Hier kämpft jemand sichtlich. Mit Behörden, die Pflanzrechte verweigern, mit Kollegen, die ihn nicht ernst nehmen, mit Vereinen und Verbänden, denen er sich nicht anschließen mag. Vielleicht auch ein bisschen mit sich selbst, mit seiner Sturheit, die ihn einerseits unüberwindlich erscheinende Hürden nehmen lässt, ihm andererseits aber auch einzuflüstern scheint, dass er ganz allein sei auf der Welt. Die Rede ist von Gottfried Lamprecht, Winzer in der österreichischen Steiermark und Erschaffer eines ganz und gar außergewöhnlichen Weins, den ich euch hier vorstellen möchte.
Buchertberg Weiß – Gemischter Satz aus 60 Rebsorten
Der Herrenhof ist – man würde es bei dem Namen vermuten – ein schmucker Gebäudekomplex knapp 40 km östlich der steirischen Landeshauptstadt Graz. Mitten in der Landschaft. Über Jahrhunderte wurde hier Wein angebaut, bevor man Ende des 19. Jahrhunderts den Schwerpunkt auf Obstbau legte. Genau das war zunächst das Problem von Gottfried Lamprecht, als er nach seiner Winzerausbildung den Weinbau im Buchertberg wiederbeleben wollte. Die Pflanzrechte waren mittlerweile futsch, und erst ein Marathon an Behördengängen ermöglichte es dem Winzer, im Jahr 2006 endlich wieder Reben zu setzen.
Als ich die Flasche des Buchertberg Weiß umdrehe, lese ich auf dem Etikett Dinge, die für mich andeuten, was diese Ochsentour im Inneren des Winzers bewirkt hat. Das Ergebnis lautet… ich denke, das muss man groß schreiben: ICH MACHE ALLES ALLEIN! Gottfried schreibt (ihr könnt es lesen), “we are self-determined, we do what we want”. Es gibt die Herrenhof-Charta mit lauter vernünftigen Grundsätzen. Es gibt das Zeichen “Herrenhof Handwerk”, wobei der Begriff so weit geht, dass Gottfried Lamprecht sogar das Etikett für den Buchertberg selbst entworfen hat. Dann gibt es die ABC, die “Appellation Buchertberg Controlée”, die nur halb witzig gemeint ist, denn leider steht der Buchertberg Weiß trotz seiner höchst traditionellen Rebsortenzusammensetzung lediglich als Landwein Steirerland im Behördenprotokoll.
Wie schmeckt der Wein?
Moment, first things first. Bevor ich den Geschmack beschreibe, sollte ich nämlich erst einmal verraten, weshalb dieser Wein so besonders ist. Der Buchertberg Weiß (es gibt auch eine rote Version) ist nämlich ein traditioneller Gemischter Satz. Und zwar einer, der Tradition und Region noch einmal ganz anders definiert. Der Name “Steiermark” mag sich etymologisch auf die nördlich der Alpen gelegene Stadt Steyr beziehen, weinhistorisch ist die Region jedoch weit nach Südosten hin geöffnet. In diesem Bewusstsein hat Gottfried Lamprecht auch seine Reben im Buchertberg gesetzt. Die quantitativ wichtigsten Rebsorten wie Weißer Burgunder, Grauer Burgunder, Morillon (= Chardonnay), Furmint, Riesling und Sauvignon Blanc mögen noch in der Steiermark geläufig sein, aber dann kommen solche Sachen wie Augster, Langstieler und Schlehentrauben, die allesamt aus dem ungarischen bis karpatischen Bereich stammen. Ein lebendiges Museum.
Geschmacklich bedeutsam ist derzeit vor allem die Tatsache, dass der weiße Buchertberg nach der Spontangärung im Holzfass ausgebaut wurde. Holz von eigenen Bäumen, eh klar. Dieser Holzeindruck an Nase und Gaumen wird sich sukzessive vermindern mit zunehmender Reife, und darauf ist dieser Wein definitiv ausgerichtet. Trotzdem kann man ihn natürlich auch jetzt schon mit Genuss trinken.
Das sanfte Krrrt des Schraubverschlusses lässt die Materie frei. Ins Glas fließt ein intensiv gelbes Getränk, in der Nase expressiv und vielversprechend. Der beim Jungwein offenbar stärker präsente Zündplättchenton der Reduktion ist bei meinem 2016er bereits deutlich gemildert. Tatsächlich sind viele Früchte zu erschnuppern, und zwar solche der reiferen und südlicheren Art: Orange, Maracuja, Mango und Aprikose. Am Gaumen gibt es bei kompletter Trockenheit und gut eingebundener Säure eine recht dichte Materie. Und das bei angenehmen 12,5 vol% Alkohol. Mich überrascht, dass der Wein gegenüber seinem Naseneindruck wesentlich eleganter und leiser daherkommt. Das sind weiterhin Maracuja und Mandarine, aber auf Samtpfötchen.
Luft tut dem Wein gut, und er beginnt sich aufzufächern. Was ich immer faszinierend finde bei den Gemischten Sätzen (und ich habe gerade hier aus Franken nicht wenige getrunken), das ist ihre Vielschichtigkeit. Da ergänzen, überlagern und verweben sich die Merkmale der verschiedensten Rebsorten. Das muss man erlebt haben, finde ich. Entsprechend vielseitig sind auch seine Einsatzmöglichkeiten in der Gastronomie.
Wo habe ich ihn gekauft?
Erstanden habe ich den Buchertberg bei mir in Nürnberg, und zwar in der K&U-Weinhalle um 269 Schillinge, pardon, 19,90 €. Hier passt ein solcher Wein eines solchen Individualisten und Kämpfers für die gerechte Sache ideal ins Sortiment. Dies ist übrigens kein wilder Naturwein, nur um das noch einmal deutlich zu machen. All diejenigen, die Weine von Stéphane Tissot als “durchaus noch gut trinkbar” begreifen, werden ganz sicher am Buchertberg ihre Freude haben.
Wer die Weine von Gottfried Lamprecht erst einmal probieren und dabei vielleicht erfahren möchte, ob er inzwischen in der Region ein paar Mitstreiter gefunden hat, wird die Gelegenheit dazu in gut einem Monat bekommen. Der Herrenhof Lamprecht wird nämlich auch am 1. und 2. Dezember bei der RAW in Berlin mit von der Partie sein. Auf dem Tisch werden dann unter anderem die 2017er Nachfolgejahrgänge des roten und weißen Buchertbergs stehen.
Ein Nachtrag noch, nachdem ich den Wein zwei Tage lang offen hatte: Natürlich ist er vollkommen stabil, das war aber klar. Die Aromatik hat sich allerdings ein wenig verändert. Das Holz hat einen zimtigeren Ton angenommen, der Saft ist weniger von der Frucht als vielmehr von einer pikanten Würze bestimmt. Ein lebendiges Produkt – und einer der wichtigen Gründe, warum Wein so faszinierend sein kann…