Zeit und Bier – Wie schmeckt abgelaufenes BrewDog?

BrewDog Punk IPA 2010-2020

Ich stelle vor, von links nach rechts: abgelaufen 2011, abgelaufen 2015, abgelaufen 2018, abgelaufen 2021. Alles BrewDog Punk IPA, das legendär frischhopfige Bier. Und alles über den Jordan, längst vergangen, zu Suppenbrühe verkommen, bereit für den Ausguss. Oder doch nicht? Mich hat eigentlich schon immer interessiert, wie sich Bier nach dem Ablaufdatum verhält. Nur kann man so etwas kaum kaufen (und wenn, dann handelt es sich nicht um einen sonderlich vertrauenswürdigen Laden). Also habe ich mir gedacht, ich bastele mir das Experiment selbst…

Was ist das BrewDog Punk IPA?

BrewDog ist eine schottische Brauerei, die 2007 ganz klein angefangen hat und mittlerweile bei 800.000 Hektoliter pro Jahr angekommen ist. Es handelt sich sozusagen um eine der größten Erfolgsgeschichten der Craft Beer-Szene. Dieser Erfolg hat natürlich mit den Bieren zu tun, die ausdrucks- und inhaltsstark sind und sich schnell eine internationale Fangemeinde erobert haben. Ein nicht geringer Teil des Erfolgs beruht allerdings auch auf Marketingmaßnahmen. Jene schienen sich an einer Klientel zu orientieren, die vor langer Zeit Beavis & Butthead cool fand (falls sich noch jemand daran erinnert). Fast logischerweise gab es nicht wenige Skandale und Rechtsstreite – wobei es natürlich nie um die Bierqualität ging.

Biere abgelaufen BrewDog Punk IPA

Das Punk IPA, mit dem alles begann, wird heute nicht nur in Schottland, sondern auch an anderen Standorten gebraut. Wie zum Beispiel Berlin. Die Rezeptur für diesen Modern Classic wurde allerdings im Laufe der Zeit leicht modifiziert. Alkohol und Bitterkeit gingen etwas runter, man wollte offenbar nicht nur Freaks bedienen. Aber genug der Vorreden, schauen wir, was die astrein abgehangenen Punks heute machen.

Nr. 1 – Abgelaufen 2011

Weston-super-Mare

November 2010, ein ganzer Monat in England. Nicht zum Urlauben natürlich, aber trotzdem. In der Mittagspause ans Meer, abends in den Pub oder auch mal richtig gesundes Fast Food zu sich nehmen. Falls ihr jemals die Möglichkeit habt, einen Monat lang direkt am Meer zu leben, nehmt sie wahr. The coast is always changing. Das älteste Bier hatte ich damals im lokalen Waitrose erstanden. Natürlich hatte ich nicht vor, es ein Jahrzehnt lang herumstehen zu lassen, ich wollte es nur ein bisschen reifen lassen. Naja, jetzt habe ich den Salat.

Im Glas macht es einen nicht allzu schrägen Eindruck. Ihr könnte die vier Biere oben auf dem Foto sehen, von links nach rechts heißt von alt nach jung. Mittleres Amber also, der Spund scheint noch da zu sein, Schaum eher weniger. In der Nase ist dieses zwölf Jahre alte Bier ehrlich gesagt verblüffend angenehm. Aprikose, geschrotete Kakaobohnen, Kastanienhonig, da traue ich mich direkt, einen Schluck zu nehmen. Und: Das ist ein echt komplexes Gebräu. Bitterschokolade, wieder Kastanienhonig, wirklich intensiv von den Aromen her. Gut, hier gab es ursprünglich 6,0 vol% und 65 IBU, das ist schon eine Ansage. Von schlecht geworden kann jedenfalls keine Rede sein, und zwar weder beim Bier noch bei mir. Sollte man in kleinen Schlucken genießen, sehr beeindruckend.

Nr. 2 – Abgelaufen 2015

Maastricht

Das zweite BrewDog Punk IPA stammt aus den Niederlanden. Nein, nicht gebraut, aber gekauft, und zwar beim Albert Heijn in Maastricht. Dazu schön Pommes in der Plastikschale, also friet speciaal mit Mayo, Curry-Ketchup und gehackten rohen Zwiebeln.

Von der Farbe und vom Einschüttverhalten geriert sich das zweitälteste BrewDog ähnlich wie das erste. Das Etikett verrät, dass wir mittlerweile beim Alkohol auf 5,6 vol% und bei den Bittereinheiten auf 45 runtergegangen sind. In der Nase denke ich erst, aha, Zwiebel-Pommes revisited, aber in Wirklichkeit geht das eher in Richtung Suppenwürfel. Ob ich das trinken möchte? Naja, Bier kann ja nicht wirklich schlecht werden, es kann höchstens schlecht schmecken. Und sowas steckt man als professioneller Tester schon weg. Also: Süßliche Anklänge hat das sieben Jahre alte BrewDog, Melasse, zu lange in der Vase gelassene Küchenkräuter, der Hopfen ist dafür futsch. Kein Vergnügen, aber man kann nicht immer gewinnen.

Nr. 3 – Abgelaufen 2018

Aix-en-Provence

Wir schreiben das Jahr 2017, und ich bin in Südfrankreich, dem Mekka für Bierfreaks. Nein, natürlich wird hier mehr Wein getrunken, aber die französische Craft Beer-Szene ist mittlerweile richtig groß. Ein paar Fläschchen seltener lokale Gebräue zu bekommen, sollte überhaupt kein Problem sein. Ich gehe also in den Auchan in Avignon und erstehe ein nur latent lokales BrewDog Punk IPA. Etikett und Werte entsprechen dem in Maastricht gekauften Bier, nur halt drei Jahre später gebraut.

Ein bisschen skeptisch bin ich jetzt schon nach der doch nur mittelgroßen Trinkfreude des Vorgängers. Aber die Nase ist schon komplett anders. Hell und kräuterig bleibt es, aber statt der süßen Suppenwürze gibt es einen eher etwas lederigen und gleichzeitig frischeren Ton. Im Mund setzt sich das Vergnügen fort, diesmal aber richtig. Aprikosige Frucht, zarter Hopfen, ungeheuer ausgewogen und harmonisch. Wäre das ein Wein, würde ich sagen, dass er jetzt auf seinem Reife-Höhepunkt ist. Das 2017er Bier schmeckt leichter und feiner als das 2010er, dafür weniger dicht und fordernd. Gut sind sie aber beide.

Nr. 4 – Abgelaufen 2021

Franken

Letztes Bier, erst seit einem Jahr abgelaufen, also praktisch direkt aus dem Braukessel. Gekauft hatte ich es irgendwo in Franken, möglicherweise bei der Bierothek, aber aufgeschrieben hatte ich es leider nicht. Äußerlich hat das BrewDog Punk IPA eine gewisse Wandlung durchgemacht. Das Etikett wirkt klarer, ein bisschen konservativer, aber definitiv auch besser lesbar. Jedenfalls für diejenigen, die nicht mit um 90 Grad geneigter Kopfhaltung durch den Getränkemarkt gehen.

Farblich ist es das einzige Bier, das sich wirklich abhebt. Ich hoffe, ihr könnt es oben auf dem Foto sehen. Viel heller, ins Goldamber spielend, es wäre sogar eine Schaumkrone möglich. In der Nase gibt es ebenfalls ganz andere Noten, nämlich ein bisschen Spülwasser, wie das hopfige IPAs gern mal haben. Im Mund ist das Jungbier das frischeste, cremigste, klassisch erkennbare IPA. Gelbe Pflaume, kaum spürbarer Hopfen, sehr zugänglich. Tatsächlich habe ich das Gefühl, nach den Charakterköpfen davor ein vergleichsweise langweiliges Bier im Glas zu haben. Also keinesfalls schlecht oder mit störenden Noten. Aber doch so, dass ich denke, ein bisschen bis zu seiner Trinkreife braucht es noch.

Mein Fazit: Kann man das BrewDog Punk IPA ewig trinken?

Punk’s not dead. Diese Antwort ist mir als erstes eingefallen. Gut, es ist nicht derselbe Punk geblieben. Wenn das zwölf Jahre alte BrewDog Punkmusik wäre, dann würde es klingen wie Rise von P.I.L. Eigentlich viel zu komplex, zu vielschichtig, aber doch mit der Erinnerung daran, weshalb es sich einstmals so revolutionär angefühlt hat.

Diesen Status werden die späteren Biere nie erreichen können, weil die Grundsubstanz bei ihnen einfach geringer ist. Trotzdem zeigt das fünf Jahre alte Bier, dass es Höhepunkte weit nach dem Haltbarkeitsdatum gibt. Ohnehin waren alle vier Biere so unterschiedlich, dass allein diese Erkenntnis den Aufwand gelohnt hat. Eines von vieren mies, das ist als Quote doch ganz okay.

Anders als bei teuren Burgundern ist so ein Bierexperiment auch alles andere als kostspielig. Man braucht nur ein wenig Platz und ein wenig mehr Geduld.

Wie sich der Bierauftritt im Verlauf der Jahre geändert hat, seht ihr unten auf dem Foto. Links der alte Punk, der noch liebend gern mit Publikumsbeleidigungen arbeitet. Rechts der neue Punk, komplett selbstreferentiell, no revolution. Auch ganz witzig, oder?

BrewDog Punk IPA Rückseite 2010 2020

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2 Antworten zu Zeit und Bier – Wie schmeckt abgelaufenes BrewDog?

  1. Karl Brunk sagt:

    Hallo Matthias,
    auch wenn ich Johnny Rotten mit den Sex Pistols bevorzuge, wäre ich Dir dankbar, mir einen Fund – ob Bier oder Wein – der “This is not a love song” als Einfall hervor zaubert, mitzuteilen. Falls das jemals passiert;)
    Ich hatte bei den Craft beers aus GB auch schon einige erstaunliche Erfahrungen gemacht. Das MHL soll ja wohl eher eine rechtliche Absicherung sein und bei einigen Dingen nicht wirklich etwas über der den geschmacklichen Zustand verraten. Und 1 aus 4 ist ja tatsächlich erträglich.
    viele Grüße
    Karl

    • Matze sagt:

      Ha, darauf bin ich erst neulich gestoßen: Markus Lang aus Österreich (Weingut HM Lang) macht einen Wein namens “This is not a love song”. Das ist ein hochwertiger Riesling, biodyn, händisch auf der Baumpresse gepresst, langes Hefelager. Probiert habe ich ihn allerdings noch nicht.

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