Welch seltsame Fügung. In den bisherigen Jahrzehnten meines Lebens hatte ich gerade einmal ein bis zwei Dutzend Weine aus dem Priorat zu mir genommen. Und nun hatte ich wenige Wochen nach dem ersten Priorat-Test in Königswinter schon zum zweiten Mal die Gelegenheit, die Weine dieser spanischen Kultregion zu testen. Auch diesmal konnte ich mich auf fachkundige Begleitung verlassen, denn Priorat-Kenner Torsten hatte mich zu sich nach Bernburg eingeladen. Bekanntermaßen sind weiße wie rote Priorats keine Leichtweine. Ein Glück also, dass sich auch die beiden Tester in körperlich robuster Verfassung befanden.
Damit ich nicht wieder einen Eintrag im Guinness-Buch bekomme als längster Post der Welt, werde ich die Infos zu den einzelnen Weinen und Weingütern schlank halten. Name, Jahrgang, Rebsorten und Alkoholgehalt müssen natürlich trotzdem sein. Die Weine wurden von Torsten und mir in der Reihenfolge getestet, in der ich sie aufführe. Die Weißen waren schon seit ein paar Tagen offen, weshalb ich gleich an dieser Stelle auf den Beitrag auf Torstens Blog verweisen möchte, denn er hat die Evolution der Weine vom ersten Plopp bis zum letzten Schluck mitverfolgt. Die Roten wurden frisch geöffnet und hatten dann nur noch ein paar Stündlein Zeit bis zur Probe. Wir haben alle Weine offen verkostet, was meine Punktevergabe – selbst wenn ich es gewollt hätte – überhaupt nicht beeinflussen konnte. Ich hatte nämlich keinen einzigen dieser Weine jemals vorher getrunken, und Beziehungen jedwelcher Art zu irgendeinem der genannten Winzer pflege ich auch nicht. Die angegebenen Preise gelten in der Regel für Torstens Handel. Versucht den Shop aber nicht über Google zu finden (eine Katastrophe), sondern klickt lieber hier.
Zunächst also die Weißen:
1. Mas Garrian 2008, Macabeo und Grenache blanc, kein Alkohol und kein Preis.
Auch kein Etikett auf der Flasche, denn der Wein kommt gar nicht in den Verkauf. In der Nase ist Klebstoff der total dominierende Ton, Uhu bis zum Abwinken. Dann spüre ich den Alkohol, später auch angenehmere Noten wie Akazienblüte und Ananas. Irgendwie riecht der Wein auch leicht nach Bowle, nach giftiger Bowle aber. Hui, was für ein Anfang! Am Gaumen wird es ein wenig braver: mittlere Intensität, sehr schöne Säure, aber leicht belegt, eine gewisse Traubenzuckeranmutung, aber weiterhin irgendein giftiger Ton drin. Ob jetzt die flüchtige Säure und die oxidative Fino-Note im Abgang etwas damit zu tun haben, dass der Wein schon länger offen ist, weiß ich nicht. Sehr risikoreiche Weinbereitung, nehme ich an. Nach all diesen bösen Worten vergebe ich dennoch relativ wohlwollende 13 MP, denn die feine Säure und die pflanzlich-kräuterige Anmutung lassen einen guten Charakter durchscheinen.
2. Mas Garrian 2007, dieselben Rebsorten, wieder nicht im Verkauf, diesmal bewusst unfiltriert und ungeschwefelt.
Da wundert es mich nicht, dass der Wein trüb und bräunlich ist. An der Nase gewisse oxidative Noten, aber erstaunlich dezent. Anklänge an Most, säuerlichen Apfel, leicht vegetal. Am Gaumen kommt dann die ganze Palette ungeschwefelter Weine: mostiger Saft, leicht flüchtige Säure, an der Zunge allerdings eine birnensüße Anmutung. Der Wein mildert sich zusehends. Für mich sind das Noten von angebrannten Rosinen, Streuselkuchen, säuerlichem Backapfel (Boskoop) und Tannin wie von einer langen Maischestandzeit. Die Säure ist dagegen erstaunlich frisch, und verglichen mit anderen schwefelfreien Weinen, die ich kenne, finde ich den Mas Garrian verblüffend trinkig. Man muss sich natürlich auf den Stil einlassen. Auch wenn hier die Reinton-Fraktion aufschreien wird, ich gebe dem Wein 15 MP.
3. Celler Cecilio 2006, Grenache blanc und Macabeo, 13,5 vol%, ca. 13 €.
Im Glas strahlt mich ein ziemlich dunkler Weißer an, ganz leichte Kupferreflexe, sieht fast aus wie Grenache gris. In der Nase Alkohol, Birne, Minze, viele viele Kräuter aus der Garrigue, mehr kann ein Weißwein nicht haben. Am Gaumen ist der Wein leicht brandig, erstaunlicherweise auch schon etwas Firn. Wenn man das einmal weglässt, kommen helle tropische Noten zum Vorschein, Zitronat, Anis und Basilikum. Der Cecilio verabschiedet sich mit Haselnuss und einem passablen Abgang. Ich hätte den Wein jung nicht trinken wollen. Er macht den Eindruck, als sei er erst jetzt soweit, trotz der einsetzenden Firne. 14,5 MP.
4. Lo Coster 2006, wieder Grenache blanc und Macabeo, alte Reben, nur 300 Flaschen, 13,5 vol%, nicht mehr zu kaufen, soweit ich weiß.
Das nenne ich eine expressive Nase! Sehr tropisch, ganz stark Passionsfrucht, dann Mandarine, etwas Ananas, später leicht pudrig. Noch später kommen Baumblüten zum Vorschein. Oder eher Buschblüten: Jasmin, Magnolie, Honeysuckle. Am Gaumen zeigen sich die mandarinig-passionsfruchtigen Noten konstant vorn. Dann verschwinden sie, und man muss zwei Sekunden lang durch die große Leere, bevor eine mächtige Würze eintritt, viele Kräuter, dazu noch leicht feuchtes Heu. Der Abgang ist wirklich lang. Ich weiß nicht genau, was ich zu diesem von vorn bis hinten die Geschmacksknospen befeuernden Wein sagen soll. Sehr eindrucksvoll und erstaunlich frisch für das Alter, aber auch ein bisschen unausgewogen. Muss man erlebt haben. 15,5 MP.
5. Lo Coster 2009, 14,5 vol%, 24 €, acht Monate Holzausbau, 429 Flaschen.
Dieser Wein hat in allen analytischen Kategorien zugelegt. In der Nase deutlich Holz, das die exotischen Fruchtnoten total überlagert. Wahrscheinlich wird die Frucht in der Nase auch später nicht so stark sein wie beim 2006er, aber das ist natürlich ein wenig spekulativ. Blind würde ich hier übrigens durchaus auf Rotwein tippen, denn das Holz hat diese Kokosmakronen-Anmutung, wie sie bei modernen Roten gern vorkommt. Jedenfalls ist der Wein olfaktorisch noch unfertig. Am Gaumen zeigt sich gleich eine gute Säure, die verspricht, noch länger zu tragen. Muss sie auch, denn der Wein hat viel Substanz, viel Holz, Noten von Baumblüten und ist sehr lang. Kein Alkoholproblem übrigens, dafür aber eins mit der Sinnlichkeit: Lo Coster 09 ist spröde und trotz sehr guter Materie derzeit völlig unsexy. Die Frucht ist entweder weg oder noch nicht da oder kommt nie. Jedenfalls erinnert mich der Wein an ähnliche Kaliber von der Rhône. Auch hier spürt man, dass da noch eine große Harmonie kommen wird, weshalb ich 16,5 MP verteile.
6. Ardiles Viognier 2009, 100% Viognier, im Stahl ausgebaut, erst 2005 bestockt, 14,5 vol%, 22 €, Schraubverschluss.
Ein sehr blasser Wein, und die Nase geht in dieselbe Richtung: ganz weiß, bitterblütig, grasig, wobei eine leicht parfümierte Öligkeit zu ahnen ist. Fast riecht der Wein ein wenig nach Sauvignon, die alte Leier, die ich aber hier nicht noch mal auspacke. Am Gaumen ist unser Freund Ardiles weiter grasig, kräuterig und blütig. Ein bisschen Rambutan noch. Ich finde den Wein irgendwie basisch und lasse mich zu der Bemerkung hinreißen, wenn einem nach einigen Litern Wein übel werden sollte, wird man diesem Geschmacksgefühl die Schuld geben. Das gilt natürlich nicht für uns, wir lassen in jeder Flasche noch derartig viel drin, dass Torsten wochenlang weitertesten könnte. Zurück zu diesem Wein, der keinen Puffer für die Grasigkeit findet und auch noch ziemlich schnell fertig ist: 13 MP für 22 €, das ist zu wenig. Viognier will ich hier unten einfach nicht sehen.
Ein kurzes Fazit zu den Weißen: Die Frische hat mich angenehm überrascht, denn das bringt man mit Weißweinen aus einer Hitzeregion nicht in Verbindung. Ich würde mir an Eurer Stelle auf jeden Fall den Lo Coster kaufen, egal aus welchem Jahrgang, und dann einfach eine Weile warten. Ein Schnäppchen ist das nicht, aber mich macht eine Flasche ja auch immer viel glücklicher als ein ganzer Karton. Jetzt aber zu den Roten:
1. Tina 41 2007, Grenache noir, Carignan, Merlot, Cabernet Sauvignon, Syrah – alles, was die Weinberge hergeben. “Tina” heißt übrigens “Tank”, hat also nichts mit irgendeiner Önologin oder der 41. Frau des Winzers zu tun. Von Vall Llach, 15 vol% bei 13 €, ob die Gleichung aufgeht?
Sehr modern in der Nase, Himbeer, Brombeer, extrem fruchtig. Am Gaumen wirkt es fast so, als sei der Wein gut gepfeffert worden. Sehr würzig und in diesem Element stark Grenache-lastig. Die anderen Rebsorten sorgen für eine dunkel-marmeladige Frucht. Tannine sind in erstaunlich heftigem Maße vorhanden, und das passt nicht so recht zur doch etwas flachen Materie. Nach der Pfefferfrucht kommt nämlich nicht mehr viel. Komischerweise habe ich fast das Gefühl, dass dieser Wein seine beste (vordergründige) Phase schon hinter sich hat. Und zwar, bevor die Tannine sich einbinden können. Obwohl es sich um den schwächsten Roten der Probe handelt, komme ich nicht umhin, 14 MP zu zücken. Nach unten scheint mir das Priorat gut abgesichert.
2. Pahí-Poboleda 2007, Grenache & Carignan, 13,5 vol%, 13 €.
Der leichteste Rote vom Alkoholgehalt her, wobei ich sagen muss, dass die Alkoholproblematik beim Priorat nur dann eine Rolle spielt, wenn der Wein von der sonstigen Substanz her zu klein ist. Unser Wein hier offeriert in der Nase erstaunliche Noten: wesentlich kühler in der Anmutung, extrem balsamisch, Olivenöl, bitterer Holunder, wenig Mineralität und fast keine Primärfrucht. Ein ganz anderer Stil als der Wein davor. Am Gaumen ist zunächst die deutliche Säure spürbar, dann wieder dieses Balsamische (ohne Essigbakterien allerdings). Frucht ist im Gegensatz zur Nase auch da, aber eher in Richtung Sauerkirsche, dazu trockene Sträucher und deutlich weniger Tannin. Dennoch ist der Wein ziemlich tief, schön mineralisch, dunkel und auf keinen Fall süßlich. Fast besitzt er die Pikanz eines Weißweins. Nach einer Weile kommt es mir von der Aromatik her so vor, als sei dies ein Wein mit geringer Schwefelgabe, der knapp an der Grenze der Traubenzuckerfrucht und der flüchtigen Säure entlang schrappt. Kein einfacher Wein, ganz und gar nicht, aber wirklich nicht schlecht. 15,5 MP.
3. Sangenís i Vaqué 2006, wieder Grenache & Carignan, 14,5 vol%, 13 € und in einer für das Priorat großzügigen Menge hergestellt: 7.333 Flaschen.
In der Nase wirkt der Wein sehr solide südlich mit seinen dunklen Beeren, wobei die Frucht schon fast klebrig wird. Hier denke ich, dass etwas zu viel Alkohol drinsteckt, aber warten wir den Gaumen ab. Dort ist der Wein weiter mit sehr dunklen Tönen ausgestattet, befindet sich aber gerade in einer schlechten Phase. Ich hatte das schon mit etlichen Rotweinen, die zwischen ihrer Frucht der Jugend und der Harmonie des Alters zwischendrin wirklich unmanipulierbar zugemacht hatten. Bei dem Simon von Clos Marie ist es mir zum Beispiel so ergangen, und auch langes Lüften hat da nicht geholfen. Von Cahors ganz zu schweigen. Im Moment wirkt der Wein eindimensional und deutlich bitter. Wenn ich jetzt 14,5 MP gebe, ist das ein Kompromiss, denn ich glaube, dass der Wein wieder kommt. Jetzt würde ich die Flasche allerdings nicht öffnen.
4. Ferral 2006, Celler Castellet, Grenache-betont, und zwar “Garnatxa peluda”, die haarige Version, dazu Carignan und Cabernet Sauvignon, etwa 5.000 Flaschen, 14,5 vol%, 15 €.
Oho, sehr vom Terroir geprägt, die Nase. Erst ein gewisser Stinker, dann viele schiefrige Noten, der Alkohol ist leicht zu spüren. Animalische Töne und Gewürze kommen dazu, weniger Frucht. Am Gaumen kommt die Schiefernote sofort durch, Säure und Tannine sind deutlich vorhanden, fast aggressiv wirkend. Dies ist ein anspruchsvoller Wein, der wesentlich teurer wirkt. Für mich schmeckt so etwas ganz typisch nach Priorat mit der leicht bissigen Frucht, der starken Schiefer-Mineralität, der kräftigen Materie. Irgendwie erstaunt es mich nicht, dass es sich hier um den Erstjahrgang aus jungen Reben handelt. Hört sich zunächst etwas komisch an, aber im Priorat ist die Auflage an Llicorella-Schiefer schon an der Oberfläche teilweise so stark, dass es gar keine besonders alten und tief wurzelnden Reben benötigt, um viel davon mitzubekommen. Vor allem in Anbetracht des Preises einer der Gewinner des Abends – jedenfalls für Leute wie mich, die ab und an eine etwas wilde Aromatik schätzen. Und die haarige Grenache ist eine tolle Spezialität; schade, dass diese auch als “Lledoner Pelut” bezeichnete Rebsorte nicht häufiger angebaut wird. Ich werde im südlichen Languedoc und im Roussillon, wo es sie auch gibt, jedenfalls verstärkt darauf achten. 16,5 MP.
5. Pardelasses 2006, je zur Hälfte Grenache und Carignan, 2005 war der erste Jahrgang, 14 vol%, 19 €.
Ein echter Priorat in der Nase: viel Schiefer, leicht scharfe Sauerkirsche, sehr stimmig. Am Gaumen ähnelt der Wein seinem Vorgänger, allerdings mit einer etwas höheren Eleganz gleich zu Anfang. Ansonsten deutliche Säure, schöne Sauerkirschfrucht, Mineralität, dazu präsente aber gut eingebundene Tannine. Obwohl der Wein viel Charakter besitzt, wirkt er andererseits ziemlich geradeaus. Wäre jetzt noch etwas mehr an Volumen und Nachhaltigkeit vorhanden, es würde sich schlichtweg um einen großen Wein handeln. Ich bin sehr angetan und vergebe 17 MP.
6. der Pirat: Vinha Paz 2006, ein Wein aus dem portugiesischen Dão, 80% Touriga nacional, die restlichen 20% verteilen sich auf viele Rebsorten, 14 vol%, für 16,50 € bei Os Goliardos in Lissabon gekauft.
Was ich vergessen hatte zu erwähnen: Der Pirat wurde als einziger blind serviert. Insofern handelte es sich natürlich nur um einen halben Piraten, denn dass er es war, darüber bestand kein Zweifel. Die Nase sagt mir nicht so zu: etwas arg süßlich, deutliches Holz, Vanillenoten, Brombeere, zwar überhaupt nicht stinkelig, aber auch ohne bewusst wahrnehmbare mineralische Anmutung. Am Gaumen wirkt der Wein so dunkel, er könnte fast schwarz sein. Beerig, würzig, wieder sehr balsamisch, vom Saft her sehr schön und tief aber nur mittelmäßig lang. Obwohl die Tannine schon gut poliert wirken, macht der Wein von der Aromatik her den Eindruck, als hätte er noch einen langen Weg vor sich. Torsten tippt übrigens auf einen Carignan-betonten Corbières oder Fitou, was den Wein meiner Meinung nach sehr treffend einordnet. Fraglos ein guter Wein, mir heute aber fast ein wenig zu gefällig. 16 MP.
7. Roca de les Dotze Noray 2007, 14 vol%, etwa 18 €, wenn man ihn in Deutschland kaufen könnte.
Ganz interessant: Hier vermählen sich die Noten der beiden vorherigen Weine. Sehr beerig, süßliche Anmutung, viele Gewürze in der Nase, aber auch Schiefermineralität spürbar. Am Gaumen ist der Wein äußerst pikant und würzig, eher trotz als wegen der Brombeernote. Der Wein wirkt noch sehr fruchtig, das macht er auch gut, aber letztlich ist mir die ganze Geschichte hinten zu kurz. Dass hier ein großes Alterungspotenzial besteht, wage ich ganz leicht zu bezweifeln. Dennoch natürlich kein schlechter Wein. 15 MP.
8. La Fuina 2006, Grenache, Carignan, Cabernet Sauvignon, 14 vol%, 29 €.
Holla, der Preis zeigt eine andere Kategorie an, obwohl das Etikett so spielerisch aussieht. Die Nase beeindruckt durch ihre sehr unorthodoxen Noten: okay, erst der fast schon klassische Schieferstinker, dann aber Makrele in Öl und obergärige Gerste. Hm. Am Gaumen setzen sich für mich die Überraschungen fort, denn der Wein ist zunächst sehr mild und wirkt fast, als wäre er in Watte verpackt. Der Alkohol macht sich leicht süßlich an der Zungenspitze bemerkbar. Erst viel später kommt eine starke Würze dazu. Am Gaumenende hängt dann eine bitterschwere Note und erfreut mich nicht vollständig. Obwohl die Mineralität recht schön präsent ist, wirkt der Wein sehr unfertig und wirklich unharmonisch. Es ist gut möglich, dass andere Geschmäcker hier andere Noten zücken würden, aber für mich ist das kein richtig guter Wein. 14,5 MP.
9. Prior Pons 2004, 45% Carignan, 40% Cabernet Sauvignon, 15% Grenache, 1.800 Flaschen, 15 vol%, 34 €.
So, jetzt sind wir endgültig weiter oben angelangt, beim Preis und auch beim Alkohol, die magische Grenze ist überschritten. In der Nase zunächst die typische Kombination aus dunklen Beeren und Schiefer. Dazu kommt aber – wie bei der Fuina – noch eine ganz individuelle Komponente: Es riecht nach frisch verputzter Mauer, pulverigem Zement, ganz leicht auch nach Kokos. Am Gaumen ist der Wein geschmeidig, dunkelbeerig, gibt aber nach einer Weile seine Würze preis. Ich schwanke bei der Bewertung etwas: Einerseits ist mir der Wein vorn etwas zu modern von seiner Art her. Andererseits bringt das auch viel Feinheit mit sich, was die fordernde Würze ein wenig abmildert. Derzeit steht alles noch ziemlich nebeneinander, wobei ich mit “derzeit” nicht meine, dass der Wein noch weitere zehn Jahre in den Keller gehört. Ich denke nur, dass dieser Bursche extrem viel Luft benötigt und lieber erst morgen als heute hätte getrunken werden wollen. Derzeit sind das 15,5 MP, also nicht so toll für den Preis, aber das könnte einen Tag später anders aussehen. Da bin ich mal auf Torstens Notizen gespannt, denn er hatte ja die Gelegenheit, die Evolution mitzuverfolgen.
Zum Abschluss gibt es einen besonderen Dreier-Flight, und zwar ein “Martinet Degustació” genanntes Päckchen. Es handelt sich dabei um drei Rotweine von Mas Martinet, alle aus dem Jahr 2007, alle reinsortige Syrahs, alle von unterschiedlichen Parzellen, aber am selben Tag gelesen und identisch ausgebaut. Hier soll nur der Einfluss des Terroirs für die Unterschiede sorgen. Ein sehr spannendes Projekt. Natürlich komplett akademisch, denn es ist von vornherein eingeplant, dass hier geschlürft, diskutiert und geschrieben wird, statt den Wein zum Sonntagsbraten zu trinken. Es gibt auch nur 300 Degustations-Sets zu je drei Flaschen, die soweit ich weiß so um die 110 € kosten sollen. Dass dies keine kleinen Weine sind, versteht sich von selbst, der Produktionsaufwand ist ja auch entsprechend. Übrigens enthält jedes Rücketikett umfangreiche Informationen zum jeweiligen Wein.
10. Serra Alta, 14,3 vol%, von der mit 450 m höchstgelegenen Parzelle, der Name sagt es ja schon.
Leicht süßlich zunächst an der Nase, dann auch Schiefer spürbar. Vor allem besitzt dieser Wein aber den bislang krassesten Stinker des Abends. Ich sage Schweinestall, Christoph würde vermutlich wieder mit vergorenem Orangensaft kommen. Kein Vergnügen jedenfalls, aber wir können ja davon abstrahieren. Hinter die Stinke-Fassade blickt man nämlich gleich beim ersten Schluck. Erstaunlich süße Frucht, viel Würze, aber irgendwie verblüffend eindimensional und recht flach. Ich weiß auch nicht, aber dieser Wein macht derzeit eine schlechte Phase durch. 14,5 MP, hoffentlich geht es besser weiter.
11. Mas Seró, 330 m hoch, 14,8 vol%.
Die Nase ist komplett anders, leicht süßlich anmutend zwar, aber dann viel tiefer, minziger, in der Aromatik deutlich heruntergedimmt und fast ohne Stinker. Faszinierend. Am Gaumen zeigt der Wein den Alkohol, besitzt aber eine dunkle Würze, die wesentlich expressiver nach vorn kommt, als das die Nase hätte vermuten lassen. Irgendwie wirkt der Wein bereits jetzt wesentlich ausgewogener als sein Bruder. 16 MP.
12. Mas Vell, 200 m hoch, 14,6 vol%.
Der Wein aus der tiefsten Lage besitzt die dunkelste Frucht, etwas offener als der Vorgänger, später noch kräuterig und balsamisch. Am Gaumen kommt die volle Breitseite: enorme Würze, fast breit wirkend und enorm tief, also ausladend im wortwörtlichen Sinne. Das ist in der Tat ein Wein zum Degustieren, denn aus einem Kubikzentimeter werden im Mund zehn. Der Wein bietet daher viel Stoff zum Diskutieren, die Qualität ist zweifellos da, aber auch ein relativ geringes Trinkvergnügen. 15,5 MP.
Das geplante Vorgehen beim Degustieren dieser Dreier-Serie hatte Torsten irgendwo schon einmal vorgestellt. Leider finde ich es im Moment nicht wieder, vielleicht hilft er mir ja mit einem entsprechenden Link in den Kommentaren weiter… Soweit ich weiß, hatte der Winzer sich das so vorgestellt, dass die Degustatoren sich während des Testens per Liveschaltung mit ihm in Verbindung setzen. Eigentlich eine schöne Idee für Freaks und Profis, die wirklich tief in die Materie einsteigen wollen. Natürlich sind die Weine jetzt herausgekommen, damit das Ganze auch jetzt passiert. Nur spielen für mich die Weine noch nicht mit. Wer sich an Fassproben aus dem Bordelais erfreuen kann, wird das hier genauso tun. Und wer seinen Weinkauf von der Steuer absetzen kann, hat auch keine Nachteile. Mir ist das aber zu schade, und man tut den Weinen unrecht, sie in einer noch so unharmonischen Phase aufzumachen. Ich persönlich würde also auf den Chat mit dem Winzer verzichten und die Weine lieber noch mal in den Keller packen. Wer weiß, vielleicht hat der Winzer ja auch in fünf Jahren noch Spaß daran, das Werden seines Erstlingsjahrgangs mitzuverfolgen.
Mein Fazit der Roten aus dem Priorat: Die Weine sind nicht alle übertrieben teuer, das kann mir niemand erzählen. Sie können aber zu teuer werden, wenn man entweder im oberen Preissegment kauft oder sie zur Unzeit öffnet. Was mich wirklich sehr positiv überrascht hat, sind die gelungenen und enorm herkunftstypischen Weine im Preissegment zwischen 15 und 20 €. Ich spreche hier vom Pardelasses und vom Ferral, meinen beiden Siegern der heutigen Probe. Natürlich sind das keine hyper-eleganten Weine, und sie können in ihrer leicht wilden Art sowohl Nase als auch Gaumen schon mal auf die Probe stellen. Aber genau das wollen wir doch bei den Priorat-Weinen. Ich bin froh, dass hier die internationale Marmeladigkeit vermieden wurde, die ich schon befürchtet hatte. Es ist zwar im Priorat nicht alles Gold, was glänzt. Der Meinung bin ich nach wie vor. Auch ist das Angebot ehrlich gesagt mehr als verwirrend mit der Unzahl an Cuvées in Geringstauflagen. Aber nach meinen beiden recht repräsentativen Quertests habe ich mittlerweile gefunden, was mir zusagt.
Ein riesiges Dankeschön natürlich an dieser Stelle noch einmal an Torsten, der wirklich zu jedem Wein eine eigene Geschichte erzählen kann. Und dank Lammwürsten und Wildschwein-Steaks waren die Weine auch im Magen in guter Gesellschaft.
Hi Matze!
Wie ich sehe, konntet ihr ohne zu frieren, auf dem Balkon degustieren. Wobei, Torsten friert ja nicht. Der hatte schon Anfang April Sommer befohlen…Ich hoffe es gab auch was von den genialen Oliven und dem Olivenöl aus Torstens Angebot…
Grüße Jens
Ja, das Wetter war nicht übel, nachdem es kurz vorher noch geschüttet hatte. Das Olivenöl habe ich übrigens auch probiert, beide Olivenöle. Sehr schön. Erst wollte ich auch darüber noch was schreiben, aber der Post ist eh schon viel zu lang…
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Torsten macht noch nicht mal im Winter die Heizung an. Alles schon erlebt!
Beeindruckend seine innere Wärme………. 🙂