Vor langer langer Zeit, als ich allerdings schon geboren war, da herrschten die Teschs über 35 ha Reben und 100 ha Ackerland. Fährt man heute durch den Ortskern von Langenlonsheim an der Nahe, ist von domänenartiger Großmächtigkeit wenig zu spüren. Leicht übersieht man den modernen Eingangsbereich an der geschlossenen Häuserfront. Eine Tür, ein Verkaufsraum, ein Büro im Obergeschoss, kein Protz, kein Wappen, kein Schnörkel. Geschrumpft ist das Weingut auf ein Sechstel der damaligen Gesamtfläche. Hm hm, denkt sich auch der unbedarfteste Besucher, das kann doch kein Zufall sein. Da muss irgendeine Idee dahinter stecken.
Terroir rules
Und tatsächlich. Martin Tesch macht Sachen, die man getrost als ziemlich einmalig bezeichnen kann. Beispielsweise gibt es bei ihm eigentlich nur eine einzige Sorte Wein, nämlich trockenen Riesling (neben ein bisschen Weiß- und Spätburgunder). Der Einstieg ist eine Lagencuvée namens “Unplugged”, deren Name das Programm schon mal vorgibt. Die fünf anderen Rieslinge kommen jeweils aus einer anderen Lage, werden aber im Keller völlig gleich behandelt. Ausgeliefert werden die Weine in der legendären Lagenbox vom Titelfoto, zusammen mit umfangreichen Informationen.
Das bedeutet: Alles, was man in den Weinen an Unterschieden schmeckt, kommt nicht von der Kellertechnik, sondern aus dem Weinberg. Ein solcher Ansatz macht dann Sinn, wenn die einzelnen Weinberge von ihren natürlichen Voraussetzungen her entsprechend unterschiedlich sind. Hier am nordöstlichen Ende des Anbaugebiets Nahe ist das tatsächlich der Fall. Obwohl die fünf Lagen (dazu noch der Rothenberg als Nr. 6) nur wenige Kilometer auseinander liegen und manchmal sogar direkt nebeneinander, ist die Geologie äußerst komplex. Oben auf dem Bild seht Ihr den roten Sandstein-Verwitterungsboden im Laubenheimer Karthäuser, der wärmsten und frühreifsten Lage. Woanders gibt es Vulkanböden oder Muschelkalk oder Kies, und das alles hat einen Einfluss darauf, wie die Trauben hier reifen und letztlich auch, wie der Wein aus ihnen schmeckt.
Ist man in den Weinbergen unterwegs, stößt man gelegentlich noch auf Spuren der Tesch’schen Vergangenheit. An die Holzstickel im Weinberg sind kleine Schilder geheftet, auf denen ich lesen kann: “Tesch. Weingut seit 1723. VDP Nahe.” Martin Tesch ist seit 2014 nicht mehr im VDP, denn sein Konzept sieht ja eben nicht vor, eine Qualitätspyramide nach burgundischem Vorbild aufzustellen. Im Prinzip sind die Lagen-Rieslinge nämlich alle gleich viel “wert”. Preisunterschiede gibt es deshalb nur in bescheidenstem Ausmaß: 9,50 € kostet die Cuvée namens “Unplugged”, 14,50 € vier der fünf Lagen-Rieslinge und nur der St. Remigiusberg zwei Euro mehr.
Stilistische Konsequenz
Irgendwie wirkt es deshalb logisch, dass die stilistische Konsequenz bei diesem Weingut nicht bei den Rebsäften aufhört. Der gesamte Auftritt, angefangen bei Flaschen (Leichtglas mit sehr schönem Schrauber, glaubt mir), Etiketten (Farben, die den Lagencharakteristika entsprechen), Gestaltung von Broschüren, Website, edelschwarzem Stand bei der ProWein, den musikalischen Verweisen, alles, aber wirklich alles ist hier Teil ein und derselben Sache.
Im Weinberg – hier ein alter Weinstock im St. Remigiusberg – sieht es dafür weniger stylisch aufgeräumt aus, und das ist in diesem Fall ein gutes Zeichen. Auch wenn die Rebzeilen begrünt sind und die Tesch-Weine wahrhaftig keine Kellertechnik-Monster sind, ist Martin Tesch anscheinend nirgends Mitglied. Nicht im erwähnten VDP, aber auch nicht in einem Bio-Verband, wahrscheinlich noch nicht mal in irgendeiner politischen Bewegung oder in einer Sekte. Natürlich habe ich das nicht gefragt, aber ich hatte gewissermaßen das Gefühl, hier in einem super super unabhängigen Kosmos gelandet zu sein. Einem Kosmos, der zwar sehr stark konzipiert wirkt, aber nicht abweisend. Hier hat “lediglich” mal jemand seine Überlegungen bis zum Ende durchgehalten.
Interessant fand ich in dem Zusammenhang, dass niemand im Supermarkt und in einer Pizzeria am Ortsrand das Weingut kannte. Selbst bei Weininteressierten ist mir das schon passiert, also solchen Leuten, die ansonsten jeden Jahrgang von Keller oder Weil herunterbeten können. Kann es also sein, dass ich mich in meinem eigenen Kosmos befinde, in dem man das Weingut Tesch mit “muss man kennen” bewertet?
Wie auch immer. Um zu sehen, wie sich die notorisch sehnig-schlanken Spätentwickler (ich spreche von den Weinen) im Jahrgang 2017 geschlagen haben, habe ich den Inhalt der Lagenbox durchprobiert.
Was mir gleich beim Betrachten der Informationen auf den Etiketten auffällt: Alle Weine haben den gleichen Alkoholgehalt, nämlich 12,5 vol%. War eigentlich logisch, oder?
Riesling Unplugged
Es ist mir doch tatsächlich gelungen, lediglich ein unscharfes Bild vom Etikett zu machen. Das zeige ich hier natürlich nicht. Dafür ist der Wein umso schärfer. Also wenigstens dann, wenn wir unter einem “scharfen Wein” dasselbe verstehen.
Konsequenterweise fehlt hier nicht nur die Süße, der Wein wurde auch nur ganz wenig auf die fruchtige Seite gekämmt. Gelbe Apfelschale, Holunderblüte, getrocknete Blumen, eher spröde und im Abgang auch nicht wahnsinnig lang. Was hier den Vinum Guide zu dürftigen 80 Punkten veranlasste, ist für mich das Zeichen eines idealen Speisenbegleiters: nicht zu fruchtbetont, schön trocken, null dominant. Ein Kontextwein sozusagen. Wirkt deshalb nicht total wie ein Riesling-Riesling, den man schon auf 200 Meter Entfernung erkennen kann, aber das muss ja auch nicht immer sein.
Riesling Königsschild
Muschelkalk und Lösslehm.
Eichelmann schreibt in seinem Guide, dass der Königsschild sich nach dem Öffnen der Flaschen schon ziemlich präsent gezeigt habe. Hm, das würde ich jetzt nicht unterschreiben. Die Säure ist extrem knackig, was in Verbindung mit sowohl floralen als auch kalkig-kreidigen Noten an einen echt konsequenten Chablis erinnert. Das ist ein sehr heller, sehr präziser und durchaus strenger Wein, der mit ein bisschen mehr Lagerzeit oder Luft ziemlich sicher feinere, seidige Noten bekommen wird.
Riesling Krone
Lösslehm und Sandsteinverwitterung.
Die Krone ist ebenfalls kein vordergründig drückender Wein, sondern eine etwas sanftere, gar freundlich-sonnige Version der Dinge, die noch kommen werden. Zitrone dominiert in allen drei Dimensionen, dann kommen Grapefruit und grüne Haselnuss. Kein Wein, der von den trocken-heißen Augustfeldern kündet, sondern einer, der sich von Extremen fernhält. Ein freundlicher Feingeist. Ist das jetzt typisch Nahe? Vielleicht schon. Also vorausgesetzt, dass es irgendwas, also bitte wirklich nur irgendwas gibt, dass man als typisch für die Nahe bezeichnen könnte.
Riesling Löhrer Berg
Der “leere Berg” liegt direkt neben der Krone, aber hier gibt es Flusskies im Untergrund.
Nach dem ersten Öffnen steigt Marillenduft in die Nase, was erst einmal gar nicht zur Farbe des Schraubers passen möchte. Der Wein nimmt das Angebot aber auch schnellstens wieder zurück. Ab dann kommen nämlich die grüneren Noten zum Vorschein: ganz viel Limette, grüner Apfel, Frühlingswiese, aber nicht nur floral, sondern auch mit einer gewissen Grasigkeit. Nicht dass man den Wein aromatisch mit einem Sauvignon Blanc verwechseln könnte, aber man merkt, dass er in den Raucherpausen immer mit den Sauvignons abhängt.
Riesling St. Remigiusberg
Vulkanverwitterung mit Eisenerz. Ich hatte die Lage ja schon bildlich bei meiner Wandertour durch die Weinberge der Nahe vorgestellt.
Wenn man das schöne deutsche Wort „Pikanz“ im Zusammenhang mit Weinen erklären müsste, würde ich gern dieses Exemplar dafür verwenden. Viel Mandarine, aber auch rosa Grapefruit, Blutorange, Orangenschale, dazu kräftige Säure, und zwar so, dass es in dieser Kombination der Intensitäten fast ein bisschen beißt im Mund. Ein hocharomatisches, pikant-nachhaltiges Werkstück. Irgendetwas von Zimt, Roggen und trockener Paranuss spüre ich ebenfalls, aber gut, man kann auch übertreiben. Hohes Entwicklungspotenzial auf jeden Fall.
Riesling Karthäuser
Verwitterter roter Sandstein.
Das Fiese an der Welt deutscher Weintester und Weintrinker ist, dass sie fast immer die reiferen, röteren, kräftigeren Noten besser finden und bewerten als die schlankeren und grüneren. Das ist die tief verwurzelte Sehnsucht nach der Sonne, auf die wir immer so lange Monate warten müssen. Insofern: Ja, der Karthäuser ist natürlich ein guter Wein. Aber er profitiert auch von den Konnotationen, die sein Aromenspektrum hervorruft. Als da sind: mehr Steinfrucht als Zitrus, roter Apfel, gar gelbe Kirsche, roter Pfirsich, alles ein bisschen tiefergelegt, mehr Körper, würziger, „pfälzischer“, wenn man das so sagen darf. Es wäre allerdings kein Tesch-Wein, wenn nicht auch der Karthäuser im straffen Bereich bleiben würde – hier lappt nichts über den Tellerrand.
Mein Fazit
2017 war offenbar ein Jahrgang, der – so schwierig er im Weinberg auch gewesen sein mag – im Endeffekt zu ziemlich präzisen, spannenden, kernigen Weinen führen konnte. Wenn man denn weiß, wie man’s macht. Mir haben die Weine jedenfalls alle gut gefallen. Da ich ein gewisses Faible für die leiseren Stimmen in diesem Lande besitze und nicht für die Plärrer, denen eh zu viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, bin ich froh, dass solche Weine wie Löhrer Berg, Krone oder Königsschild genauso sind, wie sie sind. Aber ich muss auch zugeben, dass die Intensität des St. Remigiusbergs einen schon ziemlich umpustet – im positiven Sinn.
Alles in allem: Gute Weine zu sehr fairen Preisen für ihre Qualität. Und das gilt für jeden einzelnen von ihnen. Aber ich gebe auch zu, dass sich einem der gesamte Ansatz erst richtig erschließt, wenn man alle fünf Lagenweine parallel probiert. Was den einen dabei zu akademisch, zu anstrengend vorkommen mag, macht den anderen erst recht Spaß. So ist das nun mal.
Oben auf dem Laubenheimer Karthäuser, den ein gut ausgeschilderter Wanderweg überquert, wird mir jedenfalls bewusst, dass nicht nur die Lagen von Martin Tesch extrem unterschiedlich sind, obwohl sie so nah beisammen liegen. Oben seht Ihr nämlich links Nahe, in der Mitte Rheingau und rechts Rheinhessen. Drei Welten auf einem Bild.
Ich hatte die Fotos übrigens Anfang Oktober aufgenommen, denn so sieht es selbst in den klimatisch am stärksten begünstigsten Lagen jetzt im Januar nicht aus. Wer sich beim Blick aus dem Fenster eher einen kräftigen Rotwein aus dem Süden herbeiwünscht, gut, damit kann das Weingut Tesch nicht dienen. Aber in ganz seltenen Momenten führe ich mir auch im Winter Wärme und Blattgrün vor mein geistiges Auge, und dann hole ich doch tatsächlich einen Riesling aus dem Keller…