Ich besitze seit einiger Zeit einen alten Bocksbeutel aus dem Bürgerspital, auf dem das Gründungsdatum 1319 eingeprägt ist. Ganz so lang ist Robert Haller dann doch nicht dabei, aber 18 Jahre an der Spitze eines solch wichtigen Weinguts sind natürlich auch eine beträchtliche Zeit. Weil das so ist und Robert Haller in knapp drei Monaten in den sogenannten Ruhestand gehen wird, hat er noch einmal unter dem Motto »Spurensuche« zur großen Sause nach Würzburg geladen. 60 Gäste aus der Weinwelt warteten gespannt auf die Werkschau von 31 Bürgerspital-Weinikonen.
Abschied von Robert Haller? Nicht wirklich
Wenn ich jetzt mit dem Namedropping der Anwesenden anfange, würde das ausufern. Nur soviel: Der Bundes-VDP mit Präsident und Geschäftsführerin, der fränkische VDP, alle wichtigen Weinschreibenden, dazu Freunde und Weggefährtinnen, also die versammelte regionale Weinprominenz – alle da. Schnell wurde auch klar, dass Robert Haller als verantwortliche Person dereinst zwar nicht mehr im Bürgerspital mittun würde. Aber sein Nachfolger Karl Brand ist selbst seit Jahren als Roberts Stellvertreter im Weingut aktiv und hat den Stil der letzten Jahre maßgeblich mitgeprägt. Für Kontinuität ist also gesorgt. Aber wie sieht er denn nun aus, der Bürgerspital-Stil? Welche Weine der letzten 18 Jahre präsentieren sich wie? Und was sind meine persönlichen Favoriten? Los also zum großen Probieren.
Silvaner aus dem Bürgerspital
Silvaner ist mit 32% Flächenanteil die wichtigste Rebsorte im Bürgerspital. Das Große Gewächs in Monopollage ist die Stein-Harfe. Gute acht Hektar im Zentrum des Würzburger Steins. Ich möchte behaupten, das ist der absolute Signature Wine des Bürgerspitals, und deshalb gab es auch elf Jahrgänge zu verkosten. Ich habe von Jung nach Alt verkostet und mir jeweils nur ganz kurze Notizen gemacht. Natürlich haben wir oben an den Weinkühlern intensiv darüber diskutiert, und ebenso natürlich gab es auch unterschiedliche Einschätzungen. Insofern: So habe ich das empfunden.
Würzburger Stein-Harfe Silvaner GG
- 2020, 13,5 vol%: Zugänglich, leicht rauchig, schon sehr gut antrinkbar. Ich hatte in letzter Zeit viele 2020er probiert, und der Jahrgang entpuppt sich als guter Kompromiss für Menschen, die das Extreme meiden.
- 2019, 13,5 vol%: Erstaunlich frisch und jung noch im Angang, dann mit viel Dichte und Tiefe. Fordert mehr als 2020, wird sich aber auch länger halten.
- 2018, 13,5 vol%: Das heiße, schwierige Jahr. Erstaunlich und bewundernswert, dass der Wein trotzdem so ausgewogen und überhaupt nicht brandig geworden ist.
- 2017, 13,5 vol%: Erst sehr kräuterig, etwas eng in seiner Art, dann aber zunehmend leicht und sehr angenehm. Gefällt mir.
- 2016, 13 vol%: Nussig, elegant, extrem feiner Fluss. Wer GGs mit viel Kraft und Struktur bevorzugt, wird hier nicht hoch punkten. Umso mehr aber diejenigen, die großer Eleganz etwas abgewinnen können. Dazu zähle ich mich auch.
- 2015, 14,5 vol%: Die Werte (wenn man sie denn weiß) erschrecken schon etwas. Würze und Tiefe gibt es in hoher Intensität, aber trotzdem bleibt der Alkohol verblüffend gut eingebaut. Robert Haller sagt selbst, dass er so ein GG wahrscheinlich nicht mehr machen würde. Die stilistischen Vorlieben haben sich verändert.
- 2014, 13 vol%: Leicht tertiär in der Nase, dann feingliedrig und mit einem fast ebenso eleganten Fluss wie 2016.
- 2013 (Magnum), 13 vol%: Auch hier älter in der Nase als im Mund, da nämlich wunderbar leichtfüßig. Hat sich natürlich in der Magnum (der letzten aus der Schatzkammer) auch sehr schön entwickelt.
- 2012, 14,5 vol%: Trotz desselben Alkoholgehalts wie 2015 ist das hier ein anderer Stil. Hell in der Ausprägung, aber deutlich vom Alkohol geprägt.
- 2011 Spätlese trocken, 13,5 vol%: Der erste Wein, der diese sonst oft gespürte schwefelgelbe Note in sich trägt. Zwar schöne Säure, aber stilistisch nicht top.
- 2007 Stein GG, 13 vol%: Nase deutlich tertiär, auch im Mund etwas gelb, laktisch, für mich leicht drüber, hätte man früher trinken sollen.
Tatsächlich ist es nicht das Alter der Weine, das hier eine Rolle spielt, sondern ganz offenbar eine stilistische Wandlung, die Robert Haller mit den Jahren vorgenommen hat. Letztlich sind alle Weine ab 2013 sehr schön. 2015 weicht mit seiner Kraft ein wenig ab, aber ansonsten ist hier überhaupt nicht der üppige Barock zu spüren, sondern eine ganz feine, distinguierte Handschrift. Wer mit schlanken GGs etwas anfangen kann, 2016 ist wirklich wunderbar. Ansonsten sollte man aber wirklich mindestens sechs bis acht Jahre abwarten, bis so ein Silvaner-GG seinen Höhepunkt erreicht hat.
Fränkische Rieslinge
Mit 27% Flächenanteil liegt der Riesling beim Bürgerspital fast gleichauf mit dem Silvaner. Es gibt sogar zwei GGs, neben dem Würzburger Stein Hagemann (Hagemann ist soweit ich weiß der Name des Vorbesitzers der Parzelle) auch den Randersackerer Teufelskeller, eine der Lieblingslagen von Robert Haller.
- 2017 Randersackerer Teufelskeller 1G, 12,5 vol%: In der Nase fein, »mineralisch«, rieslingtypisch, im Mund dann schlank und präzise, beginnt seine anfängliche Distanziertheit abzulegen. Ganz klar, hier fehlt die Dichte, die ein GG ausmachen würde. Aber ein köstlicher Wein, vielleicht gar mein Favorit aller Rieslinge.
- 2015 Randersackerer Teufelskeller 1G, 14 vol%: Petrol bereits in der Nase, wirkt dann aber deutlich schlanker, als der Alkohol andeutet. Viel zitronige Säure ist dabei, fast denke ich, sie sei zugefügt, aber manchmal entwickeln sich Weine ja auch von selbst erstaunlich. Müsste ich vielleicht nochmal länger konsultieren…
- 2007 Randersackerer Teufelskeller GG, 13,5 vol%: Deutlich gereifte Nase, Malz, im Mund dann auch seinem Alter Rechnung tragend.
- 2018 Würzburger Stein Hagemann GG, 13 vol%: Typische Riesling-Aromatik in Nase und Mund, sehr phenolisch zwar, aber das braucht er auch. Ich mag 2018 eigentlich gar nicht, aber sowohl beim Silvaner als auch beim Riesling ist das wirklich sehr gut gemacht.
- 2016 Würzburger Stein Hagemann GG, 13 vol%: Etwas höheres Süßegefühl bereits von der Nasenfrucht her, was sich im Mund fortsetzt. Hat ein bisschen zu wenig Spannung.
- 2014 Würzburger Stein Hagemann GG, 12,5 vol%: Ja, das ist ein Diskussionsobjekt. Ein sehr eleganter, feingliedriger, jetzt auf seinem Höhepunkt befindlicher Wein. Aber (so fragt Stephan Reinhardt), ist es das, was man sich unter einem GG vorstellt? Als Erste Lage, siehe Teufelskeller, zweifellos brilliant. Gut, dass wir keine Punkte vergeben müssen und allein dem persönlichen Geschmack verpflichtet sind. Und meiner liebt so einen Wein.
- 2010 Würzburger Stein Hagemann GG, 13 vol%: Gereift in der Nase, und im Mund fehlt doch so einiges, die Beweglichkeit, die Spannung – letztlich etwas eindimensional.
- 2008 Würzburger Stein Hagemann GG, 13 vol%: Der einzige mit Naturkork verschlossene Riesling, hochfarbig, für mich in Nase und Mund über seinem Zenit.
Einen deutlichen stilistischen Wandel über die Jahre konnte ich beim Riesling nicht so feststellen, aber es waren ja auch nicht alle Jahrgänge vorhanden. Wenn ihr mich ganz privat fragt: Die schlanken, straffen, hellen Ausgaben transportieren für mich den Muschelkalk am schönsten. Wahrscheinlich bräuchte ich gar kein GG und wäre trotzdem sehr glücklich.
Robert Haller und die Burgunder
Eigentlich hat Franken keine große Tradition darin, reinsortige Burgunder auszubauen. Weil Spätburgunder und Chardonnay aber ohne Zweifel Aufsteiger-Rebsorten sind, was die künftige Reputation des deutschen Weins in der Welt anbelangt, war ich sehr gespannt darauf.
Chardonnay
- 2020 Würzburger Stein 1G, 13 vol%: Ui, das ist aber ein feines Ding! Wohlproportioniert, saftig, dezenter Holzeinsatz, kann in der Liga der besten Erzeuger mitspielen, ohne aber zu freakig zu werden. Und das bei weniger als 20 €… Erster Jahrgang ohne BSA, sagt Karl Brand. Sie scheinen ihren Stil auch beim Chardo gefunden zu haben.
- 2018 Würzburger Stein 1G, 13 vol%: Nase leicht grün, spürbares Holz, da wurde möglicherweise früh eingeholt, damit der Alkohol nicht weggaloppiert.
- 2012 Würzburger Stein 1G, 14 vol%: Nase fassgeprägt, Mund Vanille, kalifornisch.
Spannend! Beim Chardonnay ist der Wandel viel stärker feststellbar, vielleicht auch, weil man bei Chardonnay in Franken (oder in Deutschland insgesamt) nicht wusste, an welchem Vorbild man sich orientieren sollte. Erst 2020 zeigt hier das neue Selbstbewusstsein, einen eigenen deutschen Chardonnay zu kreieren. Das sind gute Zukunftsaussichten.
Blaufränkisch
- 2018 Würzburger Stein R 1G, 13 vol%: Ein relativ kerniger, ansonsten ausgewogener Roter, gut gemacht, keinesfalls überkocht, hat aber für mich weder die Magie noch den Biss der besten Burgenländer.
- 2015 Würzburger Stein R 1G, 13,5 vol%: Recht heißer Wein, bei dem ich die Rebsorte nicht wirklich erraten hätte. Könnte auch Merlot sein.
Ein bisschen undankbar vielleicht dem Blaufränkisch gegenüber, weil wir nichts Jüngeres probiert haben, sondern lediglich zwei der wärmsten Jahrgänge. Da wäre die aktuelle Ausgabe sicher interessant.
Spätburgunder
- 2020 Veitshöchheimer Sonnenschein R 1G, 13 vol%: Leicht laktisch in der Nase, am Mund dann mit guter Säure, schöner Trinkwein.
- 2019 Veitshöchheimer Sonnenschein R 1G, 13 vol%: Gute, dichtere Substanz, harmonisch, kirschig, aber auch mit deutlichem Neuholz, das für Christina Fischer zu viel ist. Mir gefällt der Wein ehrlich gesagt gut, aber ich gebe gern zu, dass weniger hier mehr gewesen wäre.
- 2014 Veitshöchheimer Sonnenschein R 1G, 13 vol%: Hellfarbig, schlank, säuregeprägt, schon ein deutscher Spätburgunder, wie man ihn kannte.
- Außer der Reihe: 2022 Veitshöchheimer Sonnenschein R 1G, unten am Tresen probiert: Gut, dass wir das noch gemacht haben! Das ist eindeutig der beste der Reihe, und ich kann mich daran erinnern, dass er mir bei der Weinbörse auch sehr gefallen hatte. Das Holz spürbar zurückgefahren, sehr schöner Fruchtkern, jetzt schon richtig angenehm. Das ist kein extremer Stil wie bei Heger oder Huber, also nicht so streng, abweisend, fordernd. Aber doch einer, der wie der Chardonnay in der neuen deutschen Weinwelt wunderbar mittun kann.
Mein Fazit
Ich wage es zu sagen, und die Menschen, mit denen zusammen ich probiert habe, sahen das ebenso: Dies ist ein wunderbarer Zeitpunkt für Robert Haller um abzutreten. Warum?Nun, natürlich sind auch wir geschmacklichen Vorlieben unterworfen, die sich im Laufe des Lebensalters, der Erfahrung, auch der Moden ändern. Aber ich glaube objektiv, dass die Bürgerspital-Weine nie besser waren als jetzt.
Beim Silvaner kann man diese stilistische Kontinuität schon länger spüren, ein Jahrzehnt vielleicht. Beim Riesling gibt es zwei unterschiedliche Weinberge und ebenso unterschiedliche Jahrgänge, da würde ich mir keine einheitliche Aussage zutrauen. Chardonnay 2020 und Spätburgunder 2022 sind hingegen ohne Zweifel auf dem besten Weg dahin, wo sich das Silvaner-GG schon befindet. Das ist stilsichere Eleganz mit vorgeblich leichter Hand. Damit lassen sich vermutlich auch Weinfreund:innen deutlich über den fränkischen Horizont hinaus begeistern…
Danke noch einmal für die Einladung, lieber Robert, es war mir eine Ehre, dabeisein zu dürfen. Auf die nächsten 18 Jahre – als Privatier!
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