Wurde es wieder einmal Zeit für Wein aus Südtirol? Ganz offensichtlich. Als erst zweiten Wein aus Südtirol in dieser Serie nach dem Sylvaner von Garlider möchte ich hier wiederum einen Weißen vorstellen. Trotz der nicht wirklich großen erzeugten Mengen (gut 3 ha Steillagen) sind die Weine von Martin Gojer und seinem Weingut Pranzegg nämlich weitberühmt. Oder sagen wir eher: In der internationalen Sommelierblase kennen das Weingut gefühlt alle. In der Südtirol-Urlauber-Blase meiner Eltern hingegen ebenso gefühlt niemand. Wie kann das sein, und was steckt hinter diesem Wein, der Cuvée Caroline des Jahrgangs 2010?
Cuvée Caroline 2010 vom Weingut Pranzegg
Zunächst aber ein bisschen Orientierung. Oben seht ihr ein Foto des Bozner Talkessels, das ich vom Gipfel des Monte Roen aufgenommen habe. Ich war in einer legendär übertriebenen Aktion seinerzeit für einen Tag ins Trentino gefahren. Die Blickrichtung geht nach Nord-Nordost, was bedeutet, dass im Hintergrund die schneebedeckten Gipfel der Alpenhauptkette zu sehen sind. Dahinter dann virtuell Innsbruck und noch virtueller München. Das Weingut Pranzegg könnt ihr auf dem Foto allerdings nicht sehen. Und das nicht nur wegen der großen Entfernung, sondern weil es quasi hinter den Hängen des Kohlerer Bergs selbst nach Nordosten zeigt. Im Prinzip sind das also zwar extrem steile, aber kühlere Lagen.
Martin Gojer war erst 18 Jahre alt, als er nach dem Tod seines Vaters Weinbauer wurde. Ein paar Jahre lang lieferte er die Trauben von 2 ha Rebfläche bei der Genossenschaft ab, bevor er sich entschloss, alles, aber wirklich alles auf eigene Weise zu machen. Es gibt ja Leute, denen gibt die Mitgliedschaft in einem großen Unternehmen (wie hier der Genossenschaft) Halt, weil es für eine Arbeit nach Regeln nun einmal auch geregeltes Geld gibt. Andere wiederum fühlen sich in ihrem Drang, selbst etwas auszuprobieren, zu stark eingeschränkt. So wie Martin Gojer. Also wurde Pranzegg unabhängig. Seit 2009 biologisch zertifiziert, wird seit 2014 auch mit biodynamischen Methoden gearbeitet.
Während es draußen ziemlich polykulturell zugeht, passiert im Keller nicht mehr viel. Einerseits, denn auch Hefelager und Ausbauform sind natürlich Entscheidungen, die man treffen muss.
Die Trauben für die Cuvée Caroline des Jahrgangs 2010 wurden im September in mehreren Durchgängen gelesen. Immer nur die reifsten kamen ins Körbchen. Im Keller wurden die Trauben entrappt, schonend gepresst, spontan vergoren und im großen Holzfass auf der Hefe ausgebaut. Keine Schönung, keine Filtration, nur eine geringe Schwefelgabe bei der Füllung und danach ein paar Monate Flaschenlagerung.
Wie schmeckt der Wein?
Ich hasse ja schwarze Etiketten, weil sie so schlecht zu fotografieren sind, wenn der Hintergrund nicht ebenso dunkel ist. Das weiß Martin Gojer auch, und deshalb seht ihr auf dem Titelfoto einen Blick in die Vergangenheit. Die Caroline von 2010 hatte noch das dunkle Etikett, bald darauf und bis heute gibt es hingegen ein helles.
Aber der Inhalt ist gleich geblieben und stammt von einer 0,65 ha großen Parzelle, die mit vier Rebsorten bepflanzt sind: 35% Chardonnay, 35% Viognier, 15% Manzoni bianco und 15% Sauvignon blanc. Die Reben sind noch sehr jung und mit 8.000 Stöcken pro Hektar sehr dicht bepflanzt. Das ist eine ziemlich einmalige Cuvée, und das schmeckt man auch.
Ins Glas fließt ein überraschend heller Saft, das hatte ich nach den ganzen Jahren goldiger erwartet. In der Nase ist das eine wahrhaft komplexe Angelegenheit. Erst erscheint weißer Weinbergpfirsich, dann kommt ein Umami-Ton, der sich irgendwie aus Holz und Würze und Laktik zusammensetzt. Ich spüre eine verwelkte Orangenblüte, das Gefühl von Margerite, gelben Apfel, dazu auch reife Ananas. Sehr interessant auf jeden Fall und trotz 14 vol% keineswegs zu heiß oder alkoholisch.
Im Mund gibt es eine mittlere Säure, vielleicht sogar etwas mehr, weil Caroline mit ihrer viskosen Stoffigkeit die Säure lässig schluckt. Im Prinzip geht das Ganze in Richtung Burgunder, aber eben mit einer gänzlich anderen Aromatik, einer ziemlich einmaligen. Am Gaumen kommen jetzt noch Aromen von Mandarine und Fenchel hinzu, wärend gelbe Apfel- und Ananasnoten weiterhin präsent bleiben. Der Wein kann Luft gut gebrauchen, öffnet sich dann aber relativ schnell. Für mich ist die Cuvée Caroline jetzt auf dem Höhepunkt ihres Seins angelangt. Anspruchsvoll kommt sie daher (deshalb das A auf dem Titelfoto), lang und würzig im Abgang, perfekt zu Waller und Schwertfisch und Kasnudeln. Stärker und reifer hätte es aber auch nicht werden dürfen.
Wo habe ich ihn gekauft?
Gekauft habe ich die Cuvée Caroline vom Weingut Pranzegg nicht vor Ort, weil ich da einfach zu schnell durchgerauscht bin. Es gibt die Pranzegg-Weine allerdings mittlerweile bei einer ganzen Reihe guter Händler. Einer davon ist Bergwein in München. Natürlich haben sie die 2010er Cuvée nicht mehr auf Lager, dafür aber die 2017er, die 28,90 € kostet.
Die Kombination aus Preis, Seltenheit und Eigenheit dürfte auch dafür verantwortlich sein, weshalb der Bekanntheitsgrad der Pranzegg-Weine bei Sommeliers und Urlaubern so unterschiedlich hoch ist. Das sind alles extrem umsichtig und entsprechend aufwändig hergestellte Preziosen. Beim Verkosten hatte ich absichtlich nicht auf die Zusammensetzung der Cuvée geschaut, war dann herrlich verwirrt und im Gesamtbild am ehesten bei Verdicchio. Ja, mir gefällt so ein eigener Ansatz, aber gerade deutsche Weintrinker, die rebsortenreine Weine gewohnt sind, zudem noch oft säurereich und ebenso oft mit etwas Restsüße, könnten hier schlicht sagen, “kenn isch nit, will isch nit”. Denen entgeht aber definitiv eine Menge. Gerade nach ein paar Jahren der harmonisierenden Reifung wie bei diesem Exemplar.
Unten habe ich für alle, die den Sommer und die Reisefreuden vermissen, noch einmal ein peinigendes Foto angehängt. Wieder vom Monte Roen, vorn der Kalterer See, links Bozen und rechts die Dolomiten. Vielleicht wird es 2021 ja noch mehr Weine aus Südtirol hier auf dem Blog geben, wer weiß…
Du bist wohl einer der Wenigen, die eine 2010er Caroline auf dem freien Markt erworben haben. Soweit ich mich noch entsinne war dies der erste vermarktete Jahrgang des Weins, wobei wohl von den damlig ca. 700 – 900 Flaschen so ca. 3/4 direkt in die Gastro mit erklärtem Weinbezug gewandert sind.
Und du hast m.E. auch richtig gut daran getan dem Wein 10 Jahre zu geben, nicht dass sich jüngere Exemplare schlechter trinken würden oder gar nicht gefielen … gereift offenbart dieser Wein einfach mehr.
Allerdings hat sich seine Art der Weinbereitung über die Jahre auch etwas geändert oder sollte man verfeinert oder noch natürlicher sagen? (Ehrlicher Weise tue ich mich mit seinen Weinen bis 2013 leichter, als ab Jahrgang 14 … ,-) )
Oh, da habe ich ja Glück gehabt ohne es zu ahnen 😉 . Meine vertikalen Erfahrungen mit Pranzegg-Weinen sind ehrlich gesagt nicht so groß. Ich habe allerdings mal die gesamte Range bei der ProWein probiert, ich glaube am Stand von Vinaturel. Da waren mir die Weißen in diesem Jugendstadium persönlich etwas zu spannungsarm – so ein bisschen in Richtung weißer Hermitage, wenn man so will. Deshalb habe ich dann der 2010er Caroline auch noch etwas mehr Kellerruhe gegönnt. Und ja, hat sich wirklich gelohnt 😉