Der Steinberg – Weine aus dem heiligen Gral des Rheingaus

Carsten Pfaff MB-trac

[In Kooperation mit den Hessischen Staatsweingütern Kloster Eberbach] »Ach«, grinst Carsten Pfaff und steigt von seinem Traktor herab. »Etwas über den Steinberg schreiben? Was sagte Dr. Ambrosi da immer, unser früherer Direktor? Darüber haben schon hundert andere geschrieben, na gut, dann halt jetzt Nummer 101.« Recht hat er natürlich, der gute Mann, seines Zeichens Teamleiter Außenbetrieb für den Steinberg. Und nicht nur das. Carsten ist im Kloster geboren. Er war schon immer hier. Auch sein ehrwürdiger MB-trac, wie der Mercedes-Trecker offiziell heißt, feiert nächstes Jahr 40 Jahre Betriebszugehörigkeit. Kontinuität und Langlebigkeit scheinen auf diesem Stück Land also eine gewisse Tradition zu haben. Schauen wir uns also den Steinberg an, erst zu Fuß und dann durch seine Weine.

Der Steinberg – Geschichte bis zur Halskrause

Wenige Weinberge in Deutschland können von sich behaupten, seit 854 Jahren eine ununterbrochene und in weiten Teilen sogar dokumentierte Weinbauhistorie vorzuweisen. Der Steinberg, um schnell noch einmal dasselbe zu schreiben wie die 100 Autor:innen davor, wurde von Zisterziensermönchen angelegt, die um das Jahr 1170 herum begannen, Parzelle für Parzelle dem steinigen Buschland zu entreißen. Einige Parzellen wurden auch gekauft, andere getauscht, so dass es schließlich zu einem heute 34 ha großen Gebilde wurde. Die gesamten 34 ha sind von einer Bruchsteinmauer umgeben und ähneln vom Anblick her deshalb ungemein einem burgundischen Clos. Kein Wunder, denn die dortigen Grands Crus werden oft ebenso lange schon bewirtschaftet.

Blick vom Steinberg auf den Rhein

Blick vom Steinberg aus auf den Rhein

Was den Steinberg jedoch vom Chambertin unterscheidet, ist nicht nur die ausschließliche Bestockung mit Riesling und die Tatsache, einem einzigen Besitzer zu gehören. Nein, der Steinberg kann auch eine ganz beachtliche interne Höhendifferenz aufweisen. »Oben liegt oft Schnee, während unten alles frei bleibt«, sagt Kathrin Puff, die Kellermeisterin und stellvertretende Geschäftsführerin des Weinguts, deren Arbeitsplatz direkt am Weinberg liegt. Gute einhundert Meter vertikal liegen zwischen den »Langen Zeilen« am unteren und der »Friedrichshöhe« am oberen Ende des Steinbergs. Hört sich nicht viel an? Nun, würde der ganze Steinberg aus einer Treppe bestehen, müsste man 588 Stufen überwinden. Doch nicht so unanstrengend also.

Das Auf und Ab der Gewanne

Steinberg Parzellen und Mauer

Steinberg – Vielfalt der Gewanne mit der Mauer

Natürlich muss ich mir das trotzdem alles anschauen. Gemeinsam mit Carsten Pfaff und Kathrin Puff versuche ich im Luftbild die einzelnen Gewanne des Steinbergs zu finden. Wiederum ähnlich wie im Burgund liegen die besten Partien im zentralen Teil des Hangs. Unten ist es feuchter, ganz oben weht der kühle Wind. Auch vom Boden her unterscheiden sich die einzelnen Bereiche stark. An der Spitze der Friedrichshöhe tritt der Taunusschiefer zutage, dann kommt ein Abschnitt mit Kies, tatsächlich ein ehemaliger Sandstrand, und weiter unten dominieren etwas schwerere, lehmigere Böden. Wurde früher der gesamte Wein als »Steinberg« vermarktet, gibt es wegen der unterschiedlichen Bedingungen mittlerweile die ganze VDP-Pyramide im Berg. Also feste Schuhe angezogen, und los geht’s.

Die Witterung meint es diesen Sommer nicht ganz so gut mit Winzer und Reben. Nach wenigen Schritten den Steinberg hinauf beginne ich in der dampfigen Hitze schon zu schwitzen, die Bremsen stechen sogar durch den T-Shirt-Stoff. Puh. Dafür ist es ungeheuer grün im Weinberg, und der Natur ganz generell tut so ein feuchteres Jahr selbstverständlich gut. Es gibt keine geteerten Wege innerhalb der Mauern, die Rebzeilen sind begrünt – ideale Voraussetzungen also, um möglichst wenig Erosion zuzulassen.

Gewanne Steinberg

Für Freaks: die wichtigsten Gewanne im Steinberg von Ingelheim aus (Klicken zum Vergrößern)

Von der Ausrichtung her zeigen die meisten Zeilen im Steinberg zwar in Richtung Südwesten, aber es gibt immer wieder Brüche in der Einheitlichkeit, Hecken, Büsche, Bodenwellen. Schon im Luftbild kann man erkennen, dass die Reben im Goldenen Becher wesentlich dichter stehen und die alte Parzelle im Hahnenschritt schon ein paar Lücken aufweist. Eigentliches Zentrum des Steinbergs ist das Zehntstück mit seiner idealen Ausrichtung und dem beachtlichen Gefälle. Diese drei historischen Gewanne sind es auch, aus denen die speziellen Weine geholt werden (wobei der Hahnenschritt noch oder »wieder« offiziell beim Weinbauamt eingetragen werden müsste). Je nach Jahrgang gibt es bis zu neun unterschiedliche Rieslinge aus dem Steinberg. Sechs davon möchte ich euch jetzt vorstellen.

Die trockenen Steinberger

Steinberg Riesling Zehntstück Goldener Becher

Riesling Steinberg trocken 2023

»2023 war ein herausforderndes Jahr«, sagt Kathrin Puff. »Die Mostgewichte gingen auf einmal rasant hoch. Wichtig war, schon im Weinberg zu selektieren und absolut sauberes Lesegut einzubringen, gefolgt von einer ebenso sauberen Gärung. Wir haben mehrere Pressfraktionen gemacht und einfach das aussortiert, was uns zu bitter war. Riesling hat ja eh genug Phenolik, das müssen wir nicht noch verstärken.«

Frische Zitrone in der Nase und schon mit dem leichten Kräuteranklang, den viele Steinberger Rieslinge besitzen. Im Mund sind da Frische und Geschmeidigkeit, ein lebendiges Süße-Säure-Spiel, die Frucht reicht von der genannten Zitrone bis zur reiferen Mirabelle. Das ist lecker, das ist saftig, das stellt sich mindestens die halbe Welt unter einem Riesling vor. Ein Ortswein wie er sein sollte, 14,50 € im Online-Shop.

Riesling Steinberger Zehntstück trocken 2023

»Den Jahrgang haben wir gerade vorgestern auf den Markt gebracht, am 1. September«, verrät Kathrin, »das ist aber unsere freie Entscheidung. Das Zehntstück ist in sich nochmal unterschiedlich. Unten feuchter, da lesen wir früher, oben haben wir die Trauben länger stehen gelassen. Das Allermeiste ist spontan vergoren, 80% kam ins Holz, 20% in Stahl, im März haben wir cuvetiert, seit Mai ist der Wein in der Flasche.«

Zehntstück

Gewann Zehntstück im Steinberg, VDP.Erste Lage

Was unterscheidet das Zehntstück vom »normalen« Steinberger? Es gibt zunächst mal viel mehr aromatische Kräuter in der Nase, Oregano, natürlich auch ein bisschen Zimt vom Holz. Der Holzanteil sorgt dann auch für ein anderes Mundgefühl, dichter, ernsthafter, nussiger, mit einem trocken eingespannten Abgang, obwohl sich die beiden Weine von den Analysewerten her kaum unterscheiden. Aber so ist das halt mit der Technik manchmal… Die höhere Wertigkeit kann ich klar erkennen, obwohl wir auch hier im Spektrum des Riesling-Idealtyps bleiben. Der Wein ist wie gesagt gerade draußen, 19,50 € im Online-Shop.

Riesling Goldener Becher GG 2021

»Die Parzelle heißt so wegen ihrer Form, hier wurden schon immer die besten Rieslinge geerntet. Oben gibt es Ton, dann verwitterten Schiefer, violetten Taunusschiefer, dazu eine Quarzitader.« Tatsächlich muss ich gestehen, drei schöne Quarzite aus der Parzelle mitgenommen zu haben. Hoffentlich wird der 2024er jetzt nicht weniger mineralisch… Kathrin erklärt weiter: »2021 war ein kühles Jahr, wir haben drei Wochen später gelesen als 2022 und 2023. Den ersten Riesling haben wir am 4. Oktober geholt, den aus dem Goldenen Becher am 22. Oktober. Also praktisch so wie früher. Der Wein wurde spontan vergoren und halb im Holz, halb im Edelstahl ausgebaut. Tolle Struktur, aber natürlich schon etwas strenger.«

Goldener Becher

Gewann Goldener Becher, VDP.Große Lage, dicht bestockt und schalenförmig

Ja, wesentlich strenger. Aber im positiven Sinne. Schön mineralisch, leicht floraler Touch, aber schon die Nase ist deutlich stiller als bei den anderen Weinen. Im Mund macht sich bemerkbar, dass der Wein praktisch überhaupt keine Restsüße hat, wirkt dadurch aber keineswegs mager, sondern enorm strukturiert, salzig, nachhaltig. Selbst am nächsten Tag bleibt der Goldener Becher in seiner 2021er Version ein kühler und fast unnahbar wirkender Wein, der sich erst ganz langsam auffächert. Ganz bestimmt kein Crowd Pleaser, hat aber genau das, was für mich ein Großes Gewächs ausmacht: Erhabenheit. 48 € im Online-Shop und 97 Punkte bei James Suckling.

Feinherb, Kabinett – und ein 1959er

Riesling Steinberg Feinherb 2023

Riesling fruchtig Steinberg

»Der Feinherbe hat 13,6 g Restzucker bei 7,7 g Säure. Viele Weintrinker würden ihn wahrscheinlich sogar für trocken halten. Kommt halt immer ein bisschen darauf an, was man vorher schon probiert hat.«

Nach dem fordernd-trockenen Goldenen Becher wird es jetzt wieder deutlich zugänglicher. Aber nur graduell, denn ich finde den Feinherben erstaunlich ernsthaft. Da gibt es mehr weißen Pfirsich und weiße Pflaume als Zitrus, eine leichte Kräuterader ist aber wieder da. Hinten kommt noch eine feine Würze, das ist ein spannender Wein für Speisenkombinationen. 14,50 € im Online-Shop.

Riesling Steinberg Kabinett 2023

»Die Trauben für den Kabinett holen wir immer aus den höher gelegenen Gewannen. Mehr als 78-82° Oechsle möchten wir da auf keinen Fall haben. Der Wein ist kühl vergoren im Stahltank, wir wollen die Frucht konservieren. Die Gärung haben wir dann durch Kälte und Filtration gestoppt, nicht durch SO2, ich mag diesen schwefeligen Touch nicht so. Zeitnah gefüllt, kann aber sicher noch reifen.«

Friedrichshöhe Oberhöher Spitz

Obere Gewanne Friedrichshöhe und Oberhöher Spitz für Kabinett

Und ob. Aber das merke ich erst jetzt nach (Achtung) zehn Tagen in der geöffneten Flasche. Zugegeben, schmecken tut er schon gleich zu Anfang, viel Saftigkeit, kandierte Zitrone, aber auch viel pure Traube. Ein Wein, der wirklich sehr nah an der Frucht ist. Jetzt nach den vielen Tagen in der Flasche kommt noch dieses Feine, Präzise dazu, nicht mehr nur Spaß, sondern auch Eleganz. So ein Kabi ist schon was Schönes. 14,95 € im Shop, nicht nur online, sondern auch in der Vinothek vor Ort, die immer gut besucht ist.

Riesling Steinberger Edelbeerenauslese 1959

Steinberger Riesling Edelbeerenauslese 1959

Was soll ich sagen? Ein Schatzkammerwein, an dessen Jahrgang sich Kathrin und ich persönlich erstaunlicherweise nicht mehr erinnern können. Michael Broadbent schon, und er schreibt: »At last, to end a mixed and mainly disappointing decade, a magnificent vintage. Glorious wines were made from sun-enriched grape juice with extraordingly high sugar content.« Natürlich hatte Broadbent auch diesen Wein schon verkostet, das letzte Mal im März 2003. Jetzt sitze ich hier, ein bisschen ehrfürchtig, obwohl ich ja schon einen 140 Jahre alten Wein von Kloster Eberbach getrunken habe. Aber in größerer Runde, nicht so meditativ für mich allein.

Mit größter Vorsicht ziehe ich den Kork heraus. Er ist enorm lang, noch völlig intakt – und original. »Naturrein« ist auf ihm eingeprägt, dazu Jahrgang und Hersteller, die »Staatsweingüter Eltville«. Nachdem der Wein frisch geöffnet einen kleinen Frischluftschock zeigte, habe ich ihm jetzt (wiederverkorkt) genau 13 Tage Zeit gegeben. Irre stabil ist er und jetzt unglaublich harmonisch. Schon in der Nase ragen deutlich die Dörrfrüchte hervor, Aprikose vor allem, dazu Karamell und getrocknete Küchenkräuter. Im Mund ist da erst einmal die ölig-viskose Textur, die dennoch Platz lässt für eine große Frische. Viel Süße, viel flächige Säure auch, wahnsinnig gut, sauber, vollkommen fehlerlos. Reife Aprikose ist wieder da, als Saft, getrocknet, kandiert, Karamellbonbon, Maroni, Balsam, minimal Kaffee, unglaublich dicht und geschmeidig. Zum Schluss kommen noch getrocknete Rosenblätter und Lavendel im Abgang. Ein denkwürdiges Elixier und schlicht ein großer Genuss. Überraschenderweise leider nicht im Online-Shop zu haben.

Um es klar zu sagen: Das ist einer der besten Weine, die ich je getrunken habe. Morgens um neun mit frischen Sinnen. Ich bin total happy, und nein, sowas mache ich nicht öfter. Das ist schon wirklich einmalig, und es zeigt natürlich auch, welches Alterungs- und Entwicklungspotenzial in den besten Steinberg-Rieslingen steckt.

Mein Fazit – Was macht den Steinberg so besonders?

Der Steinberg ist eine Welt für sich. Die Mauer, das Monopol, die Jahrhunderte der Bewirtschaftung, der reine Riesling, das alles macht einen Eindruck wie aus einem Guss. Tatsächlich aber ist dieser geschlossene Kosmos in der Lage, eine große Vielfalt hervorzubringen. Das hat mit Weinbergsarbeit und Kellergeschick, aber auch mit den unterschiedlichen Höhenstufen und Untergründen zu tun. Es lohnt sich total, diese Vielfalt in all ihren Ausdrucksformen zu probieren.

Wenn ich nach einer geschmacklichen Einheit suchen würde, gibt es da natürlich die Zitrusnoten, also gelbe Zitrone, die immer mit durchscheint. Es gibt aber auch die Küchenkräuter, mal frischer, mal getrockneter. Interessanterweise, und ich habe ein Weilchen darüber nachgedacht, ist es für mich aber vor allem der Idealtyp-Charakter, der dem Steinberg innewohnt. So schmeckt Rheingauer Riesling aus dem Lehrbuch, blind um vier Uhr nachts zu erkennen. Ich finde das wichtiger, als es zunächst scheinen mag.

Deutscher Riesling ist quantitativ gesehen nämlich kein großer Posten in der Welt. Würde ein »Weltweinladen« 300 verschiedene Weine besitzen, welche die Verteilung exakt abbilden sollten, wäre nur eine einzige Flasche deutscher Riesling darunter. Qualitativ und von seiner historischen Konnotation her sieht das ganz anders aus. Da ist deutscher Riesling eine Spezialität, die in jedem Kurs, in jedem Lehrbuch auftaucht, die alle Weinliebhaber:innen schon einmal getrunken haben. Genau da sehe ich den Steinberg. Tradition, Kultur, auch die weinromantische Erscheinung, das ist alles huge, das steht wie kaum etwas anderes für den deutschen Riesling. Außerdem: »Stein« und »Berg«, das lässt sich leicht aussprechen, das erklärt sich von selbst. Also lasst uns das ein bisschen mehr feiern und in die Welt hinaustragen. In diesem Sinne: Vive le Steinberg!

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