Die Rheinhessischen Agrartage in Nieder-Olm sind eine der wichtigsten Veranstaltungen hierzulande für alles, was mit Weinbau zu tun hat. Ob Maschinen oder Mittel, ob Verschlüsse oder Verpackungen, ob Verbände oder Initiativen – alle finden sich auf dem Messegelände nicht weit von Mainz wieder. Auf dem Freigelände stehen die Maschinen, die Stände sind auf drei beheizte Zelte und zwei Hallen verteilt. Es gibt keinen Eintritt, kein Chichi, jeder kann kommen. Das macht die Sache auf angenehme Weise professionell und entspannt zugleich. Meine selbst gestellte Aufgabe für die Agrartage: Informieren, Diskutieren, Nachdenken. Hier also ein paar Überlegungen, die ich nach dem Besuch der Messe angestellt habe.
Warum ich die Agrartage besucht habe
Natürlich hatte ich mir im Vorfeld überlegt, worauf ich mich konzentrieren sollte, denn wie immer bei solchen Veranstaltungen ist es unmöglich, alles abzudecken. Den puren Anbau und die pure Kellertechnik, obwohl zweifellos die wichtigsten Elemente des Weinbaus, wollte ich dabei ein wenig vernachlässigen. Also kein Vollernter wie auf dem Titelfoto. Aber was bleibt dann noch? Nun, ehrlich gesagt genug. Zum Beispiel das Thema Nachhaltigkeit. Das ist ein Schlagwort, das wegen seiner latenten Sprechblasigkeit viele gar nicht mehr verwenden mögen. [Dazu hier ein sehr interessanter Artikel in der Biorama, geschrieben vor der starken Präsenz der Klimadiskussion.]
Aber es ist auch ein Begriff, der ehrlich gesagt zentral mit allem zusammenhängt, was Landwirtschaft ausmacht. Dabei leuchtet natürlich am meisten ein, dass der Boden, den wir heute bewirtschaften, auch übermorgen noch gesund und lebendig sein sollte. Enkeltauglich, wie es mittlerweile so schön heißt. Aber auch wenn man über das eigene Land und das eigene Dorf hinausgeht, spielen Nachhaltigkeitsaspekte eine wichtige Rolle. Nehme ich schwere Vasen für meinen Wein oder Leichtglas oder vielleicht gar keins? Nehme ich Kork oder Alu-Schrauber oder Plastik?
Kork oder Schrauber?
Die Frage des “richtigen” Verschlusses ist ein heiß diskutiertes Thema, und deshalb hatten die Agrartage auch etliche entsprechende Aussteller am Start. Vor einigen Jahren schien diese Diskussion ja bereits fast beendet zu sein, denn ausgehend von Australien und Neuseeland hatten sich bei uns die Aluschrauber auch für höherwertige Weine stark verbreitet. Mittlerweile zeigen sich aber leichte Brüche in dieser Tendenz. Erst einmal hat man festgestellt, dass die reduktive Alterung bei hermetischen Verschlüssen gar nicht unbedingt besser ist als die oxidative. Dann hat die Korkindustrie mit gaschromatographisch “abgerochenen” Korken das Risiko eines Korkschmeckers erheblich reduziert. Und schließlich haben auch die Komposithersteller große Fortschritte gemacht.
Auf dem Foto oben seht ihr eine Reihe von Samples, die ich mitgenommen habe. Den ungebleichten OrganiQork aus Trier, die Nomacorc Green Line mit positiver Ökobilanz, den Origine mit Bienenwachs von Diam, den Bio-Twister von Syncor aus Holz-Compound – alles interessante Entwicklungen. Und alle unter Nachhaltigkeits-Gesichtspunkten besser als ein Alu-Schrauber, der bekanntermaßen nicht auf Alu-Bäumen wächst. Oder wie sagte es ein Besucher so schön? “Wer Bio-Winzer ist und Alu-Schrauber benutzt, zeigt damit, dass er die Idee noch nicht so ganz durchdrungen hat.” So krass würde ich es nicht ausdrücken. Aber bei großen Weinmessen, von denen ich ja einige besuche, stelle ich fest, dass es wieder mehr Winzer gibt, die nicht nur ihre Spitzenweine mit Kork verschließen. Natürlich ist Kork dabei eine Preisfrage. Es ist aber auch eine Frage, für welche Art des Konsums der Wein eigentlich gedacht ist. Und das leitet über zum nächsten Thema…
Leichtglas oder nicht?
Wenn es um die Umweltbilanz geht, sieht diese bei Einwegglas ziemlich verheerend aus: wahnsinnig viel Energie nötig für die Herstellung, schwer und zudem zerbrechlich beim Transport. Auch das Recycling verschlingt wieder viel Energie. Andererseits ist nichts so schön, so traditionell und so inert wie eine Glasflasche. Will man da die Bilanz verbessern, kann man einerseits auf leichteres Glas gehen oder – noch besser – auf Mehrweg-Pfandflaschen setzen. Nur müsste es dafür eine Einheitsflasche wie beim Mineralwasser und ebenso multiple Abgabemöglichkeiten geben. Wenn alle das wirklich wollen, würde es auch funktionieren. Aber es wären bei einer derartigen Vereinheitlichung auch harte Entscheidungen notwendig. Zum Beispiel: kein Bocksbeutel mehr. Puh.
Schweres Glas und Naturkork sind ganz sicher gute Sachen, will man Weine zehn Jahre lang in den Keller legen. Solche Weine herzustellen, die man nicht gleich wegschlürfen sollte, ist Teil der Weinkultur. Und Kultur will ich ehrlich gesagt auch behalten, denn wir sind ja nicht umsonst von den Bäumen gestiegen und aus den Höhlen gekrochen. Dennoch stellt sich die Frage, wie ich damit umgehe, wenn das durchschnittliche shelf life eines Weins drei Monate beträgt, bevor er getrunken wird. Sind da aufwändige Verpackungen überhaupt sinnvoll? In Skandinavien wird bereits die Hälfte aller Weine im BiB verkauft, Bag in Box. Und vorgestern erst erzählte mir ein Winzer, dass er eine Anfrage aus Norwegen erhalten habe: 10.000 Flaschen Wein, aber nicht Glas, sondern PET. Ich sitze ja nicht an der Glaskugel, aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass sich gerade in hochentwickelten Ländern in der Verpackungsfrage künftig einiges tun wird.
Fair und/oder Green?
Noch so eine richtig kontroverse Sache. Fair’n Green (so wird das offiziell geschrieben), “das System für nachhaltigen Weinbau” (so lautet die Selbstbezeichnung). Fair’n Green geht es um Nachhaltigkeit, die sich auf die vier Säulen Betriebsführung, Umwelt, Gesellschaft und Wertschöpfungskette stützt. Innerhalb dieser Säulen gibt es wiederum eine Vielzahl von Kriterien, die bemessen werden. Jedes Weingut, welches das Siegel führen möchte, muss in jedem einzelnen Nachhaltigkeitsbereich mindestens 40% der Punkte und insgesamt mindestens 50% der Punkte erreichen. Damit soll verhindert werden, dass ein Weingut (nur um mal ein Beispiel zu nennen) wunderbar umweltschonend arbeitet, aber dubiose Verträge mit Saisonarbeitern abschließt. Zudem muss jedes Weingut seine Nachhaltigkeitsleistung jedes Jahr um mindestens 3% verbessern. Das heißt, es gibt eine Einstiegsschwelle, es gibt eine Kriterienbreite, und es gibt einen Entwicklungsanreiz. Mal ehrlich: Das hört sich doch absolut vernünftig an und geht weit über eine eindimensionale Grenzwerteinhaltung hinaus.
Das Kontroverse, soweit ich das richtig einschätze, ist jedoch die Säule “Umwelt“. Eigentlich gibt es ja mit den EU-Bio-Bestimmungen eine verbindliche Untergrenze dafür, was zertifiziert ökologisches Wirtschaften anbelangt. Und Fair’n Green sagt selbst, dass bei ihnen auch Bio-Weingüter Mitglied sind. Wenn ich aber durchzähle, komme ich (nachdem Prinz Salm ja nicht mehr bio ist) unter den 57 durchgängig namhaften Mitgliedsbetrieben auf einen einzigen, nämlich Clemens Busch, der gleichzeitig auch bio-zertifiziert arbeitet. Es handelt sich also offenbar doch um ein Alternativsystem zum Bioweinbau. Möglicherweise entscheidend ist, dass bei Fair’n Green systemisch wirkende Spritzmittel (unter bestimmten Umständen) zugelassen sind. Der Fair’n Green-Chemiker hält das für weniger umweltschädlich als Kupfer. Biowinzer wie Thorsten Melsheimer sehen das ganz anders, weil die systemisch wirkenden Mittel in Kreisläufe eingreifen, die wir noch nicht verstanden haben. Vielleicht gibt es aber auch eine ganz andere Lösung, die derzeit noch eine kleine Nische darstellt. Mehr dazu im nächsten Abschnitt…
Piwi oder Altsorte?
Sehr gefreut habe ich mich, als ich Ulrich Martin und Andreas Jung mit ihren Historischen Rebsorten getroffen habe. Dass das kein Exotenthema für die Agrartage ist, konnte man schon allein dadurch sehen, dass an ihrem Stand immer etwas los war. Weil ich nächste Woche ohnehin noch nach Wörrstadt zur Jungweinprobe der alten Sorten fahre, möchte ich allerdings nicht zu viel vorwegnehmen. Es gab nämlich auch ein paar Beispielweine am Stand zu probieren. Interessant könnten im Anbau vielleicht die Rebsorten sein, die früher wegen Ertragsunsicherheit bei schlechter Witterung in Ungnade gefallen sind. Solche Sorten wie der Hartblau, ansonsten ein herber Geselle, müssten mit wärmeren und trockeneren Bedingungen eigentlich gut zurechtkommen.
Historische Rebsorten sind wegen ihrer Individualität, ihrer Genvielfalt und ihrer aufregenden Geschichte eine echte Bereicherung. Robust gegen Krankheiten sind sie aber nicht immer. Das kann man hingegen von den Piwis, den pilzwiderständigen Rebsorten, behaupten. Ich hatte die Gelegenheit, am Stand von Ecovin zwei Weine aus der dritten Piwi-Generation zu probieren, und zwar den Sauvignac vom Weingut Galler und den Groove von Hanneke Schönhals (Cabertin und Satin Noir). Früher war ich ja vom teils aufdringlichen Geschmack der Piwis nicht gerade begeistert. Jetzt aber muss ich sagen, dass mich die beiden probierten Weine echt überzeugt haben. Zudem sollen die Sorten so resistent sein, dass man in guten Jahren überhaupt keinen Pflanzenschutz ausbringen muss. Gar keinen. Hört sich schon ein bisschen nach Zukunft an, oder nicht?
Vernunft und Wein
“Wine in Moderation” heißt eine Brüsseler Initiative, die in Deutschland von der DWA, der Deutschen Weinakademie, koordiniert wird. Gesehen hatte ich das Zeichen schon öfter, dachte aber bislang, dass es sich um apostelnde Weingegner handeln würde, die den Weinbau am liebsten ganz verbieten würden. Zum Glück habe ich am DWA-Stand mit der wissenschaftlichen Leiterin der DWA, Dr. Claudia Stein-Hammer gesprochen, und mein Vorurteil habe ich dann schnell revidiert. Es ist nämlich zum Glück bei uns noch nicht so wie in Frankreich, dass sich Weinindustrie und Suchtbekämpfer absolut kompromisslos gegenüberstehen. Ich lese ja regelmäßig die RVF, und da kann es einem schon sinnbildlich die Schlappen ausziehen, wie sich diese beiden Gruppen juristisch bekämpfen.
Wine in Moderation hat hingegen einen, tja, präventiven Schlichtungsansatz, wenn ich das einmal so sagen darf. Winzer sollen demnach auf die Gefahren der Überdosierung aufmerksam machen. Gleichzeitig dürfen sie aber das Kulturgut Wein weiterhin preisen. Das nennt sich nicht etwa Sprechen mit zwei Zungen, sondern Moderation. Und Moderation wiederum kommt vom lateinischen moderare = mäßigen, steuern, lenken. Vernunft und Wein, ihr passt tatsächlich ins selbe Glas.
Ganz zum Schluss möchte ich euch noch das Ergebnis meines Agrartage-Mittagspausen-Ausflugs in die Weinberge von Nieder-Olm präsentieren. Toniger Lehm, würde ich sagen. Damit war ich der Besucher mit den dreckigsten Schuhen. Auf einer Winzermesse. Das muss man auch erstmal schaffen…
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