Es war einmal vor langer Zeit, da gab es in Deutschland eine ungeheuer große Zahl an Rebsorten. Etwa 500, sagt Andreas Jung, von denen er 320 im Rahmen eines Forschungsprojekts in alten Anlagen gefunden hat. Bis zum Jahr 1900, teilweise auch deutlich länger, standen diese Rebsorten allerdings nicht nach Parzellen getrennt im Weinberg, sondern wurden fast immer im gemischten Rebensatz wild durcheinander gepflanzt. Dieses wilde Durcheinander hat jetzt auch im Rheingau wieder Fuß gefasst. Ich möchte euch deshalb hier drei Weißweine vorstellen, die auf diese Art und Weise bereitet wurden. Vom Schloss Reinhartshausen, vom Weingut Baron Knyphausen und vom Weingut Hanka.
Was ist ein Historischer Rebensatz?
Ein Historischer Rebensatz ist dasselbe wie ein Gemischter Satz, ein Mischsatz, ein Alter Satz oder welche anderen Bezeichnungen es dafür auch immer geben mag. Im Historischen Rebensatz stehen die unterschiedlichen Rebsorten nicht nur gemeinsam in einer Parzelle. Vielmehr werden auch alle Trauben zusammen geerntet und weiterverarbeitet. Wie kann so etwas funktionieren, mögt ihr euch fragen. Und warum hat man das getan?
Nun, in früheren Zeiten ging es den Weinbauern nur in Ausnahmefällen darum, besonders edle Weine aus reduzierten Erträgen zu bereiten. Der Lebensunterhalt musste gesichert werden, was bedeutete, dass man versuchte, die Risiken einer Missernte (sprich: Totalausfall) zu minimieren. Und das gelang mit dem Mischsatz. Die unterschiedlichen Rebsorten besitzen nämlich auch unterschiedliche Eigenschaften. Eine Sorte mag es lieber wärmer, eine andere kühler, eine dritte feuchter, eine vierte trockener, eine fünfte ist anfällig gegen Rebkrankheit A aber resistent gegen B, bei der sechsten Sorte sieht es genau umgekehrt aus.
So war garantiert, dass in jedem Jahr Trauben an den Rebstöcken hingen. Je nach Jahrgangsbedingungen allerdings in unterschiedlichen Zusammensetzungen. Und je nach Erntezeitpunkt in unterschiedlichen Reifegraden. Das ist bis heute so bei den Historischen Rebensätzen. Oder wie es Winzer Sebastian Hanka ausdrückte: “Mit dem Mischsatz hast du für viele Jahre praktisch deine Cuvée fertig. Nur schmeckt sie jedes Jahr anders.”
Die Weinprobe mit dem Round Table 18
Weshalb ich überhaupt über diese Weine schreiben kann, hat einen konkreten Grund. Ich bin nämlich auf den Verteiler der Vereins Historischer Weinbau im Rheingau geraten, auf dem diese Online-Weinprobe angekündigt wurde. Organisiert wurde das Ganze vom Round Table 18 Wiesbaden, dessen Tischpräsident Michael Biwer ihr links auf dem Foto als Moderator sehen könnt. In der Mitte sitzt Sebastian Hanka vom gleichnamigen Weingut und rechts Arne Wilken, Betriebsleiter vom Weingut Baron Knyphausen.
Nicht vergessen zu erwähnen möchte ich an dieser Stelle, dass die Einnahmen aus diesem Online-Event (nebst zusätzlichen Spenden) den Psycholotsen Groß-Gerau zugute kamen. Die seit einiger Zeit herrschenden Umstände haben sicher nicht dazu beigetragen, dass die Psycholotsen weniger zu tun hätten als früher. Insofern: gute und wichtige Sache.
Jetzt aber zu den drei Weinen.
Wein # 1 – Schloss Reinhartshausen
Die Insel Mariannenaue gehört administrativ zu Hattenheim, aber real gehört sie schlichtweg Vater Rhein. Wer sie erreichen will, muss hinüberschippern. Die Weinfelder der Insel besitzt Schloss Reinhartshausen als Monopol, und seit ein paar Jahren wachsen dort auch Adelfränkisch, Grünfränkisch, Roter Veltliner und Savagnin im Mischsatz. Ich könnte euch jetzt einiges zu den Rebsorten erzählen, weil ich auch schon reinsortige Weine davon getrunken habe. Aber ich habe mir überlegt, lieber alle Artikel auf diesem Blog, die sich mit Mischsätzen und historischen Rebsorten beschäftigen, unten als Linkliste anzufügen.
Der Reinhartshausen-Wein aus dem Jahrgang 2019 wurde mit 7,1 g Säure und 4,8 g Restsüße abgefüllt, also durchaus knackig. Das zeigt er dann auch im Glas. Vom Gefühl her die höchste Säureanmutung der drei Weine heute, ist das ein rescher Wein, den man ohne weitere Lagerung jetzt mit Vergnügen öffnen kann. Ich schmecke eine deutliche Rhabarbernote, was vom Grünfränkisch kommen könnte und einen grünen Limettenton, wie ihn der Adelfränkisch gern zeigt. Obwohl das alles Rebsorten sind (vor allem Grünfränkisch und Savagnin = Traminer), die ordentlich Power haben können, wollten die Reinhartshäuser hier die Frische in den Vordergrund stellen. 13,95 € ab Weingut, der Frühling winkt.
Wein # 2 – Baron Knyphausen
Das Weingut Baron Knyphausen gibt es bereits seit dem Jahr 1818. Ebenso wie bei Schloss Reinhartshausen kennen manche Weinliebhaber diese Traditionsbetriebe von den gereiften Rieslingen aus den 70er Jahren. Die gibt es mit Glück immer noch zu kaufen oder zu einem alles andere als übertriebenen Preis zu ersteigern – echte Entdeckungen. Letzteres ist natürlich auch dieser Wein, ebenfalls Jahrgang 2019, ebenfalls Historischer Rebensatz, aber komplett andere Rebsorten. Hier haben wir genau sieben davon am Start, nämlich Gewürztraminer, Silvaner, Elbling, Gelber Orleans, Weißer Heunisch, Roter Riesling und Riesling.
Arne Wilken sagt, der 2019er sei deutlich stärker als der Vorgängerjahrgang vom Gewürztraminer bestimmt, der den Wein kräuterig-würzig machen würde. Zusätzlich ist das aber auch eine ganz andere stilistische Herangehensweise. Dieser Wein hat nämlich den biologischen Säureabbau (BSA) durchgemacht, was bei Rotweinen normal ist, bei deutschen Weißweinen hingegen eher selten. Beim BSA wird die Apfelsäure im Wein in Milchsäure umgewandelt, während die Weinsäure unberührt bleibt. Das Ergebnis ist ein geringerer Säureeindruck und eine stoffigere Materie. So sieht das auch hier aus. Bei 11 vol% Alkohol ist das natürlich trotzdem kein mächtiger Wein, nur eben etwas dezenter in Säure und Aromatik als sein Kollege von der Rheininsel. Passt auch zu würzigem Essen, I promise. 15 € ab Weingut.
Wein # 3 – Weingut Hanka
“Zurück in die Zukunft” heißt der Historische Rebensatz vom Weingut Hanka, und das ist tatsächlich kein platter Spruch. Viele der historischen Rebsorten waren nämlich deshalb in Ungnade gefallen, weil sie in kühlen Jahren nicht die nötige Reife erreichten. Umgekehrt bedeutet das, wenn es bei uns zunehmend heißer wird, kann das so ein Heunisch oder Adelfränkisch oder Elbling vielleicht besser vertragen als ein Müller-Thurgau, der erst in die Breite geht und dann schlapp macht. Beim field blend von Sebastian Hanka gibt es sechs Rebsorten, nämlich Traminer, Muskateller, Weißen Riesling, Roten Riesling, Heunisch und Orleans. Weshalb darf so ein Wein übrigens nicht “Gemischter Satz” genannt werden, wie es das jahrzehntelang gemacht wurde? Weil sich die Österreicher im Jahr 2009 EU-weit die Verwendung dieses Begriffes gesichert haben.
Der Hanka-Wein kommt in einer sehr wertigen Ausstattung daher. Schwere Schlegelflasche, edel gedrucktes Etikett, Naturkork. Die 0,2 ha Reben für den “Zurück in die Zukunft” stehen im Oestricher Doosberg, aus dem ja Peter Jakob Kühn einen ausgesprochen charaktervollen Riesling holt. Sebastian Hanka sagt, bei ihm wäre beim 2018er mehr der Gewürztraminer, beim 2019 hingegen mehr der Muskateller im Vordergrund. So ist das mit diesen Mischsätzen, dieselben Reben jedes Jahr anders. Tatsächlich merkt man die traubig-parfümierten Muskatellernoten bereits in der Nase. Das ist ein wirklich verführerischer Wein, falls man sowas heututage noch schreibt. Macht auf jeden Fall richtig Spaß. 16 € ab Weingut.
Und damit sind wir durch mit unseren drei Weinen. Alle drei haben sich durchaus unterschiedlich im Charakter präsentiert und sind es absolut wert, einmal ausprobiert zu werden. Eine längere Lagerung ist dafür nicht erforderlich. Ich habe die Weine über mehrere Tage getrunken, und ehrlich gesagt schmeckten sie am ersten Tag mit ein bisschen Luft am besten.
Die historischen Blogposts
Vielleicht seid ihr ja jetzt etwas auf den Geschmack gekommen und möchtet noch mehr erfahren von vergessenen Rebsorten und alten Mischsätzen. Da gibt es nämlich ein paar richtig spektakuläre Exemplare. Unsere drei Rheingauer Rebensätze wurden ja alle im letzten Jahrzehnt gepflanzt. In Weingegenden, die selbst ein bisschen vergessen sind, haben manche Mischsätze allerdings viele Jahrzehnte überlebt. Der älteste derartige Weinberg im Rimbacher Landsknecht in Franken stammt zum Beispiel aus dem Jahr 1835. Und steht genau hier, zwischen Waldrand und Ententeich.
Für Angetriggerte wie versprochen hier also noch ein paar Links, was ich da alles schon besucht und getrunken habe…
- die allerletzten wurzelechten Gemischten Sätze – große Probe
- alte Gemischte Sätze – Neuauflage bei Slowfood in Würzburg
- ein wilder Mischsatz von Collective Z aus der Pfalz
- ein beinahe so wilder Mischsatz vom Herrenhof Lamprecht aus der Steiermark
- ein gepflegter Mischsatz vom Weingut Roth aus Franken
- von Mohrenkönigin und Hartblau – große Probe fast ausgestorbener Rebsorten
- vergessene Rebsorten neu angepflanzt – Probe in Rheinhessen
- Arbst, Adelfränkisch & Co. – reinsortige Weine aus historischen Rebsorten
- dreimal Grünfränkisch von bekannten Weingütern
Hallo Matthias,
ein schöner, regionaler und gelungener Vergleich. Vielen Dank!
Ich kenne leider alle drei Weine noch nicht aus eigener Verkostungserfahrung.
Das bringt mich aber auf den Gedanken, für 2022 mal eine Vergleichsprobe mit neu angelegten Gemischten Sätzen aus Deutschland – Küss die Hand Österreich! – ins Auge zu fassen. Da gibt es ja inzwischen eine ganze Reihe interessanter Weine aus den Anbaugebieten Baden, Franken, Mosel, Nahe und Württemberg.
Schönen Gruß
Thomas
Danke für die Blumen! Und ja, du sagst es, da gibt es glücklicherweise immer mehr interessante Sachen. Ich habe hier zum Beispiel gerade den Fränkischen Satz von Bickel-Stumpf stehen. Die Rheingauer kannte ich vorher auch nicht. Schön, dass es da solche Initiativen gibt und Winzer, die dabei mitmachen.