In meiner kleinen Serie “Natürlicher Dienstag” hat sich diesmal ein Wein eingefunden, der ganz zweifellos als Klassiker des Genres gelten kann. Das liegt wahrscheinlich nicht nur am Inhalt, sondern vor allem auch an der Ausstattung des Weins. Octobre, einfarbiges Etikett, anscheinend mit dem Filzstift geschriebene Blockbuchstaben. Ich muss da immer ein bisschen an die Butte-aux-Cailles denken, an die Leute, die damals studiert oder Musik gemacht haben und jetzt in den Redaktionen und Büros sitzen. Das alternative Paris, das aber niemals auf eine solche Art alternativ werden kann, dass es auf ein Fläschchen Rotwein verzichten würde.
Les Foulards Rouges Octobre 2018
Selbstverständlich stammt der Wein nicht aus Paris, sondern ganz aus dem Süden des Landes, aus dem Roussillon. Hier in den Albères, die so eine Art Vorgebirge der Pyrenäen sind, hat sich Jean-François Nicq im Jahr 2002 niedergelassen. Davor hatte er bereits die Vignerons d’Estézargues, eine der interessantesten französischen Winzergenossenschaften, auf den Geschmack gebracht, möglichst naturbelassene Weine zu bereiten. Jetzt, also 2002, wollte er sich aber auf ein eigenes Abenteuer einlassen. Zusammen mit einem Freund aus Schultagen, einem Mathematik-Professor aus Montpellier, kaufte er ein kleines Weingut in Montesquieu d’Albères. Aus den 9 ha von damals sind mittlerweile 15 geworden, aber ansonsten ist alles wie am Anfang.
Die Weinberge sind nach Norden ausgerichtet, was hier im allzu sonnigen Süden gar keine schlechte Idee ist, will man elegant-ausgewogene Weine kreieren. Von Anbeginn des Weinguts an biologisch zertifiziert, werden die Weine ausschließlich spontan vergoren, nicht geschwefelt, nicht geschönt, nicht filtriert. Jean-François sagte einmal in einem Interview, es habe sicher fünf bis sechs Jahre gebraucht, damit die Weinberge wieder in ihr natürliches Gleichgewicht kommen und er seine Rolle darin versteht. Für den Octobre hat Jean-François 90% Syrah und 10% Grenache genommen und zehn Tage lang bei niedriger Temperatur die macération carbonique ablaufen lassen. Nur einen Monat lang wurde der Wein im Holzfass ausgebaut, bevor er tatsächlich noch im namensgebenden Oktober abgefüllt wurde.
Wie schmeckt der Wein?
Im Oktober desselben Jahrgangs schon zu füllen, das ist sichtlich eine andere Herangehensweise als bei Rainer Zang oder auch Thorsten Melsheimer mit ihren Langgärern. Primeur gegen Longueur. Und trotzdem haben für mich beide Ansätze Platz in dem Kosmos des Natürlichen Dienstags, denn der Octobre hat wahrhaftig keine chemischen Mittelchen zur Weinwerdung bekommen. Logisch ist allerdings auch, dass eine so kurze Zeit auf der Maische nicht gerade die heftigsten Tannine aus den Beerenschalen gekitzelt hat.
Der Octobre zeigt sich zunächst in erstaunlich hellem und selbstverständlich trübem Rot. In der Nase ist das auch kein Draufgänger, sondern ein Wein mit erstaunlich zarten Aromen. Süßkirsche, rote Pflaume und ganz viele Rosenblätter. Diese Eindrücke setzen sich am Gaumen unmittelbar fort. Erst einmal haben wir eine durchaus präsente Säure und auch nicht so wenig Gerbstoffe wie erwartet. Der Wein schmeckt gleichzeitig fruchtig und floral, also nach Kirschen, süßen wie sauren, etwas Pflaume und etwas Himbeere dazu. Das Bestimmende für mich ist aber diese Blütigkeit. Rosen, Pfingstrosen, ein bisschen Veilchen sogar, das erinnert mich ganz stark an die glasierten Blütenblätter der Confiserie Florian. Auch ist das Ganze eher ein Traubenauszug denn ein starkes Getränk, sehr elegant, leicht (11,5 vol%), enorm trinkig. Würze und Abgang darf man hier natürlich nicht erwarten, aber das würde auch gar nicht passen.
Wo kann man ihn kaufen?
Diesen enorm zarten Wein des Südens, ein bisschen muss ich auch an den Romanissa von Matassa denken, kann man nur selten direkt vor Ort erwerben. Jean-François Nicq ist gut ausverkauft, und so sollte es ja eigentlich auch sein. Ich habe den Wein mal wieder in der Weinstelle in Nürnberg getrunken, zu kaufen gibt es ihn aber auch bei Vins Vivants. 11,90 € kostet der Wein da, und das ist ein sehr vernünftiger Preis.
Auch wenn ich den Wein mir nicht gerade während einer 35 Grad-Periode liefern lassen würde, ist er doch verblüffend haltbar. Ich habe jedenfalls den Versuch gemacht, vielleicht ein Zehntel des trüben Stoffs noch in der Flasche zu lassen. Dann wiederverkorkt und zwei Tage lang bei 25 Grad stehen lassen. Normalerweise macht so etwas einen Wein ohne Schwefelzusatz (der kein Orange Wine ist) gern ein bisschen braun. Aber nichts da, keine flüchtige Säure, keine braune Oxidationsnote. Wer also gern einen frischen, eleganten, explizit floralen natürlichen Wein trinkt – voilà. Ansonsten hat Jean-François Nicq auch noch länger vergorene Weine im Angebot.
Was sind übrigens diese “Foulards Rouges”, die roten Schals oder Halstücher? Das bezieht sich nicht auf die Konkurrenten der Gelbwesten oder aber auf (meine Güte, wann habe ich zuletzt an diesen Namen gedacht!) Walter Momper, dessen Erkennungszeichen ja ebenfalls ein roter Schal war. Nein, der Name stammt von der Erzählung “Foulards Rouges” von Frédéric Fajardie. Das sei ein humanistisch gesonnener historischer Thriller und Schwertroman, wenn ich die Zusammenfassung richtig verstanden habe. Da soll noch mal einer sagen, die Beschäftigung mit Wein würde nicht den Horizont erweitern…