Wenn man 100 Menschen danach befragen würde, was wohl ihre erste Assoziation wäre bei der Erwähnung der “kleinen Freuden der französischen Provinz”, würden vermutlich 89 von ihnen sagen, “Essen gehen”. Und zwar nicht im Schnellrestaurant, sondern richtig schön mit Tischdecke. Vielleicht können wir das sogar noch toppen, denn diesmal waren wir in einem Restaurant mit Messer und Gabel. Und Gläsern. Und einem Michelin-Stern.
Joël Césari führt das Restaurant “La Chaumière” an der südlichen Peripherie von Dole seit geraumer Zeit, und mit derselben Konstanz erscheint er Jahr für Jahr wieder besternt im Guide Michelin. Das liege, so die Inspektoren, daran, dass er sich nie auf seinen Lorbeeren ausruhe, sondern immer wieder experimentiere und die Jura-Küche damit permanent erneuere. Genau das Richtige für uns! Nun haben wir aber weder Anzug noch Kostümchen dabei und noch nicht einmal reserviert. Kein Problem, sagt man uns beim Empfang, jetzt am Mittwochmittag gäbe es für Spontangäste in der Regel immer einen freien Tisch.
Das Ambiente erinnert mich stilistisch irgendwie an die 90er, aber die Tische stehen schön weit voneinander entfernt, so dass man nicht das Gefühl hat, der Nachbar würde beobachten können, ob man auch die richtige Gabel benutzt. Die Mehrzahl der Gäste dürfte jetzt am Mittag ein Geschäftsessen einnehmen. Es gibt zwei Herren, die so wirken, als würde der eine den anderen interviewen, so Typ Lokalreporter und Museumsdirektor. An einem anderen Tisch sitzt ein Paar wie wir, und nach uns kommt noch eine Familie mit kleinem Kind, alle in Jeans und Turnschuhen. Schnell wird vom äußerst aufmerksamen Service ein Kinderstuhl geholt. Alles macht den Eindruck, als wüsste man zwar ganz genau, was professioneller Service ist, aber bitte ohne Blasiertheit, damit sich alle Gäste hier gut aufgehoben fühlen können.
Wir bekommen die Karte, sehr eindrucksvoll, sowie die Weinkarte, fast noch eindrucksvoller. Alle einschlägigen Juraweine gibt es hier, und ich wüsste sofort ungefähr 50 Flaschen, die ich gern probieren würde. Machen wir aber natürlich nicht, denn wir wählen beide das Mittagsmenü “Marcel Aymé”, benannt nach dem französischen Erzähler, der hier in der Gegend seine Kindheit verbracht hatte. Ein Grund für unsere Wahl war übrigens, dass dieses “tagesfrische” Menü sich aus drei Überraschungsgängen zusammensetzt, die auf der Karte auch nicht einzeln aufgeführt sind. Was halt gerade frisch da war oder den Koch spontan inspiriert hat. Ganz nach unserem Geschmack also.
Nun ist dies natürlich kein Ort, an dem man permanent herumknipst, weshalb ich von allen Gängen immer nur ein schnelles Foto gemacht habe.
Als Amuses-bouches kommen erst einmal vier kleine Häppchen auf den Tisch. Schrecklicherweise ist das erste davon schon komplett fantastisch und bietet dadurch keinen Platz mehr für Steigerungen. Es handelt sich um die beiden Eierschalen rechts auf dem Foto. In den Schalen befindet sich unten ein rohes Dotter und darüber ein bisschen Morchelsuppe. Die Texturen, der Geschmack, die Empfindungen. Schwer zu beschreiben, einfach großartig. Das Zweite ist ein Weinschaumhörnchen in ganz zart knusprigem Teig. Schäume sind also immer noch angesagt, grinse ich in mich hinein. Schmeckt aber ebenfalls vorzüglich. Die beiden anderen, hier nicht abgebildeten Happen sind ein Kartöffelchen mit Forellenkaviar und ein Bällchen gefüllt mit Bleu de Gex.
Vorspeise. Wieder der Knaller. Okay, wieder ein Schäumchen, aber darunter befindet sich eine Cappuccino-Langustinen-Suppe mit Pistazien. Fantastisch. Zum Menü gehört übrigens auch ein Glas Wein, vom Sommelier nach Gutdünken ausgesucht, in diesem Fall einen gut passenden Weißen aus dem Mâconnais. Mittags ist bereits die ganze Mannschaft an Bord, und sie machen ihren Job “impeccable”, wie man hier so schön sagt. Immer aufmerksam, immer freundlich, nie aufdringlich. Ich muss es zugeben, ich mag Professionalität sehr gern, weil es eine Art Achtung und Liebe zur eigenen Arbeit bedeutet. Dass mir Gedienere auf der einen oder Herrschaftsgebaren auf der anderen Seite ein Gräuel sind, brauche ich sicher nicht extra zu betonen. “Egalité”, nicht wahr, keine ganz unwesentliche Botschaft in unserer Demokratie, und wie ich selbst behandelt werden möchte, so sollte ich auch mit meinen Mitmenschen umgehen. Aber ich schweife ab.
Es folgt nämlich der Hauptgang, und der ist heute mediterran angehaucht. Es gibt Filet de Rascasse, also Drachenkopf (ich hatte ihn schon einmal auf dem Fischmarkt von Split gekauft und selbst zubereitet…), gewürzt mit Piment d’Espelette und Knoblauch, dazu eine halbrohe geraspelte Fenchelknolle, eine kalte Tomatenratatouille und Tapenade aus schwarzen Oliven. Der Fisch ist exzellent gegart, alles schmeckt gut, aber fast bin ich erleichtert, nicht auch noch hier überraschende Varianten oder geschmackliche Sensationen vorzufinden.
Eine Sensation kommt wenigstens noch. Und die ist beim Dessert nicht das Eis aus dunkler Schokolade im Vordergrund, auch nicht das Orangenconfit, sondern es sind die dünnen Häutchen, mit denen jeweils ein Klecks Schokoladenmousse vom anderen getrennt wird. Irgendetwas mit “dentelles” und “millefeuille” sagt der Kellner – jedenfalls sind das hauchzarte, aber ungemein dunkel schmeckende Gardinchen.
Eigentlich sollte es das längst gewesen sein, denn unser Menü hat ja nur drei Gänge, und schon die Amuse-bouches waren eigentlich einen eigenen Gang wert. Jetzt also ganz zum Abschluss noch Dessert Nr. 2: Pannacotta Vanille, Schokoladenmacaron und – das ist das rote Halbkügelchen in der Mitte – eine Komposition aus Erdbeergelee und rohem Rhabarber. Süß und sauer, weich und rohart, alles in einem Bissen, da blitzt das Geniale doch wieder durch bei Joël Césari.
Ein wunderbares Essen war das und eine der größten kleinen Freuden, die die französische Provinz anzubieten hat. Denn solche Spitzenrestaurants ohne allzu viel Chichi gibt es eben nicht nur in Paris, sondern überall verteilt auf dem Land. Die sozusagen kostenlos dazuservierten Vor- und Nachspeisenhäppchen machen dabei so richtig Lust, auch einmal ein vielgängiges Menü hier zu probieren. Gerade angesagt ist nämlich das achtgängige Menü “Rund um die Morchel” für 100 €, und seit unserem Besuch habe ich bestimmt schon subjektiv gezählte zehn- bis fünfzehnmal davon gesprochen, ob ich das nicht doch noch haben muss – fragt nach bei Beautyjagd…
So, noch irgendwas vergessen zu erwähnen? Ach ja, den Preis. Was wäre Euch dieses Vergnügen wohl wert gewesen, inklusive dem Glas Wein? … Hier in Dole im Restaurant “La Chaumière” kostet dieses Mittagsmenü pro Person 26 €. Glückliches Frankreich.
Beautyjagd hat übrigens heute noch ein bisschen weiter genascht…
Pingback: Bonjour Provinz (13): Süße Köstlichkeiten | Beautyjagd
Sehr glückliches Frankreich.
Danke für die appetitanregende Beschreibung!
Viel Freude noch; ich werde mich in den nächsten Tagen in Ruhe durch Eure Reihe lesen. Eine sehr schöne Idee!
Viele Grüsse, Carmen
Pingpong aus der Beautyjagdfraktion – nun kann ich mir einen Kommentar doch nicht mehr verkneiffen:
Hammermenue!! Die ganze Zeit hab ich mich gefragt, was das wohl kosten könnte und am Ende kommst du mit 26.00?!? Waahnsinn. Bitte gleich 1:1 nach Bern beamen, zahle sofort, gern auch etwas mehr fürs Beamen.
Gut, die Portionen sind überschaubar, der eine oder andere Mann hätte evtl. noch Hunger, aber für meinen Geschmack absolut passend.
Mein Tip: doch noch das Morchelmenue zum Abschluss 🙂
Du hast recht – glückliches Frankreich.
Das hat ehrlich gesagt sogar für meinen Appetit gelangt – und ich bin kein besonders bescheidener Esser 😉 . Was ich übrigens immer wieder interessant finde (in Japan war es mir schon genauso ergangen): Wenn ich den Tag über Dinge esse, die offenbar mein Bewusstsein und auch mein Unterbewusstsein geschmackstechnisch richtig befriedigen, dann habe ich danach überhaupt keine Lust mehr auf Chips, Schokolade oder Ähnliches. Schicke mich jeden Tag ins Sternerestaurant oder reiche mir jeden Tag acht japanische Mahlzeiten – und ich würde dabei glücklich rank und schlank werden. Seltsam aber wahr 😉
Wow! Ein Menü im Sternerestaurant ohne Reservierung und ohne Designerklamotte. Das ist schon toll. Und nach all dem, was ihr da auf dem Teller hattet, hätte mich jetzt ein Preis von 100 Euro pro Nase nicht überrascht. 26 Euro??? Da kann man wirklich sagen: glückliche Provinz! 🙂
Und um es auch hier noch mal zu hinterlassen: Dieses Blog-Pas-de-deux ist eine gelungene Sache!!! Danke dafür, macht großen Spaß, euch zu lesen!
Dankeschön! Es macht mir ehrlich gesagt auch riesigen Spaß (selbst wenn es viel anstrengender ist, als es vielleicht aussehen mag 😉 ).
Also ein Menü mit dem Namen “Rund um die Morchel”, noch dazu mit 8 Gängen, kann man doch unmöglich entgehen lassen, oder? 😉
Ein Träumchen! Das Menü hätt ich jetzt auch gerne und eine Beschreibung des 8-Gänge-Menüs rund um die Morchel würde ich auch sehr gerne lesen. Habe deine Provinz-Posts gerade in einem Rutsch gelesen. Sehr lesenswert euer gemeinsames Blogprojekt. Ich hätte mich gleich mit dem Rad zur Markthalle aufmachen können. In jedem Urlaub möchte ich auch mindestens einmal auf den Markt oder in eine Markthalle.
Viel Vergnügen noch in der französischen Provinz, die ganz schön viel zu bieten hat.
Uff. Ich hatte innerlich schon fast gegen den Morchelschweinehund gewonnen 😉 . Aber okay, falls es am Dienstag wieder regnen sollte…
Oh, da kommen schöne Erinnerungen hoch. wir (meine Frau und ich) waren seit den 90er jahren mehrfach dort und haben auch im Hotel übernachtet. beim allerersten Mal hat man uns keinen Vin jaune kredenzt, weil wir uns erst über einen Chardonnay aus Arbois an den Stil gewöhnen sollten “Den Parisern verkaufen wir auch keinen Vin jaune! 🙂 “. Bei weiteren genussvollen Besuchen haben wir dann die Freuden genossen. Wir sollten wirklich mal wieder hin! Oberhalb von Arbois gibt es ein sehr schönes chambre d’hôte: La part des anges.
Bin heute per Zufall hier gelandet – sah auf TV 5 einen Bericht über einen Neunaugenfischer der
Gironde und wollte mehr erfahren. Beim ‘Weiterblättern’ bin ich jetzt schon im Jura angekommen,
und es sieht ganz so aus, als könnten mich alle Berichte fesseln. Danke! Einfach: danke!
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