Südtirol, auf Italienisch Alto Adige, ist eine kulturell reiche und landschaftlich wunderschöne Region. Wer würde das je bezweifeln. Woran man aber immer ein bisschen zweifeln kann, wenn es Menschen irgendwo arg gut geht, ist die Weiterentwicklung, der Fortschritt. Immerhin ist es ein unglaubliches Privileg, nichts verändern zu müssen. Fortschritt hingegen trägt immer einen Aspekt des Hinterfragens in sich. Meistens des Hinterfragens der (oftmals unzureichenden) bestehenden Verhältnisse. Manchmal, in seiner eben privilegierteren Fassung, aber auch des Hinterfragens, ob das “weiter wie bisher” wirklich eine zukunftsträchtige Haltung ist. Tatsächlich gibt es im Südtiroler Weinbau mittlerweile ein paar junge Leute, die nachdenken, die zweifeln, die sich austauschen und die Dinge anders machen als in den 80ern. Einer davon ist Urban Plattner, Weingut In der Eben.
Vernatsch Sankt Anna 2016 von Urban Plattner – In der Eben
Before we begin, möchte ich euch nicht nur dringend empfehlen, auf den Link zu klicken und einen der großartigsten Songs zu entdecken, sondern auch bei gesteigertem Interesse am Südtirol-Thema den großen Artikel von Valerie Kathawala im Trink Magazine zu lesen. Gut, lieber erst diesen hier, sonst kommt ihr nachher nicht wieder zurück…
Das Weingut von Urban Plattner heißt In der Eben, ein Hof, dessen Geschichte bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht. Steht man an der Autobahnabfahrt Bozen-Nord und fotografiert die Weinberge, wie ich das oben gemacht habe, wird nicht sofort ersichtlich, warum der Hof ganz rechts auf dem Foto ausgerechnet “In der Eben” heißt. Außerhalb des Himalayas würde man eine solche Lage doch eher für bergig halten. Wahrscheinlich ist es tatsächlich eines der extremen Beispiele dafür, wie relativ Betrachtungsweisen sein können.
Erst Urbans Vater Johannes hatte hier, 150 Meter über dem Talgrund des Eisacks, angefangen, selbst Wein abzufüllen. Er war auch derjenige, der im Jahr 1990 begann, auf biologischen Anbau umzustellen. Aber im Keller blieb es mit Reinzuchthefen, Stahltanks und Filtration noch weitgehend konventionell. That was then. Seitdem Urban Plattner nämlich mitwirkt, was er seit extrem jungen Jahren tut, hat sich einiges verändert. 2014 Betriebsübernahme, gleich mit Einführung biodynamischer Methoden. Alle Weine werden spontanvergoren, lange im Holz ausgebaut, nicht filtriert und mit wenig Schwefel auf die Flasche gebracht. So wie der Vernatsch Sankt Anna.
Wie schmeckt der Wein?
Vernatsch vulgo Trollinger, das ist die Rebsorte, die manche Winzer am liebsten schon im Erntejahr auf den Markt werfen würden. Die Erträge sind hoch, die Liebe gering, raus damit, damit es nicht den Keller verstopft, bringt eh kaum Geld in die Kasse.
Bei Urban Plattner sieht das völlig anders aus. 2018 ist der aktuelle Jahrgang für den Sankt Anna-Vernatsch vom gleichnamigen Kirchlein neben dem Hof, hier habe ich das zwei Jahre ältere Exemplar. Als Besonderheit neben all den Dingen, die hier ohnehin (nicht) passieren, sei noch darauf hingewiesen, dass die Trauben etwa zur Hälfte nicht entrappt waren. Der Alkoholwert liegt bei gemessenen 12,11 vol%, die Säure bei 7 g/l, ein Vergleich mit dem geliebten Bauernfeind verbietet sich daher von vornherein.
Relativ hell im Glas in Richtung pale ruby, aber ganz deutlich trüb. In der Nase gibt es zunächst eine gewisse flüchtige Note, gepaart mit Walderdbeere und Salbei. Soll heißen: stilistisch klar ein Natural Wine. Im Mund gibt es zunächst noch ein leichtes Perlen und eine zupackende Säure.
Zusammen mit der Wildheit, der Unfiltriertheit, der fruchtigen Frische und den schönen Tanninen passt der Sankt Anna-Vernatsch deshalb fantastisch in meine Kategorie Suffwein, sprich vin de soif. Lebendig, animierend und von einer Knackigkeit, wie man das bei Vernatsch sonst nie findet. Ein wenig wild bleibt er allerdings auch am zweiten Tag. Wer eher konventionelle Weine gewohnt ist, wird vielleicht ein bisschen fremdeln. Wer sowas liebt, findet es dafür extra funky.
Wo kann man ihn kaufen?
Gekauft habe ich persönlich den Wein in dem Laden auf dem Foto, dem Winestore in Bozen. Direkt an der Autobahnausfahrt Bozen-Nord gelegen, gibt es dort nicht nur ein sehr schönes Portfolio individueller Südtiroler Weine für Durchreisende. Man kann den Hof In der Eben und die St. Anna-Kapelle von dort aus sogar sehen. Ebenso wie bei Urban Plattner selbst gibt es derzeit den 2018er Jahrgang zu kaufen. Deshalb sei darauf hingewiesen, dass sich die Schwefelgaben bei 2016 (16 mg/l) und 2018 (60 mg/l) schon unterscheiden. Zudem ist der 2018er noch etwas leichter, aber dafür auch weniger prägnant in der Säure. Ob das letztlich dazu führt, dass der aktuelle Jahrgang sich etwas weniger wild gebärdet als der 2016er, vermag ich aus der Distanz nicht zu sagen. Ich würde aber sagen: gut möglich.
Wenn ihr an etwas so Gewöhnlichem wie dem Vernatsch Gefallen finden solltet, könnte euch auch der Rote Malvasier zusagen. Von dem besitzt Urban Plattner nämlich auch ein 0,15 ha kleines Pergola-Stückchen. Aber ist das jetzt, wie oftmals zu lesen, ein Synonym für den Frühroten Veltliner (= natürliche Kreuzung zwischen Rotem Veltliner und Silvaner)? Oder handelt es sich um den echten “Schwarzen Malvasier von Bozen” (= natürliche Kreuzung zwischen Perera und Edelvernatsch)?
Das klingt doch nach einer entscheidenden Frage. Umso interessanter also, sich auch den Wein anzuschauen. Und mal wieder selbst nach Südtirol zu fahren. Letzteres gilt zwar sowieso und völlig unabhängig von etwaigen Weingutsbesuchen. Aber bei solch interessanten Dingen, die Urban Plattner und seine Freistil-Freunde machen, ist das natürlich ein zusätzlicher Anreiz.
Mal wieder ein Wein eines Freistil-ers. Sehr schön, da hier auch jeder der Gruppe noch seinen ganz eigenen Ansatz verfolgt.
Mein Favorit und unbedingte Empfehlung bei Urban Plattner ist aber noch immer der Rote Malvasier – Eigenständig, schon allein aufgrund des fast sonst nirgendes anders zu findenden reinsortigen Ausbaues.
Ja, absolut, die Ansätze und Weine sind bei den Freistilern wirklich alle sehr individuell.
Du wirst es nicht für möglich halten (oder eher: doch), aber ich habe hier den Roten Malvasier auch stehen. Ich hatte wirklich überlegt, welchen der Weine ich lieber bringen würde, und letztlich ist meine Wahl auf den Vernatsch gefallen. Weil es die Rebsorte tausendfach gibt, aber praktisch nie auf diese Weise. Aber es stimmt natürlich, mit dem Argument der Rarität hätte es auch genauso gut andersrum sein können 😉
Also, das hätte ich jetzt nicht für möglich gehalten, jetzt wirklich nicht … 😉
Ich bin gespannt was du vom Roten Malvasier hältst. Der ’12er steht noch hervorragend da.
Ich denke aber, dass der Stil inzwischen zu einem leichteren, evtl. frischeren, “more funky” tendiert. Zumindest deuten die Alc- und Säurewerte der aktuellen Füllungen in die Richtung.
Aber lass dich überraschen.
Ein paar Weine von Urban Plattner kann man jetzt auch bei “Wein am Limit” in Deutschland online kaufen. Ich habe gestern erst den Sankt Anna R 2015 getrunken und war sehr begeistert.
Sehr schön! Der R ist ja so eine Art Riserva, sehr interessant, sowas mal mit Vernatsch zu versuchen…