Silvaner ist eine alte Rebsorte, die charakterstarke und ungemein speisenaffine Weine hervorbringen kann. Diese Argumentation mag denjenigen unter euch, die meinen Blog schon länger verfolgen, wie ein uralter Hut vorkommen. Aber Dinge, die zutreffen, werden auch durch ihre Wiederholung nicht unzutreffender – vielleicht aber synapsenmäßig besser aufgenommen. Hier möchte ich euch nun vier Silvaner vorstellen, die sich geschmacklich und von der Herkunft her deutlich unterscheiden. Zwei davon haben Alte Reben als Qualitätsmerkmal explizit aufs Etikett geschrieben, und die anderen beiden sind ebenfalls keine belanglosen Weinchen. Ihr werdet es sehen.
Alte Reben vom Silvaner
Auf die Idee eines Vierervergleichs interessanter Silvaner bin ich gekommen, als ich diesen Rebstock und seine Nachbarn besucht habe. Wir sind beim Weingut Sander in Rheinhessen, genauer gesagt im Mettenheimer Schlossberg. Das ist die beste Lage des Ortes mit Kalkstein im Untergrund und einer Auflage aus Lösslehm und Terra Rossa, also Kalksteinrotlehm. Ein bisschen kann man diesen leichten Rosastich auf dem Foto auch erkennen. Jedenfalls hat Stefan Sander hier seinen Silvaner stehen, und zwar in Form von 70jährigen, zum Großteil sogar noch wurzelechten Rebstöcken. Alte Reben aus dem Bilderbuch sozusagen. Da ich ja ohnehin in diesem Jahr öfter bei und mit Stefan unterwegs bin (im Interview, auf Amphorenschau im Keller, bei der Messe in Südtirol…), stand damit der erste Kandidat für diesen Artikel bereits fest.
Nebenbei ist mir dabei auch aufgefallen, dass bei allen Diskussionen um Nachhaltigkeit im Weinbau manchmal die zentralen Produzenten unseres Stoffes in der Aufzählung vergessen werden. Alte Reben (zumal aus einem Bio-Pioniergut wie hier) sind schlichtweg ein Ausdruck gelebter Nachhaltigkeit.
Dolde/Württemberg – Silvaner Alte Reben 2020
Dieser Wein hat sich irgendwie auch von selbst aufgestellt. Helmut Dolde war einstmals Gymnasiallehrer und Hobbywinzer im württembergischen Linsenhofen. Das liegt südöstlich von Stuttgart und ganz schön in der Höhe, so dass die Weinberge hier bis auf 530 Meter über dem virtuellen Meeresspiegel reichen. Mittlerweile ist Helmut Dolde vielleicht derjenige Winzer in Deutschland mit den meisten Artikeln über ihn je Hektar Rebfläche. Gerade erst vor einiger Zeit hatte ich ihn wieder in einem Artikel von Katharina Matheis im TRINK Magazine gefunden. Zwei Hektar Weinberge besitzen seine Frau Hedwig und er, alles mit viel Aufwand und wenig Technik gepflegt und vinifiziert. Vier Silvaner holen sie aus den Parzellen, der Alte Reben kostet ab Hof 9,50 €, aber alle Weine sind immer schnell vergriffen.
Silvaner wird wegen seines hohen Pektingehalts in den Beeren nach der Ernte gern mal ein bisschen stehengelassen. Maischestandzeit heißt das. Dann können die traubeneigenen Enzyme die Pektine spalten. Helmut Dolde hat einen Teil des Silvaners Alte Reben zusätzlich sogar auf der Maische gären lassen, später teilweise im Holz ausgebaut.
Frisch aufgemacht ist da gleich ein sehr würziger Ton. Neben Mandel und Birne gibt es auch etwas, das mir wie Roggenbrot scheint, ein bisschen Senfmehl dazu. Es sind nicht nur alte Reben, es ist auch die Kenntnis des Winzers, die diesen Silvaner so interessant macht. Vorn wahrnehmbar salzig, endet der Doldentrunk mit einer erdigen Orangennote. Um nicht missverstanden zu werden: Dies ist kein Montrachet von der Alb, aber ein würzig-pikanter unmissverständlicher Silvaner, der viele Frankenwinzer sehr stolz machen würde.
Sander/Rheinhessen – Silvaner Alte Reben 2021
[In Kooperation mit dem Weingut Sander] So sieht die Parzelle vom Silvaner Alte Reben im Mettenheimer Schlossberg aus. Wir haben den 27. April 2022, und offenbar ist gerade jemand mit der Fräse durchgegangen. Zu Fuß, denn die Abdrücke im leicht klebrigen Boden sind deutlich sichtbar. Alles hier ist reine Handarbeit, denn die Rebzeilen sind zu eng für den Traktor. An einigen Stellen müssen junge Rebstöcke nachgesetzt werden (und werden dann durch blaue Hüllen geschützt), denn auch alte Reben halten nicht ewig. Insgesamt ist das aber ganz zweifellos ein Kleinod. Gerade hier in Rheinhessen, dem flächenmäßig größten Silvaner-Anbaugebiet, das leider oft wenig Wertschätzung dieser Traditionsrebsorte gegenüber zeigt.
Eigentlich heißt Stefans Silvaner ja Alte Rebe als Einzahl und nicht Alte Reben. Die Beeren wurden per Hand selektiert, gemaischt und verbrachten 24 Stunden auf den Schalen. Das gibt ein bisschen mehr Grip und zusätzliches Aroma. Nach der Spontangärung wurde der Wein im Stahltank ausgebaut und lagerte da sechs Monate auf der Feinhefe. 13,90 € übrigens ab Hof, das ist auch ein mehr als anständiger Preis für einen derart handwerklichen Silvaner.
Alte Reben Nummer Zwei, aber sofort völlig anders in der Anmutung als bei Dolde, das Terroir gibt die Richtung vor. In der Nase spüre ich zunächst grünen Apfel, unreife Walnuss, auch leicht Akazienblüte. Im Mund ist das ein heller und enorm saftiger Wein. Löss bringt immer richtig viel Frucht mit hinein, und das ist hier nicht anders. Zitronenschale, fast lecker zu nennende Frucht und erst am Ende mehr Tiefe, mehr Geheimnis, etwas Fenchel und Anis. Ein tolles Kontrastprogramm.
Nagel/Franken – Silvaner Holznagel 2018
Dettelbach am Main liegt in Franken, etwa 20 Kilometer östlich von Würzburg. Würde man allerdings nicht der Straße über den Berg folgen, sondern die Mainschleife über Ochsenfurt und Marktbreit mitnehmen, wäre die (weitaus attraktivere) Strecke mehr als doppelt so lang. Die Spitzenlage von Dettelbach ist das Berg-Rondell, das ihr als steilen Hang im Bildhintergrund erkennen könnt. Die Lage vorn mit dem Südblick ist die Sonnenleite. In diesem schmücken Ort ist der Winzerhof Nagel zu Hause, ein kleiner Betrieb mit gerade einmal 6 ha Rebfläche. Tobi Nagel hat im Rahmen seiner Ausbildung weit über den üblichen Tellerrand hinausgeschaut und bei Knoll in der Wachau und bei Claus Preisinger im Burgenland gearbeitet. Entsprechend umsichtig und weitblickend wird hier gearbeitet.
Wo die Reben für den Holznagel ganz genau stehen, erfährt man weder auf der Flasche noch auf der Website. Allerdings kommen sie aus den “besten Lagen”, und die sind in Dettelbach ja wirklich gut. Wie bei allen Silvanern in diesem Artikel gab es auch hier eine gewisse Maischestandzeit von 20 Stunden. Nach der Pressung erfolgte die Spontangärung im Holzfass aus fränkischer Eiche. Der Ausbau dauerte sogar noch etwas länger als bei den Weinen bisher: 22 Monate auf der Vollhefe im Tonneau, anschließend unfiltrierte Abfüllung. 19 € ab Hof, definitiv ein edler Wein.
Frisch geöffnet spüre ich zunächst deutlich laktische Töne, aber das verschwindet tatsächlich mit zunehmender Luftzufuhr immer mehr. Im Mund ist da natürlich das Holz, aber ein feines Holz in hellem Ton, interessanterweise nicht unähnlich dem GG Kammer von Wirsching aus demselben Jahrgang. Sehr eleganter Fluss, die straighteste Säure aller vier Weine im Test, das ist ein echter Langläufer auf hohem Niveau.
Patrizierhof/Franken – Silvaner Kiliansberg 2011
Diese Ansicht vom Großlangheimer Kiliansberg dürfte relativ selten zu sehen sein. Kein Wunder, denn ich befinde mich bei Sommerach auf dem höchsten Punkt der Weininsel. Was sich so bunt an den Steigerwald schmiegt, sind reine Keuperlagen. Der Kiliansberg nimmt dabei die unteren Hänge ein, oben sind wir bei Wachhügel und Schwanleite. Auch der Patrizierhof von Björn Grebner gehört mit seinen 7 ha Weinbergen nicht zu den Flächengiganten. Dafür ist es ein multifunktionales Konstrukt aus Gasthof, Hotel und Reben. Einen besseren Ort gibt es also nicht, um die Weine entsprechend kulinarisch begleitet genießen zu können.
Ob auch für den Kiliansberg Silvaner alte Reben zum Zuge kamen, weiß ich nicht. Was ich hingegen weiß, ist die Tatsache, dass Björn Grebner immer mal ein paar Flaschen älterer Jahrgänge in seiner Schatzkammer lagert. Und dies ist eine davon. Wir haben es hier nämlich mit der trockenen Spätlese aus dem Jahrgang 2011 zu tun. Wie gut solche Silvaner tatsächlich reifen können, mussten wir schmerzlich beim Internationalen Silvanerpreis letztes Jahr erfahren. Da durften wir nur einem einzigen davon die Goldene Rebschere als Gewinnerwein geben. Letztlich hat es mit dem 2011er Eigenart vom Weingut Max Müller I (hier meine Reportage vom Weingutsbesuch auf der Frankenwein-Seite) mit Sicherheit keinen Falschen getroffen. Aber ich hätte gern die Plätze 2-5 auch noch prämiert, so gut hatten sich die Weine entwickelt.
Dasselbe in Grün beim Patrizierhof Kiliansberg. Kräutergelb in der Nase, am Gaumen dann definitiv reif, und zwar nicht nur von der Lagerzeit, sondern auch vom Traubenmaterial her. Gute Säure, hohe Pikanz, intensiv, dicht, Ananasnoten, süßer Extrakt, das verlangt nach Curry-Garnelen.
Mein Fazit
Vier wirklich individuelle Silvaner hatte ich hier im Test. Vorweg zweimal alte Reben mit ganz viel Terroircharakter. Der rare Wein von Helmut Dolde schmeckte in seiner Würze fast authentisch fränkischer als die Franken. Bei Stefan Sander hatten die wurzelechten 70jährigen Stöcke aus dem lössigen Untergrund eine animierend saftige Jungfrucht gezaubert. Tobi “Holz” Nagel bestätigte alle Vorurteile, die seinem Ruf als Geheimtipp vorausgehen. Und schließlich zeigte Björn Grebner mit seinem elf Jahre alten Kiliansberg-Silvaner, weshalb solche Weine Kellerruhe immens belohnen.
Mein Fazit also: Weiter so, Silvaner! Das nächste Mal wird es wieder Müller in all seiner Vielfalt geben, und danach warten noch ein paar echt schräge Silvaner-Gestalten. Nicht zu vergessen der Blindtest großer deutscher Chardonnays gegen namhafte Konkurrenz aus dem befreundeten Ausland. Jetzt aber erst einmal ran an den Herd. Diese Silvaner dürfen nicht unbegleitet bleiben.
Weingut Dolde ist uns schon seit Jahren ein zuverlässiger Lieferant. Schade, dass der Geheimtipp nun in aller Munde ist.
Ach, so schlimm wird das sicher nicht. Immerhin wird das Weingut seit über zehn Jahren im Eichelmann-Weinguide gelobt, Film, Funk, Fernsehen waren auch schon da – und trotzdem gibt es weiter langjährige Stammkunden. Und tolle Weine zu fairen Preisen 😉
Hallo Matthias,
auch ich bin begeistert von den Silvanern des Ehepaars Dolde. Berücksichtigt man, wie klein ihre Gesamtanbaufläche ist, erstaunt es doch, dass es Silvaner Vulkan, Silvaner Weißer Jura und eben die alten Reben gibt. Alle drei Weine zeigen eine deutlich unterschiedliche Charakteristik und sind doch unverkennbar Silvaner. Der Vulkan braucht m.E. vier bis fünf Jahre Flaschenreifung, um sich richtig zu öffnen.
Zum “Alte Reben” wäre noch zu sagen, dass die Reben zwischen 1954 und 1963 gepflanzt wurden und einer positiven Massenselektion des Gelben Silvaners entstammen, eine kleinbeerige Spielart. Sie stehen unterhalb der Burg Hohenneuffen auf ca. 530 Metern üNN und sind die höchstgelegenen Silvanerreben Deutschlands. Inzwischen profitieren sie von der Klimaerwärmung, weil sich die Reifephase der Trauben insgesamt verlängert hat. Helmut Dolde sagte mal: “Durch die Höhenlage haben wir kühle Herbstnächte, die niedrigen Temperaturen halten trotz der Feuchtigkeit die Trauben gesund.”
Nach Handlese steht die Maische je nach Jahrgang bis zu 24 Stunden, dann wird der Most abgepresst und spontan im Edelstahl vergoren. Das Hefelager währt 4 Monate und dabei wird die Hefe aufgerührt.
Die ältesten Silvanerreben der Welt (1874) hegt bekanntlich das Weingut Luckert im Gewann “Creutz”. Auf Platz zwei (1900) folgt der wurzelechte Mischsatz im Seinsheimer Hohenbühl des Weinguts Werner Emmerich und dann folgen zwei 1927 gesetzte Silvanerbestände im Anbaugebiet Saale-Unstrut: Freyburger Schweigenberg von Weinbau Der Steinmeister und Kaatschner Dachsberg vom Winzerhof Gussek. Ebenfalls 1927 gepflanzt wurden die noch überwiegend wurzelechten Silvanerreben des Weingut M. & M. Heindel in der Ipsheimer Burg Hoheneck.
Von den noch wurzelechten Silvanerreben sind die 1955 gesetzten von Stefan Sander also die jüngsten. In Rheinhessen gibt es noch einen Bestand von 1930 im Nackenheimer Rothenberg, die Kai Schätzel gehören, dann die 1933 gesetzten Reben im Dorn-Dürkheimer Römerberg vom Weingut Gutzler und schließlich die 1938 im Niersteiner Bilderstock gepflanzten Silvanerreben von Eckehard Gröhl. Alle drei spontanvergorene, tolle Weine von unterschiedlichen Böden!
Womit ich nicht sagen will, dass wurzelechte oder überhaupt alte Reben die besseren Weine ergeben. Das ist Unsinn, denn im Keller wird ja auch viel Einfluss ausgeübt. Aber in heißen und trockenen Jahren, ist die Wasser- und Nährstoffversorgung der alten Reben laut Winzererfahrung besser.
Danke für die vielen zusätzlichen Infos, die (du kennst ja die Crux) in den Artikel selbst nicht mehr gepasst hätten 😉 . Vielleicht wäre es wirklich ganz interessant, realistischerweise im nächsten Jahr die Weine aus den ältesten Silvanerreben hier vorzustellen… Okay, mit dem Creutz habe ich es ja schon gemacht (https://chezmatze.de/2021/05/18/sylvaner-creutz-150-jahre-alte-reben/), und der ist ja immer eine gewisse Investition 😉 . Von den anderen kenne ich auch ein paar, aber halt immer nur einzeln probiert. Soll heißen: Gut, dass es immer noch Ziele gibt!
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