Wein aus Bulgarien fristet ein Schattendasein auf den Karten angesagter Restaurants der Welt. So krass muss man es vermutlich ausdrücken. Unter anderem deshalb habe ich mich aufgemacht nach Bulgarien. Nicht primär, um die Weinkarten angesagter Restaurants umzukrempeln. Aber um für mich festzustellen, welche interessanten Weine aus diesem uralten Weinland mir durch diese Nicht-Einlistungen vorenthalten werden. Gefunden habe ich bereits schöne Rote aus autochthonen Rebsorten, man hätte es vermuten können. Aber dieser Weiße von Borovitza hat für mich qualitativ alle anderen ausgestochen. Und deshalb möchte ich ihn hier vorstellen.
Borovitza Orla 2015 – Weißwein-Persönlichkeit aus Bulgarien
Ognyan Tzvenatov (den alle Ogy nannten) und Adriana Srebrinova waren gewissermaßen das Wein-Traumpaar des neuen Bulgariens. Oder vielmehr, sie hatten schon zu alten Zeiten erfolgreich gewirkt, nur eben für andere. Ogy war promovierter Mikrobiologe und leitete zunächst die Wissenschaftsabteilung im Nationalen Weininstitut. Daneben war er aber auch schon immer Winzer, in der 318. Generation, wie er zu sagen pflegte. Er arbeitete schon zu Zeiten des Sozialismus international und verwahrte sich bereits damals gegen terroir-ferne industrielle Massenproduktion. Irgendwann beschlossen Adriana und er, einfach ihr eigenes Ding zu machen.
Zunächst suchten sie besondere Parzellen und alte Rebstöcke, kauften die Trauben und vinifizierten den Wein in irgendeiner angemieteten Ecke einer größeren Kellerei. Erst im Jahr 2003 bekamen sie die Gelegenheit, ein heruntergekommenes Weingut im Dorf Borovitza mitten im Belogradchik-Nationalpark (das sind die Felsen auf dem Etikett) zu kaufen. Treu blieben sich die beiden allerdings weiterhin in ihrem kompromisslosen Ansatz. Es gab und gibt eine Vielzahl von Weinen mit teilweise winzigen Auflagen. Immer aber geht es um möglichst viel Charakter, möglichst viel Identität, möglichst wenige Interventionen. Und laaange Ausbauzeiten. Als Ogy Anfang 2016 ganz plötzlich starb, war das natürlich ein riesiger Schock. Adriana macht aber im selben Geist weiter. Der Borovitza Orla ist also noch von Ogy geerntet und bereitet worden, von Adriana dann weiter ausgebaut und abgefüllt.
Eigentlich wollte ich den Orla erst nicht kaufen. Warum nicht? Weil er aus den drei Rebsorten Chardonnay, Sauvignon Blanc und Rkatsiteli besteht. Keine davon ist in Bulgarien ursprünglich heimisch. Ich teilte Svetlozar, dem Verkäufer, meine Bedenken mit. Er erwiderte, das sei zweifellos so. Aber der Wein sei ganz ausgezeichnet, vielleicht möchte ich ihm dennoch eine Chance geben.
Wie schmeckt der Wein?
Nun denn. Relativ blassfarben im Glas, in der Nase recht intensiv. Aromen von Aprikose, sehr reifer Zitrone, Orange, beides auch als kandierte Zeste, ein bisschen roter Apfel. Am Gaumen fällt mir sofort die hohe Dichte auf. Ich blicke schnell noch einmal auf den Alkoholwert. 13 vol%, das ist nicht viel im Süden Europas. Im Mund kommt dann sofort die wirklich deutlich präsente Säure zum Tragen. Der Wein ist ohne Schwefel abgefüllt worden, und wenn jemand einschätzen kann, wie stabil ein solcher Wein ist, dann sicherlich Ogy und Adriana mit ihrer jahrzehntelangen Forschungserfahrung. Total sauber wirkt der Orla, keine flüchtige Säure, nur ein kleiner Touch Apfelschale erinnert an die “Naturel”-Art.
Extrem viel Würze hat der Wein nicht, das Holz spürt man kaum. Das war nämlich meine Befürchtung gewesen, hatte ich doch vor einigen Jahren auf der ProWein schon einmal einen Borovitza-Weißen getrunken, der mir zu holzlastig erschien. Aber Svetlozar meinte, das seien mittlerweile alles gebrauchte Holzfässer. Vollmundig und saftig ist der Wein, ein frühherbstlicher Nachmittag im Aprikosenhain, die Säure hält ihn gut zusammen. Ich gebe zu: Das ist in der Tat ein ausgezeichneter Wein, und ich bin froh, ihn gekauft zu haben. Am nächsten Tag zum Essen – eine hellsoßige Paprika-Pfanne – zeigt sich der Orla sogar noch besser, ein bisschen offener und weiterhin komplett stabil. Im Grund hätte ich eine zweite Flasche kaufen sollen, sage ich mir.
Wo kann man ihn kaufen?
Den Orla 2015 (was übrigens “Adler” auf Bulgarisch heißt) und den ebenfalls ungeschwefelten, ähnlich guten Solena 2014 gibt es bei Enjoywine in Sofia. Dort arbeitet auch Svetlozar, mit dem ich mich schon am Tag vorher sehr gut ausgetauscht hatte. Umgerechnet 18,50 € kostet das Prachtstück, was für bulgarische Weinkäufer nicht gerade wenig ist. Aber international ist das natürlich ein ausgezeichneter Preis für einen derartig guten und individuellen Wein. Und das Weingut ist ab jetzt ganz oben auf meiner shopping list.
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