Welche Weine trinken die Deutschen wirklich? Wer sich mit dieser Frage beschäftigt, kommt an drei der Etiketten auf dem Titelfoto nicht vorbei (der vierte ist ein sogenannter Pirat). Doppio Passo ist die meistverkaufte Weinmarke überhaupt in Deutschland. Doppio Selone von Lidl und Doppio Tratto von Aldi liegen von den Zahlen her wahrscheinlich nicht weit dahinter. Alle drei haben, so ist das bei Dupes nun mal, eine Reihe von Gemeinsamkeiten: die Herkunft, die Rebsorte, die Farbe, das Bereitungsverfahren – und auch die Tatsache, dass es sich um leicht süße Rotweine handelt. Leicht süße Rotweine? Dachten wir nicht, dieser Typus sei mit dem beliebten Amselfelder (»ohne Stiel und Stängel gekeltert«) vor etlichen Jahren ausgestorben? Nein, ist er offenbar nicht, ganz und gar nicht. Aber was können unsere vier Erfolgsritter im Blindtest? Das wird sich gleich zeigen…
Was ist ein Doppio Passo?
»Doppio passo« ist (ziemlich überraschend, ich weiß) ein italienischer Begriff. Er bezeichnet un dribbling calcistico, einen ganz legalen Fußballtrick, bei dem der angespielte Fußballer wie eine Wand agiert und den Ball einfach wieder zu dem Mitspieler zurückpasst, von dem er den Ball erhalten hatte. Doppelpass eben. »Doppio passo« kann allerdings auch ein schlaues Teamwork, einen gelungenen Schachzug bezeichnen, und genau jene Bedeutung hatten die Erfinder dieses Weins gemeint, die Familie Botter.
Ursprünglich in Norditalien zu Hause, arbeiteten die Botters im Verlauf der Jahrzehnte mit immer mehr Traubenproduzenten in ganz Italien zusammen. Für den Doppio Passo zum Beispiel mit Winzern in Apulien. Heute machen die Botter-Weine nicht weniger als 5% des gesamten italienischen Weinexports aus. Das sind unglaubliche 110 Millionen Liter. Legt man all diese Flaschen hintereinander, reicht die Leitung 33mal von Hamburg nach Rom. Soll heißen: nicht das unbedeutendste Unternehmen.
Die Marke »Doppio Passo« hat allerdings die Rotkäppchen-Mumm Sektkellereien GmbH der Familie Botter abgekauft. Deshalb könnt ihr den Doppio Passo in fast jedem weinhaltigen Supermarkt erstehen.
»Doppio Passo« weist aber auch (die dritte Bedeutung) auf den »doppelten Schritt« bei der Weinbereitung hin. Eine Hälfte der Trauben wird normalreif geerntet und verarbeitet. Die andere Hälfte hängt etwa zehn Tage länger am Rebstock und wird dann als zuckerreichere Spätlese eingebracht. Beide Partien miteinander verschnitten ergeben den fertigen Wein. Warum sowas gemacht wird? Nun, ein Teil ist frisch-fruchtiger, der andere reif-süßer, und im Endprodukt möchte man beide Aromenelemente haben.
Und was sind die Dupes von Aldi und Lidl?
Der Begriff »Dupe« kommt aus dem Beauty- und insbesondere dem Parfumbereich. Er bezeichnet Produkte, die einem Original nachempfunden werden. Da die Zusammensetzung berühmter Parfums streng geheim gehalten wird, weiß niemand außerhalb des engsten Kreises, was beispielsweise im Chanel No. 5 steckt. Durch Trial & Error versuchen findige Parfümeure allerdings, die berühmte Marke im Duft irgendwie nachzuempfinden. Sie kreieren ein Duplikat, ein »Dupe«. Solange keine rechtlich geschützten Belange berührt werden, ist so etwas komplett legal. Der vielleicht bekannteste »Duper« ist die Drogeriemarktkette dm. Erweist sich ein Markenprodukt als erfolgreich, versucht dm etwas Ähnliches herzustellen – aber als Eigenmarke und entsprechend preisgünstiger.
Genau dasselbe ist beim Doppio Passo passiert. Der Doppio Selone von Lidl und der Doppio Tratto von Aldi arbeiten nach demselben Prinzip wie das Original. Auch bei ihnen stammen die Trauben aus Apulien (Rebsorte Primitivo), ein bestimmter Teil wurde früher, ein anderer später gelesen, und die Weine besitzen ebenfalls eine wahrnehmbare Fruchtsüße. Als vierten Wein habe ich ein Produkt genommen, das vielleicht sogar das Original eines halbtrockenen Roten darstellt, den Kindzmarauli aus Georgien. Herkunft und Rebsorte sind zwar ganz anders, aber mich hat interessiert, ob sich der Geschmack vielleicht doch irgendwie gleicht.
Auf also zum großen Blindtest!
Doppio Passo – das Original, aber in Bio
Wo gekauft? Bei Edeka für 7,99 €
Wie schmeckt der Doppio Passo Bio? Zunächst einmal stelle ich fest, dass alle vier Weine eine sehr ähnliche Farbe besitzen, ein mittleres Rubinrot. In der Nase sind sie dann aber extrem unterschiedlich. Der Doppio Passo gefällt mir dabei am besten, denn neben frischer Brombeere gibt es auch hellere, kirschigere Noten. Sauber und wirklich ansprechend. Im Mund ist es interessanterweise auch der am leichtesten wirkende Wein, am stärksten fruchtbetont und durch die frische Säure auch nicht so süß. Tatsächlich mein Favorit.
Doppio Selone – aus Laterza für Lidl
Wo gekauft? Bei Lidl für 3,79 €
Wie schmeckt der Doppio Selone? Im Glas sieht man kleine Bläschen, etwas weniger als bei einem Lambrusco, aber trotzdem überraschend. Der Geruch ist, uff, ziemlich daneben. Starke Gärnoten, als wenn man im Oktober durch Weindörfer geht. Auch im Mund sagt mir alles, dass hier irgendwas schiefgelaufen ist. Prickeln, buschiger Geschmack, etwas Nuss-Nougat, viel Blaubeerjoghurt, so darf das definitiv nicht sein. Fast wirkt es so, als hätte er nochmal angefangen zu gären, aber davor sollten Lidl-Weine eigentlich gefeit sein. Und bei mir im Lager ist definitiv alles in Ordung. Nachher sehe ich, dass der Plastikstopfen, der die Flasche verschließt, unten einen kleinen Schaden hatte. Aber ob sich das auswirkt? Für mich in diesem Zustand leider nicht trinkbar, definitiv ein Flaschenfehler.
Doppio Tratto – aus Laterza für Aldi
Wo gekauft? Bei Aldi Süd für 2,19 €, runtergesetzt von 3,79 € (also derselbe Preis wie bei Lidl)
Wie schmeckt der Doppio Tratto? Auf dem Rücketikett sehe ich nachher, dass genau wie beim Doppio Selone dieser Wein in der Cantina di Laterza abgefüllt wurde. Dafür besitzt er exakt dasselbe Flaschenmodell wie der Doppio Passo. Sowas kommt vor bei Lohnabfüllungen. In der Nase zeigt sich aber, dass es sich schon um einen anderen Wein handelt. Ziemlich verschlossen, Holunderbeere, ein bisschen dumpf. Im Mund ist das frisch geöffnet auch alles andere als eine Offenbarung. Brombeere, etwas Lakritz, nicht so frisch wie der Doppio Passo. Ein erwachsener Wein, definitiv, aber eher so im Stil des seltsamen Onkels. Wahrscheinlich werden Gärung und Weinwerdung einfach zu schnell durchgeprügelt.
Ich lasse alle Gläser eine halbe Stunde stehen und probiere dann nach. Der Aldi-Wein hat sich dabei am vorteilhaftesten entwickelt, wirkt jetzt ausgewogener, wenngleich bei allen Weinen Süße und Gerbstoffe stärker zum Tragen kommen als beim ersten Schluck. Kann man aber (wenn man diesen Stil mag) tatsächlich trinken.
Kindzmarauli aus Georgien von den Askaneli Brothers
Wo gekauft? Beim Mix-Markt für 9,99 €
Wie schmeckt der Kindzmarauli? Erst einmal riecht er, und zwar am dunkelsten, beerigsten. Im Mund merkt man im Blindtest ganz deutlich, dass sich der Wein von den anderen unterscheidet. Er ist überraschenderweise deutlich süßer, aber auch tiefer und extraktreicher, obwohl er mit 12 vol% den wenigsten Alkohol besitzt. Von den Aromen her ist der Unterschied hingegen gar nicht so groß, dichte Brombeere, ein bisschen Waldbodencharakter. Ich spüre, dass hier vermutlich am meisten Weinqualität drinsteckt, aber die Süße macht aus ihm einfach einen etwas anderen Weintyp.
Ein russischer Gartenblog, den ich zwecks Aufklärung konsultiere, weiß zu berichten: »Dies ist ein halbsüßer Rotwein, mäßig dick, der auch nach Zugabe von Wasser seine satte granatrote Farbe nicht verliert.« Und weiter: »Die Spur verursacht Empfindungen, die nicht in Worten ausgedrückt werden können.« Na dann schweigen und schwelgen wir lieber.
Ist der Doppio Passo am besten? Mein Fazit
Shocking News erst einmal vorweg: Vor wenigen Tagen wurde der ProWein Business Report veröffentlicht. Dabei sagten Weinhändler aus Europa und Nordamerika voraus, dass »billige« Weine in den nächsten beiden Jahren noch an Bedeutung gewinnen werden. Soll heißen: Die Doppios und ihre Brüder und Schwestern boomen weiter.
Aber nun zur Antwort auf die Frage in der Überschrift: Sie lautet schlicht Ja. Mir hat er zumindest von den vieren am besten geschmeckt. Der Doppio Passo besitzt die meiste Frische, den angenehmsten Trinkfluss. Nachdem er doch eine ziemlich lange Anlaufzeit brauchte, fand ich auch den Doppio Tratto ganz passabel, etwas geschmeidiger sogar. Und schließlich kann das georgische Original, der Kindzmarauli der Askaneli Brothers, mit ordentlich Fruchtsüße und Struktur punkten. Was hingegen mit Lidls Doppio Selone los war, entzieht sich meiner Kenntnis. 88 Falstaff-Punkte und irgendeine Medaille bei Mundus Vini deuten jedenfalls darauf hin, dass ich einfach einen mies gelaunten Dauergärer erwischt habe.
Damit wir uns nicht missverstehen: Nachkaufen würde ich persönlich keinen einzigen der Weine. Trinkbar als Kriterium trifft mittlerweile auf 99,5% aller in Deutschland verkauften Weine zu. Die Welt hat sich seit meinem ersten Kratzbrühen-Test gewaltig weitergedreht. Wenn ich schon im trockenen Januar überhaupt Wein trinken möchte, dann muss der auch wirklich sehr gut schmecken. Das tut keiner der getesteten Weine.
Was ich mir allerdings vorstellen kann: Zu schärfer gewürztem Grillfleisch, zu Marmorkuchen, zu veganer Currywurst – da machen diese halbtrockenen Roten durchaus Sinn.
Wenn euch dieser Stil generell gefällt und ihr auch mit weniger Zucker leben könnt… Der beste italienische Power-Rote, den ich jemals getrunken habe, war der »Es« von Gianfranco Fino. Kostet 59 € bei Superiore. Braucht ihr nicht zu kaufen, könnt ihr euch aber von den lieben Kollegen zum Geburtstag schenken lassen. Nur ein einziges Mal, aber das bleibt in Erinnerung.
Super beschrieben! Interessanter Test! Es ist wie du schreibst, diese Weine spielen (leider) eine große Rolle beim Konsumenten! Auf die Entwicklung bin ich auch sehr gespannt! ….
Für mich ist da auch die Frage, wenn es um die persönliche Weingeschmacks-Evolution geht: Ist das “nur” eine Phase, weil die Leute direkt von Cola Light oder Red Bull kommen? Oder bleibt das auch nach zehn Jahren noch dein Lieblingswein? Das fänd ich auch sehr interessant zu wissen!
Auch wenn Verallgemeinerungen nie richtig sind – was immer wieder auffällt: Deutschland mag’s gern süß. Das ist in keiner Weise zu kritisieren (jeder, wie er will!), ist aber wohl konträr dazu, wie die meisten ihren Geschmack selbst einschätzen & beschreiben würden. Es fängt beim Primitivo an, geht über Kartoffeln (Süßkartoffel-Rezepte allüberall) und endet nicht bei Tomaten (»die kleinen Cocktail sind die besten, so schön süß«).
Absolut! Dazu eine kleine wahre Geschichte: Ein Winzer verkauft seine Weine vor allem ab Hof. Wenn Kunden kommen, die “den trockenen Wein” wollen (und er sie entsprechend einschätzt), lässt er sie manchmal den halbtrockenen probieren. Die Leute sind begeistert und wollen kaufen. Dann sagt er, “ach du Schreck, jetzt habe ich Sie aus Versehen den halbtrockenen probieren lassen! Wollen Sie den trotzdem kaufen?” Die Leute sagen in aller Regel Ja. Zu mir meinte er, wenn er ihnen von vornherein den Wein gegeben hätte, wo auf dem Etikett “halbtrocken” steht, hätten sie ihn nicht genommen. Er sagt, “die Leute wollen trocken, weil das mehr nach Weinkenner klingt, aber ihr Geschmack ist trotzdem fruchtig-süß.”
Ich meine, ich kenne den “Winzer”. Er ist auch öfter im Fernsehen zu sehen 😉
Und ja, bestätigt die Theorie. Kann man wahrscheinlich noch eine Weile weiterführen. Sekt, Secco, Cava & Co fallen mir spontan ein. Vermutlich dürfte “Trocken” auf der Beliebtheitsskala vorne liegen (ist ja dann auch die Bestätigung der o.g. Selbsteinschätzung). Dass das erlaubte 17-32 g/l Restzucker sind und es noch 4 definierte trockene Stufen darunter, aber nur 2 süßere darüber …
Stimmt, im Schaumweinbereich muss man gar nicht mit Winzertricks arbeiten. Da ist der Trick quasi schon im Gesetz 😉 .
Booah bist Du hart drauf!
Diese Bereitschaft zur kompromisslosen Selbstgeißelung prädestiniert Dich zum obersten Messweinverkoster des Vatikans!
Donald, call Matze, not Saul.
Und ich habe wieder was gelernt. Danke!
LG Thomas
Messweine im offenen Ausschank, das wäre in der Tat auch mal ein Thema… 😉
Ich glaube nicht, das all diese Wein nur mit unterschiedlichen Reifegrade geerntet werden. Es ist ein offenes Geheimnis, das bei vielen dieser Partien, besonders im Discounter Bereich, mit RTK ( Konzentrierter süsser Trabenmost ) gearbeitet wird. Das billiger , bei diesen Preisen auch nicht anders machbar.
Danke für die gute Übersicht.
Danke für den Hinweis! Ja, die gute alte Süßreserve in modernem Gewand 😉 . Im Grunde muss man davon ausgehen, dass in allen, äh, »preissensiblen« Bereichen mindestens die legalen Möglichkeiten bis zum Rand ausgenutzt werden. Egal ob Lebensmittel oder eben Wein. Wenn ich mich nicht täusche, muss RTK aber laut der neuen Etikettierungsvorschriften als Zutat erscheinen. Könnte also bald kein Geheimnis mehr sein 😉 . Ob sich die Verbraucher darum scheren werden oder nicht, kann ich allerdings nicht einschätzen…
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