Ein frisches, unverseuchtes Bier! Wer hätte darauf in der jetzigen Sommerhitze keinen Appetit? Also schnell runter in den Keller. Keller, das ist der Ort, an dem der gemeine Prepper alles Erdenkliche lagert, sollten Atomkrieg und Virenflug doch mal etwas länger anhalten. Zum Glück gehört Bier ja zu den Grundnahrungsmitteln, die man anderweitig nicht ersetzen kann, weshalb es auch hier steht. Vier Fläschchen geschnappt und hoch auf den Balkon. Ein Blick aufs Etikett, und tja, da haben wir den Salat: seit Jahren abgelaufen. Na dann mal Prost…
Lohnen sich Biervorräte für Prepper?
Wer mich kennt, weiß vermutlich, dass die perfekte Vorbereitung auf alle Eventualitäten nicht zu meinen persönlichen Schwerpunkten zählt. Ich kann mich noch gut an eine Geschichte in der Sesamstraße erinnern (soviel zu meinen Referenzen). Hauptact ist eine Art Prepper-Frau. Sie will einen Berg besteigen mit Rucksack und leichtem Gepäck. Nach und nach fallen ihr aber immer mehr Situationen ein, die währenddessen eventuell passieren könnten. Um davor gewappnet zu sein, packt sie auch immer mehr Gegenstände in ihren Rucksack. Als sie auf diese Weise mit Mühe oben ankommt, tritt sie in einen Kuhfladen, an den sie leider nicht gedacht hatte. Wegen des schweren Gepäcks verliert sie daraufhin das Gleichgewicht und purzelt mitsamt den ganzen wichtigen Dingen wieder nach unten.
Das also zur Preparedness, denn daher stammt der Begriff »Prepper« ja. Aber wie sieht das mit Bier aus? Eignet sich das für echte Prepper? Ein kurzer Blick in die Rubrik »Sonstiges« eines einschlägigen Prepper-Shops fördert Folgendes zutage: Sonnenmilch mit Geheimfach, Dosentresor Mildessa Sauerkraut (»das beste Versteck für Ihre Wertsachen«), 50 Meter Nato-Draht, 15 Liter Not-Toilette mit Einmalbeutel (sieht nur zufällig aus wie ein grauer Eimer), Butterpulver, Kurbelradio, Munitionskiste – nein, so kommen wir nicht weiter.
Aber dafür gibt es ja diesen Blog, um festzustellen, ob zehn Jahre altes Bier nicht doch künftig unter die Prepper-Tools aufgenommen werden sollte. Auf geht’s zum Praxistest!
Kandidat #1 – Orca Brau Fränkisches Landbier
Hersteller ist die klein geschriebene orca brau in Nürnberg, die viele spannende Craft-Biere am Start hat. Eines, das Grape Ale mit Trauben von Nico Olinger, bleibt noch weiter im Keller. Wein hat ja kein Ablaufdatum. Bier schon, und dieses Bier hätte vor drei Jahren verbraucht sein sollen. Unter dem Motto »für hier, für jetzt, für alle« (nichts davon habe ich eingehalten) trägt das untergärige Landbier ein EU-Bio-Siegel, ist unpasteurisiert, ungefiltert und hätte bei maximal 15°C gelagert werden sollen. Auch das noch.
Ab ins Glas. Schaumkronen braucht kein Mensch, und alle vier Biere pflichten mir hier bei. Ansonsten: Das Bier, vor dem ich am meisten Angst hatte, macht in der Nase den besten Eindruck. Etwas Karamell, geröstete Haselnuss, null säuerlich oder sumpfig. Und es schmeckt sogar richtig gut! Getreide, wieder Haselnuss, etwas brotiger Hefeanklang, gar keine fehlgeleiteten Ester, sondern souverän auf der Chaiselongue. Orca kann was, meine lieben Freundinnen und Freunde! Lohnt sich auch, wenn die Apokalypse wieder vorbei ist.
Kandidat #2 – BrewDog Punk IPA
BrewDog ist ebenfalls mal als kleiner Craft Brewer gestartet, mittlerweile allerdings doch ein ganz bisschen größer geworden. Ich hatte mir über die Jahre hinweg immer mal wieder ein Fläschchen Punk in den Keller ge-prepper-t, weil ich mir dachte, obergärige Biere können sich in der Flasche doch sicher positiv entwickeln. Ein paar ältere Punks hatte ich vor zwei Jahren schon mal probiert, mit gemischten Ergebnissen. Diesmal steige ich tief in die Historie ein. Ablaufdatum September 2013, vor elf Jahren. Ob mir das bekommt?
Hat eigentlich schonmal jemand einen Witz mit den Stichworten »Punk« und »dead« gemacht? Ja? Wirklich? Na gut, aber hier würde es sich auch echt anbieten. Das BrewDog ruht sprudelmäßig still wie der veralgte Tümpel im Sommer Vorpommerns. In der Nase finden sich Liebstöckel und Hühnersuppe, das ist zwar atypisch, aber an sich nicht gesundheitsschädlich. Im Mund dann die logische Folge des Erscheinungsbilds: Flach, leicht Nuss, leicht Kräuter. Nicht spannend, aber auch nicht böse.
Kandidat #3 – Hollerbusch Weizenbock
Ein durchaus furchterregend gestaltetes Getränk. Wartet nach dem Genuss vom Hollerbusch etwa der Bollerhusch, und ich muss mir die Not-Toilette Marke »Eimer« mit DHL Express liefern lassen? Hoffentlich nicht. Immerhin handelt es sich bei dem obergärigen und einstmals 6,9 vol% starken Bier der Brauerei Held/Oberailsfeld um einen Typus, der längeres Lagern normalerweise gut überstehen sollte. Ablaufdatum aber auch hier: November 2013. Tja.
Schön dunkel ist das Bier auf jeden Fall, Mahagoni. Was dann folgt, ist ein wilder Ritt für meine Geschmackspapillen. Walderdbeeren, Balsamico-Essig und die in Mahagoni-Furnier gehaltene Schrankwand aus der Epoche des Gelsenkirchener Barocks. Ob der Hollerbusch Alkohol enthält, merke ich nicht, weil Säure und esterige Frucht in übergebührlichen Mengen da sind. Als Wachmacher beim Fermentations-Workshop sicher gut geeignet, aber der Verdacht auf ungeplante Folgen schwingt immer mit.
Kandidat #4 – Ayinger Celebrator
Solltet ihr einmal versehentlich die Bierbewertungsseite Rate Beer aufsuchen, dort befindet sich der Ayinger Celebrator auf Platz 2 der besten deutschen Biere – mit immerhin 5.218 Bewertungen, also viel geprobt und viel gelobt. Nur ein Bier steht noch davor, die ungefilterte Version des Schlenkerla Märzen, die aber wesentlich seltener auf dem Markt zu sehen ist. Und 100 von 100 Punkten reichen mir ehrlich gesagt auch. Abgelaufen nach zähem Ringen im Dezember 2017, aber ein baierisches Starkbier geht doch eigentlich nie kaputt.
Farblich sieht der Doppelbock nach tiefdunklem, blickdichtem Porter aus. Auch in der röstmalzigen Nase scheint da Oide sein Versprechen zu halten. Nach Kaffeeschrot und Süßholz schmeckt der Celebrator, enorm intensiv und dicht. Eine Unzahl kleiner Geschmacks-Atome tummeln sich auf engem Raum, das ist anstrengend wie am ersten Tag. Wer ein Fortissimo bei Wagner für die beste Musik hält oder aber – übersetzt in den Bier-Kosmos – das dickste Steak mit der meisten Barbecue-Sauce, setzt auch den Celebrator auf Platz 1. Eingedampft würde er sich wahrscheinlich noch deutlich länger halten. Als Survival-Snack, eingenommen bei allerlei Mangelerscheinungen, jedenfalls ideal geeignet.
Fazit – Der versehentliche Prepper gesteht…
Wie sagt der Engländer so schön: »not for the faint of heart«. Das ist das Ergebnis meines kleinen Tests abgelaufener Biere. Die Reihenfolge präsentiert sich allerdings völlig anders als vorher gedacht.
Der Weizenbock hat in den elf Jahren seines Über-den-Jordan-Seins eine wirklich spannende chemische Metamorphose durchgemacht. Charakterlich ist das stark, aber wenn es um die gesundheitliche Eignung geht, hat der Hollerbusch eine Menge Vertrauen verspielt. Da würde man sich das Risiko selbst mit in den Keller holen. Bitte draußen lassen, mein Platz 4.
Dem BrewDog hingegen ist über die lange Zeit vieles egal geworden. Es leiert so dahin in seiner gemüsebrühigen Art und spricht den Intellekt ungefähr so stark an wie ein Diddl-Maus-Comic. Kann man vor oder gar während des Mittagsschlafs einnehmen, Platz 3.
Der Ayinger Celebrator steht hingegen auch nach Jahren noch stramm wie die Vizemeisterschaft der Bayern. Unironisch gesprochen kann man da eigentlich nichts falsch machen. Ein gutes Bier ist wie ein guter Kamerad im Keller, Platz 2.
Die mit Abstand allergrößte Überraschung war für mich das unfiltrierte untergärige Bio-Bier von Orca. Nie hätte ich gedacht, dass dieses so fragil angekündigte Gebräu sich halten, gar noch verfeinern würde. Eigentlich denkt man ja, man müsste sowas weit vor dem Ablaufdatum verbrauchen. Aber nein, die Hefe hält: mein Platz 1. Falls ihr euch also mit dem Gedanken tragt, für eine gewisse Zeit aus der Zivilisation zu verschwinden, nehmt ein naturtrübes fränkisches Landbier mit. Und schließt bitte nie vom Speziellen auf das Allgemeine.
Liebe Mitleser*innen,
Matze raucht nicht! Wirklich nicht!
Er hat mir auch nie erzählt, dass er leidenschaftlich Kekse backt.
Nicht dass Ihr hier auf dumme Gedanken kommt…
Frag mal deine Freunde, da gibt’s einige, die alte Biere im Keller lagern 😉
Lieber Matze, danke für diesen wieder sehr unterhaltsamen Bericht etwas Abseits vom Mainstream. Hast du dich mal durch gereifte belgische Biere getrunken? Ich bring mir seit ein paar Jahren aus französischen Super(Hyper-)marchés die aktuellen Jahrgänge der Chimay bleu mit und stell die in den Weinkeller. Wie bei meinen Sardinen habe ich das Ablaufdatum mal als Verzehrstartdatum umdefiniert und bin gespannt, demnächst müsste wohl die erste Flasche fällig sein. Bei den Sardinen hat sich das jedenfalls absolut bewährt, der Millesime 2019 ist jetzt, nach fünf Jahren, wirklich besser als je!
LG aus Frankfurt, Jay
Erstmal danke für den Kommentar! Ja, ich habe mir tatsächlich ein paar belgische Biere in den Keller gelegt, die obergärig und unfiltriert sind, also wirklich reifen können (sollten). Und Sauerbiere natürlich, also Cantillon, 3 Fonteinen und Konsorten. Es sind allerdings auch ein paar Sachen dabei, die ich schlicht im Keller der Schwiegereltern vergessen habe und wo irgendwie zu faul bin, sie mal mitzunehmen. Weihnachtsbiere und Ähnliches. Schaun mer also mal 😉