist eine Stadt der Arbeit und nicht des Urlaubs. Die viertgrößte italienische Metropole kennt man in erster Linie als Sitz von Fiat (die Autofabrik in Lingotto war die größte der Welt), als Handelszentrum, als geschäftigen Ort allgemein. Romantische mittelalterliche Gässchen findet man hier ebenso wenig wie echte Weltsensationen. Eine Stufe darunter hat Turin allerdings jede Menge zu bieten. Und das nicht nur an barocken Palästen, nicht nur an schicken Boutiquen, an Chocolatiers und Restaurants. Sondern auch auf den Straßen, auf den Märkten. Angeblich gibt es hier nicht weniger als 21 Wochenmärkte mit jeweils mehr als 100 Ständen. Der wichtigste davon findet wochentags an der Porta Palazzo im Norden des Zentrums statt. Am meisten los ist am Samstag – deshalb bin ich hingegangen.

Warum geht man in Turin auf den Markt?

Ich war vorher noch nie in Turin. Außer zum Umsteigen im Bahnhof, aber das zählt ja nicht wirklich. Insofern war ich darauf angewiesen, was andere Leute darüber berichten, und das war oft überraschend begeistert. Wahrscheinlich hängt Letzteres auch damit zusammen, dass man von Turin nicht so etwas erwartet wie von Rom, Florenz oder Venedig. Sondern dass man bei Industriestädten mit großen Konzernen an solche Schmuckstücke wie Wolfsburg oder Leverkusen denkt. Während in Wolfsburg oder Leverkusen jedoch Geld verdient wird, um es woanders auszugeben, ist Turin groß und bedeutend genug, um jenes gleich an Ort und Stelle zu erledigen. Mein Vorurteil also war: gesichtslose Arbeitervorstädte und ein Palazzo-mäßig ausgeschmücktes Zentrum mit lauter Luxusboutiquen.

Was ich hingegen nicht geahnt habe (ich übertreibe leicht): Es gibt jede Menge Menschen in Turin zwischen den Kategorien Prekariat und Bonzenschaft, die hier leben und sich versorgen müssen. Interessanterweise passiert Letzteres kaum in konventionellen Supermärkten, denn damit ist Turin im dicht bebauten Zentrum nicht gerade üppig ausgestattet. Sondern die Turinerinnen und Turiner gehen praktisch alle wie in altitalienischen Zeiten auf den Markt.

Der Markt an der Porta Palazzo

Wie groß der Hauptmarkt an der Porta Palazzo ist, lässt sich aus Frosch- und Menschenperspektive gar nicht wirklich ermessen. Deshalb hat die Stadt extra Plakate mit Luftbildern aufgehängt.

Markt Turin

Das riesige, achteckige Areal bildet sozusagen eine schleichende Grenze zwischen Dom- und Palastbereich im Süden und dem multiethnischen Norden. Nähert man sich aus Richtung Süden, wird dieses Schleichende bereits daran deutlich, dass die schicken Geschäfte zunehmend einfachen Klamottenläden und Souvenirshops im Stil der tiefen 1960er weichen. Auf dem Platz angekommen, breiten sich Marktstände in jedem der vier Viertel aus. Haushaltswaren, Obst und Gemüse, unglaublich viel, aber nicht so wahnsinnig spektakulär. Die besonderen Stände verbergen sich nämlich direkt in oder um die Markthallen, von denen es nicht weniger als drei Stück gibt. Unsystematisch, wie es die Art des Explorierenden ist, gehe ich einfach in diesen Hallen herum.

Eine Warnung vielleicht vorweg für Empfindliche: Auf dem Markt oder vielmehr den Märkten an der Porta Palazzo ist es eng, laut, wühlig, es riecht nach den Dingen, die verkauft werden, und es werden Dinge verkauft wie auf dem Foto unten. Ein volkstümlicher Ort also, der sich nicht für den Sonntagsstaat eignet.

Fleisch und Gekühltes

Markt Turin

Am Innereienstand gibt es Trippa, also Kutteln, die in der traditionellen italienischen Küche eine nicht unbedeutende Rolle spielen. Mir bislang unbekannt hingegen waren solche Dinge wie Stigghiola oder Torcinelli. Jene seht ihr auf der linken Seite des Fotos. Stigghiola, man ahnt es an der regionalen Bezeichnung, sind eine Spezialität aus Sizilien. Dabei werden Lammdärme um einen Bund aus Lauch, Petersilie, Zwiebeln und Kräutern gewickelt und anschließend gegrillt. Auf dem Holzkohlenfeuer natürlich. Torcinelli stammen dafür vom Absatz des Stiefels, aus Apulien oder der angrenzenden kleinen Region Molise. Auch hier geht es um Lamm oder um ehrlich zu sein um Hammel. Damit das Päckchen hält, wird es auch mit Darm umwickelt, während der Inhalt weniger aus Kräutern, sondern vielmehr aus Innereien, bevorzugt Leber, traditionell Hoden, besteht. Auch das wird über Holzfeuer gegrillt und gestaltet sich dann entsprechend geschmacksintensiv.

Markt Turin

Zwei Stände weiter gibt es ebenfalls Innereien und alles from nose to tail, aber mit einem gewissen Twist. Auf dem Tresen stehen nämlich Dinge wie Palmöl oder scharfe pepper sauces im Glas. Auch die Klientel verrät, dass es sich hier um Spezialisten für die westafrikanische Küche handelt.

Markt Turin

Im Stand daneben kommen Freund*innen von Schinken und Käse aus den italienischen Regionen auf ihre Kosten. Die Schlangen sind an den begehrten Ständen überall lang, und selbst wenn das nicht der Fall ist, dauert der Kaufvorgang eine ganze Weile. Schließlich geht man nicht auf den Markt, um in einem automatisierten Prozess Nahrungsmittel zu erwerben. Nein, es geht natürlich um Beratung, um den Austausch von Kochideen, um den Plausch.

Der Bauernmarkt

Markt Turin

Nur samstags findet in der nächsten Halle, die anders als jene davor nur aus einem verschnörkelten Eisendach besteht, der Bauernmarkt statt. Produkteure kann man statt Bauern auch sagen. Damit man sich keinerlei Illusionen darüber hingibt, was es hier zu kaufen gibt und nicht etwa im Oktober nach Karotten verlangt, steht eine Tafel mit Saisonauskünften davor.

Markt Turin

Jetzt im Frühherbst gibt es ein wirklich umfangreiches Angebot, viel Obst natürlich, aber auch schon die ersten Kastanien und Nüsse. Nüsse aus dem Piemont sind ja nun wirklich weltberühmt, und nicht umsonst ist Gianduia die große Spezialität von Turin.

Bauernmarkt

Eine Frau hat auf ihrem Fahrrad ausschließlich Tenerumi mitgebracht. Dabei handelt es sich auch um eine Art nose to tail-Geschichte. Die Pflanze heißt botanisch gesehen Lagenaria siceraria var. longissima, auch als Zucca da Vino bezeichnet. Man isst von der Kürbissorte nicht nur die Früchte, sondern auch die Blätter und Ranken, besonders natürlich die zarteren Ausgaben. Geeignet sind Tenerumi besonders als Pastagemüse oder zu Fisch.

Überraschendes am Wegesrand

Peruvian specialties

Italien ist seit den späten 1980er Jahren kein Abwanderungsland mehr. Mittlerweile leben gut fünf Millionen Menschen aus anderen Ländern dauerhaft in Italien. Das wichtigste Herkunftsland ist Rumänien, aber es gibt auch fast 100.000 Peruaner*innen – besonders in den größeren Städten des Nordens. Deshalb kann man in Italien ziemlich gut und authentisch peruanisch essen. Das hatte ich schon vor über einem Jahrzehnt in Mailand festgestellt. Wer gern mit den richtigen Zutaten kochen möchte, findet in einer der Markthallen gleich mehrere Stände mit einem entsprechenden Angebot. Wie wäre es also mit Lúcuma, einer Frucht, die gern für Nachspeisen verwendet wird? Oder mit Zapallo Loche für eine typisch peruanische Kürbissuppe?

Essen auf dem Markt von Turin

L'Angolo del Mare Torino

Für hungrige Touristen hat der Zentralmarkt von Turin zum Glück auch etwas zu bieten. Wer auf Fischgerichte steht, kann entweder einen eher unscheinbaren Stand an der Nordosthalle nutzen, muss dann aber mit Stehtischen Vorlieb nehmen. Sehr empfohlen wird auch die Pescheria Gallina, ein echtes Restaurant östlich außerhalb des Marktbereichs.

Allein aus praktischen Gründen empfiehlt sich allerdings der Fischstand der Familie di Mola in der modernen nordwestlichen Halle. Oben an der Halle steht il Mercato Centrale Torino, drinnen gibt es aber nur zwei Stände, an denen wirklich etwas los ist. An einem kann man die Brote von Raffaele D’Errico kaufen, an dem anderen eben Fisch und Meeresgetier. Unten am Stand stehen zwei oder drei Verkäufer, die beraten und offenbar auch gut unterhalten. Hat sich ein Standbesucher für einen der Fische entschieden, wird jener hochgeworfen zum oberen Standende, dort gewogen und verpackt, und dann geht es wieder hinunter nach rechts zur Kasse.

L'Angolo del Mare Torino

Wer möchte, und genau das wollen wir ja, kann sich alles (ähnlich wie in Brüssel nahe des Gare du Midi) auch frisch zubereiten lassen. Wer Fritto Misto bestellt, sollte allerdings nicht nur einen kleinen Hunger mitbringen. Zum Teller oben mit drei verschiedenen Fischsorten, Tintenfisch und Garnelen gibt es noch eine üppige Portion Pommes Frites, Wasser – und natürlich ein coperto, wir sind schließlich in Italien.

L'Angolo del Mare Torino

Man wird an den Tischen übrigens bedient, und das gilt für die ganze Halle, denn es befinden sich noch etliche andere Food Stalls dort. Pizza, Pasta und Grillfleisch können allerdings nicht annähernd mit den fangfrischen Fischen mithalten, finde ich. Im Unterbereich der Halle lassen sich übrigens zwei alte Eishäuser bewundern, Ghiacciaie genannt, sozusagen Kühlschränke aus dem 8. Jahrhundert. Pappsatt und zufrieden geht es nun noch ein bisschen um die Hallen herum.

Die Gassen im Norden

Flohmarkt Fahrrad

In den Straßen des kleinbürgerlichen und ziemlich bunten Viertels im Norden findet nämlich samstags auch ein Flohmarkt statt. Lokales und studentisches Publikum schaut dabei, ob sich etwas finden lässt, was man gebrauchen kann oder einfach gut aussieht. Fahrradfans können mit Glück richtig alte Schätzchen finden, manche gar fahrbereit.

Hülsenfrüchte

Bei Ditta wird mir, da ich es zwischenzeitlich vergessen hatte, wieder bewusst, dass Italien auch das Land der Hülsenfrüchte ist. Ich weiß, spontan kochen kann man mit getrockneten Bohnenkernen nicht wirklich. Aber gerade jetzt im anstehenden Winterhalbjahr kann ich mich gedanklich mit einer heißen Bohnensuppe durchaus anfreunden. Der Laden hat es übrigens auch in den kulinarischen Teil des Gambero Rosso geschafft, wie ich im Nachhinein feststelle.

Weinkauf in Turin

Damarco Vini

A propos Gambero Rosso: Die ganze Zeit habe ich noch nicht von Wein gesprochen. Natürlich kann man an den einzelnen Marktständen, bevorzugt jenen mit Käse, auch Weine erwerben. Wer aber in unmittelbarer Marktnähe eine richtig große Auswahl haben möchte, sollte sich in das an der Südostecke des Platzes gelegene Fachgeschäft Damarco trauen. Wieso trauen? Weil man schon anhand des Schaufensters ahnt, dass es drinnen Ali Baba-mäßig eng, vollgestellt und entsprechend fordernd werden wird.

Tatsächlich ist es aber gar nicht anstrengend. Wer möchte, wird nämlich freundlich beraten. Man kann sich aber auch einfach so durch die engen Gänge quetschen. Die Preise sind ausgesprochen fair und immer überdeutlich angebracht. Weil ich nicht mit schwerem Flaschengepäck durch die Innenstadt zurücklaufen möchte, kaufe ich nur eine einzige Bouteille, obwohl es Dutzende interessanter Produkte gegeben hätte. Die Auswahl reicht dabei von ultraklassisch über lustig ausgedrückte vini naturali ed esoterichi bis hin zu Grappa. Ich entscheide mich schließlich für den Pelaverga Verduno von Burlotto. Vertrauenswürdiger Winzer, seltene autochthone Lokalrebsorte – was will man mehr? Klar, hätte ich auch in Deutschland bestellen können, aber hier ist das natürlich romantischer und passt auch irgendwie zu diesem wunderbaren Ort.

Kommt also nach Turin, trinkt schick einen Caffè, kauft eine modische Handtasche, und wenn ihr am nächsten Tag schließlich bereit seid für die wühlige Welt – geht auf den Markt an der Porta Palazzo.

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4 Antworten zu Das Beste von Turin – der Markt an der Porta Palazzo

  1. Toni sagt:

    Guten tag
    Hätte auch noch gerne was zum bierangebot gelesen🙏
    Mit hopfigen grüssen
    Toni

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