Na, das sieht doch direkt nach astreinem Convenience Food aus, oder nicht? Stachelig, handliche 40 Kilo schwer, also genau richtig für das nächste Pausebrot. Die Bio-Branche steht halt noch für echte Innovationen. Oder so. Nein, was ihr auf dem Foto sehen könnt, ist einer der Stars der Biofach 2020 in Nürnberg, der weltgrößten Messe für biologisch zertifizierte Produkte. Ich bin am Stand von Jacky F. aus der Nähe von Hamburg, und dies ist eine Jackfruit. Die Jackfruit, übrigens die schwerste Frucht, die auf Bäumen wächst, ist die offizielle Nationalfrucht von Sri Lanka. Weil in Südindien und Sri Lanka sich traditionell viele Menschen vegetarisch oder vegan ernähren, werden Stücke unreifer Jackfruit dort beispielsweise ins Curry gegeben. Was ich an interessanten fleischlosen Produkten auf der Biofach entdeckt habe (also natürlich schon verarbeitet und zum Aufwärmen), seht ihr weiter unten.
Warum vegan? Warum convenience?
Wieso ich mich ausgerechnet mit a) veganen und b) Convenience-Produkten in Bioqualität beschäftige, dürfte meiner Stammleserschaft ein großes Rätsel sein. Schließlich kennt ihr mich ja primär als Weinautor. Ich bin aber gern bereit, das Rätsel aufzulösen. Also.
Solange ich als Schüler mit meiner Familie in einem kleinen Dorf lebte, gab es täglich etwas frisch Gekochtes zum Mittagessen. Meine Eltern hatten (und haben immer noch) einen großen Gemüsegarten, der beide fast rund ums Jahr auf Trab hält. Als ich dann aber nach der Schule nach Berlin zog und zum ersten Mal allein lebte, ernährte ich mich von Pfannenpizza, Döner und allerlei abstrusen Fertiggerichten. Später als Student ging ich in die Mensa, als Angestellter besuchte ich mittags eine Kantine, als es die noch gab. Ich glaube, dass es vielen Menschen ähnlich geht wie mir: Mittags Hunger und nichts Vernünftiges da, im Büro gibt es nur einen Wasserkocher. Und abends Hunger und keine Zeit, vor allem keine Energie, jetzt noch schnippelnd am Herd zu stehen.
Was ich mir seinerzeit nicht leisten konnte, mittlerweile aber sehr viele jüngere und auch weniger junge Leute machen, ist die Bestellung beim Lieferdienst. Statt bio und schonend gibt es da aber in erster Linie Industrieware und Käfighühnchen. Also habe ich mich gefragt, ob es bei der Biofach interessante Produkte gibt, die ethisch gut sind (um es mal so auszudrücken), schnell zubereitet werden können und gleichzeitig schmecken.
Was ich gemacht habe
Ich bin bei der Biofach erst einmal zum Neuheitenstand gegangen und habe mich darüber informiert, welche Produkte neu auf den Markt kommen sollen. Eine attraktive Aufmachung hilft bei der Präsentation ganz sicher. Es ist deshalb kein Wunder, dass der Kameramann sich ausgerechnet die Bunten Burger zum Abfilmen ausgesucht hat. Aber zu denen komme ich noch weiter unten. Neuheitenstand, Recherche im Biofach-Aussteller- und Produktprofil und Weiterhangeln per Schneeballsystem, so habe ich mich durch die Messe gefuttert. Acht Produkte in vier (selbst entworfenen) Kategorien sind mir dabei besonders positiv aufgefallen.
A. Kein Fleisch, schmeckt aber so
Sucuk vegan, das gehört ganz sicher in die Kategorie der Fleischersatzprodukte, die wie Fleisch aussehen und schmecken sollen, aber eben keins sind. Die Firma Topas mit ihrer Marke Wheaty ist in Bio-Supermärkten schon gut vertreten – und auch auf der Biofach. Von allen angebotenen Produkten fand ich zwei am attraktivsten: einmal den neuen Sucuk-Aufschnitt und dann noch das vegane Gyros. Beides ist von der Würzung her ganz dicht am “Original”. Vor allem ist es aber die Textur, die mir gefallen hat, nämlich leicht zäh und mit Biss. Es gehört vermutlich viel verfahrenstechnisches Know-how dazu, den Seitan entsprechend hinzubekommen.
Lord of Tofu ist ein alteingesessenes Unternehmen ganz aus dem Südwesten Deutschlands. 25 Jahre gibt es sie mittlerweile, und man merkt, dass da immer noch Innovationsfreude in den Produkten steckt. Das Entenragout aus Tofu erscheint für diesen Bereich extrem ungewöhnlich, ist für mich aber auch geschmacklich ungewöhnlich gut gelungen. Bissfeste Textur, leicht rauchig und ein bisschen in die chinesische Richtung gewürzt, ist das eine echte Erweiterung des Speiseplans.
B. Klassisch vegan
Klassisch vegan sind für mich Convenience-Produkte (wir sind ja hier nicht beim “rohen” Tofu), die ihre Herkunft aus der pflanzlichen Küche nicht verleugnen. Ich muss zugeben, dass ich gerade im Bereich der Patties und sonstigen Bratwaren ganz schön viele Enttäuschungen erlebt habe. Da gibt es tatsächlich noch eine Menge mehliges Zeug auf dem Markt, und es erscheint dabei relativ unerheblich, ob die Basis nun Tofu, Seitan, Weizen- oder Lupinenprotein ist. Mag sein, dass das einem Großteil der Kundschaft nicht wichtig erscheint, aber ich bin nun mal ein Food-Autor…
That having said, gibt es auch erfreuliche Produkte unter den Bratscheiben. L’Herbivore, die Berliner Seitanmanufaktur, ist ein ziemlich neues Unternehmen, das es erst seit gut einem Jahr gibt. Die anderen Seitan-Scheiben der sehr netten Jungs fand ich auch richtig gut, am besten hat mir aber diese hier gefallen, nämlich Steinpilz-Miso. Das liegt in dem Fall nicht nur an der Textur, sondern auch an dem gut komponierten Geschmack. Steinpilze und Miso bringen eine herzhaft-feine Umami-Komponente mit hinein.
Die Bunten Burger oder vielmehr ihre Gründer Ulrich und Mario starteten im Jahr 2014 mit einem Foodtruck. Mittlerweile sind sie in Köln vermutlich mindestens Milliardäre geworden. Deshalb können sie sich auch Verpackungen leisten, die in der Neuheitenhalle auffallen und die sicher nicht wenige Leute an ihren Stand gelockt haben. Die beiden sagen, dass sie keinen Fleischgeschmack imitieren, sondern den Gemüsegeschmack transportieren wollen. Aber mit einem Twist, würde ich sagen. Ihre Patties/Bratlinge besitzen sehr unterschiedliche Basen, wobei mir die Versionen aus Kidneybohnen am besten gefallen haben. Mein persönlicher Favorit ist dabei der Pilz-Bratlinger mit (nun ja) Pilzen, roter Bete, Wacholder und Cranberries. Aber der Superheropaddy mit Senf und Umeboshi unter den Zutaten ist ebenfalls stark.
C. Fruchtgemüse
Julia von Jacky F. erzählte mir an ihrem Stand, dass sie vor einiger Zeit in Sri Lanka einmal Jackfruit-Curry in dem Glauben gegessen habe, es handele sich um Hühnchen. Die Jackfruit ist aber auch eine erstaunliche Frucht und wie gesagt mit sicher fünf oder sechs Ausstellern beim Neuheitenstand einer der Stars der Show. Was Jacky F. aus der Jackfruit macht, ist interessanterweise wenig exotisch. Gut, es gibt die Jackfruit pur, aber verarbeitet auch als Salat, nämlich in den Varianten orientalisch (mit Curry und Rosinen), (frucht)fleischig und nordisch (mit Roter Bete). Ich persönlich glaube ja, wenn die Jackfruit erst einmal richtig bei uns angekommen ist, kann sie sogar ihren “Ersatz”-Status verlieren. Jacky ist nämlich durchaus in der Lage, für sich allein zu überzeugen.
Auch Bananenblüte wird – wie ihr auf dem Foto sehen könnt – als Fleischalternative angeboten. Dabei wird die Bananenblüte in Südostasien traditionell als Gemüse bezeichnet und benutzt. Banana hearts sagt man dort auch dazu. Und ähnlich wie Artischockenherzen sind Bananenblüten eher matrjoschka-artig ineinander gesetzt. Die Textur hat mich auch eher ein bisschen an eine knackigere Version von Lauch erinnert. In jedem Fall war der Stand von Govinda bei der Biofach dicht umlagert. Alle wollten Bananenblüte nach Wurstsalat-Art probieren. Das ist ein Produkt, das wir bestimmt bald in den Bio-Supermärkten finden können.
D. Noch nie Fleisch gewesen
Manche Dinge haben überhaupt keinen Ersatzcharakter. Meistens werden sie dementsprechend gar nicht als solche beworben, und nur ein schüchternes vegan auf der Packung zeigt an, dass man es mit einem immer schon veganen Produkt zu tun hat. In diese Kategorie fallen (je nach Füllung natürlich) beispielsweise Onigiris. Das sind japanische Reisdreiecke, umschlossen von einem gerösteten Algenblatt und in der veganen Version traditionell gefüllt mit Umeboshi (also saurer Aprikose) oder braunem Senf oder Kombu. Weil die Leute das bei uns noch nicht so richtig gewohnt sind, hat sich Rice Up auf cross-culture-Varianten spezialisiert. Ihr absoluter Hit ist Onigiri mit Avocado-Koriander-Limette. Während ich das fotografierte, muss ich wohl im Asian Mood auf den Sweetness-Filter gekommen sein. Wie auch immer, Onigiris sind der perfekte Snack für Bahnfahrten, und es wäre schön, wenn bald ein paar Onigiri-Stände in unseren Bahnhöfen zu sehen sein würden.
Beena Paradin ist die Frau hinter Beendi (was lustigerweise manchmal auch Beendhi geschrieben wird). Vor ein paar Jahren hatte ich sie schon einmal auf der Biofach getroffen. Und Yannick ist ihr Mann. Als ich ihn fragte, ob ich ihn fotografieren kann, frage er zurück, ob er dabei hochspringen dürfe. Das sehe lustiger aus. Yannick ist aber ohnehin ein supernetter Typ, was man vermutlich auf dem Foto schon erahnen kann. Die Produkte von Beendi sind zwar auch vegan, aber sie besitzen gar keinen Ersatzcharakter. Stattdessen fußen sie auf raffiniertesten Gewürzkompositionen. Beena hat beispielsweise für den berühmten Sternekoch Olivier Roellinger das Madras Curry kreiert, ist also eine absolute Koryphäe. Die Mischungen von Beendi, die es in französischen Bio-Supermärkten künftig auch en vrac, also unverpackt gibt, zeichnen sich dadurch aus, dass man sie oft nur mit heißem Wasser übergießen und ein bisschen quellen lassen muss. Der ideale Büromittag, habe ich selbst erfolgreich ausprobiert.
Mein Fazit
- Ja, es gibt zunehmend interessante Produkte, die vegan sind, schmecken und schnell zubereitet werden können. Convenience ist zwar weiterhin nicht mein präferiertes Ernährungskonzept, aber keep it real. Auch die bewusste Verbesserung eines solchen Bereichs ist ein Schritt nach vorn.
- Allerdings gibt es qualitativ noch viel Luft nach oben. Mehlige Konsistenz, seltsame Überwürzung, alles habe ich probiert, und die Leute sollen es kaufen. Not epic.
- Was im Pilzbereich alles möglich ist, hatte ich im Jing’an-Tempel in Shanghai erfahren. Farben, Formen, Texturen, Geschmäcker, da sind wir bei uns im Westen gerade mal an der Oberfläche unterwegs. In Seoul gibt es mit dem Balwoo Gongyang übrigens auch ein veganes Tempelrestaurant mit Michelin-Stern. Da geht also noch was.
- Was ich ebenfalls weiterhin vermisse, sind “nachgebaute” (mit lokalen Produkten) oder nachempfundene traditionell fleischlose Gerichte aus Ländern wie Kolumbien oder Kambodscha oder den Komoren, die für noch mehr Diversität stehen, attraktiv aufgemacht und schnell zuzubereiten. Und das Ganze natürlich in vegan und bio.
- Denn: Wer vegan leben möchte, muss eigentlich zwingend bio als weiteren Schritt mitdenken. Finde ich zumindest. Brasilianische Urwaldsoja, Glyphosat und Gentechnik – sowas passt doch irgendwie nicht zum Veganen, das sich als Konzept ein Gutteil Empfindsamkeit auf die Fahnen geschrieben hat.
Und damit schließe ich meinen Bericht von der Biofach 2020. Heute auf dem Speiseplan stehen nämlich… Spaghetti mit Tomatensauce. Sehr unmodern, aber deshalb auf eine gewisse Weise auch irgendwie lässig.
Hallo Mathias,
vielen Dank für deine Notiz im Restaurant, die mir auf den Schreibtisch gelegt wurde.
Freut mich, dass du an der Biofach an unserem Stand warst, auch wenn die fast schon länger zurück liegt als es bis zur kommenden in 2021 ist 😉 Da werden wir übrigens auch wieder am Start sein!
Unsere Patties wird es übrigens spätestens Ende 2020 in ausgewählten Bio-Supermärkten in Deutschland geben. Leider ist der Pilzbratlinger noch nicht dabei, aber die beiden Sorten, mit denen wir starten, sind noch mal eine deutliche Spur leckerer geworden, wie das, was du auf der Biofach verkostet hast.
Ich würde mich sehr freuen, dich 2021 bei unserem Messestand zu sehen!
Viele Grüße
Ulrich
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