Sie heißen Null, Zero und Pur. Und sie boomen. Die Rede ist hier nicht von der neuesten Abnehmkur, sondern von einem Getränk auf Basis vergorener Trauben. Mit anderen Worten: alkoholfreier Wein. Mittlerweile kann man in fast jedem Supermarkt alkoholfreien Wein kaufen. Aber wie immer bei einer Bewegung, die noch relativ am Anfang steht, gibt es qualitativ und geschmacklich große Unterschiede. Ich habe mir deshalb eine ganze Reihe alkoholfreier Weine besorgt und getestet. Hier kommen die fünf besten.
Warum alkoholfreier Wein?
Es gibt viele Gründe, keinen Alkohol trinken zu wollen. Gesundheitliche, ideologische, geschmackliche, pragmatische. Und manchmal, sowas soll es geben, darf man Dinge auch einfach tun, ohne ständig eine Begründung dafür liefern zu müssen. In italienischen Restaurants hieß es früher immer “acqua, vino o niente”, also “Wasser, Wein oder gar nichts”. Das gar nichts bezog sich darauf, dass es Leute gab, die eine Cola bestellen wollten. Sowas hasste jeder anständige Oberkellner.
Wasser ist tatsächlich ein toller Durstlöscher, und ich trinke täglich eine ganze Menge davon. Aber Wein besitzt nun einmal eigene, raffinierte Geschmackskomponenten, die dem gewählten Gericht eine zusätzliche Dimension mitgeben. Wasser tut das nicht. In Spitzenrestaurants wird deshalb seit einiger Zeit versucht, im Bereich alkoholfrei Alternativen anzubieten. Teekompositionen von Sonnentor oder Copenhagen Sparkling Tea, Fruchtbasiertes von Jörg Geiger, dazu auf andere Weise Fermentiertes (wobei das in der Regel zumindest ein wenig Alkohol enthält). Da gibt es großartige Sachen zu entdecken. Aber Wein bleibt halt doch Wein und ist seit Jahrtausenden mit den kulinarischen Traditionen in Europa verflochten.
Wie macht man Wein alkoholfrei?
Bevor wir zum Test kommen, erst einmal eine klitzekleine Einführung in das Prinzip alkoholfreier Weine. Alkoholfrei per Definition ist dabei ein Produkt, dass weniger als 0,5 vol% Alkohol besitzt. Die Weine, die ich hier vorstellen möchte, enthalten zwischen 0 und 0,2 vol%, was sich im Bereich von Süßigkeiten, Fertiggerichten und Fruchtsäften befindet. Ein Wein ist aber logischerweise nicht von Natur aus alkoholfrei. Sondern er entsteht, indem Weintrauben vergären. Dabei fressen die auf den Traubenschalen befindlichen oder zugesetzten Hefen den Traubenzucker im Saft und wandeln ihn in Alkohol und CO2 um. Das ist der natürliche Prozess. Ein alkoholfreier Wein wird deshalb immer aus einem “normalen” alkoholhaltigen Wein hergestellt. Der muss zuerst da sein. Eine nicht-alkoholische Vergärung wie bei Bier ist bei Wein nicht möglich, weil die Trauben einfach zu zuckerreich sind.
Damit die Entalkoholisierung dem Wein nicht zu viel vom Geschmack nimmt, arbeiten alle hier vorgestellten Winzer und Kellereien mit dem derzeit schonendsten Verfahren, der Vakuumverdampfung. Jene macht sich zunutze, dass Ethanol normalerweise bei 78°C verdampft, im Vakuum aber bereits bei 28°C. Der Wein muss also “nur” auf 28°C erwärmt werden, und schon verfliegt der Alkohol. Das Verfahren selbst ist dabei alles andere als neu. Bereits im Jahr 1907 sicherte sich der Erfinder Carl Jung ein Patent darauf. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Unternehmen, die Weine auf diese Art entalkoholisieren. Auf dem eigenen Hof hat kein Winzer eine solche Anlage stehen.
Was passiert danach?
Geschmacklich ist alkoholfreier Wein natürlich ein Stück von seinem alkoholhaltigen Pendant entfernt. Trotz Aromenrückgewinnung (hier ein Schema des ganzen Prozesses) bleibt immer etwas auf der Strecke. Theoretisch wäre es möglich, den Wein nicht nur alkoholfrei, sondern auch zuckerfrei auf den Markt zu bringen. Aber, das sagte mir ein Winzer, der es ausprobiert hat, das wäre geschmacklich eine ziemlich unerfreuliche Sache. Deshalb wird allen alkoholfreien Weinen, die ich gefunden habe, hinterher immer ein wenig Zucker oder Traubensaft zugegeben. Und weil die Kennzeichnungspflicht bei alkoholfreien Weinen eine andere ist als bei alkoholhaltigen, wissen wir das auch alles. Das Rücketikett verrät zum Beispiel Kalorien, Zucker und zugefügte Stoffe. Nicht schlecht, oder?
Jetzt aber endlich zu den fünf Weinen. Die Reihenfolge ist dabei keine Hitliste, sondern einfach an den Weintypen orientiert. Erst Sprudel, dann Weißwein, dann Rosé, dann Rot.
Seck Sparkling Zero
Das Weingut Seck befindet sich etwa 25 km südlich von Mainz in Rheinhessen. Eigentlich ist man hier auf lagerfähige Rotweine aus Cabernet spezialisiert. Ich hatte Axel Seck vor ein paar Jahren auf der BIOFACH getroffen, womit klar ist, dass wir es hier mit einem Wein zu tun haben, der bio-zertifiziert ist (Naturland & Naturland Fair), vegan ebenso.
Ich habe wirklich viele alkoholfreie Schäumer getestet. Dass es dann nur ein einziger in meine Hitliste geschafft hat, hat mich ehrlich gesagt selbst überrascht. Aber bei fast allen war die Kohlensäure sehr hoch dosiert, und wenn es viel schäumt, danach aber keine Substanz kommt, ist das nicht so schön. Der Seck Sparkling Zero hat dagegen viel gelbe Früchte, Birne und Mango, die geschmacklich einfach noch etwas länger tragen. Nur zur Info noch mal die Werte (vielleicht interessiert das potenzielle Käufer*innen ja): pro 100 ml (das gilt für alle folgenden Weine auch) 16 kcal und 3,5 g Zucker, 11,80 € ab Hof.
Leitz Eins Zwei Zero Summer
Das Weingut Leitz im Rheingau gehört zu den bekanntesten und größten privaten Weingütern in Deutschland. Johannes “Josie” Leitz bringt mittlerweile fast eine Million Flaschen im Jahr auf den Markt, alle durchdacht und alle stylish. Ich hatten seinen Gutsriesling neulich im Aldi vs Lidl-Test dabei. In der Linie Eins, Zwei, Zero, namentlich angelehnt an seinen bekannten Riesling Eins, Zwei, Dry, gibt es nicht weniger als sechs alkoholfreie Weine.
Passend zum jetzt beginnenden grünenden und blühenden Halbjahr habe ich den Summer ausgewählt. Anders als die meisten anderen Weißen gibt es hier nämlich nicht nur Zitrus und Apfel, sondern auch blütige Noten und ein bisschen weiße Johannisbeere. Das ist natürlich kein Grand Cru-Ersatz, sondern ein fruchtsüßer Spaß für den Sommer, aber genau das soll er ja auch sein. 24 kcal, 4,9 g Zucker, 7,90 € ab Hof.
Riffel Riesling Zero
Erik und Carolin Riffel besitzen ein Weingut am berühmten Binger Scharlachberg. Ich habe hier schon öfter über sie berichtet, das letzte Mal im Zusammenhang mit der Millésime Bio, meiner ersten komplett digitalen Weinmesse im Januar. Ich mag die Riffels nicht nur wegen der schönen Weine und weil sie Bioweine machen (Ecovin, vegan auch), sondern vor allem, weil sie immer Spaß an neuen Dingen haben. Wem die Weinwelt zu dröge und zu eingefahren vorkommt, kann sich gern mal mit den Riffels unterhalten.
Ihr alkoholfreier Wein aus 100% Rieslingtrauben vom Binger Berg war eigentlich erst nur für Skandinavien gedacht. Aber die Nachfrage nimmt auch bei uns zu. Die meisten alkoholfreien Rieslinge, die ich probiert habe, fand ich ein bisschen problematisch. Das hat damit zu tun, dass Riesling als Rebsorte sehr viel Säure besitzt. Wenn dann die Trauben nicht top reif geerntet werden, merkt man dieses übergrüne Gefühl auch beim Wein. Beim alkoholfreien umso mehr, da er, ich wiederhole mich gern, ja viel weniger Substanz besitzt. Beim Riffel Zero sind wir sehr dicht an der ursprünglichen Rieslingfrucht dran. Ja, säuerlich ist er auch, aber er wirkt flächiger und ernsthafter als seine Mitbewerber. 16 kcal, 3 g Zucker, 9,90 € ab Hof.
Kolonne Null Rosé
Wer Kolonne Null ist, brauche ich Leuten, die sich schon mal mit alkoholfreiem Wein beschäftigt haben, wahrscheinlich nicht zu erklären. Kolonne Null ist ein Start-up aus Berlin, und zwar ein richtig erfolgreiches. Ihr Standort weist schon darauf hin, dass hier keine Reben angebaut werden und kein Wein gekeltert. Allerdings arbeiten die beiden Gründer daran, dass sich das bald ändert. Bislang werden unter dem schicken Label alkoholfreie Weine anderer, teilweise ziemlich bekannter Weingüter vermarktet.
In meine Top 5 hat es dieser Wein geschafft, ein blasser Rosé wie in der Provence. Und – surprise, surprise – er kommt auch tatsächlich aus der Provence, vom Cellier des Quatre Tours in Venelles. Die Nuller sind da ganz offen, was ich sehr gut finde, schließlich ist Transparenz das neue Cool. A propos cool, zu warm sollte man diesen Wein nicht trinken, denn er ist für das entspannte Ableasuren am Pool gedacht. Spürbare Fruchtsüße vorn, dann Noten von weißem Pfirsich, frisch geöffnet am besten. Für mich eher solo zu genießen denn als Speisenbegleiter. 17 kcal, 2,7 g Zucker, 9,90 € im Online-Shop.
Leitz Eins Zwei Zero Rosé
Noch ein Rosé und nochmal das Weingut Leitz. Der Wein besteht zu 100% aus Pinot Noir, einer zweifellos edlen Rebsorte. Da wir hier ja schon bei dem letzten Wein meiner Top 5 angekommen sind, dürft ihr euch ruhig fragen, warum ich keine alkoholfreien Rotweine aufgenommen habe. Hatte ich etwa keine probiert? Doch, das ja. Und manche fand ich gar nicht schlecht, durchaus schmackhafte rote Kirsch-Trauben-Schorle. Aber vielleicht ist es die Erwartungshaltung an den Rotweintypus an sich, die mir so einen kühlen Rosé doch leckerer erscheinen lässt. Schließlich haben alle alkoholfreien Weine reichlich Säure und spürbar Süße, auch die Roten.
However, das Leitz-Exemplar ist allein farblich schon kräftiger angelegt als sein Bruder von Kolonne Null. Und das setzt sich auch im Geschmack fort. Substanzreicher wirkt der Wein, mehr rote Beeren, und vielleicht muss er auch gar nicht eiskalt sein. Trotzdem ist hier alles Sommer Sommer Sommer. 18 kcal, 4,0 g Zucker, 7,90 € ab Hof.
Mein Fazit
Eine spannende Verkostung. Nun bin ich zwar ein Weinprofi, der wahrscheinlich spontan 300 Rebsorten und ihre Eigenschaften aufsagen kann, wenn er nachts geweckt wird, aber alkoholfreier Wein bedeutet echtes Neuland für mich.
- Wer alkoholfreie Weine noch nicht kennt, sollte (das ist meine erste Erkenntnis) nicht den Fehler machen, sie allzu sehr mit alkoholhaltigen Weinen zu vergleichen. Ich vergleiche ja auch kein IPA mit einem Gerstentee, nur weil beides Getreide enthält.
- Ähnlich wie Gerstentee nah am Getreidegeschmack ist, ist alkoholfreier Wein nah am Obstgeschmack. Durch die Fermentation macht das Obst eine geschmackliche Metamorphose durch, die die Entalkoholisierung wieder ein wenig rückgängig macht. Alkoholfreier Wein schmeckt dadurch (jedenfalls bislang) primär nach einem Fruchtcocktail.
- Das ist auch völlig okay. Es gibt viel Säure und Süße und fruchtigen Geschmack, dazu eine gewisse Leichtigkeit. Wer oft Cola oder Saft oder Fruchtschorle zum Essen trinkt, wird hier noch einmal eine höhere Qualitätsdimension erleben. Da geht dann auch fruchtiger alkoholfreier Rotwein zum Burger.
- Wer das nicht tut und eher einen klassisch-europäischen Geschmack pflegt, sollte alkoholfreien Wein lieber solo genießen. Nicht nur am Pool, sondern auch beim Netflix-Abend.
- Der Vorschlag von altgedienten Weinliebhabern, sich statt alkoholfreiem Wein lieber eine Traubensaftschorle einzugießen, verkennt komplett, warum wir Dinge tun. Wein ist Kultur, ist Lifestyle, ist Hedonismus, ist eigentlich völlig unnötig, macht aber Spaß. Wer eine schicke Flasche alkoholfreien Wein kauft, macht das in demselben Spaß-Lifestyle-Ich-gönn-mir-was-Gefühl wie bei einem “echten” Wein. Nur halt ohne Alkohol. Eine Traubensaftschorle, ins Becherglas gepluddert, ist da kein Ersatz.
Damit bin ich durch. Für den Moment. Interessanterweise habe ich nämlich das Gefühl, unter diesen Artikel “Stand April 2021” schreiben zu können. Wenn die Nachfrage nach alkoholfreiem Wein steigen sollte, und danach sieht es aus, wird die Reise bald noch weitergehen. Andere Verfahren. Bestimmte Trauben, die sich besser eignen als andere. Ich bin gespannt und melde mich einfach wieder.
Super Beitrag! Den Riffel werde ich probieren, ansonsten finde ich meist Geiger- oder Van Nahmen Secci besser als die Weine…
Dankeschön! Ja, die Van Nahmen- und Jörg Geiger-Versionen schätze ich auch sehr. Allerdings haben die (wie es sich für Fruchtsaftschorlen gehört 😉 ) deutlich mehr Zucker als alkoholfreie Weine. Also (um mal wieder in Weindimensionen zu sprechen) der Riffel hat ja 30 g pro Liter Zucker, die Geiger PriSecci fangen bei 77 g an, und Van Nahmen hat 188 g. Und mir sind 30 g ja eigentlich geschmacklich schon zu viel 😉 . Aber ich habe vor einer Woche gelesen, dass bei Jörg Geiger ein Job ausgeschrieben ist im Bereich Entalkoholisierung von Apfel- und Birnenweinen. Soll heißen: Da wird sich bestimmt was tun!
Klasse! Das wäre schön!
Es taucht jetzt auch immer wieder ein alkoholfreier Wein vom Juliusspital auf! Rotweissrose in Würzburg hat ihn sehr gelobt – ansonsten schmeckt mir auch der Verjus von Tement gut und leicht säuerlich
Ja, den habe ich auch schon gesehen. Ich muss aber zugeben, dass ich im alkoholfreien Bereich jetzt erstmal ein bisschen auf die Sachen ohne prägende Fruchtsäure schaue 😉 . Ich denke aber auch, bei alkoholfreiem Wein wird sich bereits in den nächsten Monaten viel tun.
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Hallo Matze,
In der Zwischenzeit hat sich sehr viel getan, wie Du zum Beispiel auf unsere webshop sehen kannst.
Wir versuchen Weine zu entwickeln und vermarkten, die so nah dran am Wein sind wie möglich. Und zum Thema Zucker: wir haben Weissweine ab 10g/L.
Ja, das stimmt! Alkoholfrei ist vermutlich die momentan dynamischste, äh, Weinkategorie 😉 . Erstmal wegen der Zuwachsraten, aber eben auch wegen der Technik-Weiterentwicklungen. Allerdings habe ich auch schon Stimmen gehört, die sagen, ihnen gefällt die Energie-, sprich CO2-Bilanz nicht. Immerhin ist ja nach dem Weinwerden noch weitere Energie notwendig, um den Alkohol wieder loszuwerden… Ist aber auf jeden Fall ein extrem spannendes Feld!