Diesen Blog gibt es seit zwölf Jahren und 700 Blogposts. Ich bin mir aber ziemlich sicher, noch niemals nie über eine Tankstelle berichtet zu haben. Zugegeben, es gibt ein paar Tankstellen mit einem gewissen Craftbeer-Interesse, eine, äh, naheliegende Kombination. Aber ansonsten muss man sich über wabbelige Brötchen und Funny Frisch zum doppelten Preis glaube ich nicht länger auslassen. Der Uhoda-Shop hingegen rüttelt an diesem Weltbild. Absolut irre, aber seht selbst…
Wer oder was ist Uhoda?
Die Familie Uhoda verließ das Jugoslawien Titos zunächst in Richtung Belgien. Einer der Brüder, Stefan, blieb in Liège hängen, die anderen gingen weiter nach New York. Stefan errichtete im Jahr 1963 seine erste Tankstelle an der Kennedy-Brücke in Liège am Eingang zur Innenstadt. Spulen wir jetzt weiter vor, sehen wir 75 weitere Tankstellen, Waschanlagen, Parkplätze – ein echtes Imperium. Und wir sehen auch die dritte Generation: auf Stefan folgt Stephan und jetzt Stéphane-Alexandre. Letzterer beschloss vor zwei Jahren, den Standort »Tankstelle« noch ein bisschen besser zu nutzen. Seitdem gibt es die Uhoda-Shops, drei an der Zahl. Einer ist der beschriebene Kennedy-Shop (der Link geht zu Google Maps), einer in Beaufays und einer seit einem guten Monat in Vennes. Was es dort gibt? Eine Menge.
Traiteurwaren
Eine Institution, die im französischen Sprachraum ebenso wie in Italien unverzichtbar erscheint, ist der Traiteur. Oft sind es Metzgereien, manchmal Fischgeschäfte, manchmal auch spezialisierte Läden, in denen Fertiggerichte frisch zubereitet werden, die man dann nur noch aufwärmen muss. Das Angebot ist riesig, fängt bei Spaghetti Bolognese an und hört bei Hummer mit Wintergemüse noch lange nicht auf. Und ja, es gibt gewisse geschmackliche Unterschiede zu den Plastikschalen-Menüs, die ich im Ferienjob meiner Schulzeit mit zubereitet habe.
Der Uhoda-Shop ist voll mit Kühltruhen, in denen die erstaunlichsten Traiteurwaren schlummern. Unter den Produzenten erkenne ich das Grand Café de la Gare, das einzige Restaurant im Uhoda-Imperium, ausgestattet mit Haube und 13 Punkten im Gault Millau. Ich erkenne auch den preisgekrönten Metzger Maxime Schmitz aus der Rue St-Gilles, das renommierte Haus Bouillon & Bierna, Le Bistrot d’en Face, ein Bib Gourmand-Restaurant, Fables du Liban mit Levanteküche oder das Comptoir des Mers mit – richtig – Fisch- und Meeresfruchtgerichten.
Wein im Uhoda-Shop
Bei der Weinauswahl setzen die Uhodas verständlicherweise nicht ausschließlich auf lokale Produkte. Dafür aber auf die Expertise dreier unterschiedlich ausgerichteter Weinkenner*innen, nämlich Vintrépide, Verre Bouteille und Sobelvin. Entsprechend vielseitig sind die Produkte und reichen vom klassischen Bordeaux über ein bisschen Naturwein bis zu selten zu findenden Schätzchen wie dem FRV 100, einem alkoholleichten halbtrockenen Ancestrale-Sprudler aus dem Beaujolais.
Primär französischen Käse zum Mitnehmen gibt es natürlich auch. Verantwortlich dafür ist die Crémerie Saint-Simenon, einen der wenigen Partner, von dem ich noch nie etwas gehört hatte. Kein Wunder, der Laden befindet sich nördlich von Liège auf dem platten Land, soll aber eine absolute Legende sein.
Lokale Favoriten
Ihr habt wahrscheinlich schon mitbekommen, dass es sich bei den Lieferanten oder eher Partnern von Uhoda um lokale Businesse handelt. 28 kleine Unternehmen aus der Region sind auf der Website der Tankstellen-Shops genannt und beschrieben (in Wirklichkeit sind es noch viel mehr). Bei nicht weniger als 16 davon ist Uhoda außer dem eigenen Laden selbst die einzige Verkaufsstelle. So zum Beispiel bei der wirklich exzellenten Chocolaterie Franz. Ich hatte im dortigen Laden vor einiger Zeit gefragt, ob man ihre Produkte auch woanders bekommen kann. Nein, sagte man mir. Zwar hätten sie schon viele Anfragen bekommen, aber da es ihnen um die Frische ginge und sie nicht hundertprozentig sicherstellen könnten, dass ihre Schoko-Produkte woanders auch innerhalb einer Woche verkauft sind, hätten sie das bislang immer abgelehnt. Nur private Lieferungen innerhalb Belgiens seien möglich. Offenbar jetzt mit einer Ausnahme…
Gleiches gilt für die Kaffeerösterei Meers mit ihrem einzigen kleinen Laden gegenüber der alten Universität. Das war einer der ersten Orte meines Lütticher Jahres vor langer Zeit, den ich damals für mich entdeckt hatte.
Ohnehin ist es nicht so, dass der Uhoda-Shop die Menschen davon abhalten soll, die einzelnen Läden und Restaurants selbst zu besuchen. Im Gegenteil. Es handelt sich ja jeweils nur um ein Teaser aus dem dortigen Angebot.
Neues aus Liège
Liège und die Bierkultur, das ist ja ein Thema, über das man länger diskutieren könnte. War die große und durchaus kräftig biertrinkende Stadt bis vor einigen Jahren praktisch ausschließlich Jupiler-Land, hat sich das mittlerweile geändert. Ein ausgezeichnetes brandneues Bier, das ich bisher überhaupt nicht kannte, seht ihr beispielsweise hier links auf dem Foto, das Marcus Saison. Hinter Marcus Beer steht Marc Ravet, ein junger Brauer mit Beertruck aus dem Umkreis der ebenfalls noch recht neuen Brauerei {C} wie Curtius. Sein Saison ist jedenfalls schon mal großartig.
Nun habe ich zu Liège bereits zwei Einkaufsführer-Artikel geschrieben (Teil I und Teil II) und vor zwei Jahren ein Update vorgenommen, nachdem sich die Innenstadtgassen mit Wattitude und Co. so positiv entwickelt haben. Eine Sache steht da allerdings noch nicht drin, die ich jetzt sehr gern nachliefere.
Direkt um die Ecke vom Place du Marché hat sich ein weiteres kleines Imperium aufgebaut, ein bisschen kleiner noch als dasjenige der Uhodas, aber wer weiß. Die Rede ist von Une Gaufrette Saperlipopette. Saperlipopette ist ein Dialektbegriff, der zum Ausdruck bringt, dass man das Vorgenannte jetzt unverzüglich haben will. Une Gaufrette nämlich, eine Lütticher Waffel. Mittlerweile haben die Saperlipopettes vier kleine Läden in vier kleinen Häusern angemietet und bieten a) Fritten mit selbstgemachten Saucen, b) Brot und c) Backwaren von Spekulatius über Cannelé bis zu Waffeln. Alles ist frisch zubereitet und von fantastischer Qualität. Natürlich gibt es eine kleine Auswahl davon in der Tankstelle…
Uhoda und die Kunst
Zum Abschluss noch ein Link, der das Dreieck der natürlicherweise am weitesten voneinander entfernten Punkte zwischen Autowaschanlage und Lokalgourmet komplettiert: zeitgenössische Kunst. Die Familie Uhoda hatte nämlich schon immer ein Interesse an Kunst, und das gilt bis heute.
Der Bahnhof Guillemins, durch die spektakuläre Architektur von Santiago Calatrava ohnehin schon einer der Hot Spots für alle Besucher, hat im Oktober nämlich nochmal ein neues Gesicht bekommen. Jedenfalls vorübergehend, für ein Jahr genau. Die Familie Uhoda hat sich als Mäzen dafür starkgemacht, dass Daniel Buren den Bahnhof für diese Zeit ein bisschen farbkräftiger gestaltet. Bei schönem Wetter wie vorgestern ein toller Anblick.
Kleines Fazit
Ob sich eine Gourmet-Tankstelle wie der Uhoda-Shop wirtschaftlich halten kann, weiß ich natürlich nicht. Für mich als Besucher der Stadt ist es aber eine großartige Gelegenheit, wie in einem kleinen Kauf-Museum die besten lokalen Genusshandwerker der Region kennenzulernen. Und das auch zu Zeiten, in denen jene nicht geöffnet haben. Nämlich Montag bis Samstag von 6 bis 22 Uhr und Sonntag 8 bis 22 Uhr. »Passion Service« steht auf dem Kassenbon, den ich vom Uhoda-Shop mitnehme. Passt irgendwie.
Spitzenklasse!
Lieber Matze,
mal wieder eine tolle Anregung, Liège und die Region aufzusuchen – ein auch von mir hochgeschätztes kulinarisches Jagdgebiet. Es gibt immer wieder Überraschungen! Auf diese erstaunlichen Tankstellen bin ich noch nicht gestoßen, das werde ich bald nachholen.
Vielen Dank für den tollen Bericht!
Gibt es inzwischen Erfahrungen mit den lokalen Weinen? Im Maastal tut sich ja gerade einiges. Auf der nahegelegenen niederländischen Seite bei Maastricht gibt es schon länger beachtliche Qualität (Apostehoeve, Hoeve Nekum etc.)…
Ja, Liège hat mich wieder mal positiv überrascht! Was die Weine anbelangt, da hatte ich etliche letztes Jahr probiert und auch alles schön dokumentiert. Ich wollte ja einen Artikel darüber schreiben… Dann ist mir aber die Excel-Datei irreparabel abgestürzt. Und so richtig viel aus dem Gedächtnis weiß ich nicht mehr, um da wirklich Auskunft geben zu können. Die Weine waren für mich ja alle böhmische oder eher wallonische Dörfer 😉 . Diesmal habe ich aber wenigstens den Weißen und den Schaumwein von Vin de Liège (https://www.vindeliege.be/) mitgebracht. Bin schon sehr gespannt!