Neulich habe ich doch behauptet, in unserem Haushalt würde eigentlich gar kein Süddeutsch gesprochen werden. Als dann mei Fraa zu der Katz »mei Gudsle« sagte, war ich mir nicht mehr so sicher. Kosende Verkleinerungsformen sind also definitiv vorhanden. Deshalb gibt es hier auch Schätzle zu finden, Weine aus Franken, die nicht die Welt kosten, die aber absolut entdeckenswert sind. Das vor allem deshalb, weil sie außerhalb der Region noch kaum jemand entdeckt hat. Oder ist euch der Wein auf dem Foto oben schon mal über den Weg gelaufen? Eben.
Schatz #1 – Hench Spätburgunder Centgrafenberg R
Tief im Westen des Anbaugebiets befindet sich Churfranken. Eigentlich unterscheidet sich hier alles ziemlich stark vom fränkischen Weinzentrum zwischen Würzburg, Kitzingen und Iphofen. Ich bin mir sogar nicht sicher, ob man statt »Schätzle« nicht schlicht »Schatz« sagt. Wenn es also ein eigenes Anbaugebiet »Hessische Bergstraße« gibt, das sich noch mal durch was genau auszeichnet, könnte es auch ein eigenes Anbaugebiet Churfranken geben. Aber seien wir ehrlich: Wir sind sehr froh, dass die Churfranken »zu uns« gehören, denn sie fügen schlicht einen großartigen Baustein hinzu.
Zwischen Klingenberg und Bürgstadt wächst nämlich der Spätburgunder prächtig auf dem roten Sandstein, und das gilt auch für das Weingut Hench. Sieben Hektar klein, biodynamisch wirtschaftend und mit Parzellen in den besten Lagen. Vom Centgrafenberg dürfte der eine oder die andere unter euch ja schon mal etwas gehört haben. Henchs »R« (21 € ab Weingut für den aktuellen Jahrgang) ist eine kraftvolle und gleichzeitig geschmeidige Version. Sowohl Substanz als auch Holzausstattung scheinen mir für etliche Jahre weiteren Lagerns geeignet. Wer den Wein jetzt schon aufmachen möchte, sollte ihm ein wenig Luft geben – ich fand ihn sogar am dritten Tag am schönsten. Auf jeden Fall ein echtes Schätzle.
Schätzle #2 – Hemberger Chardonnay Réserve
Tobias Hemberger vom Weingut Hemberger tut viel Gutes für den Weinbau in Franken. Das finden jedenfalls seine Kolleginnen und Kollegen, die mich schon des öfteren darauf angesprochen haben. Seinen eigenen Betrieb hat er mittlerweile bio-zertifizieren lassen, und mit Piwis ist er auch vorn dran. Das Weingut befindet sich übrigens auf halbem Weg zwischen Iphofen und Rödelsee mitten in den Weinbergen.
Aus dem Iphöfer Kronsberg, der direkt an Tobis Haustür beginnt, holt er seine Chardonnay-Réserve. 15 € kostet der Wein ab Hof, und dafür gibt es eine Menge Stoff. Allerdings, und das merkt man schon beim ersten Schluck, ist der Weiße aus dem Jahrgang 2022 alles andere als schwerfällig geraten, sondern mit einer wirklich reschen Säure gesegnet. Wer auf flächig-ruhige, gar etwas abweisende Chablis-Typen steht, muss sich an den Hemberger-Chardo erst einmal gewöhnen. Es gibt nämlich viel saftige Frucht, Ananas, reife Zitrone, alles sehr lebendig gehalten und auch mit ein bisschen Vanille vom Holz ergänzt. Das ist ein sehr leckerer und »deutscher« Wein, den man auch zu schärferen Speisen reichen kann (probiert zu Tintenfisch!). Gefällt garantiert sehr vielen Menschen schon im Blindtest, sagt mir meine Vinotheks-Erfahrung.
Schätzle #3 – Ruppert Blanc de Noir
Fred Ruppert ist ein echtes Unikum. Eigentlich erfolgreich in der IT-Branche unterwegs, hatte er beschlossen, den einmaligen familieneigenen Weinberg nicht einfach vor sich hinwuchern zu lassen. Im Kirchschönbacher Mariengarten, in absoluter Alleinlage und an drei Seiten von Wald umgeben, ist seitdem ein echtes Kleinod entstanden. Fred hat hier zum einen klassische fränkische Rebsorten stehen, aber auch fast ausgestorbene Varietäten wie Adelfränkisch. Das Dritte sind Piwis wie Helios, Johanniter oder Sauvignac. Die gesamte Rebfläche ist biologisch zertifiziert und kann über einen Weinlehrpfad besichtigt werden.
Hatte ich von den anderen Weingütern die aktuellen Jahrgänge genommen, habe ich von Fred ein altes Schätzle aus dem Regal gezogen, den »Blanc de Noir«. Noir bedeutet in diesem Fall Schwarzriesling. Im für das klassische Franken ausgezeichneten Jahrgang 2014 hat Fred dem goldfarbenen Getränk sowohl viel Säure als auch eine puffernde Süße gelassen, von den Werten her ähnlich wie ein reifer Mosel-Riesling. Die Nase verrät schon etwas oxidative Alterung, und ich war mir auch nicht so sicher, ob mir so ein Süße-Säure-Spiel gefallen würde. Aber oh, ist das ein verführerisch geschmeidiges Exemplar! Ich schmecke Mirabelle, gelbe Kirsche, ganz samtig, dazu lebendige Fruchtpikanz. Speisentechnisch sehe ich alles zwischen Streusel und Harissa geeignet. Leider gibt es den Wein nicht mehr zu kaufen, aber schaut doch mal im Shop nach. Adelfränkisch unfiltriert oder Alter Fränkischer Satz sind super-individuelle Unikate, die muss man probiert haben.
Fred hat übrigens beschlossen, ein bisschen kürzer zu treten. Die Naturwein-Freaks Pia und Cris von KarSey sind seitdem mit von der Partie. Deren Weine werde ich hoffentlich in Kürze auch probieren…
Schätzle #4 – Wagner Silvaner Michaelsberg
Der fränkische Rekordweinberg. Seit 15 Jahren stehen im wunderbaren Bamberg zu Füßen des ehemaligen Benediktinerklosters St. Michael wieder Reben. Silvaner natürlich, ein knapper Hektar. Der Michaelsberg ist damit der nordöstlichste Weinberg Bayerns und einer von nur zweien (neben dem Unterhaider Röthla) auf oberfränkischem Territorium. Nachdem der Weinberg bislang vom Weingut Bauerschmitt bewirtschaftet worden war, hat Anfang 2023 Philipp Wagner aus dem nicht weit entfernten Staffelbach die Arbeit übernommen. Philipp ist Geisenheimer, und die Reben werden nach biologischen Richtlinien gepflegt.
Aus der Wagner’schen Jungfernernte sind zwei Weine entstanden. Dies ist der »einfachere«, der im Stahltank ausgebaut wurde, die Selection hingegen im Holzfass. Weil ich annehme, dass Letzterer dadurch eine etwas längere Reifezeit benötigt, habe ich das »White Label« zuerst geöffnet. Klassisch im alt-eleganten Bocksbeutel, spüre ich in der Nase eine gewisse Traubenreife. Pfirsich und Orange, dazu ein paar Kräuter. Im Mund bleibt der Silvaner fruchtbetont, weiterhin viel Orange, besitzt aber auch einen gewissen Schmelz und eine gute Säurestruktur. Das ist ein sehr schöner Wein, der sich auch noch vorteilhaft entwickeln wird. Blind hätte ich übrigens auf Randersackerer Muschelkalk getippt – so kann man sich täuschen. Viele Flaschen existieren natürlich nicht von diesem Schätzle. Schätzla, Verzeihung. Aber für 11,90 € kann man den Michaelsberg-Wein im Bamberger Stiftsladen erwerben, wo es auch noch eine Menge anderer schöner Mitbringsel gibt.
Schätzle #5 – Meyer Silvaner Zeitreise
Carolin Meyer, wie wir uns alle an sie erinnern. Mit Mikro-Headset, Kleid und Blumenstrauß auf der Bühne, strahlend, plaudernd, ehrend. Caro wird wahrscheinlich als die dienstlängste Fränkische Weinkönigin in die Geschichtsbücher eingehen, denn während der Corona-Zeit wurde ja keine neue gewählt. Wer heute in das Steigerwald-Dorf Greuth kommt, wird deshalb überrascht sein, Frau Meyer dort in Gummistiefeln, Jeans und Wollpullover zu finden. Sie ist nämlich Winzerin und peppt das kleine elterliche Weingut ordentlich auf. Gut, mit Harald Brügel in der Nachbarschaft hat sie auch einen starken Sparringspartner im Dorf.
Im Frühsommer 2024 hatte ich schon Caros Wein vom Greuther Bastel im Artikel »Silvaner für Sparfüchse« gefeatured. Ganz so niedrigpreisig ist die »Zeitreise« nicht. Für 15 € steht sie dort im Online-Shop. Dafür haben wir hier ein spontanvergorenes und im großen Holz ausgebautes Schätzle vor uns. In der Nase zurückhaltend nobel und vielversprechend, fällt mir im Mund sofort eine gewisse geschmeidige Dichte auf. Das Holz hingegen wird mir erst beim Rückverkosten bewusst. Dieser Wein (und das ist bei Keuper-Silvanern nicht selten) wird eigentlich mit mehr Luft jeden Tag besser. Wer mehr Geduld hat, sollte ihn ruhig noch ein paar Jahre weglegen. Dann kann man ihn entweder einfach so genießen oder auch mal als Pirat in eine GG-Probe einschmuggeln. Ich wäre gespannt auf das Ergebnis.
Schatz #6 – van den Höövel Silvaner auf Zeit
Ganz zum Schluss kommen wir noch zum Wein vom Titelfoto. Links seht ihr eine der schönsten fränkischen Weinlagen, den allermeisten leider völlig unbekannt. Es handelt sich um den Steinbacher Nonnenberg, einen Terrassenweinberg im Maintal zwischen Schweinfurt und Bamberg. Im 19. Jahrhundert war noch der ganze Hang bepflanzt, jetzt findet man im oberen Bereich teilweise so große Schätzle, dass die Verkleinerungsform kaum zutrifft. Hartmut Scheuring hat hier gleich zwei hundert Jahre alte wurzelechte Mischsätze stehen, ebenso Noel Scholtens. Ich bin mir nicht ganz sicher, glaube aber, dass sich David van den Höövels Reben auch dort befinden. Wieso ich mir nicht sicher bin? Weil ich den Wein gar nicht von David selbst habe.
Umweg Wagner-Stempel
Es geschah im Sommer 2024, dass ich zwengs einer Reportage für den Falstaff in der Rheinhessischen Schweiz unterwegs war. Das offensichtlichste Weingut, das man dort aus mehreren Gründen porträtieren sollte, heißt Wagner-Stempel. Also bin ich mit Daniel Wagner durch die Weinberge gefahren und habe mich interessant unterhalten. Natürlich sind wir auch auf Silvaner gekommen, von dem Daniel auf einem leichten Nordhang neue Stöcke gepflanzt hat. Und noch etwas. Einer seiner Mitarbeiter, genau jener David van den Höövel, hat auch einen Silvaner bei ihnen im Keller ausgebaut. Daniel meinte, dass er glaubt, die Reben würden im Steinbacher Nonnenberg oder jedenfalls im Abt-Degen-Tal stehen. Er gab mir auch Davids Handynummer, die ich – mea culpa – irgendwie wieder verschmissen habe. Aber hier seht ihr seinen Wein, mehr werde ich noch in Erfahrung bringen.
Es lohnt sich nämlich. Auf dem Etikett ist ein bisschen der Jahresverlauf nachgezeichnet worden mit ein paar Stichworten: Kulturlandschaft erhalten, dem Regen trotzen, viel Handarbeit am Wochenende, den Blick ins Maintal schweifen lassen, Handlese, Standzeit und Spontangärung, bewusstes Weglassen. Dass der »Silvaner auf Zeit« aus dem oft sehr pikanten Jahrgang 2021 stammt, merkt man gar nicht. Ideale Reife, leicht Bratapfel von Spontangärung und Weglassen, sanfter Antrunk jenseits der Primärfrucht. Dann spürt man Kraft und Charakter, dazu durchaus ein leicht oxidatives Element, dunkler gehalten. Für ein Wochenend-Zweitwerk ist das schlicht unheimlich gut. Ein bisschen (oder bilde ich mir das ein?) die Verbindung zwischen fränkischem Terroir und dem free-flowing spirit des neuen Rheinhessens.
Mein Fazit
Die fränkischen Schätzle, die ich hier ausgegraben habe (vielmehr: aus dem Kellerregal geholt), besitzen genau eine Gemeinsamkeit: Sie stehen bislang nicht im Rampenlicht. Das hängt natürlich auch mit der geringen Größe der Weingüter zusammen, bei denen Tobi Hemberger mit seinen 15 Hektar schon fast wie ein Gigant wirkt. Eine Rolle spielt aber auch, dass Franken außerhalb der aufgeklärten Freak-Szene oftmals noch als altbacken angesehen wird. Und wenn ich in Hamburg oder Düsseldorf mir sage, dass es »bei den Bayern« nichts zu holen gibt, dann suche ich auch nicht danach.
Tatsächlich, das wissen wir alle, ist die kleinteilige bäuerliche Landwirtschaft, zu denen auch möglichst nachhaltig ausgerichteter Weinbau gehört, ein wichtiger backbone ländlicher Regionen. Nicht nur wirtschaftlich für den eigenen Betrieb, sondern vor allem mental – als Identitätsstifter, Zukunftsglaube, touristischer Anziehungspunkt. Manchmal habe ich das Gefühl, wir schätzen das in Deutschland nicht richtig. Die einen wollen es billig billig haben, das geht unter den Rahmenbedingungen aber nicht. Die anderen wollen es edel und einmalig haben, aber selbst wenn die Winzer:innen das könnten, wer kauft kistenweise 30 €-Weine, wenn mein Vertriebskanal der Ab-Hof-Verkauf ist?
Lasst uns also unsere Schätzle mehr feiern und dadurch unseren einzeln winzigen, gemeinsam aber nicht unerheblichen Teil dazu beitragen, dass es sie weiterhin gibt. Hört sich irgendwie an wie das Wort zum Wochenende. Aber warum auch nicht…?
Hallo Matthias,
da hast du wirklich wieder ein “baa´ Schädzlich” (unterfränkisch) ausgegraben! Danke dafür. Zu David van den Höövel kann ich dir die Info geben, dass der Silvaner auf Zeit wirklich im Steinbacher Nonnenberg steht bzw. stand. David hat ihn mit dem Jahrgang 2024 an den Besitzer Christian Zehendner (Gasthaus Zehendner in Ebelsbach-Gleisenau) zurückgegeben. Ich habe fast geweint. Davids Vater Heinz hat mit mir 2003 mit dem Weinbau begonnen, ist dann aber aus unserem Gemeinschaftsprojekt aus Zeitmangel ausgestiegen. David hat damals im Weinberg mitgeholfen und “blutgeleckt”, nach dem Abi dann in Geisenheim studiert und nach ein paar Zwischenstationen, unter anderem auch in Südafrika, dann bei Wagner-Stempel gelandet. Der Silvaner auf Zeit war aber von Anfang an auf eine begrenzte Zeit geplant. Wenn du die Telefonnummer von ihm willst, dann schreibe mich mal persönlich an. Ach ja, und wenn du die anderen Jahrgänge von ihm probieren willst, dann komme halt mal nach Königsberg. Ich habe ein paar Flaschen im Keller liegen.
Liebe Grüße
Hartmut
Danke für die wertvolle Info!!! Auch wenn es natürlich ein bisschen traurig ist. Aber ich hatte schon fast befürchtet, wenn etwas schon “auf Zeit” genannt wird, dass es dann nicht für die Ewigkeit gedacht ist. Tatsächlich ein toller Wein, wir werden ihn heute Abend mit angemessenem Respekt austrinken…
Die in den Bildern gezeigten Fischgrät-Terrassen sind nicht nur eine schöne Zutat der historischen Kulturlandschaft am östlichen Rand der fränkischen Weinlandschaft sondern darüber hinaus auch denkmalgeschützt(Trockenmauern, bauliche Reste). Wenige traditionelle Winzer, einige auch in ihrer Darstellung präsentierte junge Winzer scheinen wieder gefallen zu finden, die oberen Fischgräte im Nonnenberg wieder mit Wein zu bestücken. Eine Slow Food-Initiative versucht aktuell diese Kulturlandschaft mit verschiedenen Beteiligten, Kommunen und Winzern, zu erhalten und möchte dafür junge Winzer gewinnen. Ihre Weinpräsentation ist dazu ein guter Anlass für dieses Projekt zu werben.
Herzlichen Dank, Harald Spitzner