Dass Müller-Thurgau keine Rebsorte ist, mit denen sich großer Staat machen lässt, brauche ich wohl niemandem zu erklären. Auf die Welt gebracht im Jahr 1882 als Kreuzung zwischen Riesling und Madeleine Royale, ging es vermutlich auch Züchter Hermann Müller nicht darum, den Burgund-Grand Crus Paroli zu bieten. Welche Erträge dann allerdings in der Periode nach der landwirtschaftlichen Revolution dank Kunstdünger und Pestiziden herausgeholt wurden, hätte selbst den guten Hermann erschreckt. Allenfalls okayer Alltagswein, aber wirklich allenfalls, so lautet der Urteil der Kennerwelt über den Müller. Zeit also für eine kleine Ehrenrettung dieses Brot-und-Butter-Beschaffers für viele kleinere Weingüter. Ich habe ausgiebig nach erfreulichen Versionen gesucht – und hier sind sie nun!
Die große Müller-Schau
Kaum rufe ich etwas Verallgemeinerndes in den Raum, muss ich auch schon wieder relativieren. Richtig schräge Müller à la schwefelfrei und naturtrüb wollte ich an dieser Stelle nicht haben. Die können dann wie gewohnt im »Natürlichen Dienstag« kommen. Wer kürzlich gefeatured wurde wie Tiefenbrunner, Meersburg, Stahl oder Krämer (oder gar noch kommt wie ein weiterer Bodensee-Vertreter), durfte auch nicht mit dabei sein. Dennoch ist dies eine komplett subjektive, freie und ungesponserte Auswahl geworden.
Wer das eine oder andere Weingut vermisst, mag dies gern in den Kommentaren zum Ausdruck bringen. Weil die meisten Weingüter in der Regel ihre Müller nicht großartig bewerben (oder bei den Guides anstellen), ist man da immer ein bisschen auf die Mithilfe der Community angewiesen.
Ach, und gleich noch zu den Preisen: Müller-Thurgau ist ja nie besonders teuer. Die Versionen vom Weingut Ottenbreit und der Kellerei Kurtatsch kosten ab Hof gut 13 €, alle anderen liegen zwischen 8 und 10 €. Auf also zur Müller-Rettung!
Ilmbacher Hof/Franken – Edition 109
Der Ilmbacher Hof direkt an der Stadtmauer von Iphofen ist ein besonderes Weingut. Zum einen hat Thomas Fröhlich erst im Alter von 30 Jahren beschlossen, den Wein zu seinem Leben zu machen. Von seinen anderen Aktivitäten ahnt man bei einem Besuch vor Ort: Vinyl-Schallplatten, DJ-Set, Plattenspieler bereits auf dem Etikett des Weins. Dazu großzügige Räumlichkeiten für Besenwirtschaft und Events. Zum anderen ist Thomas ein absoluter Müller-Freak. Mit den im Holz ausgebauten Alten Reben aus dem Kronsberg heimst er regelmäßig Preise ein.
Dies hier ist nun der nominell kleinere Wein, die »Edition 109«. 109 deshalb, weil er zur 100-Jahr-Feier des Müllers in Franken die Edition 100 herausbrachte. Der 2021er ist dementsprechend die zehnte Ausgabe. Sind die Alten Reben für eine gewisse Lagerung gedacht, wurde die Edition 109 aus Iphöfer Lagen auf frühere Trinkbarkeit hin vinifiziert. Und das funktioniert. Superfrisch schon in der Nase, am Gaumen dann mit dieser präsenten Säure des Jahrgangs 2021. Ich schmecke Zitrone, weiße Johannisbeere und Limette, alles geht auf die Frucht. Am Ende ist da nicht die Länge der anderen Weine, aber das ist ein ungemein animierender Müller – der ideale Sommerwein!
Ottenbreit/Franken – Long live Müller-Thurgau!
Christian Ottenbreits Idee ist es (auf dem Foto seht ihr links noch seinen Weinbergs-Nachbarn Max von Dungern), in der südlichsten Mainschleife bei Marktbreit richtig hochwertige Weine zu machen. Den Orts-Silvaner war letztes Jahr bereits einer meiner top picks, und jetzt gibt es hier den Müller mit einem Etikett, das eigentlich schon alles sagt. Spontanvergoren im gebrauchten Barrique mit 30% Maischeanteil, danach langes Hefelager, Bâtonnage – Müller auf die burgundische Art.
Die Andersartigkeit der Behandlung merkt man bereits in der Farbe. Dies ist nämlich der farbstärkste Wein der Runde. In der Nase kommt der Langlebende zunächst recht dezent daher, ein laktischer Touch, etwas Holz, ein bisschen Honigwürze, null Primärfrucht. Im Vergleich zu der frischen Version von Thomas Fröhlich hat Christian Ottenbreit seinem Wein deutlich mehr Dichte mitgegeben. Ich schmecke reife Zitrone, kandierten Rhabarber und etwas leicht Sahniges, aber trotzdem steht die Säure gut da. Der Wein strahlt einen gewissen Anspruch aus, ohne dabei im Geringsten schwierig zu sein. Eine ganz andere und ehrlich gesagt leider sehr seltene Müller-Welt.
Zang/Franken – Spannung
Bei Rainer, Christa und Maximilian Zang ist die technisch getrimmte Primärfrucht auch nicht zu Hause. Ich hatte ihren Silvaner Langgraben als allerersten Wein in meinem »Natürlichen Dienstag« gefatured und dachte mir nun, es wird an der Zeit, auch mal ihren Müller zu probieren. Von jener Rebsorte bereiten die Zangs in Nordheim – ihr seht auf dem Foto im Vordergrund das Nordheimer Vögelein und im Hintergrund Escherndorf – gleich drei Stück. Groteskerweise ist das Ökoweingut Zang mit seinen 10 ha nach den Kurtatscher Genossen der größte Erzeuger in meiner Müller-Auswahl. Ehrlich gesagt hatte ich überhaupt nicht gezielt nach Nischenweinen von kleinen Gütern gesucht. Andererseits stört es mich natürlich nicht, dass sich meine Siegerweine so familiär präsentieren.
Wenn ein Wein »Spannung« heißt, erwarte ich eigentlich etwas Mineralisches, Säurepikantes. Stattdessen kommt ein völlig unexplosiver Vertreter ins Glas. In der Nase ist er ein bisschen wild, rauchig, gärig, Apfelschale, leichte Naturwein-Avancen. Der helle Apfelschalenton bleibt auch im Mund zunächst bestimmend, dazu gibt es fein florale Noten. Das wahrhaft Spannende an diesem Wein ist aber, wie er sich entwickelt, wie er sich hält. Mit längerer Standzeit im Glas oder auch aus der seit zwei Tagen geöffneten Flasche kommt da immer mehr Charakter, Nachhaltigkeit. Wie leicht kann man diesen Wein unterschätzen! Zum Schluss ist es vielleicht sogar mein Favorit – wenngleich immer noch ein Stück vom Mainstream entfernt.
Schäffer/Franken – Escherndorf
Das Weingut Schäffer, in dem mittlerweile Peter und seine Schwester Sophie immer mehr die Verantwortung übernommen haben, ist für Weinfreaks durchaus keine unbekannte Adresse. Vor allem die Neigung der Schäffers, ihre besten Weine manchmal erst nach langen Jahren auf den Markt zu bringen, ist vom aufgeregten Markt meilenweit entfernt. Die Lagen können sich ebenfalls sehen lassen. Der Orts-Müller stammt aus dem Escherndorfer Fürstenberg und wurde, wie im Weingut üblich, nach einer gewissen Maischestandzeit spontanvergoren und etwas später als woanders auf den Markt gebracht. Der 2019er ist der aktuelle Jahrgang.
Verblüffend, denke ich mir gleich beim ersten Schnupperer, schon wieder eine andere Nuance! Der Schäffer-Müller hat nämlich überhaupt nichts Apfelschaliges wie der Zang, sondern bietet eine überraschend reife, dichte, fast tropische Frucht. Auch am Gaumen bleiben solche Früchte wie Mango, Orange und Aprikose bestimmend, die logischerweise aus dem Rebgut stammen und nicht etwa aus dem Aromahefenlabor. Sowas kann Müller also auch. Cremig, einladend und ausgewogen kommt der Schäffer-Wein daher, direkt lecker. Man spürt die Wärme des Jahrgangs, aber dennoch lappt bei 12,5 vol% nichts über den Rand. Lustigerweise sind wir aromatisch hier nicht weit entfernt von einem Pfälzer Riesling…
Kurtatsch/Südtirol – Graun
Müller-Thurgau ist kein Exot in Südtirol, weil er im südalpinen Klima einen festen Platz gefunden hat: ganz weit oben am Berg. Schon Christof Tiefenbrunner mit seinem Feldmarschall von Fenner sagte, dass Müller unterhalb von 750 Metern Höhe keinen Sinn machen würde. Und so sind die Kurtatscher Genossen nach Graun gegangen, gelegen auf einer fast 900 Meter hoch gelegenen Terrasse mit extremen Tag-Nacht-Unterschieden in der Temperatur, aber intensiver Sonneneinstrahlung. Was ihr auf dem Foto oben nicht sehen könnt, ist die spektakuläre Architektur des Weingutsbaus, den die Kurtatscher wie eine Bergkette halb in den Hang gesetzt haben. Allein das wäre einen Besuch wert.
Beim ersten Blindtest denke ich in der Nase an Weine vom Bodensee. Sehr dezent kommt der Graun daher, eher floral und leicht apfelig. Im Mund fällt dann die andere Herkunft durch ihre geringere Säureprononce auf, der Wein wirkt würziger, ruhiger. Interessanterweise stimmt das analytisch überhaupt nicht, denn mit 6,2 g Säure pro Liter ist der Graun müllerverglichen gar nicht flach ausgestattet. Gelber Apfel bestimmt den Gaumen, alles bleibt dezent, tief, ein vollkommen als Speisenbegleiter ausgerichteter Wein. Zu kalt sollte man ihn übrigens nicht trinken. Was die »Edition 109« vom Ilmbacher Hof braucht, um das Animierende richtig auf die Spitze zu treiben, würde hier zu viel von der Eleganz verschlucken.
von der Tann/Franken – OMG
Zum guten Schluss bin ich bei einem weiteren Müller-Spezialisten zu Gast. Steffen von der Tann und Maggie Schauner führen ein kleines Weingut außerhalb von Iphofen. Direkt hinter dem Hof beginnen die Weinberge, was Steffen gleichzeitig großartig und zweifelhaft findet. Einerseits ist man sofort vor Ort und hört die Reben praktisch wachsen, andererseits hat man selten das Gefühl, dass die Arbeit wirklich zu Ende ist. Ich hatte die Weine der beiden im letzten Jahr für den Falstaff-Guide getestet und war wirklich sehr angetan. Von ihren verschiedenen Müller-Ausgaben hatte ich diesmal den OMG mit in den Test genommen. Selbstverständlich steht diese Abkürzung für offene Maischgärung, ersichtlich auch auf dem Etikett.
Für den OMG stehen gerade einmal zehn Rebzeilen im Iphöfer Kronsberg zur Verfügung. Wie die ganzen Lagen des 2,5 ha kleinen Weinguts liegen jene ganz hinten im Tal. Der Weine wurde zwar auf der Maische vergoren, vor der Füllung aber ganz bewusst filtriert und geschwefelt, »um Leuten den Einstieg in das Thema Orange zu erleichtern«, wie Steffen sagt. Farblich ist da auch gar kein Orange zu sehen, aber in der Nase spürt man sie schon, die Traubenschale – wie im Winter bei Manfred Rothe. Im Mund ist der OMG tatsächlich zweiphasig: Erst schmecke ich einen angenehm lebendigen Weißwein, und dann kommt hinten so etwas wie Zimtwürze und Apfelschale. Diese ganz leicht bittere Phenolik bringt einen besonderen Twist in die Sache und lässt den OMG (gerade eben ausprobiert) selbst zur mediterranen Fischsuppe brillieren.
Mein Fazit: Müller gerettet?
Ja, doch, ehrlich gesagt schon. Kein einziger der sechs Siegerweine hier ist langweilig, süßlich, überparfümiert oder dünne Hochertragssuppe. Das hatte ich so nicht erwartet, und die Qualität vor allem als Gastrowein hat mich total überzeugt.
Andererseits: Wie schmeckt jetzt eigentlich ein guter Müller? Also unabhängig von der Ausbauart, denn dass sich Barrique oder Maischegärung irgendwie auswirken, und zwar bei allen Rebsorten, das versteht sich ja von selbst. Das Lehrbuch sagt, am häufigsten seien Noten nach Apfel, Zitronenschale, Holunder und Kümmel. Der Schäffer-Müller hatte aber nichts davon und war dennoch 100% true to himself.
Was die sechs Exemplare hingegen eint, ist ihre (relative) Leichtigkeit. Alle Weine sind ja mindestens fränkisch trocken, haben also weniger als 4 g Restzucker pro Liter. Und dennoch besitzen nur zwei Weine 13 vol%, die vier anderen haben hingegen eine zwölf vor dem Komma, vielleicht sogar noch weniger.
Um diese Leichtigkeit zu erreichen, muss der Müller früh eingeholt werden. Damit dies aber nicht bei phenolischer Unreife geschieht, bieten sich kühles Klima und am besten eine lange, gleichmäßige Wachstumsperiode an. Eigentlich haben wir ja hier den idealen cool climate-Kandidaten vor uns. In der Höhe, auf weniger sonnenaffinen Hängen oder gar in nördlichen Anbaugebieten kann der Müller möglicherweise ganz neue Qualitäten auspacken. Ob es dazu kommen wird, vermag ich allerdings nicht zu sagen. Richtig gut, so ehrlich muss man sein, sieht es im Angesicht von zu viel Wein auf der Welt und einer zunehmenden Erderwärmung nicht wirklich aus.
Erfreuen wir uns also an solchen Exemplaren, wie ich sie für diesen Artikel gefunden habe. Auf dass die Winzerinnen und Winzer da draußen weiterhin Spaß daran haben, bei ihrem Brot-und-Butter-Wein auf gutes Brot und gute Butter zu setzen.