Der Sommer in Mitteleuropa neigt sich dem Ende entgegen. Zeit also, sich das Gefühl der sanften Brise über den glitzernen Wellenkämmen per Weingenuss einzuverleiben. Mit einem Wein, der in vielerlei Hinsicht außergewöhnlich ist. Die Domaine Sclavos von Evriviadis (genannt Vladis) Sclavos befindet sich auf der westgriechischen Insel Kefalonia. Dies ist seit Venezier- oder gar Altgriechenzeiten Weißweinland. Unser heutiger natürlicher Dienstagswein macht dabei keine Ausnahme. Tsaousi oder Tsaoussi heißt die Rebsorte, es gibt sie nur noch hier auf der Insel, und die über 70 Jahre alten Rebstöcke stehen wurzelecht im kalkreichen Boden.
Tsaousi 2019 von der Domaine Sclavos
Sclavos ist für Menschen, die sich intensiver mit individuellem Wein beschäftigen, ein geflügelter Name. Die Familie Sclavos betrieb schon immer Weinbau auf Kefalonia, war zwischenzeitlich jedoch auch in Odessa am Schwarzen Meer angesiedelt. Vladis’ Urgroßvater kehrte dann im Jahr 1919 wieder auf die Insel zurück und pflanzte 6 ha Reben, alles autochthone Rebsorten, von denen nicht wenige Stöcke immer noch in Gebrauch sind.
Vladis war dann der erste griechische Winzer (jedenfalls behaupten das alle Quellen), der sich mit biodynamischen Methoden auseinandersetzte. Mittlerweile wird im Weinberg nach einer eigenen “homodynamischen” Wirtschaftsweise gearbeitet, in jedem Fall äußerst eingriffsarm und seit über 20 Jahren biologisch zertifiziert. Die Erträge aus den großenteils sehr alten Reben sind gering und pendeln meist so um die 25 hl/ha. Seit ein paar Jahren ist die Familie Zisimatos mit in das Weingut eingestiegen, so dass es mittlerweile offiziel Sclavos Zisimatos Winery & Vineyards heißt. 14 Weine gibt es, und interessant hören sie sich alle an.
Im Keller setzt sich die Philosophie des Achtsamen fort. Alles wird spontan vergoren, nicht geschönt und nicht filtriert. In aller Regel schwefelt Vladis auch nicht bei der Abfüllung. Der Tsaousi wird zur Gänze im Stahltank ausgebaut, liegt dort aber sieben Monate lang auf der Feinhefe. Ich wusste vor dem Probieren natürlich überhaupt nicht, was mich erwarten würde. Wie schmeckt Tsaousi eigentlich? Und ist das ein wilder Freakwein oder doch etwas ganz anderes?
Wie schmeckt der Wein?
Goldgelb fließt der Wein ins Glas, und nachdem dies weder ein im Holzfass ausgebautes noch ein lange Jahre gelagertes Produkt ist, kann das nur zwei Dinge bedeuten: Hochreife oder Oxidation.
Die Nase zeigt dann ganz klar, dass es sich um ersteres handelt. Mittlere Intensität, höchstens etwas Quitte und Aprikose, im Prinzip aber fruchtarm, harzig, steinig, aromatische mediterrane Kräuter. Am Gaumen perlt der Tsaousi noch leicht, so dass es ein bisschen schwer fällt, den Säuregehalt richtig einzuschätzen. Wahrscheinlich ist jener gar nicht so niedrig, aber die deutliche Viskosität und die Reifeanmutung puffern das sehr stark ab. Auch geschmacklich bleibt Sclavos’ Tsaousi auf der fruchtfreien Seite. Ich schmecke trockenen Honig, Piniennadeln, eine Harzigkeit ohne die Retsina-Terpene, viele wilde Kräuter, viel mineralische Steinigkeit. Erst mit ein bisschen Wärme kommt dann die feine Fruchtnote besser durch und siedelt sich im Bereich zwischen kandierter Zitronenschale und kleinfruchtiger Aprikose an.
Ganz klar: Dies ist ein totaler Kontextwein. Kein vernünftiger Mensch würde so einen Wein solo trinken und mit Punkten belegen. Stattdessen passt hier wirklich eine Plethora lokaler oder auch nur grob mediterraner Speisen. Ich denke an Fisch, gegrillt oder frittiert, an viele verschiedene Mezzedes. Auch kräftig mit Zwiebel und Knoblauch Versehenes nimmt der Tsaousi gern auf, weil er einfach den notwendigen dichten Stoff besitzt. Zwei Gewürze passten im Praxistest hervorragend zum Wein, nämlich Olivier Roellingers Curry Corsaire und Ingo Hollands Vadouvan. So sieht das aus.
Die Schwefelfreiheit riecht und schmeckt man dem Wein übrigens überhaupt nicht an. Das ist also geschmacklich gesehen weniger Glou Glou-Naturel als vielmehr tiefe griechische Speisenbegleiter-Tradition.
Wo habe ich ihn gekauft?
Auch wenn die Sclavos-Weine ziemlich kultig sind, kann man sie mittlerweile doch ganz gut hierzulande erwerben. Für 19,95 € gibt es den Tsaousi 2019 beispielsweise bei Vinocentral und bei Stelios, ein paar andere sclavonische Weine auch bei Ralph Urban.
Nachdem ich in Frühjahr und Sommer sehr viele deutsche Weißweine getrunken hatte, muss ich zugeben, dass ich vom Tsaousi persönlich sehr angetan war. Natürlich auch wegen der Seltenheit der Rebsorte und der doch irgendwie fernwehstimmenden Herkunft. Aber vor allem trinke ich Wein, weil es ihn in so vielen Facetten, Geschmacksrichtungen, einfach unterschiedlichen Interpretationen gibt. Diversity rules, das gilt für mich auch hier, und da haben authentische griechische Weine einfach sehr viel zu bieten.
P.S. Das Foto mit den Booten im Meer stammt nicht aus Kefalonia, sondern von der kleinen Insel Agistri. Jene hatte ich in einer kalkulatorisch durchaus mutigen Aktion per Fähre von Piräus aus besucht, weil mein Termin in Athen schon vorbei war und ich noch Zeit bis zum Abflug hatte. War absolut traumhaft im April.