[In Kooperation mit dem Staatsweingut Meersburg] Da stehen sie vor mir auf dem Tisch. Drei Lagenweine aus Müller-Thurgau, gewachsen in einer Region, die dem Müller eine Heimat bietet wie sonst keine andere. Vielleicht ist es das Licht, das manchmal gleißende, glitzende, manchmal auch milchig-verhangene, das den Reben hier so behagt. In den Meersburger Lagen kommt dieses Licht nämlich nicht nur von oben, sondern tatsächlich auch von unten. Direkt zu Füßen der Rebstöcke breitet sich der Bodensee aus und reflektiert die Sonnenstrahlen. Auf diese Weise entstehen beim Staatsweingut Meersburg wahrhaftige Seeweine, die diese Bezeichnung nicht nur als Werbeschildchen vor sich hertragen.
Das Staatsweingut Meersburg rettet den Müller
Auf meiner Mission, den (guten) Müller-Thurgau zu retten, bin ich an einem Ort angekommen, der ganz und gar nicht so wirkt, als müsste man hier irgendetwas retten. Das Staatsweingut Meersburg thront nämlich mit seinem prächtigen Gebäudeensemble aus dem frühen 18. Jahrhundert äußerst selbstbewusst über Reben und See. Weinbau wird hier schon seit mindestens 800 Jahren betrieben. Im Jahrzeitbuch der Konstanzer Bischofskirche aus dem Jahr 1210 kann man lesen, dass der Meersburger Weinberg eines gewissen Manegoldus von Rohrdorf mangels Erben an ebenjene Kirche gefallen war. Aus dem Weingut der Fürstbischöfe entstand nach der Säkularisierung die Großherzogliche Domänenkellerei und schließlich nach dem Zweiten Weltkrieg das heutige Staatsweingut Meersburg. Wein gab es hier also schon (fast) immer.
Bei sommerlichen Bedingungen hat sich das Weinbauteam des Staatsweinguts dort aufgebaut, wo es die tägliche Arbeit zu tun gibt (Fotocredits gehen an das Staatsweingut selbst, vielen Dank!). Die Lage direkt unterhalb des Gutsgebäudes ist der Meersburger Rieschen. Ja, der Rieschen, und gesprochen wird das nicht wie Lieschen, sondern wie Riechen mit sch. Der Name der Lage erinnert nicht umsonst ans Rutschen (wie der Saarburger Rausch übrigens). Auch die auf der anderen Seite der Oberstadt gelegene Große Lage Chorherrnhalde zeigt sprachlich in eine ähnliche Richtung. Wir sind geologisch nämlich auf einstmals sehr rutschigem Moränenschotter aus der Eiszeit unterwegs.
Guts-Müller vom Staatsweingut Meersburg
63 ha bewirtschaftet das Staatsweingut Meersburg insgesamt. Rund die Hälfte davon nimmt der Spätburgunder ein, der nicht nur Rotweine, sondern auch die am See so geschätzten Weißherbste liefert. An zweiter Stelle des Rebsortenspiegels folgt dann schon der Müller-Thurgau. Zugegeben, die Meersburger können auch Große Gewächse bereiten, aus Spätburgunder, aus Weißburgunder und aus Chardonnay. Aber vielleicht ist es dieses schon angesprochene milde Licht, diese blinzelnd auf der Seeterrasse sitzende Ferienstimmung, und natürlich auch die Tradition einer von Flussfisch und regionalem Gemüse geprägten Küche, die sich den leichten Weinen besonders zugeneigt zeigt. Keiner der Weine, die ich euch hier vorstelle, bringt mehr als 12,5 vol% auf der Waage.
Meersburg bietet sich wie wenige andere Gemeinden für die Erzeugung von Guts- und Ortsweinen an. Die schon angesprochene Lage Rieschen misst nämlich keine 5 ha, und die sieben anderen auf dem Gemeindegebiet befindlichen Einzellagen sind auch nicht viel größer. Die beiden Guts-Müller auf dem Foto bedeuten daher einen idealen Einstieg in die Welt der Seeweine. Die trockene Version (7,60 € im Online-Shop) ist im Jahrgang 2021 ausgesprochen saftig und animierend ausgefallen. Es gibt nussig-birnige Aromen und eine feine Würze, das Ganze bei durchaus mittelgewichtigem Körper. Ich wage zu behaupten, dass man bei einem solchen Wein, der heute ganz selbstverständlich daherkommt, vor 30 Jahren noch wahnsinnig um Reife und Qualität kämpfen musste. Die feinherbe Version kann neben ihren stärker betonten Apfelnoten noch eine feine Süße mit ins Spiel bringen. Wenn es stärker geräuchert oder schlicht etwas schärfer auf dem Teller wird, kann das durchaus gut harmonieren.
Meersburger Lerchenberg Müller-Thurgau
Mit dem Lerchenberg (9,50 € im Online-Shop) kommt der erste Lagen-Müller ins Glas. Der Lerchenberg befindet sich zwischen Meersburg und Hagnau direkt am Seeufer. Die Reben für den Müller-Thurgau gedeihen dabei an der Ostseite des Berges. Von hier oben in Richtung Westen könnt ihr die “Schönste Weinsicht Baden” des Jahres 2012 genießen. Lasst euch dabei vom Alter des Titels nicht täuschen: Es ist hier immer noch genauso schön wie vor zehn Jahren. Wer übrigens gern ein bisschen virtuell herumreist, sollte einmal auf die Webcam vom Staatsweingut Meersburg gehen (Livestream!). Da gibt es Wetterdaten und einen tollen Blick auf Weinberg, Bodensee und in der Ferne sogar den Säntis.
Den 2021er Müller-Thurgau aus dem Lerchenberg habe ich im direkten Vergleich mit seinem Pendant vom Olgaberg probiert. Das muss man selbstverständlich nicht tun, denn der Wein schmeckt auch so. Aber ich finde es immer interessant zu sehen, was das Terroir einem Wein an Besonderheiten mitgibt – gerade bei zwei gleichwertigen und gleich hergestellten Produkten. Der Lerchenberg-Müller zeigt sich in der Nase zurückhaltender als der Gutswein, aber energischer als der Olgaberg. Es gibt etwas Klarapfel, weiße Birne, Zitronenhaut, auch zerstoßene Korianderkörner. Im Mund ist da viel Stoffigkeit, viel Pikanz und Frische, die apfeligen Nuancen dominieren. Das ist ein ausgesprochen saftiger Begleiter- und Genießer-Wein. Wer wissen möchte, weshalb Müller-Thurgau attraktiv ist, voilà, diesen hier lässt niemand zurückgehen.
Hohentwieler Olgaberg Müller-Thurgau
Szenenwechsel. Und das nicht nur ein paar Meter zum nächsten Hang am See, sondern gleich 50 Autokilometer weiter nach Westen. Hier erhebt sich kegelig oberhalb der Stadt Singen der Hohentwiel. Die kegelige Form kommt nicht von ungefähr, denn es handelt sich tatsächlich um einen ehemaligen Vulkan. Dementsprechend gibt es im Untergrund auch nichts Eiszeitliches, sondern Vulkanverwitterung, Tuff und Porphyr. Auf 500 Metern über dem Meer wachsen die Reben in relativ neu angelegten Querterrassen. Der Hohentwieler Olgaberg ist definitiv eine sehr eigene, ziemlich einmalige Lage.
Natürlich war ich sehr gespannt, ob sich das völlig andere Terroir auf den Weingeschmack auswirken würde. Große Überraschung: Das ist tatsächlich der Fall. In der Nase wirkt der Olgaberg (9,80 € im Online-Shop) interessanterweise sehr zurückhaltend. Ein bisschen Mandel, etwas Baumblüte, vielleicht ein minimal muskatiger Einschlag. Im Mund ist der Wein aromatisch dann sehr hell gehalten. Man spürt direkt einen gewissen Steinstaub, etwas Weißblütiges, weniger Druck und Pikanz als beim Lerchenberg, vielmehr eine ungemein gelassene Ausgewogenheit. Das ist ein Müller für Freundinnen und Freunde der leisen Töne, der Nuancen, der mineralischen Eleganz. Faszinierend anders als der Lerchenberg, da macht ein Quervergleich wirklich Spaß.
Meersburger Bengel Müller-Thurgau feinherb
Zum Abschluss der Kleinen Müller-Schau hat das Staatsweingut Meersburg auch noch einen feinherben Lagenwein im Portfolio (9,50 € im Online-Shop). Der Meersburger Bengel – wir sind inzwischen wieder zurück am Bodensee – zieht sich südöstlich der Stadt den Hang hoch. Am Fuß befindet sich ein kleiner Seglerhafen, der den schönen Beinamen “Am Waschplätzle” trägt. Geschmacklich sind wir mit dem Bengel fast bei einem Weißburgunder gelandet. Das ist saftig, fein süß, birnig, da gibt es nichts Erdiges, sondern ganz viel Reintönigkeit. So ein Wein funktioniert beispielsweise zu einem scharfen Thai-Papaya-Salat, bei dem die Begleitung zwar ein bisschen apfelsüß, aber keinesfalls zu schwer werden sollte.
Was die Meersburger sonst noch können…
Was die Meersburger sonst noch können, ist selbstverständlich Rot und Rosé, aber auch Weiß im gehobenen Segment. Oben auf dem Foto, das mir das Staatsweingut netterweise zur Verfügung gestellt hat, seht ihr die nominell wertvollste Lage, die Chorherrnhalde. Obgleich ich mich an dieser Stelle auf die Müller-Versionen konzentrieren möchte, sei zumindest das Chardonnay-GG aus der Chorherrnhalde erwähnt (21 € im Online-Shop). Auch jenes hat im Jahrgang 2020 lediglich 12,5 vol% und gleichzeitig überhaupt keine Restsüße. Dieses Leichte, Elegante ist also nicht nur der Rebsorte geschuldet, sondern tatsächlich der Gutsstil. Der Chardonnay besitzt Nuancen von reifer Ananas, von Zitronengras, dazu kommt noch eine würzige Note von Hefe und Holz. Gebt ihm Luft, gebt ihm Zeit und esst vor allem etwas Schönes dazu wie Kalbsgeschnetzeltes oder auch Variationen mit Pilzen und Eigelb.
Ohnehin, und das möchte ich als Fazit meiner Verkostung der Weine des Staatsweinguts Meersburg festhalten, harmonieren hier Weine, Küche und Landschaft ganz vorzüglich miteinander. Da werdet ihr nichts Aufgesetztes finden, nichts Erzwungenes, da stimmen die Proportionen einfach, die Harmonie.
Wer seit über 800 Jahren in demselben Weinberg arbeitet, muss allerdings auch zwangsläufig auf Harmonie in vielerlei Hinsicht bedacht sein. Um diesem Ansinnen schwarz auf weiß Rechnung zu tragen, hat Gutsdirektor Dr. Jürgen Dietrich dafür gesorgt, dass das Weingut seit mittlerweile zehn Jahren nachhaltig (FairChoice) zertifiziert ist und seit sechs Jahren auch klimaneutral arbeitet. Es stimmt, das hätte man auch gleich zu Anfang bei der Einleitung erwähnen können. Aber man kann auch erst die Weine sprechen lassen. Die Hoffnung auf weitere gute Jahre und Jahrzehnte des Bodensee-Müllers erscheint jedenfalls berechtigt.
Hallo Matthias,
als mein ältester Sohn in Konstanz studierte, haben wir an einem Abend zusammen mal Forellen mit Salat für seine WG sowie einige Freundinnen und Freunde zubereitet und dazu vier verschiedene, trockene Müller-Thurgau aus der Region gereicht.
Die meisten am Tisch hatten noch nie an einer Weinprobe teilgenommen und waren überrascht, welche Unterschiede riech- und schmeckbar waren – selbst bei Müller-Thurgau.
Wir hatten damals einen vom Staatsweingut dabei, einen von der Spitalkellerei Konstanz, den Birnauer Ortswein vom Markgraf von Baden und den Gaienhofener MT von Hans Rebholz aus Radolfzell-Liggeringen. Letzterer kam – auch bei uns selbst – am besten an und passte prima zur Forelle.
Herr Rebholz, der mit dem Hansjörg aus Siebeldingen nicht verwandt und nicht verschwägert ist, macht auch drei schöne Spätburgunder von verschiedenen Böden. Außerdem vermehrt er einen sehr alten Pinot-Klon, von dem er noch wurzelechte Reben hat!
Schönen Gruß!
Danke für den Tipp! Ich müsste ohnehin mal wieder zum Bodensee, ist mittlerweile schon eine ganze Weile her seit dem letzten Mal…
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