Bevor es hier auf dem Blog um festliche Dinge geht, muss ich euch noch einmal mit dem Ernst des Weinlebens konfrontieren. Dass wir uns in Deutschland in einer gut geregelten Gesellschaft befinden, merkt man nicht überall. Bei der »Weinkontrolle« schon. Ohne bestandene Prüfung gibt es nämlich keine Qualitätsweine, auf deren Etiketten dann Franken, Pfalz oder Rheinhessen stehen darf. Da das für das Selbstverständnis des deutschen Weinbaus keine so ganz triviale Sache ist, wollte ich mir unbedingt einmal anschauen, wie es bei der »Weinkontrolle« abläuft.
Die Weinkontrolle nach der Weinverordnung
»Weinkontrolle« ist ein Ausdruck, der in den weinrechtlichen Bestimmungen nicht genannt wird. Vielmehr geht es hier darum, dass ein Wein, will er als Qualitätswein seine genauere Herkunft auf dem Etikett tragen, eine zweistufige Prüfung durchlaufen muss. Die erste Stufe ist die analytische Prüfung, die zweite die sensorische.
Um den Ablauf und ehrlich gesagt auch den Inhalt zu verstehen, muss man sich vergegenwärtigen, dass diese Prüfung nicht darüber befindet, ob ein Großes Gewächs seinen Namen zu Recht trägt. Die Weinkontrolle beruht nämlich auf Ideen des Gesundheitsschutzes und des Verbraucherschutzes. Die Prüfung soll verhindern, dass Getränke auf den Markt kommen, die (zu viele) gesundheitsschädliche Stoffe enthalten (lassen wir dieses bestimmte Zellgift which must not be named mal kurz außen vor). Und der Verbraucherschutz schlägt der Irreführung die Tür zu. Wer seinen Wein im Supermarkt kauft, soll anschließend in ihm das wiedererkennen können, was auf dem Etikett steht.
Bei der analytischen Prüfung, die in Bayern entweder vom LGL vorgenommen wird oder einem anderen beauftragten Labor, werden folgende Sachen (teils in Unterpunkten) gemessen: Alkohol, Extrakt, Zucker, Schwefel, also SO2. Der Alkohol muss nachher auf dem Etikett korrekt angegeben sein, der Zuckergehalt spielt eine Rolle für die Prädikate, und für SO2 gibt es Höchstgrenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Natürlich könnte man auch aufwändiger prüfen, Pestizidrückstände, Spuren von Behandlungsmitteln, Herkunftsangaben, unzählige Dinge. Aber erstens findet man ja grundsätzlich nur das, wonach man sucht. Und zweitens würden solche Analysen dauern und kosten. Deshalb passiert das zwar, aber nur über Stichproben, während die »kleine« Analyse alle angestellten Weine durchlaufen müssen.
Was passiert bei der Sinnenprüfung?
Nach der analytischen folgt die sensorische Prüfung, weinrechtlich als »Sinnenprüfung« bezeichnet. In Bayern ist dafür die Regierung von Unterfranken zuständig. Bei ihr, mitten in der Würzburger Innenstadt, stehen morgens die Winzerinnen und Winzer Schlange, um ihre Weine einzureichen. Ein ausgefüllter Bogen gehört dazu, auf dem stehen muss, wer die Zulassung beantragt und wie der Wein bezeichnet werden soll, wenn er die Prüfung besteht. Interessant war für mich zu sehen, dass Anreicherung, Süßung oder (Ent-)Säuerung angegeben werden müssen. Dazu gibt es noch ein Feld, in das »besondere An- und Ausbauhinweise« eingetragen werden können. Wie stark jenes in Anspruch genommen wird, weiß ich allerdings nicht.
Anschließend kommen die Weine zur Prüfungskommission. Vollständig wäre so eine Kommission mit sechs Mitgliedern. Drei werden vom Fränkischen Weinbauverband vorgeschlagen (oft Winzer), eines vom Bayerischen Weinhandel (in der Regel jemand aus dem LEH), eines von der Verbrauchervertretung (also »echte« Kund*innen) und eines vom Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit. Dazu gibt es noch eine Person, welche die Aufgaben der Geschäftsführung wahrnimmt – und auch als einziges weiß, welche Weine tatsächlich geprüft werden. Geschäftsführer rekrutieren sich aus dem Kreis der LWG und der Fachberatung des Bezirks, sind also keine Kommissionsmitglieder.
Regelmäßig ein bisschen Ärger verursacht die Punktewertung, die ihr oben sehen könnt, die aber leider als Anlage 9 der Weinverordnung bundesweit gilt. Will ein Wein als Qualitätswein durchgehen, muss er in Geruch, Geschmack und Harmonie jeweils mindestens 1,5 Punkte erhalten. Will er in den Bocksbeutel, muss das arithmetische Mittel dieser drei Rubriken mindestens bei 2 liegen. So weit, so gut. Aber es kann passieren, dass ein Wein, der später in einem der Weinguides mit 82 Punkten bewertet wird, hier 3,5 Punkte erhält, während ein anderes Exemplar, das ausschließlich in den Fachhandel geht und 92 Punkte im Weinguide bekommt, hier mit 1,7 Punkten durchschlittert. Warum kann so etwas sein? Wo liegt also die echte Herausforderung bei der Qualitätsweinprüfung? Das ist doch das, was euch in Wirklichkeit interessiert.
Die Herausforderungen der Qualitätsweinprüfung
Die größte Herausforderung liegt darin, dass der Titel der Prüfung missverständlich ist. Hier wird nämlich nicht die Qualität eines Wein geprüft und bewertet in der Hinsicht, dass dann beispielsweise Luckerts Sylvaner Creutz oder Sebastian Fürsts Hundsrück die meisten Punkte bekommen würden. Nein. Die meisten Punkte und deshalb auch die geringsten Schwierigkeiten bekommt ein Wein, der möglichst weit von möglichen Gefahrenquellen entfernt ist. Ein braver Wein also, schließlich handelt es sich um eine »Konformitätsprüfung«.
Eine der Gefahrenquellen heißt »Klarheit«, was bedeutet, dass ein trüber Wein durchfällt. So sind momentan noch die Regeln, und solange das da so steht, machen die Leute schlicht ihren Job, die einen trüben Wein nicht durchkommen lassen.
Eine ganz offensichtliche Gefahrenquelle sind Weinfehler, und zwar nach der Diktion des Techniker-Lehrbuchs. Schimmel, Essigstich, Böckser, Mäuseln, Geranie, UTA, alles Mögliche. Manche davon müsste man nicht subjektiv sensorisch prüfen lassen, sondern könnte sie einfach analysieren. Flüchtige Säure zum Beispiel. Hat ein Wein den Grenzwert technisch unterschritten, gilt er nicht als flüchtig. Streitpunkt erledigt.
Für und Wider
Bei anderen Punkten wird es hingegen immer unterschiedliche Meinungen geben, ob ein bestimmtes Merkmal innerhalb oder außerhalb der erwünschten Norm liegt. Ist ein Wein »lind« und fällt deshalb durch, oder ist er angenehm vom biologischen Säureabbau geprägt? Darüber darf jede*r Prüfer*in nach bestem Wissen und Gewissen urteilen.
Um jedoch die Fähigkeit zu besitzen, solche Entscheidungen zu treffen, ist es unumgänglich, ein bisschen über den Tellerrand hinauszuschauen. »Weiterbildung« lautet das Stichwort für angehende und bereits diensttuende Prüfer*innen. Und zwar nicht von oben herab, sondern mit dem Angebot der attraktiven Horizonterweiterung. Sprich mit Weinen, die viele Punkte in den professionellen Guides bekommen haben und deshalb dem entsprechen, was gemeinhin als »groß« gilt. Nur wer solche Weine kennt, kann sie später richtig einschätzen. Dabei gibt es keine Pflicht, derartige Weine persönlich zu lieben. Aber Professionalität bedeutet halt, Beethoven als große Kunst anzuerkennen, während man selbst eher auf Punk Rock steht und mit Geigen gar nichts anfangen kann.
Ist die Weinkontrolle noch aktuell?
Sagen wir es ganz klar: In Zeiten, in denen es nicht unüblich war, gesundheitlich bedenkliche Produkte auf den Markt zu bringen, war so etwas wie die Weinkontrolle fast lebenswichtig. Und zwar sowohl der analytische als auch der sensorische Teil.
Wie viele andere administrative Dinge, die aus der Frühzeit der Bundesrepublik Deutschland stammen, ist es allerdings ganz schön, wenn man nach ein paar Jahrzehnten mal systematisch über sich selbst nachdenkt. Sind wir weiter on track? Sind Zweck und Mittel angemessen? Gelten die alten Herausforderungen noch, oder sind neue entstanden, denen wir uns widmen müssten?
Ob die Weinkontrolle einer Region »funktioniert« in dem Sinne, dass sie die richtigen Fragen stellt und die richtigen Antworten gibt, lässt sich interessanterweise relativ gut feststellen. Ein Indiz für das »Nicht so gut-Funktionieren« wäre, wenn es zunehmend Weine gäbe, die zwar in der Region produziert werden, bei denen die Winzer aber auf die Herkunftsbezeichnung verzichten. Als Beispiel für einen solchen Fall wird gern die »Vin de Pays-Revolution« im Languedoc herangezogen. Allerdings ging es dort in erster Linie um die Herstellung rebsortenreiner Weine, die der Weltmarkt haben wollte, die örtlichen Regularien jedoch nicht zuließen. Deshalb ist das etwas völlig anderes, als wenn ein Winzer befürchtet, wegen abweichenden Geschmacks durchzufallen und deshalb nicht anstellt.
Wie viele hochwertige Weine ohne AP-Nummer tatsächlich in eurer Region herumlaufen (oder gar erfolgreich in den Export gehen), weiß ich nicht. Ich weiß jedoch etwas anderes. Als Geograph bin ich fasziniert von der Vielfalt der Welt und dementsprechend auch von Weinen, die eine dezidierte Herkunft besitzen. Wein steht wie fast nichts anderes für diesen sense of place, denn Wein besteht aus dem Saft der Trauben, die an einem ganz bestimmten Ort gewachsen sind. Also sollte möglichst nur der einfachste Wein diesen sense of place negieren, indem er außerhalb regionaler Systeme läuft.
Was wäre meine Vision?
Wäre ich für die Weinkontrolle verantwortlich, hätte ich drei Ziele. Innerhalb der geltenden gesetzlichen Regelungen selbstverständlich, denn jene könnte ich in dieser Position ohnehin nicht ändern. Eines wäre der gesundheitliche Verbraucherschutz. Den erfüllt die jetzige Weinkontrolle bereits im Prinzip. Hätte man Bedenken wegen eventueller Rückstände, könnte man auch noch intensiver testen lassen. Technisch letztlich kein Problem, nur müsste es finanziell und organisatorisch stärker unterstützt werden.
Mein zweites Ziel wäre eher indirekt und bestünde im Servicegedanken, die Region zu stärken. Ich würde mich also darüber freuen, wenn die Weinkontrolle so gut angenommen wird, dass idealerweise sämtliche Weine, die in der Region produziert werden, meine AP-Nummer haben möchten. Das wäre nämlich der Beweis dafür, dass wir alle am selben Strang ziehen. Und nur wenn ich alle Weine einer Region probiere, weiß ich auch, wie jene tickt, was sie ausmacht, was sich verändert.
Am liebsten hätte ich sogar, dass alle angestellten Weine die AP-Nummer auch bekommen, weil sie schlicht gut sind. Objektiv gesehen kann ich das nicht beeinflussen. Ich kann allerdings die Rahmenbedingungen so setzen, dass die Akzeptanz der Entscheidung möglichst hoch ist. Das erreiche ich am ehesten (wie bereits weiter vorn erwähnt) durch mein Ziel Nummer Drei: umfassend geschulte Prüfer*innen, die die aktuellen Diskussionen kennen und beim Testen untereinander auch wirklich diskutieren. Momentan gibt es zweimal im Jahr Schulungen.
So etwas überzeugt vor allem in Zeiten, in denen Transparenz und Nachvollziehbarkeit für die Kundenseite immer wichtiger werden. Deshalb würde ich auch nicht ganz auf die sensorische Prüfung verzichten, weil es sich um eine vertrauensbildende Maßnahme handelt.
Sollten dann letztlich selbst die Winzer der Meinung sein, dass die Weinkontrolle als Instrument der Selbstreflexion etwas Positives ist, dann, tja, dann kann ich eigentlich glücklich in Pension gehen. Zu weit geträumt? Vielleicht. Aber möglicherweise sind wir auch weniger weit von diesen Zielen entfernt, als wir es manchmal denken…
Lieber Matze,
ich kann dir hier nur beipflichten. Wie du weißt, stelle ich meine Weine nicht zur Qualitätsweinprüfung an. Nach meiner Winzerausbildung habe ich auch das Sensorik-Zertifikat des Bezirks Unterfranken gemacht und bestanden und hätte deshalb auch als Prüfer “arbeiten” dürfen. Was jedoch nicht in Betracht kam. Wie du richtig festgestellt hast, wäre eine “Öffnung” für nicht so ganz Mainstream-Weine dringend nötig. Die sehe ich aktuell aber nicht. Weder bei uns in Franken noch in anderen Weinbaugebieten. Nicht umsonst gibt es inzwischen in Baden sogar eine Verbund der “Landwein”-Winzer.
Gefällige Weine sind zwar sicher die meistverkauften, aber halt nicht alle und Weine , die ich gerne trinke haben halt auch mal ihre Ecken und Kanten oder sind nicht ganz klar. Ich finde es inzwischen fast eine Ehre nicht geprüft zu werden. Aber das kann und muss jeder für sich selbst entscheiden. Mann/Frau darf das ja.
Vielen Dank für den offen Artikel.
Hartmut Scheuring
Danke für deinen Kommentar direkt aus dem Weinberg 😉 !
Tatsächlich bin ich in der Landwein-Frage auch zwiegespalten. Einerseits ist es eine Möglichkeit, freier zu agieren und trotzdem eine (Art) Region auf dem Etikett zu haben. Andererseits widerspricht ja so ein Ausweichen der Philosophie, dass idealerweise die besten/ausdrucksstärksten Weine einer Region auch genau jene (plus möglichst sogar die Lage) sichtbar zeigen.
Ich persönlich fände eine geschmackliche Öffnung besser als zwei »konkurrierende« Bezeichnungen. Zumal dann, wenn letztlich die Landweine eine Restekategorie darstellen, in der die großartigen, aber bockigen Abweichler drin sind, die trüben Natural Wines, aber auch Sachen, die zu schlecht sind für Qualitätswein. Denn wenn du eine »offene Kategorie« kreierst, solltest du die ja auch leben und nicht das ausschließen, was dir nicht passt. Sonst wäre das wieder eine Konformitätsprüfung, nur auf alternative Art.
Ich weiß nicht, ob ich da zu idealistisch bin, aber in manchen VDP-Bereichen passiert die geschmackliche Öffnung ja schon zart. Deshalb glaube ich, das wird auch den »normalen« Qualitätsweinbereich erfassen, nur halt mit einigen Jahren Verspätung.
Hallo Matthias,
in der fränkischen Weinprüfung hat sich in letzten Jahren schon einiges verändert. Ich war dort von Verbraucherseite 29 Jahre als Prüfer tätig und bin vor knapp 2 Jahren dort altersbedingt verabschiedet worden. In den letzten Jahre wurden zumindest in meiner jeweiligen Prüfungskommission auch Weine abseits des Mainstreams teilweise durchgewunken. Ich denke da zuletzt an reduktive Weine, die vor einigen Jahren noch als fehlerhaft zurückgewiesen worden wären. Heute ist das eben die “Edelreduktion” und wird von vielen Weingütern als Stilmittel bewusst eingesetzt. Insofern gibt es hier auch ein -wenn auch langsames – Umdenken. Es war meines Wissens auch im Gespräch, für die “Naturweine” eine eigene Kathegorie einzuführen, ähnlich wie in Österreich. Es dauert halt seine Zeit. Ein Problem nach wie vor ist natürlich die gesetzlich vorgeschriebene Klarheit des Weins. Ich habe das als Prüfer immer sehr weit ausgelegt, so dass ich auch nicht ganz so klare Weine durchgewunken habe, solange sie ansonsten fehlerfrei waren. Die meisten Kollegen haben das durchaus sehr pragmatisch gesehen. Wenn der Wein aber deutlich trüb ist, hat man keinerlei Beurteilungsspielraum mehr. Aber das wissen die Winzer, die solche Weine vinifizieren, ohnehin und stellen sie auch gar nicht erst zur Prüfung an.
Hallo Bodo, danke für deinen Kommentar, hinter dem natürlich jede Menge Erfahrung steckt.
Ich glaube gern, dass sich in den vergangenen Jahren, gar Jahrzehnten, bei der fränkischen Weinprüfung viel getan hat. Allerdings darf man nicht vergessen, dass sich bei den Herstellern, in der Weinwelt allgemein, auch sehr viel getan hat 😉 .
Ich war selbst dabei, als einem Wein eines bekannten Naturweinwinzers (wusste selbstverständlich niemand, was das war) attestiert wurde, dass er als Qualitätswein durchgehen kann. Einer der Prüfer sagte: “Würde ich zwar persönlich nicht kaufen, aber eher aus stilistischen Gründen. Fehler sehe ich da keine.” Und so sollte es laufen. Ähnlich mit der von dir beschriebenen Reduktion.
Aber bislang (ich glaube, das kann man bundesweit sagen) scheint es so zu sein, dass du als Winzer Glück haben musst, dass a) jemand in der Kommission sitzt, der solche Weine kennt und Qualität und Entwicklung einschätzen kann. Das ist leider nicht in allen Kommissionen der Fall. b) muss diese Person auch “Ansehen” genug haben, um mit dieser Einschätzung die anderen Kommissionsmitglieder zu überzeugen. Und c) muss es überhaupt zu einer Diskussion kommen. Du weißt ja selbst, wie schnell da manchmal die Urteile gefällt werden, nach 30 Sekunden ist der Wein durch, rattel rattel, nächster bitte.
Soll heißen (unter der Voraussetzung, dass die Qualitätsweinprüfung im Prinzip so bleiben soll): Eigentlich müsstest du jeden Wein, der von einer Kommission abgelehnt wird, automatisch in eine zweite Stufe geben (also ohne weiteren Antrag etc.). In dieser zweiten Kommission, die sich ja aktuell mit lediglich 2% der angestellten Weine beschäftigen müsste, dürften ausschließlich solche Leute wie du sitzen, also persönlich qualifiziert, nicht qua Zugehörigkeit. Und die fällen dann das endgültige Urteil. Sozusagen wie der rechtliche Instanzenweg. Ich glaube nicht, dass das den Aufwand stark erhöht, aber es erhöht vielleicht die Glaubwürdigkeit. Logischerweise dürfen Kritiker auch sagen, dass man dann die gesamte Sinnenprüfung sein lassen könnte wegen zu viel Einmischung, zu viel Aufwand für zu wenig Wirkung. Aber das ist ja eher eine Frage der politischen Ebene…
…ich will das hier mal ein bißchen aus der leicht nerdigen Endverbrauchersicht beschreiben. Was will ich? Wein trinken, der mir Freude macht! Und in dem nach Möglichkeit nicht mehr drin und und dran ist als Traubensaft (Etikettenzitat: “Made from Grapes”), ok, klein bissi S tut den meisten Weinen dann doch ganz gut, auch vielen Naturingern. Zur Freude gehört dabei auch, daß ich nicht nur den Inhalt der Flasche für mich analysiere, sondern auch ein bißchen was über Herkunft und Herstellung weiß. Idealerweise steht dazu was auf dem Etikett, gerne hole ich mir auch Infos von der Heimseite eines Winzers -sofern vorhanden- oder von Dritten, am liebsten natürlich vom Winzer selbst, was ich jedoch nur bei einer Minderheit der Weine schaffe. Nun trinke ich recht viel verschiedenes Zeuch, ich kann mich sowohl über toll gemachte “Klassiker” freuen als auch genauso über mindestens ebenso tolle Weine “neben der Spur”. Letztere sind eine Entwicklung im Weinbau, die den extrem statischen Regeln der “Weinkontrolle” mittlerweile weit davongelaufen sind. Man kann das nicht nur im Weinbau beobachten, daß die administrative Seite dem wahren Leben hinterherhinkt bzw. diese Entfernung oft genug gar nicht wahrnimmt oder gar aktiv verleugnet. Franz Weninger hat diese aus meiner Sicht besorgniserregende Entwicklung anhand der zunehmenden Abweisungen bei seinen Weinen mal als “gestohlene Heimat” bezeichnet; z.B. ein “Dürrau”, der nicht mehr so heißen darf, weil er nicht mehr mainstreamig genug ist. Ist das die traurige Zukunft meiner Weinwelt? Der Keller voller super Weinchen, bei denen man die Herkunft -wenn überhaupt- nur noch durch eigene Detektivarbeit in Erfahrung bringen kann?
Was ist die Konsequenz daraus? Zumindest für mich?
Immer mehr für mich höchst erfreuliche Weine -viele davon früher Qw’s- stehen auf der heimatlosen Seite des Weinbaus, weil sie es wagen, aus der vermeintlichen Traditionalität auszubrechen, Spannung in die größtenteils eingefahrene Weinwelt zu bringen. Übrigens gefühlt in Österreich mehr als bei uns in D. Das führt dazu, daß ich mir mittlerweile häufig denke: “Ahhh, ein Landwein! Bestimmt spannend!” oder “Hmmm, nur ein Qw? Vielleicht eher die Kategorie Einer-wie-der-Andere?”
Die Weinkontrolle hat aus meiner Sicht den eigentlichen Zweck des Verbraucherschutzes im Laufe der Zeit leider auch um Aspekte des Geschmacksdiktats bereichert. Warum ist trüber Wein im Sinne dieses Verbraucherschutzes -heute- per se schlecht? Warum müssen alle Weine einer Region oder auch einer Lage typisch sein? Was ist überhaupt typisch? Was die Mehrheit -also die Massenweinproduktion- vormacht? Und alles andere ist dann der Prüfung unwürdig? Warum darf man nur bei einem Mindestmaß an Mainstreamigkeit die Wahrheit sagen und aufs Etikett schreiben, woher ein Wein kommt?
Diese immense Gängelung und Bevormundung “nach Gutsherrenart” -repräsentiert durch hunderte von Seiten kaum mehr durchschaubarer Gesetze, Verordnungen, Richtlinien etc.- geht mir mehr und mehr auf den Senkel, auch im Weinbau sollte die freie Marktwirtschaft wieder zu ihrem Recht kommen und der Gesetzgeber sich auf die Schadensabwehr zurückziehen.
Dann wäre ich auch wieder im Reinen mit der Weinkontrolle aka Qw-Prüfung, aktuell hat diese für mich keinerlei -positive- Aussagekraft mehr…
Danke für deinen ausgewogenen Kommentar! Ja, in Österreich sieht das für mich aus der Außenperspektive auch noch einmal relevanter aus als in Deutschland. Da fallen mir spontan sehr viele international bekannte Weingüter ein, die außerhalb der Qualitätswein-Norm laufen (müssen). Tatsächlich also, wie ich geschrieben habe, ein Warnzeichen dafür, dass irgendwas in dem System nicht ideal läuft.
Wahrscheinlich ist die Herausforderung insgesamt die, dass man sich unterschwellig immer am französischen (oder insgesamt romanischen) AOC-System orientiert hat, ohne es wirklich zu kopieren, aber auch ohne die bereits dort auftretenden Schwierigkeiten zu thematisieren. Der AOC-Grundsatz lautet ja eigentlich: ein (oder mehrere) historisch begründete und eng definierte Weintypen mit festgelegten Rebsorten und einem festgelegten Geschmacksbild. Also noch viel enger als bei uns. Ein Teil des Streits bei uns beruht aber meiner Meinung nach genau darauf, dass man eben NICHT diese Geschmacksbilder festgelegt hat, egal ob analytisch oder sensorisch. Steht zwar auf dem Papier, aber erstens vage, und zweitens kümmert es eh keinen. Also man tut eng und lässt in der Praxis dann doch alles zu, was mainstreamig genug ist. So schafft man natürlich keinen Herkunftscharakter, selbst wenn man genau das eigentlich vorhatte.
Ich glaube also, dass es auf beide Weisen ginge: Einmal so wie von dir beschrieben und bevorzugt, dass man sich von der Maßgabe löst, die Weine einer bestimmten Region oder Lage hätten irgendeine Typizität aufzuweisen. Wenn sie gesundheitlich unbedenklich sind (wie gesagt ohne den Alkohol selbst, das ist ja ein eigenes Thema), dürfen sie Region und Lage auf dem Etikett führen. Schließlich stammen sie von da, und das allein zählt.
Die andere Möglichkeit wäre, Region oder kleinere Einheit WIRKLICH typmäßig zu definieren und dann z.B. in Franken für Lagenweine nur noch drei oder vier Rebsorten zuzulassen, Hektarertrag beschränken, unter 4 g RZ, Süßen und Ent/Säuern verboten, was weiß ich. Das wäre natürlich eine extreme “Gängelung”, aber so ist es im Burgund ja auch. Kein Pinot Noir bei den Roten, also kein Burgunder (grob gesagt). Dein Modell wäre eher Australien, wir lassen stilistisch alles zu, und der Markt entscheidet dann, ob er eine Herkunft erkennt oder sich eher am Weingutsnamen orientiert. Fände ich beides in sich stringent.
Hallo Matthias,
die Qualitätsweinprüfung dient einzig und allein dem Verbraucherschutz und soll keine Differenzierung von Qualitäten nach aussen vermitteln. Wir haben die Weine im Gegensatz zu manch anderen Prüfstellen bepunktet, was lediglich als Rückmeldung für den anstellenden Winzer gedacht ist. Kein Verbraucher interessiert sich dafür, wieviel Punkte der jeweilige Wein in der Quali-Prüfung erreicht hat. Es geht bei dieser Prüfung ausschließlich darum, Weine auszusondern, die man nicht auf den Verbraucher loslassen darf. Weine, die flüchtige Säure, Faulböckser, UTA, Mufftöne oder andere unangenehmen Noten aufweisen, werden weder vom Durchschnittskonsumenten (mind. 95% aller Weintrinker) noch von den Freaks und Nerds akzeptiert. Natürtrübe Weine werden vom Gelegenheitsweintrinker argwöhnisch betrachtet und werden ohne entsprechende Beratung mit Sicherheit nicht gekauft. Daher werden solche Weine auch nicht bei Discountern oder im LEH vermarktet, zumal diese Weine für den Durchschnittskonsumenten zu teuer sind.
Es geht somit bei der Quali nicht um eine Qualitätsdifferenzierung, sondern lediglich um Fehlerfreiheit und Schutz des Verbrauchers. Ein sicherlich seltenes Beispiel aus meiner Prüfertätigkeit: wir hatten in einer Prüfung mehrere Weine eines Winzers, die durch eine extreme Bittermandelnote auffielen. Tatsächlich handelte es sich um stark gesundheitsschädliche Rückstände aus einer wohl nicht fachgerecht durchgeführten Blauschönung. Dem Analyse-Labor ist das offensichtlich nicht aufgefallen. Das zum Thema Verbraucherschutz. Wenn alle Weine tatsächlich einigermaßen fehlerfrei und nicht gesundheitsgefährdend wären -die Alkoholdiskussion mal ausgenommen-, würde man keine Quali-Prüfung mehr benötigen.
Danke für die Präzisierung! Vielleicht sollte man dann auch auf die (internen) Punkte verzichten, wenn sie mehr Ärger machen als nützen 😉
Vielen Dank für die ausführliche Antwort, wobei: Ausgewogenheit war eigentlich gar nicht meine Absicht…
Wahrscheinlich ist es in D wohl wirklich so wie Du schreibst, daß der Prüfsegen eines Lagen-Qw eher „nicht komplett untypisch“ denn „typisch“ bedeutet, die Streuung also deutlich größer gelebt wird als eigentlich beabsichtigt; allerdings sieht die deutsche Qw-Prüfung meines Wissens nach vor, daß die Typizität nur in Bezug auf Rebsorte, Region und ggf. das Prädikat im top-oder-flop-Verfahren geprüft wird und nicht auf die Eigenschaften engerer Herkünfte hin (…korrigiert mich bitte, wenn ich da falsch liege!). Nur: konsequent angewendet müßte das z.B. für den Sister.Act-Riesling von Wirsching eigentlich regelmäßig das Qw-Aus bedeuten, denn das ist m.E. incl. der blaugrünen Flasche geschmacklich mehr von der Saar denn aus Franken. Aber da wird’s dann halt schon wieder sehr schwammig in den Auslegungen…
Umso mehr schüttle ich dann bei den Ablehnungen aus Typizitätsgründen den Kopf, wenn der Ermessensspielraum aufgrund sehr weicher Kriterien anscheinend riesengroß ist, was dann zu einer gewissen „Gutsherrenart“ führen kann (oder real führt?). Hinsichtlich der Trübung sind zumindest die Kriterien recht klar definiert, dennoch frage ich mich, ob dieses heutzutage überhaupt noch zeitgemäß ist und nicht einfach gestrichen werden sollte.
Wenn’s dann on top noch um eine weitergehende Typizitäts-Reglementierung ginge, wäre ich tatsächlich gar kein Fan davon, sofern sie unbedingte Voraussetzung für die Nennung der engeren Herkunft wäre, incl. einer Beschränkung auf bestimmte Rebsorten. Diese sind ja auch einem Wandlungsdruck unterlegen, sei es durch verändertes Verbraucherverhalten, welches z.B. mehr und mehr Chardonnay und Sauvignon blanc fordert, als auch durch die Einflüsse des Klimawandels, welcher so manche Rebsorte mittel- bis langfristig nach Norden und / oder in die Höhe treibt; die nächsten Reglementierungs-Baustellen wären also vorprogrammiert. In unserer viel schnellebigeren Zeit muß der Winzer m.E. auch handlungsfähig bleiben und darf nicht in die Situation geraten, daß er dann auf einmal die Herkunft nur noch bei Weinen nennen darf, die er eigentlich nicht mehr verkaufen geschweige denn herstellen kann. Ein Bronner-GG aus dem Morstein? Heute sicher undenkbar, aber in 50 Jahren? (Ok, VDP ist nochmal ein anderes Thema…)
Eine solche Reglementierung bis hin zur Sorte wäre aber aus meiner Sicht dennoch nicht per se was Schlechtes, nur sollte man sie nicht an eine engere Herkunft knüpfen, sondern besser an eine Marke, also analog zu „Escherndorfer Lump“ vs. „Escherndorf am Lumpen 1655“, auch wenn das Beispiel nicht ganz das Gleiche betrifft, aber ich hoffe, meine Intention wird dadurch klarer.
Eine solche Typizität der engeren Herkünfte ist ja auch für mich durchaus spannend, vor allem, wenn man sie direkt vergleichen kann (wie z.B. mit der Tesch-Lagenbox mit weitgehend gleich vinifizierten Weinen, die sich dann hauptsächlich durch ihre Herkunft bzw. Lage unterscheiden). Auch wenn ich mich manchmal frage, wieviel dieser vermeintlichen Typizität tatsächlich dem jeweiligen „Terroir“ zuzuordnen ist und wieviel womöglich dem Umstand geschuldet ist, daß die örtlichen Winzer seit Urzeiten kollektiv -bewußt oder unbewußt- einem imaginären Geschmack hinterherlaufen, also selbst elementarer Bestandteil dieses Terroirgedankens sind.
Zumindest in mancher Lage kann ich anhand von verschiedenen „Klassikern“ durchaus auch eine gewisse stilistische Linie wiederfinden; wenn man diese in einer Marke -wie oben angeführt- definiert, würde man doch diejenigen, die gerne Goldtröpfchen, Ungeheuer oder Lump in der ihnen bekannten Form im Glas haben, am meisten befriedigen, denn dann wird deren Geschmackserwartung auch bevorzugt bedient.
Umso spannender ist es dabei für mich, anhand der Weine „neben der Spur“ die Möglichkeit zu haben, relativ zu den typischen Sachen zu sehen, was abseits der Hauptausrichtung dann on top noch möglich ist, ob trotz innovativer Vinifizierung noch Gemeinsamkeiten erkennbar sind oder ob es tatsächlich ein reiner „Winzerwein“ ist. Dabei wäre -auch und gerade bei Weinen, die sich aktuell im Landweinbereich tummeln- die Möglichkeit der Nennung der engeren Herkunft -sei es nun Ort oder Lage- äußerst hilfreich.
Wenn das „Qw“ also auf den reinen, WIRKLICHEN Verbraucherschutz beschränkt wäre und das Trübungsmerkmal kassiert würde und man die engere Typizität exclusiv den o.a. Marken überließe, wäre für mich eigentlich alles im Reinen.
Nur: ich weiß nicht, wieviele Regelwerke -EU und souverän- da angegriffen werden müßten und wieviele Bedenkenträger da mitmischen würden. Realistischerweise würde ich also eine mögliche, diesbezügliche Änderung nicht mehr erleben…
Deshalb ist’s für mich in der Praxis auch nicht wirklich tragisch, wenn sich der prozentuale Anteil von “Landweinen” und “Weinen” in meinem Keller weiter deutlich erhöht (übrigens auch aus Franken, z.B. Ludwig Knolls Scheurebe „Vinz“ aus dem Stettener Stein ist mittlerweile auch ein Landwein, 2019 noch ein Qw), entscheidend ist, was letztlich ins Glas kommt. Auch wenn man in vielen Fällen die Herkunft dann doch rausbekommt, entweder durch verklausulierte Etikettierungen, die die entscheidenden Tipps geben oder entsprechende Netzrecherche oder auch durch Nachfragen beim Weingut, ärgerlich ist die aktuelle Situation für mich halt trotzdem.
Danke für die informativen Beiträge!
Wieder was gelernt 😉
Herzliche Grüße
Thomas